Wie hängen antimuslimischer Rassismus und islamistischer Extremismus zusammen? Joachim Langner und Annika Jungmann skizzieren den aktuellen Forschungsstand und leiten daraus Handlungsempfehlungen für die präventiv-pädagogische Praxis ab.
Die wechselseitigen Verbindungen von antimuslimischem Rassismus und islamistischem Extremismus sind ein wichtiges Thema in Fachdiskursen zu Prävention, Pädagogik und politischer Bildung. In den letzten Jahren entzündeten sich darüber vermehrt auch öffentliche Diskussionen. Ein Anlass war zuletzt der Angriff eines islamistischen Extremisten auf eine islamfeindliche Demonstration in Mannheim, der am 31. Mai 2024 mit Verletzten und dem tragischen Tod eines Polizisten endete. Einen anderen Anlass stellt der Krieg im Nahen Osten dar, der nach den Anschlägen der Hamas vom 7. Oktober 2023 begann und sowohl als Treiber islamistischer Radikalisierung bewertet wurde als auch die Zahl antisemitischer und antimuslimischer Übergriffe in Deutschland in die Höhe trieb.
Wissenschaftliche Untersuchung der Zusammenhänge
In Fachdiskursen sind die wechselseitigen Verbindungen zwischen antimuslimischem Rassismus und islamistischem Extremismus seit den ersten pädagogischen Ansätzen zur Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus ein Thema, etwa mit Blick auf eine zunehmende antimuslimische Pauschalisierung nach islamistisch-extremistischen Anschlägen oder in Hinblick auf Diskriminierungserfahrungen muslimisch gelesener Menschen als Faktor in islamistischen Radikalisierungsprozessen. Empirisch sind unmittelbare Zusammenhänge zwischen den beiden Phänomenen nur schwer zu belegen. Untersuchungen zeigen jedoch deutlich, dass sie in der pädagogischen Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen in der Praxis der Prävention, politischen Bildung und sozialen Arbeit teilweise miteinander verknüpft werden.
Im Bericht „Antimuslimischer Rassismus und islamistischer Extremismus: Wechselseitige Bezüge in Forschung und pädagogischer Praxis“, der 2024 von der „Arbeits- und Forschungsstelle Demokratieförderung und Extremismusprävention“ am Deutschen Jugendinstitut herausgegeben wurde, wurden die Verbindungen und Spannungsverhältnisse der beiden Themen in Bezug auf die präventiv-pädagogische Praxis dargestellt und ausdifferenziert. Die Grundlage dafür bildet eine Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstands wissenschaftlicher Literatur. Dieser Artikel fasst die zentralen Erkenntnisse des Berichts zusammen und formuliert davon ausgehende Handlungsempfehlungen. Dabei werden Literaturverweise nur exemplarisch angeführt. Die vollständige Analyse finden Sie in dem Bericht.
Zentrale Begriffe
Mit „antimuslimischem Rassismus“ ist die individuelle und strukturelle Diskriminierung muslimischer oder als muslimisch gelesener Menschen gemeint. Dabei geht es nicht zwangsläufig um die tatsächliche Religionszugehörigkeit der Betroffenen, sondern vielmehr um Merkmale, die einem mehrheitlich islamisch geprägten und historisch als „fremd“ markierten Kulturraum zugeschrieben werden. Dieser homogenisierte, kulturalisierte und rassifizierte Raum und die Menschen, die ihm vermeintlich zugehörig sind, werden dabei mit negativen Eigenschaften verknüpft und abgewertet (vgl. u.a. Attia/Keskinkılıç 2016). Antimuslimische Einstellungen sind in Deutschland sehr verbreitet: Der Expertenkreis Muslimfeindlichkeit verglich Ergebnisse einschlägiger Studien und bilanzierte in 2023, dass etwa jede*r Zweite antimuslimischen Aussagen zustimmte (vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat 2023, S. 74).
„Islamistischer Extremismus“ beschreibt Orientierungen und Handlungen, die als „extremistisch“ problematisiert und zugleich mit einem auf den Islam verweisenden ideologischen Rahmen verbunden werden, den die Akteur*innen selbst herstellen oder der ihnen zugeschrieben wird (vgl. u.a. Nordbruch 2023). Der Begriff des „Extremismus“ ist umstritten, verbindet jedoch in der Regel Ideologien der Ungleichwertigkeit und die Akzeptanz von Gewalt als „normale“ Form der Konfliktregulierung (vgl. Heitmeyer 1987). Er beschreibt so eine negative Abweichung von einem von freiheitlichen, pluralistischen und demokratischen Werten getragenen gesellschaftlichen Miteinander.
Das Wahrnehmen und Erleben von antimuslimischem Rassismus kann zu Radikalisierung beitragen
In Prozessen der Hinwendung und Radikalisierung junger Menschen zum islamistischen Extremismus zeigt die Analyse der Forschungsbefunde vielfältige Zusammenhänge zu antimuslimischem Rassismus: Dieser kann zu islamistisch-extremistischen Radikalisierungsprozessen beitragen, wobei individuelle Diskriminierungserfahrungen, die Wahrnehmung fehlender gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Anerkennung sowie die Identifikation mit kollektiven Gruppen (potenziell) Betroffener eine Rolle spielen (vgl. Glaser/Herding/Langner 2018). Diese Zusammenhänge sind komplex und können abhängig vom jeweiligen Kontext ganz unterschiedlich zusammenwirken.
Diskriminierungserfahrungen können unter bestimmten Bedingungen als individuelle Krisenerfahrung im Radikalisierungsprozess verarbeitet werden. Jenseits dieser unmittelbar erlebten Diskriminierung zeigen Studien allerdings deutlich, dass gerade die kollektive Identifikation mit den Diskriminierungserfahrungen anderer Muslim*innen (auch ohne unmittelbar erlebte Diskriminierung) zu einem Engagement motivieren, das je nach Kontext demokratisch-emanzipativ oder eben an extremistische Narrative anschlussfähig verlaufen kann (vgl. u.a. Brettfeld/Wetzels 2007).
Vermengung von Islam und islamistischem Extremismus stärkt antimuslimischen Rassismus
Das Review einschlägiger Forschung stellt heraus, dass es sich bei antimuslimischem Rassismus – wie auch bei anderen Diskriminierungsformen – um eine fortwährend bestehende, strukturelle Problemlage in der Gesellschaft handelt. Einen Teil davon bilden antimuslimische Einstellungen, die durch Ereignisse wie die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 verstärkt werden können (vgl. Mustafa 2023, S. 27.)
Zugleich führen zuschreibende Islamdiskurse zur assoziativen Vermengung von „Islam“ und „Islamismus“ und somit auch von „Muslim*innen“ und „Islamist*innen“. Die Gleichsetzung oder Verwechslung dieser Bezeichnungen knüpft an Narrative vermeintlich gefährlicher Muslim*innen an und stellt so eine Brücke zum Rechtsextremismus dar (vgl. u.a. Fielitz/Ebner/Quent 2018). Auch wegen der starken Verbreitung antimuslimischer Einstellungen in Deutschland verweisen die Forschungsbefunde zur präventiv-pädagogischen Praxis darauf, dass dem Umgang mit antimuslimischem Rassismus generell, aber auch in der Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus eine wichtige Rolle zukommt.
Prävention und pädagogische Praxis verbinden die Themen
Menschen, die von Angeboten zur Prävention von islamistischem Extremismus adressiert werden, sind häufig potenziell von Rassismus betroffen: Feldüberblicke zu dieser Praxis legen nahe, dass sich ein großer Teil der Angebote vorwiegend oder zum Teil an junge Muslim*innen (bzw. an muslimisch gelesene junge Menschen) richtet, also an Menschen, die zugleich (potenziell) Betroffene von antimuslimischem Rassismus sind.
Prävention geht grundsätzlich mit dem Risiko einher, Gefährdungen, die verhindert werden sollen, erst selbst zu konstruieren. Angesichts anhaltender Islamdebatten, die junge Muslim*innen pauschal als potenzielle Bedrohung markieren, besteht dieses Risiko besonders in der Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus. Im Umkehrschluss erwachsen besondere Stigmatisierungspotenziale für islamische Träger, die Präventionsprojekte umsetzen (vgl. Ostwaldt 2020).
Die Thematisierung von antimuslimischem Rassismus ist wiederum fester Teil präventiver und pädagogischer Praxis in der Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus. Antimuslimischer Rassismus wird dabei vor allem in der universellen und selektiven Prävention thematisiert, also in Präventionsangeboten, die sich an Adressat*innen ohne bisherige Affinität zu islamistischem Extremismus richten. Damit nehmen Fachkräfte Stigmatisierungsgefahren auf, gehen auf Bedarfe von Jugendlichen ein und nutzen das Thema als Zugang zu deren Lebenswelt. Die Bearbeitung von Rassismusbetroffenheiten wird gleichzeitig auch als Beitrag zur Radikalisierungsprävention verstanden (vgl. Lautz u.a. 2024). Muslimisch gelesene Fachkräfte stellen dabei auch Bezüge zu eigenen biografischen Erfahrungen, etwa eigener antimuslimischer Diskriminierung her, wobei sie sich empathisch mit den Rassismuserfahrungen der Adressat*innen identifizieren und diese in gesellschaftliche Machtstrukturen einordnen (vgl. Zschach/Jungmann/Langner 2023).
Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen
Die Ergebnisse des Berichts verweisen darauf, dass antimuslimischer Rassismus in der pädagogischen Praxis und auch darüber hinaus als Kontextfaktor und Alltagsrealität junger Muslim*innen und muslimisch gelesener Menschen verstanden werden sollte. Dabei beeinflusst rassistische Diskriminierung nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern gefährdet als verbreitetes strukturelles Problem die Werte und Grundsätze einer demokratischen Gesellschaft. Es geht also darum, Rassismus als Problem aller zu verstehen, nicht nur als Problem der unmittelbar davon Betroffenen.
Für die präventive, pädagogische und politisch-bildnerische Arbeit ist antimuslimischer Rassismus nicht nur ein Thema, sondern auch eine zentrale Rahmenbedingung, mit der es sich im pädagogischen Miteinander auseinanderzusetzen gilt. Ein sensibler Umgang mit der Thematik sowie mit entsprechenden Erfahrungen ist daher für die Praxis der (präventiven) Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus unabdingbar, aber auch ganz allgemein für Angebote der Jugendarbeit, Schule, politischer Bildung und andere pädagogische Kontexte. Dies betrifft sowohl den Umgang mit Rassismuserfahrungen der Adressat*innen als auch die grundlegende Reflexion von Stigmatisierungsgefahren, die von der Extremismusprävention selbst ausgehen.
Die Forschungsbefunde zeigen deutlich, dass stigmatisierende Debatten über islamistische Radikalisierung Rassismus stärken. Entsprechend sollte bei der Thematisierung von Radikalisierungsgefahren zum islamistischen Extremismus bspw. durch Politik, Behörden, Schule oder Polizei immer sorgsam darauf geachtet werden, rassistische Stereotype nicht zu reproduzieren. Stattdessen muss es darum gehen, stigmatisierende Islamdiskurse aufzudecken und Herausforderungen sensibel entlang konkreter Erfahrungen zu diskutieren.
Dabei handelt es sich nicht nur um eine pädagogische, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe, d.h. dass vom Stammtisch bis hin zu Politik und Medien nicht Zuschreibungen gepflegt werden dürfen, in denen vermeintlich einfache Lösungen für islamistischen Terrorismus in den Themen „Migration“ und „Islam“ gesucht werden. Der Blick in die Forschungsliteratur zeigt, dass eben diese Verknüpfung der Diskurse Stigmata fördert, an denen islamistisch-extremistische Ideologien anknüpfen können. Als zielführend erweist es sich hingegen, diese zuschreibenden Verknüpfungen zu problematisieren und extremistischen Diskursen ein positives gesellschaftliches Miteinander entgegenzustellen.
Rassismuskritische Bildungsarbeit erweist sich so als hilfreich gegen islamistisch-extremistische Radikalisierung und muss daher gefördert werden. Grundsätzlich ist die Bearbeitung von antimuslimischem Rassismus zentral, um diskriminierungsarme Bedingungen für muslimische und muslimisch gelesene junge Menschen zu schaffen. Insgesamt – nicht zuletzt aufgrund der weiten Verbreitung antimuslimischer Einstellungen in der Gesellschaft – verweisen die Befunde auf einen besonderen Bedarf nach rassismuskritischen Bildungsangeboten in vielfältigen Kontexten, die für die Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus und islamistischem Extremismus relevant sind.
Literaturverzeichnis
Attia, Iman/Keskinkılıç, Ozan Zakariya (2016): Antimuslimischer Rassismus. In: Handbuch Migrationspädagogik. Weinheim
Brettfeld, Katrin/Wetzels, Peter (2007): Muslime in Deutschland. Integration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie, Rechtstaat und politisch-religiös motivierter Gewalt. Ergebnisse von Befragungen im Rahmen einer multizentrischen Studie in städtischen Lebensräumen. Hamburg
Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz. Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit. Stand: Juni 2023. Berlin/Berlin/Bonn
Fielitz, Maik/Ebner, Julia/Quent, Matthias (2018): Hassliebe: Muslimfeindlichkeit, Islamismus und die Spirale gesellschaftlicher Polarisierung. Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. Jena/London/Berlin
Glaser, Michaela/Herding, Maruta/Langner, Joachim (2018): Warum wenden sich junge Menschen dem gewaltorientierten Islamismus zu? Eine Diskussion vorliegender Forschungsbefunde. In: Glaser, Michaela/Frank, Anja/Herding, Maruta (Hrsg.): Gewaltorientierter Islamismus im Jugendalter. Perspektiven aus Jugendforschung und Jugendhilfe. Weinheim/Basel, S. 12–24
Heitmeyer, Wilhelm (1987): Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Untersuchung zur politischen Sozialisation. Weinheim/München: Juventa.
Lautz, Yannick von/Bösing, Eike/Kart, Mehmet/Stein, Margit (2024): Influences of Discrimination and Stigmatization on Secondary and Tertiary Level P/CVE Efforts – Insights from German Practitioners into Countering Islamist Extremism. In: Journal for Deradicalization, H. 38, S. 122–164
Mustafa, Imad (2023): »Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland«. Islam und antimuslimischer Rassismus in Parteiensystem und Bundestag. Bielefeld
Nordbruch, Götz (2023): Fundamentalismus, Islamismus, Radikalisierung? Zugänge zu einem vielschichtigen Gegenstand der Präventionsarbeit. In: Report 2023. Herausforderungen, Bedarfe und Trends im Themenfeld. Berlin, S. 40–47
Ostwaldt, Jens (2020): Stigmatisierung durch Prävention. Herausforderungen für die migrantische und islamische Zivilgesellschaft. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, H. 4, S. 288–295
Zschach, Maren/Jungmann, Annika/Langner, Joachim (2023): Umgang mit antimuslimischem Rassismus in der pädagogischen Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus. In: Langner, Joachim/Zschach, Maren/Schott, Marco/Weigelt, Ina (Hrsg.): Jugend und islamistischer Extremismus. Pädagogik im Spannungsfeld von Radikalisierung und Distanzierung. Leverkusen, S. 205–224
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