ufuq.de liest … das Buch „Die Rückkehr des Terrors“ von Peter R. Neumann
30. April 2025 | Radikalisierung und Prävention

Minimalistische Illustration eines Buches / KI-generiertes Bild mit Midjourney

Terrorismus verläuft in Wellen – das sagen wissenschaftliche Theorien und davon geht auch Peter R. Neumann in seinem Buch „Die Rückkehr des Terrors: Wie uns der Dschihadismus herausfordert“ aus. Der Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London sieht Europa seit dem Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 vor einer neuen Welle des dschihadistischen Terrors. Politik, Sicherheitsbehörden und Gesellschaft müssten handeln, „um der Gefahr angemessen zu begegnen“, so Neumann. Im Interview beschreibt ufuq.de-Co-Geschäftsführer Jochen Müller, welche Relevanz die Thesen von Peter R. Neumann für unsere Arbeit in der universellen Prävention von Islamismus haben.

Judith De Santis:

Jochen, was hat dein Interesse für dieses Buch geweckt?

Jochen Müller:

Zunächst mal ist Peter Neumann ja ein Kollege im Bereich der Islamismusprävention und als international anerkannter Terrorismusexperte bekannt. Außerdem habe ich mich gefragt, was es mit der These von der „Rückkehr des Terrors“ wohl auf sich haben mag.

Judith De Santis:

Peter Neumann hebt hervor, dass nach einem zwischenzeitlichen Rückgang dschihadistische Anschläge in Europa seit dem 7. Oktober 2023 deutlich zugenommen haben. Europa stehe vor einer neuen Welle des islamistischen Terrorismus. Zwar seien es meist Einzeltäter, doch ihre Zahl sei signifikant höher als in den Vorjahren.

Jochen Müller:

Und er betont, dass die Täter auffallend jung seien und sich äußerst schnell und vornehmlich über Soziale Medien radikalisiert hätten. Das ist natürlich für uns sehr relevant, denn im Bereich der Universalprävention arbeiten wir ja mit genau solchen Jugendlichen – beziehungsweise ihren Lehrer*innen -, von denen offenbar angenommen wird, dass aufgrund aktueller Entwicklungen einige von ihnen zu solchen Einzeltätern werden könnten.

Judith De Santis:

Wie geht der Autor in seinem Buch vor?

Jochen Müller:

Neumann skizziert zunächst noch einmal die Geschichte der dschihadistischen Ideologie und beschreibt dann den 7. Oktober 2023 als Katalysator und Mobilisierungsfaktor für drei Akteure einer möglichen neuen Terrorismuswelle: den Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISPK), die vom Iran unterstützte „Achse des Widerstands“ mit Hamas und Hisbollah sowie über soziale Medien radikalisierte junge „TikTok-Dschihadisten“. Neumann spricht dabei von „Teenager-Terroristen“ und greift einen Begriff von Julia Ebner auf, die von den sozialen Medien schon vor einigen Jahren als „Radikalisierungsmaschinen“ gesprochen hat. Er weist außerdem auf die zunehmende Bedrohung jüdischen Lebens in Europa und die wachsende Gefahr durch den Rechtsterrorismus hin.

Judith De Santis:

Und welche Vorschläge macht Neumann mit Blick auf die Prävention?

Jochen Müller:

Er spricht von Optionen, die von ihm und anderen prognostizierte „Welle des Terror“ zu brechen und formuliert – leider erst auf den letzten Seiten des Buchs – fünf Grundsätze: Er schreibt von einer „ausgewogenen Priorisierung“ und meint damit die Gewichtung in der Begegnung von Islamismus und Rechtsextremismus. Unter dem Begriff „gezielte Repression“ nennt er dann „Abschiebungen und eine strenge Kontrolle bei Einreisen“ als mögliche Maßnahmen gegen den ISPK sowie eine „Mischung aus Kooperation, Sanktion und dem stärkeren Einsatz von virtuellen Agenten, mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden geschlossene Chaträume infiltrieren“ als Maßnahme gegen Radikalisierung in sozialen Medien. Mit den Grundsätzen von „geduldiger Prävention“, „Lösung internationaler Konflikte“ und „Reagieren, ohne überzureagieren“ verbindet Neumann unter anderem die langfristige Förderung von zivilgesellschaftlichen Präventionsakteuren, Maßnahmen zur Etablierung des Islams in Europa sowie Beiträge zur Lösung internationaler Konflikte, die eine wichtige Rolle als Motive von Radikalisierungsprozessen spielen. Und er betont, dass nicht im Namen der Prävention ganze Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht gestellt und der gesellschaftliche Zusammenhalt aufs Spiel gesetzt werden dürfen.

Judith De Santis:

Das klingt erstmal sehr allgemein.

Jochen Müller:

Ja, das ist es auch, jeder dieser Punkt könnte vertieft und – vielleicht in einem zweiten Buch – gefragt werden, wie sie auf verschiedenen Ebenen umzusetzen sind. Darin könnte man etwa auch auf die Bedeutung solcher Präventionsansätze eingehen, die mir gerade vor dem Hintergrund von Neumanns Analyse und Beschreibung der Rolle des Nahostkonflikts und der sozialen Medien besonders bedeutsam erscheinen. Das sage ich natürlich auch aus unserem universell-präventiven Blick.

Judith De Santis:

Inwiefern wäre das denn eine ergänzende Perspektive?

Jochen Müller:

Universelle Prävention ist nicht sicherheitspolitisch ausgerichtet, sondern richtet sich an Fachkräfte sowie an „ganz normale“ Jugendliche, etwa in Schulklassen – also an Jugendlichen ohne irgendwelche Anzeichen für Radikalisierungsprozesse. Wir fragen hier auch, welche innergesellschaftlichen Entwicklungen dazu führen, dass Jugendliche Angebote von Hamas, Hisbollah, Predigern auf TikTok oder anderen Akteuren wie Muslim Interaktiv überhaupt erst attraktiv finden. Ein Beispiel wäre der 7. Oktober: Natürlich sind die von Peter Neumann hervorgehobenen Faktoren – also der 7.Oktober, der von ISPK, Hamas und Hisbollah und auf TikTok zur Mobilisierung genutzt werden kann – relevant für Radikalisierungsprozesse. Ebenso entscheidend ist aber, wie wir als Gesellschaft mit dem 7. Oktober umgehen. Ich würde behaupten, wenn es tatsächlich eine Terrorwelle in der Folge des 7. Oktober geben sollte, dann haben dazu nicht allein extremistische Akteure mit der von ihnen betriebenen Ideologisierung beigetragen, sondern eben auch die politischen und medialen Diskurse, die viele junge Menschen als ausschließend und diskriminierend empfinden – als Zeichen, dass sie mit ihren Emotionen und Perspektiven nicht dazugehören. Diese Wahrnehmung kann bei dem einen oder der anderen zu einer inneren Distanzierung führen und in einen Prozess der Radikalisierung einfließen. Radikalisierungsprozesse von ihrem Anfang her zu denken und Jugendliche gegenüber „problematischen“ Einflüssen zu stärken und sie dafür zu sensibilisieren, ist für unsere Arbeit in Pädagogik, politischer Bildung und universeller Prävention besonders relevant.

Judith De Santis:

Das rückt stärker die Lebenserfahrungen von Jugendlichen in den Mittelpunkt.

Jochen Müller:

Genau. Natürlich schauen wir uns die Sender islamistischer Botschaften, etwa  Muslim Interaktiv, an und auch wir überlegen, welche repressiven Maßnahmen hier sinnvoll sein können. Das ist unverzichtbarer Teil von Prävention. Gleichzeitig müssen wir fragen: Warum zieht diese Gruppe viele junge Menschen an, die an ihren Demonstrationen zum Krieg in Gaza teilnehmen? Neben denen, die wirklich ideologisch überzeugt sind, waren viele dort, weil ihnen alternative Räume und Angebote fehlten. Das heißt, wenn wir die Räume auf der einen Seite so verengen, dass nur noch die auf der anderen Seite übrigbleiben, tragen wir selbst zu einer Polarisierung bei und treiben junge Menschen geradezu in die Arme islamistischer oder anderer radikaler Strömungen und deren islamistischer, dschihadistischer oder antisemitischer Ideologie.

Judith De Santis:

Und was heißt dann „universelle Prävention“?

Jochen Müller:

Universelle Prävention heißt hier, auch die Lebenswirklichkeiten, die Erfahrungen, die Bedürfnisse und die Vulnerabilität junger Menschen in den Blick zu nehmen. Pädagogisch ist das unverzichtbar – Jugendliche zu stärken wirkt präventiv, ohne dass wir es explizit als gezielte Prävention bezeichnen würden. Ich würde da auch Peter Neumanns Grundsätze von der ausgewogenen Priorisierung und der Warnung vor Überreaktionen aufgreifen: Es geht darum, die Gefahr von Ideologisierungen und Radikalisierungsprozessen zu sehen und ihnen zu begegnen, auch repressiv im Blick auf Fragen der Sicherheit. Gleichzeitig gilt es, die Wahrnehmungen und Positionen junger Menschen ernst zu nehmen, ihnen Räume zu geben und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Das trägt zu Sensibilisierung, Entspannung und damit auch zur Prävention bei. Da sehe ich unsere spezifische Rolle und unsere Stärke.

Judith De Santis:

Welche Impulse nimmst du aus dem Buch für unsere Arbeit mit?

Jochen Müller:

Erstmal gibt das Buch einen guten Überblick und viele interessante Einblicke. Das lohnt sich zu lesen – sowohl für Präventions- und Islamismusexpert*innen als auch für ein breiteres Publikum. Darüber hinaus hat es mich gerade mit dem, was nicht im Mittelpunkt des Buches steht, in dem bestärkt, was wir bei ufuq.de tun, also unser spezifischer Beitrag zur Prävention im engeren und zu einem wohlwollenden und möglichst diskriminierungsfreien gesellschaftlichen Miteinander im weiteren Sinn. Diesen komplementären Blick auf die unterschiedlichen Facetten von Prävention finde ich sehr wichtig.

 

© Bildnachweis: KI-generiertes Bild mit Midjourney

Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Projektes „KN:IX connect“.
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