Muslimische Träger spielen aufgrund ihres erleichterten Zugangs zur Zielgruppe und ihrer zunehmenden Professionalisierung in der Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus eine immer wichtigere Rolle. Fatima El Sayed diskutiert in diesem Beitrag Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen „muslimischer“ Präventionsarbeit.
In den vergangenen Jahren hat sich die Akteurslandschaft in der Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus in Deutschland immer weiter ausdifferenziert (Schau et al. 2017; Ostwaldt 2020a). Zurückführen lässt sich dies unter anderem darauf, dass sich die Bekämpfung des religiös begründeten Extremismus mittlerweile als ein soziales und politisches Handlungsfeld fest etabliert hat und sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene entsprechend umfangreiche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wurden, um dem Phänomen zu begegnen. Insbesondere im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ wurde die Arbeit im Bereich der Islamismusprävention ausgebaut und gestärkt (Kiefer 2021; Ostwaldt 2020a). Zunehmend werden dabei auch migrantische (Selbst-)Organisationen als zivilgesellschaftliche Akteur*innen wahrgenommen, die nicht nur Partikularinteressen vertreten, sondern einen wichtigen gesamtgesellschaftlichen Beitrag leisten (Friedrichs et al. 2020; Ostwaldt 2020a). So hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass Religion nicht nur ein (Begünstigungs-)Faktor für Hinwendungs- und Radikalisierungsprozesse sein, sondern auch als Ressource in der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit dienen kann (Langner 2020; Ülger/Çelik 2020).
Ob und inwiefern Religion in der Präventionsarbeit dann Berücksichtigung findet, hängt im Wesentlichen davon ab, welche Relevanz Praktiker*innen und Adressat*innen dem Faktor Religion beimessen (Ülger/Çelik 2020). Es hat sich jedenfalls gezeigt, dass migrantische und muslimische Vereine oftmals einen leichteren Zugang zur Zielgruppe der Islamismusprävention, namentlich muslimischen Jugendlichen, finden (Charchira 2017; Ostwaldt 2020a; Schmidt 2018). Für den Einbezug muslimischer Verbände und Vereine in die Präventionsarbeit spricht neben einer zu beobachtenden Ausweitung ihrer Tätigkeitsfelder auch ihre zunehmende Professionalisierung (Charchira 2017; Ostwaldt 2020a). Schließlich wird das Phänomen des religiösen Extremismus von muslimischen Institutionen und Gemeinden zunehmend als Problem anerkannt und die Notwendigkeit gesehen, gegen extremistische Tendenzen vorzugehen (Ostwaldt 2020a).
Neben den islamischen Verbänden – allen voran die türkischen Dachverbände – und ihren zum Teil angeschlossenen Moscheegemeinden engagieren sich zunehmend auch muslimische Wohlfahrtsverbände in der Präventionsarbeit. Während Moscheegemeinden sich primär als Orte der religiösen Praxis und Bildung begreifen, liegt der Fokus muslimischer Wohlfahrtsorganisationen auf der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen. Als muslimisch definieren sie sich oftmals lediglich auf Grundlage ihrer religiösen Motivation und zum Zweck der Wiedererkennung und eines Vertrauensvorschusses seitens ihrer Zielgruppen.
Vor dem Hintergrund dieser hier nur skizzierten Entwicklungen ist das Interesse öffentlicher Stellen an einer stärkeren Kooperation und dem Einbezug muslimischer Verbände und Vereine in die Präventionsarbeit in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Dies belegt etwa die zunehmende Zahl der über das Bundesprogramm geförderten Projekte in muslimischer Trägerschaft (Ostwaldt 2020a).
Religionsbezogene Ansätze in der Präventionsarbeit muslimischer Träger
Die Bedeutung von Religion in Radikalisierungsprozessen wie auch in der Prävention von religiös begründetem Extremismus ist in der Forschung nach wie vor umstritten (Glaser et al. 2018; Kiefer 2020). Nachdem Religion lange Zeit als Faktor in Hinwendungsprozessen überbewertet wurde, wird Religion in jüngeren Studien als einer von mehreren begünstigenden Faktoren wahrgenommen (Charchira 2017; Kiefer 2021). So kann religiöse (Sinn-)Suche durchaus einen Pull-Faktor darstellen, der Personen anfälliger für eine religiös-extremistische Ansprache macht. Gleichzeitig zeigen Beispiele aus der Empirie, dass eine religiöse (Sinn-)Suche allein keine Hinwendung begründen kann. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer und psychologischer Faktoren, die eine Hinwendung zu religiös extremistischen Gruppierungen attraktiv erscheinen lassen (Glaser et al. 2018). Dementsprechend differenziert sollte die Rolle von Religion auch in der Präventionsarbeit von Radikalisierungsprozessen Berücksichtigung finden. So kann der Bezug auf den Islam oder Fachkräfte, die als muslimisch wahrgenommen werden, den Zugang zu bestimmten Zielgruppen erleichtern. Ebenso kann im Rahmen religiöser Bildungsangebote die Resilienz von Jugendlichen gegenüber extremistischen Tendenzen durch die Vermittlung ethischer Werte wie auch fundierter theologischer Kenntnisse und die Diskussion antipluralistischer und absolutistischer Religionsvorstellungen gestärkt werden (Charchira 2017; Langner 2020). In Anlehnung an Joachim Langner (2020) lässt sich diese Art des Religionsbezugs in der Präventionsarbeit als religiöses Sprechen bezeichnen. Wie Langner beschreibt, „ist [d]as prägende Merkmal dieses […] Typs […], dass der Islam selbst eine zentrale Rolle in der präventiven Handlungslogik der Arbeit einnimmt“ (Langner 2020: 164). Religiöse Inhalte und die theologische Auseinandersetzung mit ihnen stehen dann im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit. Der Islam wird als Teil der Lebenswelt muslimischer Jugendlicher aufgegriffen und im Sinne politischer Bildung zum Gegenstand kritischer Reflexion und Diskussion über Identität und Zugehörigkeit gemacht (Langner 2020). Ein solcher Ansatz lässt sich vor allem bei muslimischen Wohlfahrtsorganisationen beobachten, die ihre Präventionsarbeit an Grundsätzen der Sozialen Arbeit und politischen Bildung ausrichten und in denen überwiegend pädagogische Fachkräfte tätig sind.
Welcher religionsbezogene Ansatz bei der Präventionsarbeit muslimischer Träger zum Einsatz kommt, hängt im Wesentlichen vom Selbstverständnis des jeweiligen Trägers, seinen primären Handlungsfeldern, den vorhandenen Fachkompetenzen sowie der jeweiligen Zielgruppe ab. Während die Präventionsarbeit von Moscheegemeinden und -verbänden stärker durch den Ansatz des religiösen Sprechens geprägt ist, beziehen Träger muslimischer Wohlfahrtspflege Religion vor allem unter pädagogischen Gesichtspunkten in ihre Präventionsarbeit ein (Langner 2020). Zwei prominente Beispiele für muslimische Wohlfahrtsverbände in der Präventionsarbeit sind der 2016 gegründete Sozialdienst muslimischer Frauen (SmF) sowie der Al-Nusrat-Wohlfahrtsverband, der 2018 durch die Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland ins Leben gerufen wurde.
Geschlechtersensible Präventionsansätze
Mit dem Projekt „Frauen stärken Frauen – gegen Radikalisierung“ ist der SmF der erste muslimische Träger auf Bundesebene, der in seiner Präventionsarbeit einen spezifischen Schwerpunkt auf Frauen legt. Das Projekt startete 2021 und ist im Bereich der Primärprävention angesiedelt. Es fußt auf Ansätzen der Jugendarbeit und ist religions-, rassismus- und geschlechtersensibel ausgerichtet. In unterschiedlichen Formaten wie Gesprächskreisen, Workshops, Mentorings, Freizeitaktivitäten und Exkursionen soll die Identität sowie das Zugehörigkeitsgefühl von jungen Mädchen und Frauen gestärkt werden (SmF 2022).
Lange Zeit wurden Frauen in der Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus auf Grundlage stereotyper Geschlechtsvorstellungen vernachlässigt. Dies änderte sich insbesondere mit der vermehrten Ausreise junger Frauen in das Kampfgebiet des IS nach Syrien und in den Irak 2016 und einer stärkeren Anerkennung ihres Gewaltpotenzials. Vor diesem Hintergrund haben geschlechterspezifische Perspektiven vermehrt Einzug in Forschung und Praxis gehalten (Pearson/Winterbotham 2018). Bisherige Untersuchungen zur Radikalisierung von Frauen betonen geschlechtsspezifische Motive und Ansprachen durch extremistische Gruppierungen und verweisen angesichts dessen auf die Notwendigkeit geschlechtersensibler Präventionsarbeit (Baer 2017; Pearson/Winterbotham 2018; Benzenberg et al. 2018).
Im Mittelpunkt einer geschlechterspezifischen Präventionsarbeit sollte eine kritische Reflexion und Diskussion von Geschlechtervorstellungen und -rollen sowie damit verknüpften gesellschaftlichen und familiären Erwartungen stehen. Nicht selten stehen diese in einem Widerspruch zu den Wünschen und Lebensentwürfen junger muslimischer Frauen und Mädchen. In diesem Zusammenhang spielen geschlechtsspezifische Erfahrungen von antimuslimischem Rassismus oftmals eine zentrale Rolle. Ziel einer geschlechterreflektierten Präventionsarbeit ist es vor diesem Hintergrund unter anderem, Mädchen und Frauen bei ihrer Identitätsfindung zu unterstützen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und ihnen Wege aus konflikthaften Situationen aufzuzeigen (Benzenberg et al. 2018). Dafür kann es sinnvoll sein, geschlechtergetrennte Räume anzubieten, in denen sich die Adressatinnen jenseits gesellschaftlicher Normen und familiärer Wertevorstellungen frei äußern und sich mit ihren Peers auch zu sensiblen oder tabuisierten Themen austauschen können (Benzenberg et al. 2018). Eben hier setzt das Präventionsprojekt des SmF mit seinem Konzept des Safe(r) Space an, das sich auf einen geschützten sozialen Raum bezieht, der durch vertrauensvolle Beziehungen geprägt ist und einen ungestörten, offenen Austausch ermöglicht. Unterstützt wird dies durch die Schaffung und Gestaltung eines physischen Raumes, den die Teilnehmenden selbst mitgestalten können und der zu ihrem Wohlbefinden beitragen soll.
Wie bedeutsam Räume für das Wohlbefinden und den Zugang zu Adressat*innen sind, zeigen raumpädagogische Zugänge (Ülger/Çelik 2020).
Um junge Frauen zu stärken und ihnen (Zukunfts-)Perspektiven zu eröffnen, bedarf es adäquat zur allgemeinen Präventionsarbeit Vorbilder, mit denen sich die Adressatinnen identifizieren können. Hier kann es durchaus hilfreich sein, wenn pädagogische Fachkräfte sich selbst als Muslim*innen identifizieren und auch als solche erkennbar werden (Baer 2017; Schau et al. 2018). Diesem Aspekt trägt das Projekt durch die personelle Besetzung durch mehrheitlich muslimische Fachkräfte Rechnung.
Rassismussensible Ansätze
Ein weiteres Projekt, das einen geschlechtersensiblen Ansatz verfolgt, sich aber vor allem durch seinen explizit antirassistischen Ansatz auszeichnet, ist das Projekt „Kamil 2.0 – kulturübergreifend, antirassistisch und mitten im Leben!“, das vom Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland getragen und im Rahmen von „Demokratie leben!“ gefördert wird. Das Projekt verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, „junge Musliminnen und Muslime durch einen ganzheitlichen Präventionsansatz effektiv und nachhaltig vor extremistischen, islamistisch begründeten demokratiefeindlichen Narrativen zu schützen“ (Kamil 2.0). Neben Angeboten der politischen Bildung, die zu einer Sensibilisierung und Stärkung muslimischer Jugendlicher beitragen sollen, werden auch Imame und Funktionär*innen der Moscheegemeinden fortgebildet. Durch die Vermittlung pädagogischer und politisch-bildnerischer Handlungskompetenzen und Fachkenntnisse wird dem Mangel an pädagogischen Fachkenntnissen religiöser Autoritäten Rechnung getragen (Schmidt 2018). Auf diese Weise können Imame und Funktionär*innen perspektivisch nicht nur als Ansprechpartner*innen für theologische, sondern vor allem auch für lebensweltlich orientierte Fragen fungieren. Dies ist für die Entwicklung einer religiös-orientierten Jugendarbeit und für nachhaltige Präventionsarbeit in Moscheegemeinden unabdingbar. Wie bereits in unterschiedlichen Studien nachgewiesen, kann auch das in Moscheen vermittelte Gemeinschaftsgefühl eine zentrale Bedeutung bei der Prävention von religiösem Extremismus spielen (Huq 2017). Durch langfristige, vertrauensvolle Beziehungen (Schmidt 2018) und eine damit verbundene ethische (Selbst-)Verpflichtung können die sozialen Kosten für einen Bruch mit der Gemeinschaft steigen und die Attraktivität extremistischer Ansprachen sinken. Damit können Moscheegemeinden sowohl Orte der Spiritualität sein als auch der ethischen Verankerung, dem sogenannten Ethical Anchoring, dienen (Huq 2017).
Ein Problem innerhalb der Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus, auf das in den vergangenen Jahren von unterschiedlicher Seite immer wieder hingewiesen wurde und das auch in „Kamil 2.0“ explizit aufgegriffen wird, ist die Stigmatisierung der Zielgruppe, also (junger) Muslim*innen (Kiefer 2021; Marquardt/ Qasem 2022; Martiensen et al. 2022; Ostwaldt 2020b). Durch Bezugnahme auf die Religionszugehörigkeit als zentralem Merkmal der Zielgruppenbestimmung wird Muslim*innen – gewollt oder ungewollt – pauschal ein Radikalisierungs- und Gewaltpotenzial unterstellt. Wie Michael Kiefer betont, „[läuft] Prävention […] hier stets Gefahr, eine Logik des Verdachts zu reproduzieren“ (Kiefer 2021: 39). Im Vergleich zum gesellschaftlich hegemonialen Narrativ, in dem das Radikalisierungspotenzial (junger) muslimischer Erwachsener immer noch primär in der muslimischen Zugehörigkeit verortet wird, stellt „Kamil 2.0“ die Vulnerabilität muslimischer Jugendlicher gegenüber gefährdenden Ansprachen durch religiös-extremistische Akteur*innen in den Mittelpunkt (Martiensen 2022). Auch wenn muslimische Jugendliche damit weiterhin im Fokus der Präventionsarbeit stehen, verschiebt dieses alternative Framing die Problemzentrierung von den Jugendlichen auf die Extremist*innen. Darüber hinaus ist die Anerkennung und Wertschätzung der religiösen Identität der Jugendlichen, aufgrund derer sie in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen häufig Diskriminierung und Exklusion erfahren, von zentraler Bedeutung (Martiensen et al. 2022). Ein rassismussensibles Präventionsprojekt sollte denselben Maßstab an seine Zielgruppe anlegen, wie es ihn an andere Gruppen anlegen würde (Marquardt/ Qasem 2022). Das bedeutet, von kulturalistischen Erklärungsmustern Abstand zu nehmen und eigene rassistische Vorurteile zu reflektieren. Ebenso gehört es dazu, antimuslimischen Rassismus als Strukturmerkmal der Gesamtgesellschaft anzuerkennen (Attia 2013) und seine Relevanz für die Lebenswelten junger Erwachsener zu berücksichtigen. Denn wie bereits mehrfach nachgewiesen, können Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen sowohl Frust und Wut hervorrufen als auch Entfremdungsprozesse begünstigen (Fahim 2013; Martiensen et al. 2022; Pearson/Winterbotham 2018). Im Wissen um die desintegrative Wirkung von (rassistischer) Diskriminierung, bietet das Projekt „Kamil 2.0“ daher unter anderem unterschiedliche Gesprächsformate an, in denen Jugendliche ihre sozialen Ungleichheitserfahrungen teilen und verarbeiten können und Selbstwirksamkeit erfahren (Martiensen et al. 2022).
Herausforderungen und Grenzen „muslimischer“ Präventionsarbeit
Wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, schafft die Einbindung muslimischer Träger einen erheblichen Mehrwert für die Präventionsarbeit. Insbesondere im Hinblick auf den Zielgruppenzugang und die Nutzung von Religion als Ressource, beispielsweise im Sinne einer emotionalen Entlastung, Wertevermittlung oder der Entwicklung von (theologischen) Gegennarrativen und -argumenten, sind muslimische Vereine und Gemeinden als Akteur*innen der Präventionsarbeit von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig ist mit dem Engagement muslimischer Träger auch eine Vielzahl von Herausforderungen und Grenzen verbunden. Eine der wohl größten Herausforderungen stellt das in der präventiven Logik angelegte Potenzial zur Stigmatisierung von Muslim*innen dar. Dies betrifft nicht nur die Zielgruppe, sondern auch die in der Präventionsarbeit tätigen muslimischen Träger selbst (Martiensen et al. 2022; Ostwaldt 2020b). So berichten Projektmitarbeitende von einer grundsätzlichen Skepsis ihnen gegenüber oder einer Infragestellung ihrer Professionalität und Fachkompetenzen. So seien muslimische Träger bei Fachveranstaltungen meist weniger als Expert*innen, denn als Teilnehmer*innen gefragt (Martiensen et al. 2022). Ein solcher Umgang verweist auf die Reproduktion rassistischer Ungleichheiten innerhalb der Präventionslandschaft. Das wird etwa deutlich, wenn sich muslimische Fachkräfte im Wissen um ihre diskursive Position in öffentlichen Redebeiträgen oder Publikationen häufig selbst zensieren, um (Islamismus-)Vorwürfen und Verdächtigungen zuvorzukommen (Martiensen et al. 2022). Dies kann den notwendigen offenen Austausch und die Weitergabe wichtiger Kenntnisse und Erfahrungen verhindern und eine gleichberechtigte Teilhabe muslimischer Träger erschweren.
Hinzu kommt, dass angesichts anhaltender antimuslimischer Diskurse, die – wenn auch ungewollt – durch die Präventionsarbeit noch befeuert werden (Martiensen et al. 2022; Marquardt/ Qasem 2022), die Umsetzung von Präventionsprojekten durch muslimische Träger innerhalb muslimischer Gemeinschaften immer wieder auf Kritik und Ablehnung stößt. Der Vorwurf gegenüber in der Präventionsarbeit tätigen Personen und Trägern bezieht sich dabei vor allem auf die Stigmatisierung von Muslim*innen und muslimischen Gemeinden und eine (vermeintliche) Instrumentalisierung durch den deutschen Staat (Ostwaldt 2020b). Diese Abwehrhaltung seitens muslimischer Verbände und Vereine lässt sich auf ein jahrzehntelanges konflikthaftes Verhältnis zwischen dem deutschen Staat bzw. seinen Vertreter*innen und muslimischen Gemeinschaften in Deutschland zurückführen.
Mit Blick auf die Grenzen von Präventionsarbeit durch muslimische Träger lässt sich festhalten, dass muslimische Verbände und Gemeinden zwar in der Regel einen einfacheren Zugang zu muslimischen Jugendlichen haben, diese aber häufig gerade nicht diejenigen sind, die Gefahr laufen, sich zu radikalisieren. Wie zahlreiche Studien und Praxisberichte belegen, ist ein Großteil jener, die sich extremistisch-religiösen Gruppierungen anschließen, entweder gar nicht oder kaum religiös und verfügt nur in seltenen Fällen über eine Gemeindeanbindung (Glaser et al. 2018; Kiefer 2020). Das heißt, dass auch muslimische Träger oftmals nicht jene direkt erreichen, bei denen Hinwendungsprozesse zu befürchten sind.
Auch wenn sich die Arbeit muslimischer Gemeinden und Verbände in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter professionalisiert hat, fehlen gerade in der Jugendarbeit oft pädagogische Fachkräfte, die für die Umsetzung von Präventionsprojekten unentbehrlich sind. Zwar können Imame und Theolog*innen innerhalb von Gemeinden geschult werden und so als Ansprechpartner*innen für Jugendliche fungieren, allerdings ersetzen sie keineswegs professionell ausgebildete Fachkräfte. Zudem könnte eine Ausweitung des Aufgabenfeldes für die meist ohnehin überlasteten Imame und Funktionär*innen eine Überforderung darstellen. Grundsätzlich ist indes darauf zu achten, dass der Wert muslimischer Gemeinden und Organisationen nicht etwa anhand ihrer Nützlichkeit für die Prävention bemessen wird, sondern unabhängig davon anerkannt werden muss (Schmidt 2018).
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