Drei Fragen an Junus el-Naggar, Autor der Analyse „Grundlagen erfolgreicher Radikalisierungsprävention an Schulen“
13. November 2024 | Diversität und Diskriminierung, Radikalisierung und Prävention

Symbolbild; Bild: Pixabay/ pexels.de

Während Schulen Radikalisierungsprozesse einerseits durch negative Erlebnisse wie Diskriminierungs- oder Misserfolgserfahrungen begünstigen können, bieten sie andererseits die Chance, solchen Tendenzen aktiv entgegenzuwirken. Doch angesichts des akuten Lehrkräftemangels stellt sich die Frage: Wie kann effektive Präventionsarbeit unter diesen erschwerten Bedingungen gelingen? Junus el-Naggar, Leiter des Projeks CleaRNetworking, erläutert in Analyse #17, wie Schulen ein Konzept zur Radikalisierungsprävention implementieren können, das schulisches Personal entlastet. Wir haben den Autor zum Kurzinterview getroffen.

ufuq.de:

Herr el-Naggar, Sie empfehlen Schulen die Implementierung eines Clearingverfahrens. Welche Vorteile bietet ein solches Verfahren im Umgang mit Hinweisen auf Radikalisierung?

Junus el-Naggar:

Unser Clearingverfahren ist eine strukturierte Schritt-für-Schritt-Anleitung, die schulischem Personal Orientierung darin geben soll, mit Hinweisen auf Radikalisierung von Schüler*innen umzugehen. Das Verfahren sieht klare Zuständigkeiten, Verläufe und Kommunikationswege vor, die eine gezielte pädagogische Intervention erleichtern und gleichzeitig verhindern, dass ein unkoordiniertes Vorgehen Herausforderungen noch vergrößert. Dazu gehören auch grundsätzliche Aspekte wie etwa die Verständigung der Schule auf einen konkreten Begriff von Radikalisierung, den sie ihrer Arbeit zugrunde legt.

ufuq.de:

„Kein Mensch ist radikal, sondern sein Verhalten ist möglicherweise radikal“. Das ist eine interessante Formulierung. Was meinen Sie damit?

Junus el-Naggar:

Ein großer Teil unser Weiterbildungsarbeit besteht aus Sensibilisierung. Radikalisierung ist kein abgeschlossener, endgültiger Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. Wir halten es deswegen für besonders wichtig, Menschen nicht abzustempeln, nicht einzusortieren. Wir würden uns selbst begrenzen, wenn wir das täten. Gleichzeitig gilt es natürlich, Verhalten, das auf Radikalisierung hindeutet, ernst zu nehmen, zu benennen und die entsprechenden Personen einzuladen, ihre Positionen zu hinterfragen. Wichtig in der angesprochenen Formulierung ist uns auch das Wort „möglicherweise“. Wir regen schulisches Personal an, lieber noch einmal durchzuatmen, wenn sie Radikalisierung vermuten. Bevor sie handeln, sollten sie besser zweimal überlegen, welches Verhalten aus welchen Gründen für radikal gehalten wird und wie man darauf reagieren könnte, um Kurzschlussreaktionen zu vermeiden.

ufuq.de:

In Ihrer Analyse sprechen Sie von einer „TikTok-Intifada“. Können Sie kurz erläutern, was Sie damit meinen und welche Herausforderungen sich daraus für Schulen ergeben?

Junus el-Naggar:

Den Begriff habe nicht ich mir ausgedacht, sondern ihn zitiert. Wir beobachten in sozialen Medien eine gezielte Instrumentalisierung von Gewalt und Krieg im Nahen Osten durch radikale Akteur*innen. Sie nutzen diese Gewalt, um vor allem junge Nutzer*innen in einer schwarz-weiß-Logik zu emotionalisieren und vom Rest der Gesellschaft abzuspalten. Dabei wird ein absoluter Wahrheitsanspruch erhoben und Gegenperspektiven werden vermieden. Was wir stattdessen brauchen, sind differenzierte Auseinandersetzungen und Austauschräume – auch im schulischen Kontext –, in denen die kritikwürdige Gewalt des israelischen Militärs kontextualisiert und fundiert kritisiert wird, und Jugendliche die Möglichkeit eines offenen Austauschs über ihre Gefühle bekommen.

 

Bildnachweis © Titel: Mann im schwarzweiss Poloshirt neben Schreibbrett / Pixabay/ pexels.de

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