Das Sprechen über den Islam zwischen demokratischer Kritik und antimuslimischem Rassismus
21. Januar 2020 | Diversität und Diskriminierung

Symbolbild: Sprechblase; Bild: Volodymyr Hryshchenko/unsplash.com.
Ist es in der aktuellen aufgeladenen Debatte möglich, kritisch über „den Islam“ zu reden, ohne dabei selbst diskriminierend oder rassistisch zu sein? Wann wird das „kritische“ Sprechen über Probleme in einer Minderheit problematisch und wie kann man dieses Problematische erfassen? Floris Biskamp grenzt in diesem Gastbeitrag dafür drei Konzepte voneinander ab: 1. Islamfeindlichkeit als Vorurteil, 2. Antimuslimischer Rassismus als diskursiv konstituiertes Dominanzverhältnis und 3. die systematische Verzerrung von Islamdebatten.

„Man muss kritisch über den Islam reden!“ sagen die einen – schließlich seien Islamismus, islamisch legitimierte Repression gegenüber Frauen und Homosexuellen sowie islamisch artikulierter Antisemitismus reale gesellschaftliche Probleme, die nicht beschwiegen werden dürften; und überhaupt sei Kritik an Religion legitim. „‚Islamkritik‘ ist gefährlich!“ sagen die anderen – schließlich werde unter dem Label „Islamkritik“ seit vielen Jahren rassistische Hetze betrieben und Musliminnen und Muslime hätten in Deutschland ohnehin schon unter Stigmatisierung und Diskriminierung zu leiden. Paradoxerweise haben in dieser Kontroverse beide Seiten recht: Ja, es gibt unter Musliminnen und Muslimen in Deutschland reale Probleme, die „etwas mit dem Islam zu tun“ haben und die in der demokratischen Öffentlichkeit Gegenstand der Kritik sein sollten. Und ja, es gibt systematische Hetze und Diskriminierung – sowohl gegen Musliminnen und Muslime als auch gegen all diejenigen, die fälschlich als solche gelesen beziehungsweise markiert werden. Verschärft wird das Problem dadurch, dass diese Hetze und Diskriminierung oftmals gerade durch Verweise auf reale Probleme gerechtfertigt werden.

Somit werden die Konflikte über die angemessene Form öffentlicher Islamdebatten zwar oft unnötig polemisch ausgetragen, ihnen liegt aber ein reales Dilemma zugrunde. Jedes öffentliche Sprechen über islambezogene Themen bewegt sich in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite gibt es reale Probleme, die nicht beschwiegen oder schöngeredet werden sollten; auf der anderen Seite gibt es eine systematische Stigmatisierung und Marginalisierung von Musliminnen und Muslimen und jede „Islamkritik“ läuft Gefahr, diese zu verstärken. Dieses Dilemma besteht in allen gesellschaftlichen Sphären, in denen Diskussionen stattfinden – in Talkshows, in sozialen Medien, in Klassenzimmern, beim Mittagessen, auf Schulhöfen, in der Zeitung und so weiter – und es wird auf absehbare Zeit fortbestehen. Die öffentliche Debatte kann dieses Dilemma nicht auflösen, sie kann es nur reflektieren und sich dann entsprechend dazu verhalten.

Will man sich reflektiert verhalten, hilft es, ein Verständnis davon zu haben, wann das „kritische“ Sprechen über Probleme in einer Minderheit selbst problematisch wird und wie man dieses Problematische erfassen kann. Dafür grenze ich im Folgenden drei Konzepte voneinander ab: erstens Islamfeindlichkeit als Vorurteil, zweitens antimuslimischer Rassismus als diskursiv konstituiertes Dominanzverhältnis und drittens das Konzept einer systematischen Verzerrung von Islamdebatten.

Islamfeindlichkeit als Vorurteil

Die in der deutschsprachigen Forschung am weitesten verbreitete Herangehensweise erfasst das Problem als ein Vorurteil – dann wird zumeist nicht von antimuslimischem Rassismus, sondern von Islamfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit oder bisweilen auch von Islamophobie gesprochen. Ein Vorurteil wird üblicherweise durch drei Eigenschaften bestimmt: Vorurteile sind Einstellungen gegenüber einer Gruppe, die erstens die Realität falsch abbilden, zweitens in illegitimer Weise verallgemeinern beziehungsweise homogenisieren und drittens negativ beziehungsweise ablehnend sind. Islamfeindlichkeit bestünde demnach in Einstellungen, die ein weitgehend fiktives, homogenes und feindseliges Zerrbild des Islam konstruieren.

Diese Konzeptionierung hat einen erheblichen Vorzug und einen erheblichen Nachteil. Der Vorzug besteht darin, dass damit eine Unterscheidung zwischen islamfeindlichem Vorurteil und rationaler Kritik an realen Phänomenen impliziert ist. Rationale Kritik müsste sich dann dadurch auszeichnen, dass sie ihren Gegenstand so darstellt wie er wirklich ist, nicht unbillig verallgemeinert und ihm nicht von vornherein feindselig gegenübersteht. Analysiert man konkrete Äußerungen, ist auf der einen Seite zu fragen, ob hinter diesen Äußerungen vorurteilige Einstellungen zu vermuten sind. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob durch diese Äußerungen Vorurteile bei Dritten verstärkt oder erzeugt werden. Jeweils müsste das daran zu erkennen sein, ob sich in den Äußerungen Verzerrung, Homogenisierung und Ablehnung feststellen lassen.

Der Nachteil dieses Ansatzes besteht im Fokus auf die Ebene von Einstellung oder Bewusstsein: Die Vorurteilsforschung konzentriert sich vor allem auf Vorgänge und Strukturen in den Köpfen der Subjekte. Entscheidend für gesellschaftliche Diskriminierung und Marginalisierung ist aber nicht, was in den Köpfen der Subjekte geschieht, sondern welche Verhältnisse zwischen den Subjekten bestehen und wie die Subjekte darin handeln. Hierfür sind zwei Aspekte zentral, die in der Vorurteilsforschung regelmäßig aus dem Blick geraten: Machtbeziehungen und diskursive Dynamiken. Will man die Wirkung von rassistischen und anderen Marginalisierungsverhältnissen verstehen, ist nicht nur zu fragen, wie verbreitet Vorurteile in den Köpfen sind. Es ist auch zu fragen, welche Gruppen über welche sozialen Ressourcen verfügen, wer in der Öffentlichkeit wie über wen sprechen kann und welche Konsequenzen das dann hat.

Antimuslimischer Rassismus als diskursiv konstituiertes Dominanzverhältnis

Gegen genau diese Probleme der Vorurteilsforschung wendet sich der zweite Ansatz, nämlich die Rassismuskritik, die in Bezug auf die Islamdebatten von antimuslimischem Rassismus spricht. Rassismuskritik stellt gesellschaftliche Machtrelationen und diskursive Dynamiken ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Rassismus versteht sie als ein gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis, in dem eine dominante Gruppe ihre Vorherrschaft gegenüber einer marginalisierten Gruppe ausübt und absichert. Diese Vorherrschaft drücke sich durch eine ungleiche Verteilung von symbolischen und materiellen Ressourcen aus – es geht um die Verteilung von Jobs, Wohnungen, sozialer Anerkennung und so weiter, wobei jeweils eine Gruppe marginalisiert, die andere privilegiert wird. Konstituiert und reproduziert werde dieses Dominanzverhältnis durch bestimmte Sprechweisen über die marginalisierte Minderheit, in denen ein Gegensatz zwischen der (nichtmuslimischen) Mehrheit und der rassifizierten (muslimischen) Minderheit konstruiert werde. In diesen Legitimationsdiskursen erscheine die Marginalisierung der entsprechenden Gruppe als legitim, rational oder gar notwendig.

Will man entscheiden, ob eine bestimmte Art, sich über den Islam zu äußern, in diesem Sinne rassistisch ist, ist zweierlei zu klären: Erstens ist zu klären, ob ein entsprechendes Dominanzverhältnis wirklich existiert, ob die bewusste Gruppe also marginalisiert und eine andere Gruppe privilegiert wird, etwa auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Für das Bestehen einer solchen Marginalisierung von Musliminnen und Muslimen liefert die Forschung zahlreiche Nachweise. Zweitens ist zu klären, ob die fraglichen Äußerungen zu einem Diskurs beitragen, der diese Marginalisierung legitimiert und reproduziert.

Der Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, genau die Dynamiken von Macht und Diskurs sichtbar zu machen, die im Vorurteilsansatz außen vor bleiben. Und während die Vorurteilsforschung in erster Linie auf diejenigen blickt, die rassistisch denken, erhalten in der Rassismuskritik auch die marginalisierten Subjekte sowie die Effekte, die der rassistische Diskurs auf sie hat, mehr Aufmerksamkeit. Im Falle des antimuslimischen Rassismus kann einer dieser Effekte darin bestehen, dass die ständige Bezeichnung junger Menschen als „gefährliche Musliminnen beziehungsweise Muslime“ selbst islamistische „Radikalisierungsprozesse“ fördert, sodass islamistische Mobilisierung und antimuslimisch-rassistische Mobilisierung sich wechselseitig in die Karten spielen [1].

Allerdings hat auch der rassismuskritische Ansatz einen großen Nachteil: Wenn man davon ausgeht, dass es antimuslimischen Rassismus gibt und Äußerungen über den Islam nur daraufhin befragt, ob sie geeignet sind, dieses Dominanzverhältnis zu stärken, muss fast jede kritische Äußerung über irgendwelche mit dem Islam verbundenen Phänomene durchfallen: Jede solche Äußerung ist potenziell geeignet, die negative Fokussierung der Debatten auf den Islam zu verstärken. Die Rassismuskritik kennt anders als die Vorurteilsforschung keine systematische Unterscheidung von rationaler Kritik und Rassismus und neigt zu einer überspitzten Hermeneutik des Verdachts.

Systematische Verzerrung der Islamdebatten

Daher schlage ich ein weiteres Modell vor, das die Stärken der beiden zuvor genannten vereint, indem es von beiden lernt. Dafür spreche ich in Anlehnung an Jürgen Habermas und David Strecker von „systematisch verzerrten Kommunikationsverhältnissen“ – auch wenn beide sich so gut wie gar nicht über Rassismus äußern. Dann steht am Anfang die Annahme, dass es gut ist, wenn in einer demokratischen Öffentlichkeit diskutiert und auch gestritten wird. Die Habermas’sche Hoffnung besteht darin, dass gerade im öffentlichen Austausch von Argumenten kommunikative Vernunft walten und zu besseren, vernünftigeren, gerechteren Entscheidungen führen kann. Weil der Islam heute ein relevanter Teil der sozialen Realität in Deutschland ist, ist es zunächst auch wünschenswert, wenn über den Islam und verschiedene mit ihm verbundene Akteure und Probleme gestritten wird – seien es Debatten über religiöse Verschleierung, das Fasten in Schulen oder über „Radikalisierung“, sei es in Talkshows, in Klassenzimmern, in sozialen Medien oder sonstwo.

Diese öffentliche Kommunikation kann jedoch auch unter systematisch verzerrten Bedingungen stattfinden. Dann ist das rationalisierende Potenzial der öffentlichen Rede blockiert und die Kommunikation führt mitunter nicht zur Abschaffung ungerechter Verhältnisse, sondern zu ihrer Reproduktion oder Verschlimmerung. Ursachen für solche Verzerrungen können unter anderem die sozialpsychologischen Mechanismen sein, die die Vorurteilsforschung als Ursache für Vorurteile anführt, aber auch die sozialen Machtdifferenziale, die die Rassismuskritik benennt.

Systematische Verzerrungen der Kommunikation können sich dann unter anderem darin ausdrücken, dass eine bestimmte soziale Gruppe überproportional oft im Fokus der Kritik steht; darin, dass die Thematisierung dieser Gruppe immer wieder problemorientiert ist; darin, dass immer wieder Fehldarstellungen dieser Gruppe auftauchen, die schon oft widerlegt wurden; darin, dass Stimmen aus dieser Gruppe nicht oder nur selektiv im Diskurs auftauchen und sie so keine Möglichkeit haben, effektiv zu widersprechen; oder darin, dass die Frage nach Marginalisierung ausgeblendet oder abgeschmettert wird.

Floris Biskamp

Merkmale systematisch verzerrter Kommunikationsverhältnisse.

Will man konkrete Äußerungen beurteilen, ist dann zweierlei zu erledigen. Erstens ist zu klären, ob eine entsprechende systematische Verzerrung besteht – dies ist nicht abstrakt zu klären, sondern jeweils für den Kontext, in dem die Äußerung stattfindet. Zweitens ist zu diskutieren, ob die fragliche Äußerung eher geeignet ist, die bestehende systematische Verzerrung zu verstärken, oder ob sie eher geeignet ist, kommunikative Rationalität zu entfalten und die Debatte voranzubringen. Das heißt, dass man die Äußerungen nicht wie in der Vorurteilsforschung in Hinblick auf ihren Ursprung im Bewusstsein betrachtet, sondern wie in der Rassismuskritik in Hinblick auf ihre zu erwartenden gesellschaftlichen Wirkungen. Anders als in der Rassismuskritik fragt man aber nicht nur nach einem potenziellen marginalisierenden Effekt, sondern auch nach einem aus demokratischer Perspektive wünschenswerten Effekt. Auf der einen Seite wäre also zu fragen, ob die Äußerung zur Marginalisierung von Musliminnen und Muslimen beiträgt; auf der anderen Seite, ob sie dazu beiträgt, unterthematisierte Probleme in islamischen Kontexten sichtbar zu machen und zu ihrer Überwindung beizutragen. Beide Effekte schließen einander nicht aus, aber sie können jeweils größer oder kleiner sein. Zu fragen ist, welcher wahrscheinlich überwiegt; zu fragen ist auch, wie sich der marginalisierende Effekt begrenzen und wie sich der befreiende vergrößern lässt. Die Beantwortung dieser Fragen erfordert eine anspruchsvolle Argumentation. Sie muss – wie jede Ideologiekritik – immer in gewissem Maße spekulativ bleiben. Rassismus kann selten in Form eines „gerichtsfesten“ juristischen Beweises tatbestandsmäßig festgestellt werden. Fragen und Antworten können aber plausibel sein, überzeugen, zur Reflexion anregen.

Floris Biskamp

Drei Konzeptionalisierungen mit Vor- und Nachteilen.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung. Er wurde unter der Creative Commons Lizenz „CC BY-NC-ND 3.0 DE – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland“ veröffentlicht. Wir danken der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Autor für ihre Erlaubnis, den Beitrag hier wiederzuveröffentlichen.


Anmerkungen

[1] Auf diese Aspekte gehen folgende Beiträge im Infodienst auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung ein: Stephan E. Hößl: Diskriminierung und Radikalisierung: Zwei Seiten einer Medaille!?; Josephine Schmitt: Antimuslimischer Rassismus als islamistisches Mobilisierungsthema

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