Was können Museen als Kulturinstitutionen zu Extremismusprävention beitragen?
14. Oktober 2021 | Geschichte, Biografien und Erinnerung, Religion und Religiosität

Kulturinstitutionen, insbesondere Museen, konstruieren Narrative, mit denen ein nationales Selbstbild entworfen wird. Sie haben damit eine wichtige gesellschaftliche Funktion und können mit politischen Bildungsangeboten einen Beitrag zur Extremismusprävention leisten. Mitarbeiter der Staatlichen Museen zu Berlin haben in Zusammenarbeit mit Moscheegemeinden und anderen Partnern Projekte entwickelt, in denen sich Besucher*innen kritisch mit den Sammlungen, mit Geschichtsbildern und eventuellen Vereinnahmungen und Mythologisierungen der Objekte auseinandersetzen können.

Der Beitrag basiert auf einem Webtalk, der am 8. Juni 2021 in Kooperation von bpb, Museum für Islamische Kunst, ufuq.de, der Bildungsstätte Anne Frank und dem Georg-Eckert-Institut – Leibniz Institut für internationale Schulbuchforschung stattfand. Er wurde zuerst veröffentlicht im Infodienst Radikalisierungsprävention der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir danken den Autoren und dem Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb, den Beitrag hier wiederveröffentlichen zu dürfen.

Infodienst Radikalisierungsprävention: Was ist Ihre Motivation dafür, Projekte und Programme zur politischen Bildung in Museen durchzuführen?

Dr. Leonard Schmieding: Museen haben einen gesellschaftlichen Auftrag. Dieser ergibt sich auch aus ihrer Geschichte. Man kann aus jetziger Perspektive sagen, dass die Zielgruppen von Museen historisch ungerecht, da elitär waren, und dass viele Sammlungen nicht in demokratischen Kontexten entstanden sind. Dies muss als Auftrag gesehen werden, über die eigene Geschichte ins Gespräch mit der Gesellschaft zu kommen, Debatten anzustoßen, um Museen für die Zukunft besser zu machen. Museen müssen klar für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Museen wollen auch gern Haltung zeigen und Stellung beziehen. Sie sind sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und möchten mitgestalten und zu einem gelingenden Zusammenleben beitragen.

Roman Singendonk: In den letzten Jahren, bald Jahrzehnten, kann eine Polarisierung in der Gesellschaft beobachtet werden. Auch auf einem globalen Level bröckelt dieser demokratische Mitte-Konsens ein Stück weit weg, die extremeren Ränder werden stärker und Kommunikation wird zunehmend schwieriger. Wir müssen uns fragen, was eigentlich unsere gesellschaftliche Diskussionsgrundlage ist. Haben wir noch einen Modus, in dem wir Argumente austauschen und das bessere gewinnt, und respektiere ich mein Gegenüber? Oder wollen wir uns eigentlich nur noch selbst bestätigen und uns mit denjenigen unterhalten, die schon unserer Meinung sind?

Gleichzeitig werden aktuell viele Menschen sensibler für Themen wie Rassismus, Diskriminierungen und Privilegien, und gesellschaftliche Minderheiten verschaffen sich mehr Gehör. Sie sind – erfreulicherweise – nicht länger bereit, sich mit ihrer Unterordnung und den Ausschlüssen abzufinden.

Gesellschaftspolitische Themen rücken immer mehr in den Mittelpunkt der Bildungsarbeit von Museen. Museen und andere Kulturinstitutionen stehen unter einem enormen Rechtfertigungsdruck, was ihre Bedeutung für die Gesellschaft betrifft. Es gibt fundamentale Infragestellungen der Museen seitens bestimmter Teile der Gesellschaft, bezogen auf ihre Deutungshoheit z. B. historischer Ereignisse und auch ihre Finanzierung durch Steuergelder betreffend. In der kritischen Museumsforschung, in den postkolonialen Theorien oder in der antirassistischen Bildungsarbeit wird vermehrt danach gefragt, wer in den Museen eigentlich für wen spricht, wer die Deutungshoheit über Objekte, Geschichte(n) und Gesellschaften hat und wie divers die Teams in Museen eigentlich sind? Museen konstruieren Narrative, mit denen ein nationales Selbstbild entworfen wird. Sie haben damit eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Da ist es schon angebracht, zu fragen, wer in diesem Prozess die Machtpositionen besetzt und auf welchen Traditionen diese Vorgänge aufbauen.

Schmieding: Wir sehen das Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung an den Staatlichen Museen zu Berlin als einen Möglichkeitsraum, in dem Begegnungen und Experimente stattfinden können, um das Museum zu einem Inkubator für Ideen zur demokratischen Veränderung von Gesellschaft zu machen. Dort sollen Bildungsangebote co-kreativ konzipiert, umgesetzt und evaluiert werden und wir wollen verschiedenste Akteure und Netzwerke vernetzen, um die politische Bildung im Museum zu professionalisieren. Nachdem wir lange Zeit pandemiebedingt hauptsächlich digital agiert haben, werden wir jetzt das schöne Haus immer weiter auch als Begegnungsraum in Präsenz nutzen können. Die Ideen, die Leute dort einbringen, sind uns sehr willkommen.

Das Haus Bastian in Berlin.

 

Können Museen zur Prävention von Extremismus und Demokratiefeindlichkeit beitragen?

Singendonk: Prävention hört sich gut an und ist sicher auch sinnvoll und notwendig, aber es stellt sich ja immer die Frage: Was wollen wir präventiv bearbeiten? Es gibt viele „-ismen“, die man angehen sollte. Bei uns am Museum für Islamische Kunst haben wir mit Rassismus und mit anderen Formen von Diskriminierung zu tun, und es gibt auch Fragen zum Thema Islamismus, Dschihadismus, religiös begründeter Fundamentalismus. Mit der Sammlung des Museums für Islamische Kunst können wir ein sehr differenziertes Islambild vermitteln, bzw. von islamisch geprägten Gesellschaften. Dort gab es über die Jahrhunderte eine sehr vielfältige religiöse und kulturelle Praxis. Gemeint sind ein enorm großer geografischer Raum und eine lange Zeitspanne. Dabei waren immer mal wieder ganz unterschiedliche Handlungsweisen dominant und Vorlieben ausgeprägt. Die Vorstellung von Muslim*innen, bei denen alles auf die – (vermeintlich) stets streng ausgelegte – Religion zurückgeführt wird, ist eher eine moderne. Sie ist damit nicht repräsentativ für die Geschichte, aber momentan sowohl innerhalb der Religionsgemeinschaft verbreitet, als auch außerhalb. Soziologisch betrachtet könnten dabei auch wiederum Ausschlüsse und Abwertungen eine Rolle spielen. Wenn ich nicht ernst genommen und nicht gleichberechtigt behandelt werde – sei es durch ein undemokratisches Regime oder durch die „Mehrheitsgesellschaft“ – dann könnte ich anfälliger sein für die vereinfachenden Narrative und die Heilsversprechen der Radikalen.

Wir wollen keine Art von Extremismus wirklich herausgreifen. Grundsätzlich ist es wichtig, Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden und auch Erwachsenen mitzugeben, dass jede Form von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, jede Form von Abwertung, von Ausschluss, von Diskriminierung, abzulehnen ist und dass wir das im Zusammenleben einfach nicht gebrauchen können. Das heißt, wir fokussieren uns auf keine Art und keine Form von Diskriminierungen und Ausschlüssen und gehen auch gar nicht so sehr in die Detaildiskussion, also nach dem Motto: „Im Nationalismus ist es soundso, im Islamismus ist es soundso“ oder in die Dekonstruktion einzelner Argumente. Was wir machen wollen, ist tatsächlich, allen Formen von Diskriminierung und auch übersteigerten Formen von Selbstwertgefühl einzelner Gruppen entgegenzuwirken. Wir arbeiten dabei auf der Ebene der Primärprävention, die sich an alle richtet.

Wir machen das, indem wir Transkulturalität und Migration als menschlichen Normalzustand präsentieren. Und das ist nichts, was wir uns ausgedacht haben, sondern das sind Dinge, die aus der Sammlung, aus den Objekten, aus den Objektbiografien her abgeleitet werden. Wir zeigen, dass Migration auf unterschiedlichster Ebene – sei es von den Objekten selbst, von Gegenständen, von Fertigungstechniken, von Wissen oder von Menschen – etwas ist, das die Menschheitsgeschichte von der Frühzeit an charakterisiert hat.

Kursierende Begriffe wie „Flüchtlingswelle“, „Migrationskrise“ usw., die auch ein politisches Framing abbilden, stehen dieser Denkweise entgegen. Hier können wir mit der Bildungsarbeit in den Museen dagegenhalten und sagen: „Nein, das ist keine Welle, die uns alle davonspült, das ist ein etwas erhöhtes Aufkommen in einem Prozess, der Menschheitsgeschichte seit zehntausenden von Jahren charakterisiert.“

Schmieding: Ziel unserer Projekte mit Bezügen zu Populismus oder Extremismus, wie es beispielsweise unlängst bei einer Ausstellung zu „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“ der Fall war, ist es unter anderem, das Potenzial musealer Bildung für politische Bildung auszuloten. Prävention ist dabei erstmal nur ein Aspekt. Ich würde aber generell sagen: Bildung wirkt präventiv. Die Art und Weise, wie wir in unseren Bildungsprogrammen präventiv als Kulturinstitution vorgehen, ist im Prinzip eine Form der politischen Bildung.

Das Programm „Politische Bildung in Museen“, angesiedelt am Haus Bastian, hat eine zentrale Frage: „Was kann die Auseinandersetzung mit kunst- und kulturgeschichtlichen Objekten zur politischen Bildung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen beitragen?“. Wir fragen, welche Potenziale unsere Sammlungen, Objekte, Objektgeschichten und bisherigen Bildungs- und Vermittlungsprogramme haben. Wir fragen auch, welche Bedürfnisse unsere Partner*innen – Schulen, außerschulische Lernorte –, aber auch die Adressat*innen, also die Kinder und Jugendlichen haben, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen und Projekte und Bildungsformate für politische Bildung gemeinsam zu gestalten. Und das wird reflektiert und begleitet in einem Arbeitskreis „Kultur, Politik und Bildung“, der bundesweit transdisziplinär arbeitet. Dort sind Expert*innen zu Bildung in musealen Kontexten versammelt, z. B. Vermittler*innen, Programmleiter*innen, Wissenschaftler*innen etc.

Christopher Förch: Gleichzeitig haben wir uns auch in einen internen („Inreach“-)Prozess zum Thema Prävention begeben. Das Museum selbst wird zwar oftmals als neutraler Ort wahrgenommen und verstanden, ist mit seinen Objekten und Geschichte(n) an sich aber ein politischer Ort. Um beim Thema „Germanen“ auf rechtspopulistische Störungen vorbereitet zu sein, haben wir uns im Vorfeld Beratung eingeholt und Handlungsabläufe sowohl für Störungen im Ausstellungsbetrieb als auch in Vermittlungssituationen erarbeitet. Hier waren vor allem die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum e. V. sowie die zuständige Polizeibehörde kompetente Ansprechpartner*innen. Unsere Vermittler*innen wurden zudem sensibilisiert und geschult.

Könnten Sie ihre Ansätze an Beispielen von Bildungsprojekten verdeutlichen?

Singendonk: Beim Projekt TAMAM haben wir mit zahlreichen Moscheegemeinden in Berlin zusammengearbeitet und gemeinsam Unterrichtsmaterialien erstellt. Es sollte nicht, wie sonst oft üblich, Unterrichtsmaterial vom Museum entwickelt und dann zur Verfügung gestellt werden, sondern es ging darum, wirklich schon bei der Konzeption und Entwicklung kooperativ zusammenzuarbeiten. Das allein ist schon präventiv: Wenn Moscheen vermittelt bekommen, dass sie von einer öffentlichen Bildungseinrichtung ernst genommen werden, dann stärkt das ihre Einbindung in gesellschaftliche Prozesse. Und auch die Inhalte des Unterrichtsmaterials stehen einer essenzialistischen Vorstellung von Kultur entgegen. Sie vermitteln im Gegenteil Beispiele dafür, dass es historisch gesehen Austausch und Begegnung waren, die kulturelle und wissenschaftliche Fortschritte ermöglichten.

Wir haben zum Beispiel die Objekte und die Themen und Fragestellungen, die anhand der Objekte besprochen werden sollen, gemeinsam ausgewählt. So sind 21 Übungen entstanden für den Unterricht kultureller Bildung in Moscheegemeinden, die zum Großteil aber auch in Schulen eingesetzt werden können. Wir geben in den Materialien keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen, sondern regen die Teilnehmenden dazu an, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese begründet zu vertreten.

Ausgangspunkt für das Unterrichtsmaterial ist die Sammlung des Museums für Islamische Kunst. Im Museum wird deutlich, dass die Künste und Kulturen der islamisch geprägten Länder und West- und Mitteleuropas untrennbar miteinander verwoben sind. Und auch die Region des Nahen und Mittleren Ostens selbst ist historisch durch eine hohe religiöse, kulturelle und ethnische Vielfalt und durch die Fähigkeit, mit dieser Vielfalt umzugehen, geprägt. Diese Verknüpfungen sind direkt an den Objekten der Sammlung ablesbar, was ein nützlicher Startpunkt ist, um transregionale kulturhistorische und migrationsgeschichtliche Prozesse der Vergangenheit und den konstruktiven Geist der Kunstgeschichte in aktuelle gesellschaftliche Prozesse zu übertragen. Wir fragen: Kann der Blick in die Vergangenheit bei der Gestaltung der Zukunft helfen? Stimmen die Bilder, die wir uns von uns selbst und von anderen machen, eigentlich mit der (Kunst-)Geschichte überein oder sollten Identitätsbilder neu gedacht werden?

Ich habe Ihnen beispielhaft ein Objekt herausgesucht, ein sogenanntes Olifant. Es steht exemplarisch dafür, dass wir in der Bildungsarbeit Narrative der Transkulturalität in den Mittelpunkt stellen. Bei diesem Objekt aus dem Mittelmeerraum ist aufgrund der Ornamentik und auch anhand aller anderen Indizien, die in der Forschung benutzt werden, gar nicht wirklich definitiv zu sagen, aus welchem Kontext es stammt, ob aus einem christlich geprägten oder muslimisch geprägten Kontext. Es gibt Vermutungen, die sagen, es könnte nordafrikanisch sein, es könnte aus dem Fatimidenreich stammen, aber das ist alles nur ein „könnte“, weil Kulturen doch so sehr ähnlich waren, in Geschmack, Ästhetikvorstellungen, in Stilen und Fertigungstechniken, dass das heute auch mit modernster Technik nicht wirklich definitiv festzustellen ist. Um solche Ähnlichkeiten und Verwobenheiten der Religionen und Kulturen geht es auch in den Workshops und Bildungsmaterialien.

Schmieding: Zur Ausstellung „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“, die im Neuen Museum und in der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel Berlin gezeigt wurde, gab es Bildungsangebote wie Unterrichtsmaterialien und Projekttage. Das Thema Germanen wurde in der Vergangenheit immer wieder sehr vereinnahmend beansprucht und spielt auch heute eine große Rolle in vielen Szenen der extremen Rechten und auch bei Rechtspopulisten. Das haben wir zum Anlass genommen, ein besonderes Bildungsprogramm zu entwickeln.

Olifant

 

Die Sonderausstellung „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“ präsentierte anhand von hochkarätigen Fundstücken aus Deutschland, Dänemark, Polen und Rumänien einen umfassenden Einblick in den aktuellen Forschungsstand zu den germanischen Stämmen des 1.-4. Jahrhunderts n. Chr. im Gebiet zwischen Rhein und Weichsel. Ein zweiter Ausstellungsteil unter dem Titel „200 Jahre Mythos, Ideologie und Wissenschaft“ befasste sich mit der wechselvollen Forschungsgeschichte der Germanen und der Rolle des Neuen Museums von den Anfängen der Germanenforschung bis zur heutigen Zeit.

Förch: Das Thema Germanen und auch die Ausstellung sind nicht frei von Vereinnahmungen, Mythologisierungen und Deutungen unterschiedlichster Art. Das fängt schon damit an, dass ein Teil der Ausstellung den Umgang des Museums mit „den Germanen“ im 19. und 20. Jahrhundert, also zu Zeiten der völkischen Bewegung und zur Zeit des Nationalsozialismus beleuchtet. Gleichzeitig begegnen uns aber individuelle Vorstellungen der Besucher*innen von Germanen und aktuelle, sehr vielfältige Rezeptionen von Germanen in der Populärkultur.

Im Bildungsprogramm zur Ausstellung haben wir neben dem Projekttag für Schulklassen auf Grundlage einer Bestandsaufnahme von Schulbüchern auch Unterrichtsmaterialien entwickelt. In Geschichtsbüchern wird das Thema „Germanen“ sehr verschieden, zum Teil auch veraltet behandelt. Dem wollten wir mit unseren Unterrichtsmaterialien etwas entgegensetzen und den aktuellen Forschungsstand aus der Ausstellung einbinden. Der Projekttag trägt den Titel „Kann Spuren von (Rechts)populismus enthalten. Zwischen modernen Mythen und radikalen Vereinnahmungen“. Die Schülerinnen und Schüler konnten in der Ausstellung bzw. in der digitalen Variante Objekte und deren Geschichten erforschen und „den Germanen“, Bildern und Vorstellungen von ihnen sowie modernen Mythen und Vereinnahmungen auf die Spur kommen. Wir beschäftigen uns vor allem mit dem Konstruktcharakter von Geschichte, aber auch damit, wie die Wissenschaft Wissen produziert und dabei selbstverständlich auch Leerstellen lässt, und wie daraus Projektionsflächen für Mythen und Vereinnahmungen entstehen können. Um so ein komplexes Thema bei Jugendlichen zu platzieren, gehen wir von Anfang an über persönliche Bezüge. Wir starten mit Bildern aus der Populärkultur, wie aktuelle Filme und Serien, sprechen aber auch über Comics und andere Darstellungen, wie beispielsweise nordische Mythen.

In einem zweiten Schritt geht es um Vereinnahmungen, zum Beispiel auch um die Entstehung von Symbolen und Codes der extremen Rechten. Wir schauen uns etwa das Symbol der Swastika bzw. des Hakenkreuzes und seine Verwendung auf Objekten des Kunsthandwerks in verschiedenen Zeiten und Kulturräumen an, oder die Vereinnahmung eines Ornaments, der sogenannten „schwarzen Sonne“, durch die Nationalsozialisten. Dieses Ornament soll auf die Germanen verweisen – die Zierscheibe aus Bronze selbst, die hierfür als Vorbild dient, stammte aber aus dem 6./7. Jahrhundert, also lange Zeit nach den Germanen. Diese Konstruktionen von vermeintlichen Kontinuitäten u. a. durch extremistische Gruppierungen möchten wir in unseren Workshops aufzeigen.

Flagge mit Schwarzer Sonne auf einer Demonstration extrem Rechter

 

Zierscheibe aus Bronze, spätes 6./7. Jahrhundert, Fundort: Truchtelfingen, Baden-Württemberg.

 

Dabei wird auch die Frage, wie wir die gewonnenen Erfahrungen in das tägliche Handeln einfließen lassen können, thematisiert. Bei der Auseinandersetzung mit Geschichtsbildern, ihrer Konstruktion und Dekonstruktion sprechen wir immer auch darüber, inwiefern historische Themen und Objekte mit unserer Lebenswelt in Verbindung stehen. Dafür greifen wir auf den lebensweltlichen Einstieg, die Bezüge zu Darstellungen von Germanen in Filmen, Computerspielen und auf Symbole und Codes zurück, die uns allen in Nachrichten und auf Demonstrationen begegnen.

Welche konkreten Ansätze oder Konzepte haben Sie dafür, mit Ihren Bildungsprogrammen auch Menschen zu erreichen, die sonst nicht ins Museum gehen?

Förch: In Partnerschaften und Kooperationen mit Schulen laden wir Jugendliche dazu ein, sich mit dem Komplex Museum und seinen Inhalten auseinanderzusetzen. Dabei sind wir auf die Expertise und den kritischen Blick der Jugendlichen stark angewiesen. Wenn wir nicht auf deren Bedürfnisse und Fragen eingehen, verlieren wir als Museum die Relevanz und die Geschichten und historischen Zusammenhänge mit dem Heute gehen verloren.

Singendonk: Mit dem TAMAM-Projekt etwa haben wir die Moschee als Bildungsstätte eingebunden. Der Unterricht befasst sich zwar mit den Objekten, die im Museum zu finden sind. Er findet selbst aber in der Moschee statt. So gesehen kommt das Museum in die Moschee. Dort findet es dann ggf. auch Menschen, die nicht ohne Weiteres ins Museum gekommen wären. Und es geht auch nicht ausschließlich um das Museum als Ort, der von Menschen physisch betreten wird – oder eben nicht. Im Outreach-Bereich in Projekten außerhalb des Museums können Sie vieles machen. Wenn Sie dabei aber dieselben Formulierungen verwenden und Themen behandeln wie innerhalb des Museums, dann kann es sein, dass Sie die Ausschlüsse nicht überwinden, sondern fortschreiben. Bei TAMAM wurde daher co-kreativ gearbeitet und die Fragestellungen des Unterrichtsmaterials zum Beispiel wurden von den Teilnehmenden selbst festgelegt. Damit haben wir Themen drin, die von der Zielgruppe selbst formuliert wurden, anstatt dass Mitarbeitende des Museums versuchen, sich in diese Gruppe hineinzuversetzen. Letzteres geht meistens schief.

Welches besondere Potenzial haben Museen und Kulturinstitutionen in der Prävention von Extremismus?

Förch: Ein Museum ist, wie Schule auch, ein Bildungsort. Wir arbeiten allerdings im Gegensatz zu formalen Bildungseinrichtungen mit anderen Methoden und vor allem mit Zugängen über unsere Objekte. Kulturelle Bildung spricht die Teilnehmenden häufig auf einer emotionaleren Ebene an, auf einer persönlichen Ebene, die auch biografisch sein kann. Wir nutzen Formen des Storytellings und versuchen, an die unmittelbaren Lebenswelten unserer Besucher*innen anzuknüpfen. Mit diesen individuellen Zugängen möchten wir bei den Besucher*innen auch eine Sensibilisierung für komplexe politische Themen im Sinne der Primärprävention anstoßen.

Singendonk: Erstmal muss man natürlich sagen, dass das Museum für Islamische Kunst als Teil des Pergamonmuseums auf der Museumsinsel als UNESCO Weltkulturerbe eine unglaublich große symbolische Macht hat. Das ist einerseits sicher etwas, das Ausschlüsse mit sich bringt. Es sind große Zugangshürden da. Hier fühlen sich nicht alle Leute angesprochen, nicht alle Leute nutzen diesen Ort gleichermaßen. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein unheimliches Pfund, um damit in die Bildungsarbeit hineinzugehen, um Communities oder Teilgruppen der Gesellschaft einzuladen, einzubinden, neue partizipative Formate aufzulegen. Wir sind sehr offen für Vorschläge der Zusammenarbeit mit neuen Partnern.

Diese Art von kulturell-politischer Bildung wie im Projekt TAMAM, in dem es um die Auseinandersetzung mit Objekten aus islamisch geprägten Ländern geht, hat große Vorteile: Auf der einen Seite ist es so, dass diejenigen Schülerinnen und Schüler, die einen eigenen familiären Bezug zum Islam und diesem geografischen Raum haben, auf einmal mit einem Inhalt, mit einem Gegenstand in Berührung kommen, der sie persönlich betrifft, und der in ihren Bildungsangeboten bisher höchstwahrscheinlich nicht vorgekommen ist. Implizit wird durch die Lehrpläne immer so ein bisschen vermittelt: Dieser Raum der Welt hat eigentlich zur Menschheitsgeschichte, zum geistigen und kulturellen Fortschritt der Gegenwart nicht wirklich etwas Bedeutendes beigetragen. Was in der Schule im Vordergrund steht, ist ein west- und zentraleuropäischer, eurozentrischer Blick auf die Menschheitsgeschichte.

Bei diesem Bildungsprojekt können die Schülerinnen und Schüler mit einem muslimischen Hintergrund auf einmal an Narrative anknüpfen, die sie vielleicht aus der Familie kennen, sie können gegebenenfalls ein Wissen mit einbringen, das andere Schülerinnen und Schüler nicht haben, und werden möglicherweise zu Expertinnen und Experten – und das hat einen großen Empowerment-Effekt. Das sind Präventionsmechanismen, die sind meiner Meinung nach viel effektiver, als wenn sie sich jetzt hinsetzen und diskutieren: Ist ein Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung oder nicht? Wenn Sie in so eine Diskussion gehen, haben Sie es bei manchen Gegenübern schnell mit antrainierten effektiven Diskussionsmechanismen und Argumentationsstrategien zu tun, gegen die Sie nur sehr schwer pädagogisch ankommen. Wir versuchen, viel früher anzusetzen und eher ein ausgleichendes Weltbild zu befördern.

Bei den Schülerinnen und Schülern, die keine biografischen Bezüge zu islamisch geprägten Ländern haben, und die sozusagen einer privilegierteren „Mehrheitsgesellschaft“ angehören, können Sie ein Verständnis dafür wecken, dass Privilegien vererbt werden, dass viel davon abhängt, wo und wann man geboren wird, vielleicht auch, wie Rassismus und Diskriminierung funktionieren, und wie sie auch aktiv verlernt werden können.


Weitere Informationen

Museum für islamische Kunst: TAMAM

Infos zum Projekt und Unterrichtsmaterialien: https://tamam-projekt.de

Eine Führung des Projektteams durch die Ausstellung: https://www.youtube.com/watch?v=Swk7R3c4VFo

Das TAMAM-Projekt bei Instagram: https://www.instagram.com/tamam_projekt/?hl=de

Bildungsprogramm zur Ausstellung „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“

Unterrichtsmaterialien: https://www.germanen-ausstellung.de/unterrichtsmaterial-zur-sonderausstellung/

Videos zur Ausstellung: https://www.youtube.com/playlist?list=PLD-p8yovJgeqmnAvPv5ddSx4Of6igxOnp

Begleitend erschien in der Schriftenreihe der bpb: Martin Langebach (Hg.): Germanenideologie, bestellbar unter: www.bpb.de/316813

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