Ohne Recht geht in unserer Gesellschaft nichts, zugleich steht das Recht nicht außerhalb politischer Debatten. Das wird besonders deutlich, wenn es darum geht, zu beurteilen, was Rassismus und Antisemitismus genau bedeuten. Wenn Jurist*innen über antisemitische Motive bei Übergriffen urteilen, über Racial Profiling, über das Abhängen rassistischer Wahlplakate oder über Verbote von Demonstrationen, dann ist ein fundiertes Verständnis von Rassismen und Erscheinungsformen von Antisemitismus notwendig.
Erkämpftes Recht – ein Blick zurück
Das Recht war wesentlich an der Durchsetzung von Rassismus und Antisemitismus beteiligt, zugleich war es immer ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus. Schon die Schwarzen Revolutionäre auf Haiti hatten sich auf die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 berufen. Ida Leinhos, Tochter eines Briten und einer Herero, führte 1899 als eine der ersten Frauen in der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ eine Scheidungsklage gegen ihren gewalttätigen Mann, einen weißen deutschen Siedler (Liebscher 2021, 160). Die Schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA führte ihren Kampf gegen Rassismus auch mit juristischen Mitteln, unterstützt wurde sie dabei durch viele jüdische Jurist*innen. Jüdische Rechtsanwälte versuchten in der Weimarer Republik, rassistisch-antisemitische Hetze mit Strafanzeigen gegen nazistische Hetzblätter wegen Volksverhetzung zu bekämpfen (Jahr 2011 193). Nicht immer waren diese Kämpfe für die Menschen, die sie führten, erfolgreich, doch sie waren wegweisend für jene, die nach ihnen kamen. Heute ist Recht gegen Rassismus und Antisemitismus Teil eines international etablierten Rechtsgebietes, das als Gleichheits- oder Antidiskriminierungsrecht bezeichnet wird.
In Deutschland hatte das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 eine rassistische Gesetzgebung beendet, die jüdische Menschen, Sint*izze und Rom*nja, aber auch Schwarze Menschen aus den ehemaligen Kolonien und als „Slawen“ kategorisierte Menschen aus Osteuropa und der Sowjetunion traf. Als Reaktion darauf wurden Verbote rassistischer Diskriminierung auch in internationalen Abkommen kodifiziert, wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und der Europäischen Menschenrechtskonvention 1950. Maßgeblich durch die Alliierten vorangetrieben, wurde der Begriff „Rasse“ 1949 in Deutschland dann fast schlagartig zu einer Kategorie des Gleichheitsgrundrechts (Liebscher 2021, 332). Niemand darf „wegen seiner Rasse“ benachteiligt werden, steht seither in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz.
Die Mär von der Stunde Null
Der im rechtlichen Sinn radikale Bruch mit dem Nationalsozialismus ging mit der Erzählung von einem unschuldigen Neuanfang einher, der vermeintlichen „Stunde Null“. Diese Verleugnung von Rassismus und Antisemitismus als feste Bestandteile deutscher Lebensrealität führte auch dazu, dass das Verbot rassistischer und antisemitischer Diskriminierung in Artikel 3 Grundgesetz lange ein Grundrecht ohne Anwendung blieb. Dabei hatten Rassismus und Antisemitismus lange vor 1933 begonnen und sie verschwanden nach 1945 nicht einfach so – auch im Recht nicht. Recht war schon im deutschen Kolonialismus ein zentrales Instrument zur rassistischen Diskriminierung der kolonisierten Bevölkerung gewesen. Die Justiz in der Weimarer Republik hatte den Antisemitismus eher verstärkt, als dass sie ihn bekämpfte. 1955 verurteilt das Oberste Gericht der DDR den SED-Politiker Paul Merker in einem nichtöffentlichen Prozess mit antisemitischer Argumentation zu einer langjährigen Zuchthausstrafe, weil er sich für die Rückerstattung von im NS geraubten jüdischen Vermögen durch die DDR eingesetzt hatte. Bundesdeutsche Gerichte verwehrten Sinti*zze und Rom*nja bis in die 1960er Jahre Entschädigungen für das Unrecht des Porajmos – mit rassistischen Begründungen, die die Richter des Bundesgerichtshofs aus nationalsozialistischen Lehrbüchern der Kriminologie abgeschrieben hatten. Dass es mit Blick auf rassistisches und antisemitisches Wissen jede Menge Kontinuitäten gab, zeigen auch die Gründungsdokumente des Grundgesetzes, sie dokumentieren, wie weit verbreitet Theorien der rassischen Überfremdung und antiziganistische Stereotype unter den Vätern und Müttern des Grundgesetzes waren. Dieser rechtshistorische Rückblick hilft dabei, einzuordnen, warum sich das deutsche Recht noch heute schwertut, rassistische wie auch antisemitische Taten angemessen rechtlich zu beurteilen.
Strafgesetze
Nach 1949 blieb der juristische Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus im Deutschland lange dem Strafrecht vorbehalten. Die Frage, welche Taten rassistisch oder antisemitisch sind, kommt bei den Straftatbeständen der Beleidigungsdelikte (§ 185 StGB), der Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder des Mordes aus niedrigen Beweggründen (§ 211 StGB) zum Tragen. Historisch war es Antisemitismus, der 1960 zum Verbot der Volksverhetzung in § 130 Strafgesetzbuch führte. Eine Reihe juristischer Skandale um antisemitische Hetzrede, die von deutschen Gerichten nicht verurteilt wurde, sorgten in den 1950er Jahren auch international für Aufmerksamkeit. In den Weihnachtstagen 1959 wurden die Kölner Synagoge und das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus mit Hakenkreuzen beschmiert und demoliert. In den folgenden Wochen mehrten sich antisemitische Anschläge auf jüdische Einrichtungen, Bundeskanzler Konrad Adenauer musste sich öffentlich äußern. Ein Gesetzentwurf gegen „Volksverhetzung“, der Antisemitismus auch ausdrücklich benannte, fand dabei keine Mehrheiten (Jahr 2002, 370). Ein solches „David-Stern-Gesetz“ würde die jüdische Minderheit in Deutschland rechtlich privilegieren, fürchteten dessen wohlmeinende Gegner im Bundestag.
Als Kompromiss wurde der unspezifische Terminus „Haß gegen Teile der Bevölkerung“ gewählt. Seither ist jede Herabwürdigung von abgrenzbaren Bevölkerungsgruppen, die deren Menschenwürde verletzt und den öffentlichen Frieden stört, in Deutschland als Volksverhetzung strafbar. Aus antirassistischer Perspektive würde ein solcher juristischer Ansatz heute zu Recht als „colorblind“ kritisiert. Der falsche Universalismus verdeckt, dass Hass und Hetze nicht wahllos irgendwelche Bevölkerungsgruppen treffen, sondern vor allem jene, die aufgrund von Ideologien der Ungleichheit zu Anderen erklärt werden. Seit 1969 schreibt das Strafgesetzbuch auch vor, dass Gerichte bei der Entscheidung über die Strafhöhe die Beweggründe und Ziele des Täters berücksichtigen müssen. Die ausdrückliche Aufnahme von „rassistischen Beweggründen“ in § 46 Strafgesetzbuch erfolgte dann erst 2015 auf Empfehlung des Bundestagsuntersuchungsausschusses zum NSU-Komplex. „Antisemitische Beweggründe“ kamen 2021 hinzu, nun als Reaktion auf das Attentat auf die Hallenser Synagoge.
… und ihre praktische Anwendung
Wie Gesetzesrecht tatsächlich wirkt, zeigt sich erst in der praktischen Anwendung. Dabei zeigen sich deutliche Parallelen zwischen der Beurteilung von rassistischen und antisemitischen Taten. Zu einer Täter-Opfer-Umkehr kam es zum Beispiel nicht nur bei den polizeilichen Ermittlungen zu den rassistischen Morden des sogenannten NSU (Karakayali u.a. 2017, 81), sondern auch beim Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke (Steinke 2024, 7). In beiden Fällen spielte das rassistische bzw. antisemitische Motiv im Strafprozess keine Rolle, in beiden Fällen wurden die Netzwerke der Täter*innen nicht aufgeklärt. Im Fall der Morde an migrantischen Jugendlichen beim Attentat am Münchner OEZ, bei den Morden an jungen Migrant*innen in Hanau und auch beim Übergriff auf einen jüdischen Studenten in Hamburg sahen Polizei und Staatsanwaltschaft nur psychisch kranke Täter und verschwiegen die rassistischen bzw. antisemitischen Motive. Ähnlichkeiten hat auch der Umgang der Justiz mit Äußerungsdelikten. Hat eine Handlung einen Bezug zum historischen Nationalsozialismus, fällt die Entscheidung leichter. Mit antisemitischen Codierungen tun sich viele Richter*innen bis heute schwer, das Gleiche gilt für antimuslimischen Rassismus.
Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus – zahlreiche Gemeinsamkeiten
Weite Teile der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft reduzieren Rassismus und Antisemitismus bis heute auf den historischen Nationalsozialismus und seine rechtsradikalen Wiedergänger. Dabei werden zumeist Taten bestraft, die ausdrücklich die menschliche Würde in Abrede stellen, z.B. wenn Menschen als niedere Rasse oder als „Ratten“ oder „Affen“ bezeichnet werden. Kulturalistische und sprachlich modernisierte Artikulationen von Rassismus und Antisemitismus werden juristisch oft nicht erkannt. Das betrifft zum Beispiel den sozialdarwinistisch und islamfeindlich argumentierenden antimuslimischen Rassismus, den Thilo Sarrazin und heute große Teile rechtspopulistischer Parteien vertreten, diese Form des Rassismus wird spiegelbildlich von einem philosemitisch gewendeten, sozialdarwinistisch argumentierenden Antisemitismus begleitet. Auch der Ethnopluralismus der neuen Rechten, der „jedenfalls auf den ersten Blick, nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern sich darauf beschränkt, die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweise und Traditionen zu behaupten“ (Balibar 2019, 28) wird von einer Konzeption nicht erfasst, die Rassismus und Antisemitismus nur als fundamentale Herabwürdigung „wegen der Rasse“ definiert. Schwierig ist auch, wenn Recht Antisemitismus und auch antimuslimischen Rassismus auf religiöse Intoleranz (Diskriminierung wegen der Religion) reduziert. Das wird der Komplexität antimuslimischer und antisemitischer Artikulationen und deren spezifischen ideologischen Gehalten nicht gerecht. Auch dazu einige Beispiele:
Die Berliner Staatsanwaltschaft konnte an Thilo Sarrazins öffentlichen Äußerungen über Berliner Muslim*innen nichts Rassistisches finden, sie stellte die Ermittlungen schon vor der Eröffnung eines Gerichtsverfahrens ein (Liebscher 2021, 289). Es war ein internationales Gremium, der UN-Antirassismus-Ausschuss, der Deutschland daraufhin wegen Verstoßes gegen die Internationale Konvention gegen Rassismus verurteilte, die Deutschland 1969 ratifiziert und sich damit verpflichtet hat, mit rechtlichen Mitteln effektiv gegen rassistische Hetze vorzugehen. In einem anderen Fall musste die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe erst gerichtlich angewiesen werden, im Fall von Plakaten der Partei Die Rechte, auf denen zu lesen war, „Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“, zu ermitteln, obwohl die Formulierung eine bewusste Anleihe an die NS- Parole „Die Juden sind unser Unglück“ ist.
Die beiden Beispiele zeigen, dass die rechtliche Sphäre ein Ort ist, an dem die Gesellschaft Rassismus und Antisemitismus verhandelt. Die Grenze zwischen „zulässiger Islamkritik“ und antimuslimischem Rassismus wird politisch und vor Gericht ebenso kontrovers diskutiert, wie die Grenze zwischen „zulässiger Israelkritik“ und Antisemitismus. In beiden Fällen stellen Jurist*innen gleichermaßen die Meinungsäußerungsfreiheit zu oft über den Schutz marginalisierter Bevölkerungsgruppen vor Diskriminierung. In der politischen Debatte werden diese Parallelen bedauerlicherweise oft übersehen und Antisemitismus und Rassismus werden eher gegeneinander ausgespielt, als dass ein vergleichender Blick auf den rechtlichen Umgang mit beiden Phänomenen geworfen wird. Was Hoffnung macht, sind Allianzen, wie sie im Prozess zum Anschlag von Halle eindrücklich sichtbar wurden. Die unterschiedlichen Betroffenen des Anschlags schlossen sich als Nebenkläger*innen im Strafverfahren gegen den Täter zusammen, sie thematisierten Antisemitismus, Rassismus und Misogynie als verbundene Tatmotive und gesellschaftliche Tatbedingungen und machten den Gerichtssaal zu einem Raum solidarischer Bezugnahme.
Die rechtliche Perspektive wechseln: Vom Extremen zum Alltäglichen
Die aufgezeigten Grenzen des Strafrechts zeigen die Notwendigkeit eines Antidiskriminierungsrechts, dass den juristischen Fokus grund- und menschenrechtlich scharfstellt. Es zielt nicht auf individuelle Schuld und auf die Verurteilung von Täter*innen. Es geht um subtile, alltägliche und um systematische, strukturelle Ausschlüsse sowie um – individuelle und kollektive – Verantwortung für ein geleichberechtigtes und solidarisches Zusammenleben aller Menschen. § 1 des Berliner Landesantidiskriminierungsgesetzes formuliert das sehr schön: „Ziel des Gesetzes ist die tatsächliche Herstellung und Durchsetzung von Chancengleichheit, die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung sowie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt“.
Der grund- und menschenrechtliche Diskriminierungsbegriff ist damit weiter als das strafrechtliche Verständnis von Rassismus und von Antisemitismus. Er zielt auf Respekt und Teilhabe und er orientiert sich an der Wirkung, nicht am Motiv einer Handlung. Für das Vorliegen einer Benachteiligung ist es danach unerheblich, ob ein rassistischer oder antisemitischer Spruch gegenüber einem Arbeitskollegen oder einer Mitschülerin auf ein geschlossenes menschenfeindliches Weltbild zurückzuführen ist oder „gar nicht böse gemeint war“. Wenn Vermieter*innen Mietinteressent*innen mit türkischen und arabischen Nachnamen keine Wohnung anbieten, wenn Türsteher*innen migrantische Männer abwimmeln, kopftuchtragende Zahnarzthelferinnen oder Lehrerinnen nicht eingestellt werden, wenn Polizist*innen vor allem Schwarze Passanten kontrollieren oder Kontrolleur*innen in der U-Bahn Schwarze Fahrgäste bei der Fahrkartenkontrolle rassistisch schikanieren, verstößt dies gegen Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz, bzw. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG). Im Unterschied zum Strafrecht eröffnen diese Normen den Betroffenen die Möglichkeit, ihre Verletzung selbst gerichtlich geltend zu machen und auf Feststellung einer Diskriminierung, auf künftige gleiche Behandlung oder Kompensation erlittener Schäden zu klagen.
Diese folgen- und betroffenenorientierte Perspektive kann eine Gesellschaft dabei unterstützen, die Debatten um Diskriminierung zu versachlichen und Rassismus und Antisemitismus nicht primär als moralisches Problem zu diskutieren. Es geht dann nicht darum, ob jemand „ein Antisemit ist“ oder die Polizei „rassistisch ist“, sondern darum, Handlungen, Maßnahmen, Praktiken und Routinen darauf hin zu untersuchen, ob sie rassistische oder antisemitische Ausschlüsse produzieren. Dabei kann es auch zu Überschneidungen mit sprach- und religionsbezogener Diskriminierung kommen. Wenn in der Kantine nur Schweinefleisch angeboten wird, dann schließt das jüdisch oder muslimisch sozialisierte Schüler*innen und Kolleg*innen gleichermaßen aus. Wenn Prüfungen ohne Rücksicht auf andere als christliche Feiertage geplant werden, ebenso. Wenn es in einer Schule oder in einer Polizeidienststelle verboten ist, in Pausen eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen, dann benachteiligt die Regelung alle multilingual sozialisierten Schüler*innen oder Kolleg*innen.
Meilensteine und Aufgaben: Wo wollen wir hin?
Zu tun gibt es noch Einiges. Die dringende Reform des durchsetzungsschwachen AGG steht weiter an. Vor Diskriminierung durch den Staat schützt das AGG derweil nicht. Es enthält ein arbeitsrechtliches Diskriminierungsverbot für Berufsausbildung und Beschäftigung und ein zivilrechtliches für Geschäfte des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, dazu zählt auch die Anmietung von Wohnraum. Öffentlich-rechtliche Diskriminierung verbietet Artikel 3 GG. Die Grundrechte selbst verleihen jedoch keine konkreten Ansprüche, das macht den Erlass von Antidiskriminierungsgesetzen erforderlich, die auch behördliches Handeln umfassen. Ein Landesantidiskriminierungsgesetz, das Rechtsansprüche bei öffentlich-rechtlicher Diskriminierung verleiht, zum Beispiel in Schulen, Hochschulen, Ämtern oder durch die Polizei, gibt es bisher nur in Berlin. Das Gesetz ist zu einem Symbol für eine neue rechtspolitische Kultur geworden, in der offener auch über institutionellen Rassismus gesprochen wird. Dass in § 2 LADG „rassistische und antisemitische Zuschreibungen“ ausdrücklich benannt werden, ist ein Novum, wie auch die Benennung von „struktureller Diskriminierung“ in einem Gesetzestext. Wie wirksam Antidiskriminierungsrecht in der Praxis ist, hängt zentral davon ab, ob die Betroffenen ihre Rechte kennen und ob sich die ressourcenaufwendige Rechtsdurchsetzung aus ihrer Perspektive auch lohnt. Die bisher geringe Zahl der Klagen gegen rassistische und antisemitische Diskriminierung zeigen leider, dass das bisher noch nicht so ist. Sowohl das AGG als auch das LADG haben deshalb mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (§ 27 AGG) und der LADG-Ombudsstelle (§ 14 LADG) Institutionen geschaffen, die Betroffene von Diskriminierung kostenlos und diskriminierungskompetent zu ihren Rechten beraten und außergerichtliche Schlichtungsverfahren an der Seite der Betroffenen anbieten.
Antidiskriminierungsrecht zielt auf gleiche Teilhabe in einer Gesellschaft, die durch sprachliche, religiöse, weltanschauliche und kulturelle Vielfalt geprägt ist. Antidiskriminierungsgesetze sind daher eng mit Partizipationsgesetzen verschränkt, das Berliner Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft geht hier neue Wege – und sucht nach Nachahmung. Das Gesetz zielt auf „die Durchsetzung der gleichberechtigten Teilhabe von Personen mit Migrationsgeschichte in allen Lebensbereichen in der durch Vielfalt und Migration geprägten Berliner Stadtgesellschaft“, § 1 PartMigG. In Anlehnung an Frauenfördergesetze, verpflichtet es dazu, den Anteil der Menschen mit Migrationsgeschichte in der Berliner Verwaltung zu erhöhen und diese Menschen gezielt zu fördern. Es beinhaltet nicht nur Rechte zum Schutz vor und zur Wiedergutmachung von Diskriminierung, sondern positive Maßnahmen zum Ausgleich struktureller Benachteiligungen, die aus der sozialen Stellung als rassifizierte Gruppe oder sprachliche oder religiöse Minderheit folgen.
Literaturverzeichnis:
Etienne Balibar / Immanuel Wallerstein, Balibar, Rasse, Klasse, Nation, Hamburg 2019.
Christoph Jahr, Antisemitismus vor Gericht. Debatten über die juristische Ahndung judenfeindlicher Agitation in Deutschland (1879-1960), FfM/N.Y. 2011.
Juliane Karakayali / Cagri Kahveci / Doris Liebscher / Carl Melchers (Hg.), Den NSU-Komplex analysieren, Aktuelle Perspektiven aus der Wissenschaft, Münster 2017.
Doris Liebscher, Rasse im Recht – Recht gegen Rassismus. Genealogie einer ambivalenten rechtlichen Kategorie, Berlin 2021.
Ronen Steinke, Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt, München 2020.