ufuq.de schaut … die Netflix-Serie „Adolescence“
1. April 2025 | Diversität und Diskriminierung, Gender und Sexualität, Jugendkulturen und Soziale Medien, Radikalisierung und Prävention

Zwei Personen sitzen am Tisch und unterhalten sich. / KI-generiertes Bild

Adolescence heißt eine neue Miniserie, die am 13. März 2025 auf Netflix erschienen ist. Nicht nur auf der Streamingplattform trendet sie auch in der Öffentlichkeit sorgt die Serie derzeit für Gesprächsstoff. Sie erzählt die Geschichte eines 13-jährigen Jungen, der sich zunehmend radikalisiert, und setzt sich dabei kritisch mit toxischer Männlichkeit sowie dem Einfluss sozialer Medien auf junge Menschen auseinander. Die Thematik hat eine Debatte über die Herausforderungen von Jugendlichen heute und die damit verbundene gesellschaftliche sowie politische Verantwortung entfacht. Was bedeutet das für die pädagogische Praxis? Ein „Teeküchen-Gespräch“ über die Miniserie zwischen unseren ufuq.de-Kolleg*innen Tanja Günthert und Christian Kautz.

Tanja Günthert:

Christian, aktuell trendet die Miniserie Adolescence auf Netflix. Wir beide haben sie gesehen und für gut befunden. Was hat dich an der Serie besonders interessiert?

Christian Kautz:

Mich hat vor allem die schonungslose Darstellung der Lebensrealität junger Menschen abgeholt. Adolescence zeigt eindringlich, wie Soziale Medien, toxische Männlichkeit und gesellschaftlicher Druck Jugendliche beeinflussen und ihre Entwicklung dementsprechend mitbestimmen können. Die Serie verdeutlicht zudem, dass Radikalisierung von Jugendlichen nicht isoliert geschieht, sondern in einem komplexen Wechselspiel von (digitalen) Medien, familiären Dynamiken und gesellschaftlichen Diskursen steht. Wie sieht’s bei dir aus, Tanja, welche Themen der Serie fandest du spannend? Gibt es eine Szene, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Tanja Günthert:

Da fällt mir als erstes der One-Shot-Stil ein, der uns als Zuschauer*in ganz nah an das Geschehen heranbringt und die Intensität der Situationen spürbar macht. Diese Unmittelbarkeit verstärkt den Eindruck, mitten in der Lebensrealität der Jugendlichen zu stehen. Ein besonders eindrücklicher Moment ist für mich die Szene, in der der Sohn eines Polizisten seinem Vater die Bedeutung von Emojis und Codes erklärt. Die ungläubige Reaktion des Vaters – ‚It’s hard to believe that two symbols can say that much‘ – macht deutlich, wie groß die Wissenslücke zwischen den Generationen ist, wenn es um digitale Kommunikation geht. Ähnlich überrascht wirken die Lehrkräfte, die noch nie von Begriffen wie ‚Incels‘ oder Persönlichkeiten wie Andrew Tate gehört haben – obwohl genau diese Phänomene die digitale Lebenswelt vieler Jugendlicher prägen. Diese Momente verdeutlichen, wie weit die Erfahrungswelten junger Menschen und der Institutionen auseinanderliegen, die sie eigentlich begleiten und schützen sollten. Was würdest du sagen, welche strukturellen Herausforderungen offenbart die Serie neben Social Media im Hinblick auf Erziehung und Bildung?

Christian Kautz:

Ein zentrales Problem, das Adolescence anspricht, ist die Unsicherheit von Eltern, Lehrkräften und anderen Bezugspersonen im Umgang mit diesen Herausforderungen. Die Serie zeigt sehr realitätsnah, dass es oft keine einfachen Antworten und Lösungen gibt – und dass Aufklärung und Prävention nicht erst beginnen sollten, wenn Jugendliche bereits anfangen, in problematische Ideologien abzudriften. Außerdem stellt sie für mich die Notwendigkeit heraus, offene Gesprächsräume zu schaffen, in denen Jugendliche sich ohne Angst vor Sanktionen über ihre Sorgen und Unsicherheiten äußern können. Wie ist deine Einschätzung dazu, welche Erkenntnisse können wir aus der Serie für unsere Arbeit in der politischen Bildung ableiten?

Tanja Günthert:

Ich finde, die Serie schafft es eindrucksvoll, ein Bewusstsein für die vielfältigen Einflüsse – sowohl offline als auch online – zu wecken, die auf Jugendliche wirken. Für die politische Bildung bedeutet das aus meiner Sicht, dass die Komplexität der Identitätsbildung in einer zunehmend digitalisierten Welt stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muss – und zwar idealerweise noch bevor es zu eskalierenden Situationen kommt. Das bedeutet beispielweise, sich kritisch mit Gruppendynamiken und sozialen Medien auseinanderzusetzen. Gleichzeitig sollten wir Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte darin unterstützen, Prozesse der Radikalisierung zu erkennen und sensibel darauf zu reagieren, ohne voreilig zu stigmatisieren oder zu kriminalisieren.

Christian Kautz:

Adolescence greift also nicht nur relevante gesellschaftliche Themen auf, sondern stellt auch wichtige Fragen an unsere pädagogische und politische bildnerische Praxis. Alles in allem eine gelungene, zeitgemäße und relevante Serie, darauf können wir uns einigen, oder? 

Tanja Günthert:

Ja, allerdings habe ich einen Kritikpunkt: Das Opfer, Katie, verschwindet im Laufe der Serie fast völlig aus dem Fokus. Ein Muster, das wir auch in der realen gesellschaftlichen Wahrnehmung beobachten können – dass weibliche Opfer männlicher Gewalt oft unsichtbar werden.

Christian Kautz:

Das ist mir auch kritisch aufgefallen. Eine Folge mit den Eltern Katies und ihrer Geschichte hätte schon drin sein müssen.

 

© Bildnachweis: KI-generiertes Bild

Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Projektes „KN:IX connect“.
Skip to content