Eine Konversion zum Islam kann ein einschneidendes Erlebnis für einen jungen Menschen und sein soziales Umfeld sein. Nicht selten kommt es zu einer Umorientierung von Einstellungen, Verhalten und sozialen Beziehungen. Doch welche Rolle spielen Konversionen in der Präventionsarbeit zu religiös begründetem Extremismus? Dieser Beitrag diskutiert, inwiefern die Konversion zum Islam ein Unterscheidungsmerkmal von Adressat*innen in der präventiven Praxis darstellen sollte. Es wird argumentiert, dass mit einer Konversion bestimmte Erfahrungen einhergehen können, die in der präventiven Praxis mitgedacht werden sollten, ohne Adressat*innen darauf festzuschreiben.
Die Prävention von religiös begründetem Extremismus hat sich in den vergangenen Jahren zu einem umfangreichen zivilgesellschaftlichen Handlungsfeld entwickelt. Um ihre Zielgruppen zu konstituieren, nutzen Präventionspraktiker*innen in der Regel verschiedene Differenzierungsmerkmale. Üblich ist etwa die Einteilung entlang des Geschlechts oder des Umstands, ob eine Person aus einem Kriegsgebiet zurückgekehrt ist. Nach dem Niedergang des sogenannten Islamischen Staates in Syrien und im Irak ist etwa die Kategorie der Rückkehrer*innen vermehrt diskutiert worden. Wenngleich diese Differenzierungen die präventive Praxis anleiten können, indem sie für bestimmte Aspekte sensibilisieren, stellen sie doch auch eine Konstruktion einer Gruppe dar. So warnen etwa Schramkowski und Ihring davor, Personen, die im Kontext Sozialer Arbeit einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden, auf damit verbundene Eigenschaften und Erfahrungen festzuschreiben (Schramkowski und Ihring 2018, S. 287). Differenzierungen sollten daher in ihrer Bedeutung für die präventive Praxis reflektiert werden.
Bislang wurde in der Präventionsarbeit und dem sie begleitenden Fachdiskurs noch kaum auf religiöse Konversion zum Islam als mögliches Unterscheidungsmerkmal eingegangen. Zwar lassen sich Forschungsarbeiten finden, die auf Gemeinsamkeiten zwischen zum Islam konvertierten Personen und Muslim*innen aus religionsfernen Milieus hinweisen (Kiefer 2020, S.26-29). Diese teilen etwa gleichermaßen keine oder eine nur gering ausgeprägte islamische religiöse Sozialisation; für sie kann der Islam eine neue Ressource in ihrem Leben darstellen, mit der sie sich selbst neu entwerfen können. Inwiefern die Konversion zum Islam ein mögliches Unterscheidungsmerkmal analog zu etwa Geschlecht oder Rückkehr aus einem Kriegsgebiet darstellen könnte, wurde jedoch noch nicht ausreichend diskutiert.
Besonderheiten von Konvertit*innen
Ein Blick auf öffentliche Thematisierungen von Konversion zum Islam sowie in den wissenschaftlichen Fachdiskurs lassen eine Reflexion der Bedeutung von Konversion in der Präventionsarbeit jedoch sinnvoll erscheinen. Konvertit*innen werden nämlich nicht selten als besonders empfänglich für extremistische Ansprachen gesehen, zum Beispiel weil sie über einen besonderen Eifer verfügten oder weil ihnen religiöse Kenntnisse fehlten (Uhlmann 2008, kritisch dazu Bartoszewicz 2013). Teilweise wird dieser „Gruppe“ auch eine bestimmte Tendenz zu vereindeutigenden Islamverständnissen zugesprochen, wie sie sich vornehmlich bei extremistischen Akteur*innen finden lassen (Özyürek 2018, S. 138-139). Verstärkt wird dieses Bild durch Beispiele bekannter Akteur*innen in salafistischen oder islamistischen Szenen, die dort teilweise Führungspositionen eingenommen haben oder durch ihre Beteiligung an terroristischen Taten Aufmerksamkeit erlangten. Einige dieser Akteur*innen haben mittlerweile einen Ausstieg aus den Szenen vollzogen und veröffentlichen autobiografische Literatur, um über ihr Leben im Extremismus zu berichten (Schmitz 2016, Lau 2020). Eine Reihe von Forschungsarbeiten ist dem Zusammenhang von Konversion und Radikalisierung nachgegangen und stellte fest, dass Konvertit*innen bei terroristischen oder extremistischen Aktivitäten überproportional beteiligt sind (Jones und Dawson 2023, Schuurman et al. 2016). Für den deutschen Kontext gibt es etwa die Studie des Bundeskriminalamts zu den Personen, die nach Syrien und in den Irak ausgereist sind. Diese stellte fest, dass der Anteil der Personen, die zum Islam konvertiert waren unter den männlichen Ausgereisten bei 17% und unter den weiblichen Ausgereisten bei 33% lag (BKA 2016, S. 39) und damit vermutlich über dem Anteil der konvertierten Muslim*innen an der muslimischen Gesamtbevölkerung liegt. Es sei an dieser Stelle jedoch auch darauf hingewiesen, dass sich im internationalen Kontext auch Studien finden lassen, die eine solche Überrepräsentation nicht für generalisierbar halten und auf eine schwierige und wenig belastbare Datenlage verweisen (Schuurman et al. 2016, S. 15). Andere Wissenschaftler*innen haben versucht, den Gründen der festgestellten Überrepräsentation nachzugehen (Jones und Dawson 2021). Neben den bereits angeführten Gründen, wie dem vermeintlichen besonderen Eifer von Konvertit*innen oder ihrem Mangel an religiösen Kenntnissen, wird auch angeführt, dass konvertierte Personen oft auf Ablehnung durch ihre Familien oder die muslimische Gemeinde stoßen und aufgrund ihrer relativen Isolation eine besondere Zielgruppe radikaler Akteure darstellen. Sollten Konvertit*innen zum Islam daher als besondere Zielgruppe präventiver Praxis betrachtet werden?
Gemeinsamkeiten mit Nicht-Konvertit*innen
Gegen eine solche Differenzierung spricht zunächst einmal, dass die Forschung gezeigt hat, dass Radikalisierungsprozesse von Konvertit*innen in der Regel analog zu solchen nicht-konvertierter Personen verlaufen. In einer jüngst erschienenen Studie von Frank und Scholz (2023), die sich auf die biografischen Funktionen einer Hinwendung zu islamistischen Orientierungen im Jugendalter fokussierte, konnten sie Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Gruppen herausarbeiten (ebd. S. 37). Ob konvertiert oder nicht, eine Hinwendung zu islamistischen Orientierungen erfüllt die gleichen biografischen Funktionen: Das kann die Sehnsucht nach einer starken Ordnung im Kontext von Erfahrungen des Kontrollverlustes im eigenen Leben (S.176) oder die Erfahrung von Gemeinschaft vor dem Hintergrund von „Erfahrungen von sozialer Isolation und prekärer Zugehörigkeit“ (S. 178) sein. Auch weitere Studien zu Personen, die sich dem Islamismus zuwenden, haben auf Gemeinsamkeiten zwischen zum Islam konvertierten Personen und Muslim*innen aus religionsfernen Milieus hingewiesen (Kiefer 2020). Bei beiden sind kritische Lebensereignisse und Gelegenheitsstrukturen bedeutsam und beide hätten wenig islambezogenes Wissen, was sie empfänglicher gegenüber extremistischen Ansprachen mache. Auch ein genauerer Blick auf die Annahme, wonach Konvertit*innen über einen besonderen religiösen Eifer verfügten und dadurch empfänglicher für radikale Ansprachen seien, lässt sich im Kontext der Radikalisierungsprävention hinterfragen. Erste Ergebnisse aus dem laufenden RIRA-Verbundprojekt an der Universität Osnabrück zur Bedeutung von Konversion in der Präventionsarbeit deuten darauf hin, dass zwischen konvertierten und nicht-konvertierten Klient*innen viel mehr Gemeinsamkeiten in ihrer Religiosität bestehen als gemeinhin angenommen. Die Präventionsakteure, die in der sekundären und tertiären Prävention tätig sind, schilderten, wie konvertierte Klient*innen über eine ausgeprägte religiöse Praxis verfügten, etwa wenn es um das Befolgen von Ess- und Trinkvorschriften geht oder die Regelung von Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Gleichzeitig wurde jedoch auch bei den Beschreibungen nicht-konvertierter Klient*innen deutlich, dass auch sie über einen solchen Drang nach Exaktheit und klarer Regelung verfügten. Außerdem liegt der Annahme eines erhöhten religiösen Eifers häufig eine Gleichsetzung von Eifer mit Extremismus zugrunde. Ein kurzer Blick auf das vielfältige und umfangreiche Engagement muslimischer Konvertit*innen im zivilgesellschaftlichen Bereich verdeutlicht jedoch, dass Eifer nicht immer extremistisch sein muss (Müssig und Vardar 2011). Besteht also doch kein Grund, Konvertit*innen als spezifische Adressat*innen der Islamismusprävention zu verstehen?
Mögliche Spezifika von Konvertit*innen
Ausgehend von dem bereits angesprochenen Forschungsverbund sowie einem weiteren Blick in die Radikalisierungsforschung lässt sich jedoch argumentieren, dass Konversion zum Islam als ein mögliches Unterscheidungsmerkmal betrachtet werden sollte. Besonders im Bereich der Erfahrungen von sozialem Ausschluss scheinen Konvertit*innen spezifische Erfahrungen zu machen. So berichten die innerhalb des RIRA-Verbundprojekts befragten Präventionsakteure, wie das soziale Umfeld konvertierter Klient*innen oft besonders ablehnend und ausgrenzend auf eine Konversion zum Islam reagiert. Beispielweise berichtet ein Präventionsakteur, ein Vater habe seinen Sohn aus der gemeinsamen Wohnung geworfen, nachdem dieser ihm seine Konversion zum Islam mitgeteilt hatte. Eine Isolation kann dabei nicht nur von Anderen ausgehen, sondern auch Resultat eines selbstgewählten Bruchs mit Freunden und Familie darstellen, der Teil einer Reorganisation des Lebens im Zuge einer Konversion ist. Auch mit Moscheegemeinden und bestehenden muslimischen Communities machen Konvertit*innen zuweilen Erfahrungen von prekärer Zugehörigkeit. Das berichten Jones und Dawson (2021) in einer Forschungsarbeit, in der sie mögliche Radikalisierungsfaktoren von Konvertit*innen diskutieren. Sie argumentieren, dass Konvertit*innen nur schwer den Anschluss an muslimische Gemeinden finden, die eher kulturell und national geprägt sind (S.21). Radikalisierungsprozesse finden immer in einem Geflecht von Personen und Akteuren statt. Frank und Scholz (2023) betonen etwa, dass sich immer auch ein Umfeld radikalisiert, indem sich die Beteiligten in wechselseitige eskalierende Fremd- und Selbstzuschreibungen und Handlungszusammenhänge verstricken (S. 189). Dieser Ausgrenzungserfahrung steht die in der Radikalisierungsforschung bereits vielfach als Attraktivitätsmoment herausgearbeitete Offenheit radikaler Szenen entgegen. In diesen Szenen hängt es viel stärker von der eigenen religiösen Performanz und Normbefolgung ab, ob man als Teil der Gruppe akzeptiert wird, und weniger von einer erfolgten Sozialisation oder einer zugeschriebenen nationalen oder ethnischen Identität. Zudem sind solche Gruppen, im Gegensatz zu etablierten muslimischen Communities, oft deutschsprachig. Die Befragung von Präventionsakteuren innerhalb des RIRA-Verbundprojekts deutet auf weitere mögliche Besonderheiten von konvertierten Personen in radikalen Szenen hin. So berichten sie etwa, dass Konvertit*innen in radikalen Szenen in einem positiven Sinne als „besondere“ Muslim*innen wahrgenommen werden.
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Differenzierung von Adressat*innen der Präventionsarbeit entlang bestimmter Merkmale kontinuierlich auf ihre Auswirkungen in der Handlungspraxis hin befragt werden sollte. Die Adressierung von Konvertit*innen als besondere Risikogruppe (etwa in Form spezifisch an sie gerichteter Präventionsprojekte) würde Stigmatisierungen Vorschub leisten und dadurch kontraproduktiv wirken. Es geht also nicht darum, Konvertit*innen als Gruppe zu verbesondern und im Kontext präventiver Praxis separat zu adressieren. Eine solche Praxis würde die „Gruppe“ der Konvertit*innen essenzialiseren. Dennoch bringt eine Konversion spezifische Erfahrungen mit sich, die für die Radikalisierungsprävention bedeutsam sein können. Die hier diskutierten Erfahrungen sozialer Ausgrenzung und prekärer Zugehörigkeit erscheinen dabei als mögliche Spezifika. Damit ist aber nicht gesagt, dass nicht auch nicht-konvertierte Adressat*innen der Prävention Erfahrungen von Ausgrenzung und prekärer Zugehörigkeit machen – dies zeigt die bestehende Forschung deutlich. Darüber hinaus heißt es auch nicht, dass es nicht weitere Spezifika gibt, die mit einer Konversion einhergehen. Für die präventive Praxis folgt jedoch, dass mit einer Konversion besondere Erfahrungen, Einstellungen und Herausforderungen einhergehen, die in der Präventionsarbeit mitgedacht werden sollten, jedoch ohne Adressat*innen darauf festzuschreiben.
Literaturangaben
Bundeskriminalamt (2016). Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind.
Bartoszewicz, Monika Gabriela (2013). Controversies of conversions: The potential terrorist threat of European converts to Islam. Perspectives on Terrorism, 7(3), 17-29.
Frank, Anja., & Scholz, Anna Felicitas (2023). Islamismus in der Jugendphase: eine rekonstruktive Studie zu Radikalisierungsprozessen. Verlag Barbara Budrich.
Jones, David. A., & Dawson, Lorne. L. (2023). Re-examining the explanations of convert radicalization in Salafi-Jihadist terrorism with evidence from Canada. Behavioral sciences of terrorism and political aggression, 15(2), 246-273.
Kiefer, Michael. (2020). Religion in der Radikalisierung. Forschungsnetzwerk Radikalisierung und Prävention (FNRP)/Institut für Islamische Theologie (IIT), Universität Osnabrück (Hrsg.), Aspekte von Radikalisierungsprozessen. Fallgestützte Studien, 15-34.
Lau, Sven (2020): Wer ist Sven Lau? Norderstedt: BoD – Books on Demand.
Müssig, Stephanie., & Vardar, Nilden (2011). Zur Rolle von muslimischen Konvertierten im Gemeindeleben. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 13-14.
Özyürek, Esra. 2018. Deutsche Muslime – muslimische Deutsche. Wiesbaden: Springer.
Schmitz, Dominic Musa (2016). Ich war ein Salafist: meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt. Ullstein Ebooks.
Schramkowski, B., & Ihring, I. (2018). Alltagsrassismus: (K) ein Thema für die Soziale Arbeit? Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft: Grundlagen–Konzepte–Handlungsfelder, 279-290.
Schuurman, Bart, Grol, Peter, & Flower, Scott (2016). Converts and Islamist Terrorism. International Centre for Counter-Terrorism, 1-21.
Uhlmann, Milena (2008). European converts to terrorism. Middle East Quarterly.
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