Antifeminismus in der Jugendarbeit: Eine Studie liefert neue Erkenntnisse
19. November 2024 | Demokratie und Partizipation, Gender und Sexualität

Symbolbild; Bild: Finn Hafemann/ iStock

Antifeministische Akteur*innen üben zunehmend Druck auf die Jugendarbeit in Deutschland aus, insbesondere auf queere und feministische Angebote. Sie stellen deren Relevanz in Frage und adressieren Jugendliche gezielt mit Kritik an geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, Feminismus und körperlicher Selbstbestimmung. Doch welche Akteur*innen stehen hinter antifeministischen Angriffen? Wie gehen sie vor, um Jugendliche anzusprechen? Und vor welchen Herausforderungen stehen Fachkräfte dadurch? Eine von Camino durchgeführte Studie gibt Antworten. Wir durften bereits vor der offiziellen Veröffentlichung der Ergebnisse einen Einblick erhalten.

 

Maike Tragsdorf (ufuq.de):

Was verstehen Sie unter Antifeminismus und inwiefern stellt er ein Problem für die Jugendarbeit dar?

Camino:

Unsere Definition von Antifeminismus ist durch intensive Literaturrecherche entstanden und basiert auf Erkenntnissen aus der Forschung. Antifeminismus beschreibt Bewegungen und Forderungen, die feministische Anliegen und Errungenschaften zur Gleichstellung, Selbstbestimmung und Teilhabe aller Geschlechter und zur Anerkennung vielfältiger sexueller Identitäten abwehren. Für uns ist Antifeminismus Teil des Patriarchats; er verteidigt die heteronormative binäre Geschlechterordnung. In dieser Struktur haben cis-Männer eine Vormachtstellung. Es ist klar definiert, welche Rollen Mann und Frau erfüllen sollen. Feminismus hingegen hinterfragt sie und bricht sie auf. Antifeminismus beinhaltet deshalb Angriffe auf feministische Forderungen und Errungenschaften. Er bietet außerdem Mobilisierungspotential für polarisierende, autoritäre und extrem rechte Bewegungen. Dies macht ihn zur Gefahr für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft.

In der Jugendarbeit sind antifeministische Akteur*innen auf verschiedenen Ebenen aktiv: Angriffe richten sich beispielsweise gegen feministische Angebote oder gegen solche für queere Personen. Auch unter Jugendlichen sind z.B. sexistische oder queerfeindliche Einstellungen verbreitet, die Anknüpfungspunkte für antifeministische Narrative bieten. In unserer Studie haben wir darum auch antifeministische Einstellungen unter Jugendlichen und Fachkräften als ein Problemfeld in den Blick genommen.

In den Interviews, die wir geführt haben, schildern Menschen, die in der Jugendarbeit tätig sind, von tätlichen Angriffen auf Einrichtungen, politischen Versuchen der Diskreditierung und Mittelentzug, sowie von Hass-Kommentare in den Sozialen Medien. Bestimmte Bereiche der Jugendarbeit stehen unter enormem Druck. Sie arbeiten mit vulnerablen Gruppen und sind zugleich Anfeindungen ausgesetzt.

Maike Tragsdorf (ufuq.de):

Wer sind die treibenden Kräfte hinter antifeministischen Angriffen auf Jugendarbeit und wie genau gehen diese Akteur*innen vor, um Jugendliche anzusprechen?

Camino:

Vielfach genannt werden extrem rechte politische Gruppen und rechte Parteien sowie christlich-fundamentalistische, evangelikale Gruppen aus dem Spektrum der „Lebensschützer“. Einige dieser Gruppen machen selbst Angebote für Jugendliche, wie z.B. Beratungen gegen eine Sexualpädagogik der Vielfalt, gegen Schwangerschaftsabbrüche und die körperliche Selbstbestimmung von Mädchen*. Über Broschüren, Bildungsmaterialien und konkrete Bildungsangebote dringen sie auch in den Raum Schule vor. Manche Projekte bilden eigens Peer-Trainer*innen aus, um ihre Inhalte so noch besser bei Jugendlichen platzieren zu können. Dabei verwenden sie häufig jugendgerechte Sprache, was es schwierig macht, sie direkt zu erkennen.

Auch in den sozialen Medien sind antifeministische Akteur*innen präsent und verfolgen die Strategie, über vermeintlich unverfängliche Lifestyle-Themen an Jugendliche heranzutreten. Verlinkungen oder Symbole verweisen zum Teil darauf, dass hinter harmlos wirkenden Influencer*innen, die über Sport, Mode oder Esoterik sprechen, extrem rechte Gruppen stehen.

Neben organisierten Gruppen, die sehr zielgerichtet vorgehen, ist auch der in der Gesellschaft verankerte Antifeminismus ein großes Problem in der Jugendarbeit. Fachkräfte der queeren Jugendarbeit berichten, dass sie sich extrem unsicher fühlen, wenn sie sich mit einer Gruppe Jugendlicher im öffentlichen Raum bewegen, da sie dort häufig Anfeindungen bis hin zu Gewaltandrohungen ausgesetzt sind.

Maike Tragsdorf (ufuq.de):

Wie kann die Jugendarbeit dazu beitragen, Jugendliche für antifeministische Narrative zu sensibilisieren und ihre Medienkompetenz in diesem Bereich zu stärken?

Camino:

Wichtig ist zunächst eine Sensibilisierung der Fachkräfte für Antifeminismus und dessen Strategien und Ziele. Da sehr viele Jugendliche mit antifeministischen Inhalten in Kontakt kommen, wäre eine flächendeckende Auseinandersetzung mit den Folgen für Jugendliche und das Feld der Jugendarbeit wünschenswert.

Jugendarbeit versucht bereits, sichere Räume zu schaffen, in denen queere Jugendliche oder Mädchen* sich austauschen und stärken können. Diese geraten aber zunehmend unter politischen Druck. Diese Angebote, insbesondere dann, wenn sie mehrfachdiskriminierte Gruppen ansprechen, wie rassifizierte migrantisierte Mädchen*, sollten unbedingt gestärkt werden. Ebenso jene Angebote der Jungen*arbeit, die Räume bietet, sich kritisch mit Männlichkeitsanforderungen und Rollenbildern zu beschäftigen.

Medieninhalte sollten unbedingt besprochen werden: Wie können Jugendliche unterscheiden, mit welchem Ziel bestimmte Inhalte platziert werden? Und welche
Auswirkungen haben traditionelle Rollenbilder und geschlechtliche Zuschreibungen, die über antifeministische Accounts gemacht werden, auf das Leben und die Zukunft der Jugendlichen? Zudem sollten alternative Angebote gemacht und andere Zugänge zu Themen wie Familie oder Geschlechterrollen gezeigt werden. Darüber kann auch der Begriff Feminismus, der einigen Jugendlichen großes Unbehagen bereitet und Widerstand erzeugt, positiver besetzt werden.

Maike Tragsdorf (ufuq.de):

Welches Ergebnis der Studie hat Sie am meisten überrascht?

Camino:

Überraschend war, dass Schulen teilweise unreflektiert antifeministische Angebote der sexuellen Bildung annehmen. Häufig fehlt das Wissen, diese als antifeministisch und vielfaltsfeindlich zu erkennen.

Die starke Betroffenheit von Angeboten für queere Jugendliche und der große Druck, unter dem trans* Fachkräfte und Jugendliche stehen, waren für uns nochmal sehr eindrücklich. Insbesondere Fachkräfte im ländlichen Raum oder in Gegenden mit erstarkenden rechten Kräften sind emotional oft sehr belastet.

Wie sehr sich Räume an diesen Stellen verengen und Menschen sich schon sehr genau überlegen, für welche Angebote sie eine Finanzierung bekommen können oder was sie öffentlich äußern wollen, macht uns betroffen. Kurz nach Ende unserer Interviews wurde bekannt, dass erste Träger der queeren oder kritischen Mädchen*arbeit keine Finanzierung mehr bekommen. Wir blicken mit Sorge auf diese Entwicklungen.

Maike Tragsdorf (ufuq.de):

Vielen Dank für das Gespräch!

Bildnachweis © Titel: Junger Mann mit Handy / Finn Hafemann / iStock

 

Logo des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX)
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