Ramadan in der Schule – Was sagen die Betroffenen?
2. Juni 2016 | Diversität und Diskriminierung, Religion und Religiosität

Es ist Ramadan! Für viele Muslim_innen in Deutschland ist der Fastenmonat die schönste Zeit des Jahres. Viele freuen sich schon lange vorher auf diese intensive Zeit mit der Familie und mit ihrem Glauben. Viele Lehrer_innen hingegen sind weniger begeistert. Sie sehen vor allem Probleme auf sich zukommen. Wie können Schüler_innen einen Schultag durchstehen, wenn sie weder essen noch trinken; noch dazu im Sommer? Wie können sie Klassenarbeiten oder Prüfungen durchstehen? Schließlich geht es in vielen Bundesländern darum, jetzt die Zeugnisnoten festzulegen. Auch stehen Ausflüge an und was ist mit dem Schwimmunterricht?

Der Ramadan stellt Lehrer_innen vor Herausforderungen: Wie sollen sie mit fastenden Schüler_innen umgehen?

So wie jeder Mensch verschieden ist und jede_r auch seine Religion unterschiedlich lebt, gibt es viele Wege, wie der Ramadan im Schulalltag eingebunden werden kann. Welches ist der richtige Weg? Wir haben die gefragt, die sich am besten mit dem Thema auskennen: Die Schüler_innen und Lehrer_innen selber und wir haben sie gebeten, ihre Erfahrungen zu beschreiben. Auch Eltern kommen zu Wort und erklären, was der Monat für sie bedeutet und was sie sich von der Schule wünschen. Es sind positive und negative Erfahrungen und wie so oft gibt es kein Patentrezept: Was in einer konkreten Situation richtig ist, können nur die Beteiligten selbst wissen, aber natürlich kann man aus den Erfahrungen anderer eigene Schlüsse ziehen.

Bei der Befragung zu diesem Thema stellte sich schnell heraus, dass es sich um ein sehr persönliches, fast schon heikles Thema handelt. Viele der Interviewten wollten deswegen lieber nicht mit Namen und Bild in Erscheinung treten. So sind alle Zitate anonymisiert.

 

Die Schülerinnen und Schüler:

„Wie vereinbarst Du Fasten und Schule?“ So lautete die Frage, die wir zahlreichen Schüler_innen gestellt haben. Einige der Zitate haben wir hier zusammengestellt, die zeigen, wie groß das Meinungsspektrum ist. Es handelt sich nicht um eine repräsentative Umfrage und zu Wort kommen nur die, die tatsächlich betroffen sind: Schüler_innen also, die vorhaben, in diesem Ramadan zu fasten.

salwaSchülerin Salwa A., 16 Jahre, Berlin: „Ich faste seit ich denken kann. Seit ich 11 Jahre alt bin, schaffe ich den ganzen Tag. Die ersten Tage sind anstrengend, aber es ist so ein tolles Gefühl, wenn man richtig hineingefunden hat. Ich sage niemanden, dass ich faste. Meine engen Freundinnen wissen es und viele fasten ja auch. Manche Lehrer wissen es auch, andere verstehen es nicht. Für sie ist nicht zu begreifen, wieso ich faste. Sie denken, ich werde dazu gezwungen. Andere denken immer nur an die gesundheitlichen Aspekte, dass es gesundheitsschädlich ist. Da ist es besser, einfach nicht darüber zu sprechen, sie nicht damit zu belasten. Dann habe ich auch weniger Probleme“.

 

leilaSchülerin Leila B., 15 Jahre, Berlin: „Natürlich faste ich, zumindest an vielen Tagen. Ich gebe zu, dass ich es nicht immer ganz durchhalte. Besonders schwer ist es, wenn man Schulausflug macht oder zu Feiern eingeladen ist, wo alle essen und trinken. Eigentlich wollte ich aber gar nicht über diese Härten sprechen. Für mich ist der Ramadan der wichtigste Monat des Jahres. Er bringt mich Gott näher und es ist schön, viel Zeit mit der Familie zu verbringen.“

 

bobSchüler Bob T., 13 Jahre, Berlin: „Natürlich faste ich. Bin schließlich Muslim. Was nervt, sind die Kommentare der Lehrer. Die kapieren nichts. Die einen sind ganz besorgt. Eine Lehrerein meinte tatsächlich: Komm. Trink schnell heimlich etwas. Merkt doch keiner! Peinlich, oder? Andere verdächtigen mich, Extremist zu sein. Am allermeisten ärgere ich mich, dass viele Lehrer nicht glauben, dass ich wirklich faste. Sie trauen es mir nicht zu. Es ist manchmal hart, aber ich schaffe es. Schon, um es denen zu zeigen“

 

aminSchüler Ahmed M. 16, Berlin: „Ich bin noch nicht ganz sicher, wie ich es dieses Jahr mache. Meine Mutter will nicht, dass ich die ganze Woche faste, wegen der Schule. Aber in meiner Klassenstufe gibt es einige Jungen, die Druck machen. Sie sagen: Wer nicht richtig fastet, ist kein Muslim. Meine Mutter sagt, ich soll mich nicht darum kümmern, was die anderen sagen. Leicht ist das aber nicht. Es wäre gut, wenn mir jemand helfen könnte, aber wer sollte das sein?“

 

aminaSchülerin Amina G., 13 Jahre Berlin: „Ramadan ist schön und ich versuche ihn zu genießen. Wenn ich mir von meinen Lehrern etwas wünschen dürfte, dann fände ich es am besten, wenn sie mich einfach in Ruhe lassen. Oder, das wäre natürlich ganz toll: Wir könnten ja einmal ein Klassenfest am Abend machen, so dass alle zusammen essen und meine Klasse einmal mitbekommt, wie lustig es ist. Aber, ob das funktioniert? Man es einfach mal probieren.“

 

 

Die Lehrerinnen und Lehrer:

„Wie reagieren Sie, wenn ihre Schüler_innen fasten?“ Zu dieser Frage haben wir in den vergangenen Monaten bei Workshops und im Umfeld unserer Arbeit mit Lehrer_innen gesprochen.

Frau kLehrerin Frau K., Naturwissenschaften Mittelstufe Gesamtschule: „Ich gebe offen zu: Ich halte nichts von Ramadan. Schon gar nicht für Kinder in der Pubertät. Mit denen ist doch auch so schon kaum etwas anzufangen. Wenn die dann noch fasten, können sie sich endgültig nicht mehr konzentrieren. Wenn sie wenigstens etwas trinken würden. Aber dieses Fasten der Muslime ist doch extrem gesundheitsschädlich. Ich habe den Eindruck, dass die meisten fasten, weil sie von ihren Eltern dazu angehalten werden. Bei einem Jungen in meiner Klasse hatte ich letztes Jahr aber auch den Eindruck, dass er es macht, um mich zu ärgern!“

 

Frau A.Lehrerin Frau B, Französisch, Deutsch Gymnasium: „Letztes Jahr war ich mit einer Klasse während des Ramadan auf Abschlussfahrt in Paris. Ich hatte fast damit gerechnet, dass die Muslime zuhause bleiben würden. Aber Paris wollten sie sich nicht entgehen lassen und zu meiner Verwunderung gab es überhaupt keine Probleme. Die haben sich ihr Essen selbst besorgt und dann in ihren Zimmern zu ihren Zeiten gegessen und getrunken. Ich war beeindruckt, dass ihnen das so wichtig ist“.

 

frau bLehrerin Frau A., Kunst 8. Klasse Gymnasium: „Ich finde es gut, dass die Kinder etwas haben, das ihnen wichtig ist. Viele sind ja ab einem bestimmten Alter nicht mehr leicht zu begeistern. Ich persönlich würde es nicht schaffen, einen Monat lang zu fasten und so haben die Kinder, die das schaffen, meine volle Bewunderung. Ich versuche, ihnen das zu zeigen. Dabei bemühe ich mich, sie nicht zu sehr zu Exoten in der Klasse zu machen. Das würde ihnen das Leben schwermachen. Ob mir das gelingt? Naja, wahrscheinlich nur halb“.

 

Frau HLehrerin H., Deutsch, Mathe Mittelstufe Gesamtschule: „Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich fühle mich überfordert. Wir haben sowieso schon viele Probleme in der Klasse und jetzt stehen die letzten Klassenarbeiten an. Wenn die dann die Arbeiten verhauen und mündlich schlecht sind, weil sie nichts getrunken und kaum geschlafen haben. Dann heißt es wieder, ich sei intolerant. Aber wäre es gerecht, sie besser zu benoten? Ich wünsche mir mehr Anleitung von der Schulleitung!“

 

Die Eltern:

Und was sagen die Eltern dazu? Die Familien spielen eine große Rolle, wenn es um den Fastenmonat geht. Doch gerade bei Schüler_innen in der Mittel und Oberstufe, denen also, die beginnen, den Islam zu praktizieren, gibt es oft wenig Kommunikation zwischen Elternhaus und Schule. Kein Wunder, dass es zu Missverständnissen kommt. Wir haben einige Eltern danach gefragt, was sie im Ramadan machen und was sie sich von den Schulen wünschen.

Ramadan M.

mohammedRamadan M. ist Vater einer Tochter (20) und eines Sohnes (16) und er erklärt, wieso es ihm wichtig ist, dass die Familie den Ramadan feiert. An die Lehrer seiner Kinder appelliert er, dass sie die fastenden Schüler_innen am besten in Ruhe lassen sollen. Gerade mit pubertierenden Jugendlichen gibt es sonst nur Ärger.

Herr Ramadan, was machen Sie im Fastenmonat? 

„Na, ist ja klar, wieso sie mich fragen. Bei meinem Namen bin ich natürlich der Ramadan-Experte! Eigentlich bin ich aber Erzieher, komme aus Palästina und lebe seit 33 Jahren in Berlin. Wie viele habe ich den Ramadan erst zu schätzen gelernt, als ich meine eigene Familie gegründet habe. Ramadan hat viel mit Kindheitserinnerungen zu tun. Ich kann mich genau an die Süßigkeiten erinnern und die lustigen Nächte mit der Familie. Dieses Gefühl, diese Rituale sollen meine Kinder auch kennenlernen, damit sie verstehen, wo wir herkommen. Ich beobachte, dass Rituale bei vielen Familien wichtig sind, egal, wo sie herkommen.

Das ist ja tatsächlich sehr typisch für Eltern im Allgemeinen. Fastet dann Ihre ganze Familie?

Wie viele Eltern, ermutige ich meine Kinder, es zu probieren. Erst fasten sie einen halben Tag und wenn sie zwölf sind, dann können sie einen ganzen Tag schaffen. Ich finde es wichtig, den Kindern auch schwierige Dinge zuzutrauen. Entsprechend bekommen sie auch meine Hochachtung, wenn sie es schaffen. In manchen Fällen, wissen Eltern, dass ihre Kinder es mit dem Fasten nicht so genau nehmen, aber sie spielen das Spiel mit und tun so, als würden sie es nicht merken oder sie fordern die Kinder auf, sich an die Regeln zu halten.

Und wie ist es mit der Schule? Was ist denn, wenn Klassenarbeiten anstehen?

Darüber wird unter muslimischen Eltern viel diskutiert. Hier in unseren Kreis sind wir uns ziemlich einig, dass an Tagen, an denen Prüfungen anstehen, nicht gefastet wird und natürlich müssen die Kinder ihre Hausaufgaben machen und üben. Auch das gehört zum Fasten. Die Lehrer sollten sich möglichst zurückhalten. Ich verstehe ja, dass viele sich gut gemeint Sorgen machen und deswegen die Kinder auffordern, heimlich zu essen oder zu trinken. Leider ist die Botschaft, die sie damit vermitteln, aber sehr negativ: Sie vermitteln den Kindern, dass ihre Religion problematisch oder sogar schädlich ist oder sie geben ihnen das Gefühl, dass sie den Kindern nicht zutrauen, das Fasten durchzuhalten.

Und es kommt zu Konflikten

Es kommt nicht selten zu sehr absurden Situationen: Da behaupten Kinder in der Schule, dass sie fasten und wegen des Ramadans nicht am Sport- oder Schwimmunterricht teilnehmen können und sie riskieren einen großen Konflikt mit den Lehrern. In Wirklichkeit fasten sie gar nicht und haben genau deswegen Stress zu Hause mit den Eltern. Typisch Pubertät, tragen sie Konflikte an zwei Fronten aus.  Das lässt sich vermeiden, wenn Lehrer sich heraushalten und so den Konflikt gar nicht erst aufkommen lassen.

Sie sagen, die Lehrer_innen sollten am besten ignorieren, dass die Schüler_innen fasten. Haben sie noch andere Vorschläge? Irgendwas ein bisschen Positiveres?

Am allerbesten ist es natürlich, wenn im Unterricht auch der Islam und der Ramadan behandelt wird und vielleicht auch die Eltern mal in die Schule kommen und erzählen, was uns wichtig ist. Wichtig ist, dass der Islam dabei nicht abfällig behandelt wird, denn das hat gerade bei diesen Kindern im Protestalter schlimme Folgen.

 

Emine F.

Polizistin

Emine F. aus Remscheid kennt sich aus mit dem Ramadan in der Schule: Die heute 37jährige Polizistin hat schon als Schülerin gefastet. Sie war die einzige Muslimin in ihrer Klasse und hat sich deswegen oft nicht getraut, darüber zu sprechen. Ihre Eltern konnten zu wenig Deutsch, um ihr zu helfen. Heute ist sie Mutter von drei Kindern. Sie würde es begrüßen, wenn Schüler_innen, Lehrer_innen und Eltern gemeinsam Ramadan-Abmachungen erarbeiten würden, in denen alle schwierigen Fragen geregelt werden: Zum Beispiel ob die Kinder zum Schwimmen gehen und ob ihre Klassenarbeiten normal benotet werden.

Worauf freuen Sie sich am meisten im Ramadan?

Der Ramadan ist für mich eine sehr schöne Zeit. Ich habe viele Erinnerungen an früher, die Gemeinschaft in der Familie und auch daran, wie schön es war, dass zum Fastenbrechen alle gleichzeitig essen. Auch das Aufstehen zum Sonnenaufgang war immer toll. Heute ist der Ramadan für mich vor allem schön, weil er eine Zeit der Einkehr ist, in der ich zur Ruhe komme und mich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Dieses Gefühl möchte ich gerne meinen Kindern vermitteln.

Fasten Ihre Kinder denn schon?

Sie fangen gerade damit an und sind auch sehr motiviert. Ich bremse sie ein bisschen, denn jetzt im Sommer ist es hart und es ist schwer einen Schultag durchzuhalten. Deswegen werden sie nur ein paar Tage fasten und das auch eher am Wochenende. Mein älterer Sohn hat einen Jungen in seiner Klasse, der richtig fastet. Das stachelt ihn an, es auch zu tun.

Man hört ja manchmal, dass unter den muslimischen Kindern in einer Schule regelrecht Druck ausgeübt wird, dass möglichst alle fasten.

Das kann gut sein, aber das gibt es bei uns nicht. Wenn Ramadan im Winter wäre, dann würden jetzt sicher auch mehr Kinder fasten, jetzt ist es zu hart. Leider müssen die Kinder ja in der Regel auch schon im Bett sein, wenn das Fasten gegen 21.30 Uhr gebrochen wird.

Sie haben schon als Schülerin gefastet, heute sind sie selber Mutter. Was hat sich verändert?

Damals auf dem Gymnasium war ich die einzige Muslimin in der Klasse. Ich habe gefastet, aber nicht darüber gesprochen. Meine Lehrer haben das gar nicht mitbekommen. Das war eine andere Zeit. Die Lehrer waren damals noch nicht darauf eingestellt, dass es Muslime gibt und wir haben uns damals nicht getraut, unsere Bedürfnisse anzumelden. Das lag auch daran, dass unsere Eltern nicht genug Deutsch konnten, um in der Schule für unsere Rechte einzutreten. Da hat sich viel verändert.

Wir wollen ja auf ufuq.de Ideen für einen besseren Umgang mit dem Thema Fasten in der Schule zusammentragen. Aus Ihrer Sicht als Mutter, was wünschen Sie sich von den Lehrer_innen?

Das Wichtigste ist, dass sie mit Akzeptanz an die Sache herangehen. Man sollte nicht die ganze Zeit hinterfragen, ob es Sinn macht, im Ramadan zu fasten oder ob es gesundheitsschädlich ist. Man sollte einfach tolerieren, dass dieser Monat für die Muslime wichtig ist. Ein bisschen Rücksicht kann nicht schaden und vielleicht könnte ein Auge zugedrückt werden, wenn die Schülerinnen in diesem Monat nicht schwimmen wollen. Es ist ja nur einmal im Jahr. Was die Benotung von Klassenarbeiten angeht, sollen sie aber keine Zugeständnisse machen. Das wäre ja sonst unfair für die anderen in der Klasse.

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