Die neuen Muslime – Warum junge Menschen zum Islam konvertieren: Interview mit Susanne Kaiser
22. Mai 2018 | Religion und Religiosität

Cover des Buchs "Die neuen Muslime" von Susanne Kaiser

Für ihr Buch „Die neuen Muslime – Warum junge Menschen zum Islam konvertieren“ hat Susanne Kaiser, Journalistin und Autorin, Interviews mit jungen Konvertit*innen zum Islam in Deutschland geführt. Im Gespräch mit Sakina Abushi (ufuq.de) erzählt sie von den Lebensgeschichten der jungen Menschen und deren Suche nach alternativen Gesellschaftsmodellen – und erklärt, warum sie selbst die Entscheidung zur Konversion nachvollziehen kann.

 

Sakina Abushi:

Wie sind Sie zu der Idee, über junge Konvertit*innen ein Buch zu schreiben, gekommen? Was macht diese Biografien aus Ihrer Sicht so interessant?

Susanne Kaiser:

Vor ein paar Jahren ist mir aufgefallen, dass aufgrund des Aufstiegs des IS in Syrien und im Irak relativ regelmäßig Biografien und Portraits über radikalisierte Muslim*innen erschienen, die sich dem IS angeschlossen hatten. Überproportional viele davon waren Konvertit*innen. Es gab ein riesiges mediales Interesse an diesem Thema, was aus meiner Sicht zu einem Zerrbild über Konvertit*innen beigetragen hat. Die Konvertit*innen, die Muslim*innen, die ich kannte, waren anders, nämlich ganz normal. Mein Eindruck war, dass der Islam oft nur noch im Kontext von Extremismus, Radikalität und Terrorismus verhandelt wurde. Das hat mich dazu geführt, auch mal ein paar andere Stimmen einzufangen, die nicht zu Wort kommen, ganz normale Konvertit*innen, und irgendwie dazu beizutragen, dass sich das Bild ändert. Die Konversion ist in den meisten Fällen eine rationale Abwägung, die jeder von uns irgendwie nachvollziehen kann.

Sakina Abushi:

Kann man generell sagen, was junge Menschen dazu bewegt, zum Islam zu konvertieren? Was ist attraktiv an dieser Religion?

Susanne Kaiser:

Das habe ich mich natürlich auch gefragt, gerade wenn man sich anschaut, welche Entbehrungen damit vielleicht auch zusammenhängen können. Ich denke zum Beispiel an Frauen, die sich verschleiern, also Hijab tragen und deshalb angefeindet werden. Eigentlich haben mir alle erzählt, dass die Konversion eine Zäsur ist, dass das Leben schwieriger wird. Die Gründe für die Konversion sind natürlich so verschieden, wie die Menschen selbst auch, aber man kann sagen, dass Sinnsuche, Selbsterfüllung und der Wunsch, Frieden mit sich und anderen zu schließen, eine Rolle spielen. Bei einigen Konvertit*innen spielte Zufall eine Rolle, der Kontakt zu Muslim*innen beispielsweise. Dahinter steht aber in allen Fällen eine Sinnsuche, die Suche nach etwas Tieferem.

Sakina Abushi:

Haben Sie den Eindruck, dass es eher persönliche, biographische Gründe sind, oder hatte die Konversion bei Ihren Gesprächspartner*innen auch etwas mit Gesellschaftskritik zu tun, also mit der Suche nach alternativen Modellen für das Zusammenleben?

Susanne Kaiser:

Bei meinen Interviewpartner*innen spielte die Suche nach Alternativen eine ganz große Rolle. Sie entwickeln ihre Form des Islams wirklich als Gegenentwurf gegen die neoliberale Gesellschaft, unter der sie sehr gelitten haben. Sie haben ja alle in gewisser Weise auch ein gescheitertes Leben hinter sich, zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung. Sie wenden sich gegen Vereinnahmungen im Berufsleben, gegen Materialismus, aber auch gegen die Durchdringung von Beziehungen und Liebe durch neoliberale Werte. So kritisieren sie beispielsweise den erlebten Konsumcharakter von Beziehungen. Ein Beispiel, das mir genannt wurde, war der häufige Partnerwechsel der eigenen Eltern.

Sakina Abushi:

Beim Lesen Ihres Buches hatte ich den Eindruck, dass in vielen Erzählungen das Arbeitsleben vor der Konversion eine große Rolle spielte.

Susanne Kaiser:

Ja, das stimmt. Bei mindestens zwei Personen, mit denen ich gesprochen habe, war es so, dass sie vor ihrer Konversion tatsächlich „Karriere“ gemacht haben: Ele war Managerin, Ben war Anwalt und beide haben ganz gut verdient. Ele war dann alleinerziehende Mutter und arbeitslos, fand aber mit der Konversion ihre Erfüllung, gab sich einen ganz anderen Lebenssinn und lebte nach anderen Werten. Bei Ben, dem Anwalt, war es ganz ähnlich. Er hatte einfach keine Lust mehr, Geld für sich und für andere zu maximieren und wollte etwas Sinnvolles machen. Er arbeitet jetzt mit Jugendlichen im interreligiösen Dialog, verdient aber nicht mehr viel Geld.

Sakina Abushi:

Würden Sie sagen, dass dieser Ausstieg aus der neoliberalen Logik aus Sicht Ihrer Gesprächspartner*innen erfolgreich war? Oder ist das dann doch nicht so leicht?

Susanne Kaiser:

Für meine Interviewpartner*innen hat es auf jeden Fall funktioniert, bis jetzt jedenfalls. Sie entwickeln sich natürlich auch weiter. Konvertieren ist ja kein Prozess, der irgendwann abgeschlossen ist. Aber auch, wenn man sich mit einer Religion vielleicht irgendwie einen neuen Sinn geben und das Leben in eine andere Richtung lenken kann, ist es schwer, da komplett rauszukommen. Ele, deren Managerleben aus Zwölf-Stunden-Tagen bestand, und abends kiffte sie, um irgendwie einschlafen zu können: Sie konnte sich daraus erst einmal befreien, indem sie das alles hingeschmissen hat. Die Arbeitslosigkeit war aber auch nicht einfach für sie, und in der Religion fand sie für sich eine Alternative. Dadurch, dass sie früh aufsteht und bei Sonnenaufgang das erste Gebet verrichtet, hat sie wieder eine Struktur im Alltag.

Sakina Abushi:

Das klingt allerdings auch etwas nach Leistungslogik. Das Klischee über Konvertit*innen unterstellt ja auch, dass sie ihre Religion besonders eifrig ausleben.

Susanne Kaiser:

Ich bin nicht sicher, ob das ein Klischee ist. Ich glaube, ein gewisser Eifer liegt in der Natur der Sache, weil Konvertit*innen ja meistens weder in die Orthopraxie noch sonst irgendwie in die Tradition hineingeboren sind. Das heißt, sie müssen sich alles selbst aneignen: Welche Regeln befolge ich? Wie gestalte ich meinen Alltag? Welcher Richtung folge ich überhaupt? Das muss man sich erst einmal aufbauen. Ich glaube, dafür braucht man viel Willen, Eifer und Disziplin.

Sakina Abushi:

Eine Ihrer Interviewpartnerinnen sagte, dass die Gründe, warum sich Konvertit*innen für die Religion entscheiden, in der allgemeinen Diskussion oft nicht gehört werden. Wahrheits- und Erleuchtungserlebnisse spielen in Berichten über sie tatsächlich kaum eine Rolle. Auch Sie fragen vor allem nach soziologischen und psychologischen Gründen für die Konversion. Ist das nicht ein Widerspruch? Besteht nicht die Gefahr, Menschen zu pathologisieren?

Susanne Kaiser:

Ja, auf jeden Fall. Erst einmal: Was das Buch nicht leisten kann, ist, den einen Grund zu finden, weshalb Menschen konvertieren. Da spielen eben viele verschiedene Dinge eine Rolle. Ich hätte natürlich auch die Perspektive meiner Gesprächspartner*innen einnehmen können, dass jemand die Wahrheit findet und dann gar nicht mehr anders kann, als muslimisch zu werden. Diese Perspektive wollte ich aber nicht einnehmen, weil es mir auch darum ging, eine Brücke zu schlagen zwischen der religiösen Entscheidung und einem breiten Mainstream, der mit Religion vielleicht erst mal gar nicht so viel am Hut hat, oder zumindest nicht mit dem Islam. Deshalb habe ich versucht, eine nicht-religiöse, eine säkulare Perspektive einzunehmen. Da bleiben dann eigentlich nur die Lebensgeschichten und die Lebensentwürfe um nach Motiven zu suchen Radikalität

Sakina Abushi:

Wie sehen denn Ihre Interviewpartner*innen das selbst? Sie lesen das Buch und sind mit Ihren Analysen konfrontiert – sie selbst haben aber vielleicht ganz andere Erklärungen. Wie haben sie darauf reagiert?

Susanne Kaiser:

Für fast alle war es okay, aber Sie sprechen einen richtigen Punkt an. Vor allem Mareike, die Salafi-Anhängerin, fühlte sich tatsächlich von mir pathologisiert. Sie geht natürlich davon aus, dass das, was sie macht, das einzig Richtige ist und vieles andere eben nicht der richtige Islam sei. In meinem Buch habe ich dies kritisch eingeordnet, wodurch sie sich missverstanden fühlt. Aber natürlich kann ich als außenstehende Forscherin ihre Perspektive nicht einfach übernehmen. Deshalb mache ich im Buch deutlich, wann wer spricht. Aber natürlich habe ich eine kritische Haltung zu ihren Einstellungen. Und ja, das führt dann auch zu Konflikten.

Sakina Abushi:

Gab es so etwas wie eine Grundthese?

Susanne Kaiser:

Meine These war, dass die Konversion dabei hilft, das Leben in den Griff zu bekommen. Natürlich neigt diese Perspektive schon von Anfang an dazu, zu pathologisieren, weil sie ja quasi nach dem sucht, was im Leben schiefgegangen ist. Dies wurde von meinen Interviewpartner*innen allerdings auch tatsächlich so beschrieben. Ich denke aber, man könnte das auch anders sehen. Es könnte ja auch eine teleologische Entwicklung hin zur Konversion sein. In diesem Sinne ging es mir darum, herauszubekommen, ob es etwas gibt, das durch die Konversion kompensiert wird. Es gibt aber natürlich auch viele andere Geschichten.

Sakina Abushi:

Warum haben Sie solche Geschichten nicht in Ihrem Buch aufgenommen?

Susanne Kaiser:

Weil es mir darum ging zu zeigen, dass die Radikalisierung von Konvertit*innen kein Automatismus ist. Deshalb habe ich mich auf Personen konzentriert, die Schwierigkeiten hatten, für die Religion aber nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist.

Sakina Abushi:

In Ihrem Buch verwenden Sie den Begriff „radikal“, um Ihre Gesprächspartner*innen zu beschreiben, aber in einem anderen Sinne, als er gemeinhin verstanden wird. Inwiefern sind diese Menschen für Sie „radikal“?

Susanne Kaiser:

Sie sind radikal, weil sie an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben entschieden haben, es radikal zu ändern. Eine Entscheidung, die aus meiner Sicht sehr mutig ist und die vielleicht nicht so viele von uns treffen würden. Das Leben läuft danach radikal anders als vorher. Und genau dadurch kriegen sie ihr Leben in den Griff. Eine ziemlich unspektakuläre Radikalität also.

Sakina Abushi:

Eine Ihrer Interviewpartnerinnen hat sich aber dem Salafismus angeschlossen. Was macht diese Strömung des Islams attraktiv für junge Menschen, die in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind?

Susanne Kaiser:

Ich weiß nicht, ob ich dafür eine allgemeine Antwort habe. Aber ich kann es für Mareike sagen, jedenfalls aus meiner Perspektive, der Mareike wahrscheinlich an einigen Punkten widersprechen würde. Ich glaube, zum einen muss man sehen, wie sie aufgewachsen ist, nämlich in relativ unbeständigen Familienverhältnissen, nie an einem festen Wohnort, nie mit den gleichen Personen in der Familie, um schließlich mit 17 Jahren ihre Mutter zu verlieren. Ich glaube, wenn man so viel Hin und Her erlebt hat und nur wenige stabile Beziehungen im Leben hatte, dann bietet gerade diese besonders strenge und korsettartige Form der Religion Geborgenheit und eine Heimat. Zum anderen leben wir einfach in einer pluralen Welt, wo man ständig Entscheidungen treffen muss, wo man ständig konfrontiert ist mit der Unendlichkeit der Möglichkeiten. Wenn man da keinen klaren Kompass hat – und die wenigsten haben ihn – und dann auch noch andere Faktoren hinzukommen, die einen besonders instabil machen, dann braucht man Regeln, Ordnung und Struktur. Das gibt Halt und Orientierung.

Sakina Abushi:

In Ihrem Buch vertreten Sie die These, dass strenge religiöse Bewegungen für Frauen unter anderem deswegen attraktiv sind, weil sie es erlauben, Männer zu disziplinieren.

Susanne Kaiser:

Ja, ich kann das auch konkret an den Lebenssituationen der Frauen festmachen. Ele beispielsweise ist tatsächlich ursprünglich für ihren Mann konvertiert. Sie hat dann irgendwann gemerkt, dass ihr Mann, der immer noch gekifft und auch manchmal getrunken hat, seinen Kindern kein gutes Vorbild war. Sie hat ihn dann rausgeschmissen und sich von ihm getrennt, weil er ihr einfach nicht fromm genug war. Ich glaube, dass es für viele Frauen attraktiv ist, sich über religiöse Normen zu empowern. Man kennt das auch aus der Pfingstbewegung. Frauen schaffen es unter Verweis auf die Religion, ihre Männer dazu zu bewegen, nicht mehr zu trinken, arbeiten zu gehen, sich auch um die Kinder zu kümmern, ein geordnetes Leben zu führen, nicht in den Tag hinein zu leben.

Sakina Abushi:

Gab es noch andere Beispiele dafür?

Susanne Kaiser:

Bei Mareike war es ganz ähnlich. Für sie war ihr Mann lange eine religiöse Autorität, einfach, weil er mehr wusste und schon länger dabei war. Aber das änderte sich irgendwann, als sie nämlich immer strenger wurde, auch mal eine Zeitlang vollverschleiert auf die Straße gegangen ist und Männern den Handschlag verweigerte. Sie hat das relativ konsequent durchgezogen. Ihr Mann hatte da öfter noch Skrupel, wollte nicht anecken und hat Frauen dann doch die Hand gegeben. Sie empfand sich ihm also moralisch überlegen. In vielen Punkten hat er ihr deshalb einfach nichts zu sagen. Eine andere Sache ist, dass sie sich selber keinen Druck macht, irgendwie im Studium oder beruflich voranzukommen oder überhaupt irgendetwas wirklich machen zu müssen. Sie findet nicht, dass es ihre Aufgabe ist, Geld zu verdienen. Sie ist für die Kinder da, das ist ihr Platz und da macht sie einen guten Job. Aber den Rest, den muss ihr Mann erledigen. Das ist sein Druck und er muss sehen, wie er das schafft. Das ist schon ein sehr klassisches Bild.

Sakina Abushi:

Aber es ist vielleicht auch eine Art, sich aus widersprüchlichen und oft erdrückenden Erwartungen, die heute an Frauen gestellt werden, zu befreien.

Susanne Kaiser:

Ganz genau. Das ist meine gottgewollte Rolle, so ist das vorgesehen, alles andere ist freiwillig, zusätzlich.

Sakina Abushi:

Mich würden auch die Reaktionen aus dem Umfeld der Menschen interessieren, die sich entschließen, zu konvertieren. Wie reagieren eigentlich die Familien auf diese Entscheidung?

Susanne Kaiser:

Da gibt es keine generelle Antwort, jeder reagiert anders. Der extremste Fall unter meinen Gesprächspartner*innen bestand darin, dass die Familie den Kontakt vollständig abgebrochen hat. Ben war vorher jüdisch, er ist jüdisch geboren, aber atheistisch aufgewachsen. Seine Mutter hatte einmal zu ihm gesagt: „Das Schlimmste, was du mir antun kannst, ist, Rabbiner werden“. Da wusste sie noch nicht, dass er ja auch Muslim hätte werden können, was er dann eben wurde. Sie hat dann den Kontakt abgebrochen. Er ist jetzt seit über zehn Jahren Muslim, es scheint also dabei zu bleiben.

Sakina Abushi:

Gab es auch positive Reaktionen?

Susanne Kaiser:

Das Umfeld von Ferid Heider, der in Berlin in verschiedenen Moscheen predigt, wäre dafür ein Beispiel. Seine Eltern haben ihn nach Ägypten ins Drogen-Exil geschickt, damit er abstinent wird. Das hat auch funktioniert. Er ist dann durch Zufall in die Religion hineingerutscht, weil die Ägypter ihn für einen Muslim gehalten haben, was er eigentlich nicht war. Die Familie, in der er lebte, hat ihn immer zu den Gebeten gerufen, und er wollte keinen Aufstand machen und hat mitgebetet. Er war insgesamt fünf Jahre in Ägypten, als er wiederkam, war er fromm, aber er war eben auch die Drogenprobleme los und führt seitdem in den Augen der Eltern ein ordentliches Leben. Als Imam hat er die Religion zum Beruf gemacht, das ist auch aus Sicht der Eltern eine Erfolgsgeschichte.

Sakina Abushi:

Gab es Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Konversion noch in die Schule gingen?

Susanne Kaiser:

Ja, das war sowohl bei Ferid als auch bei Mareike so. Mareike hat sich allerdings nicht geoutet und entschied sich bewusst gegen den Hijab, damit die Leute nicht anfangen, über sie zu reden. Zu der Zeit lebte sie in einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt. Daher wartete sie, bis sie mit dem Abi fertig war, bevor sie ihre Konversion öffentlich machte. Es ist vor diesem Hintergrund sicherlich auch kein Zufall, dass sie irgendwann vollverschleiert in derselben Kleinstadt auf die Straße gegangen ist.

Sakina Abushi:

Angenommen, ich wäre Lehrerin und in meiner Klasse gäbe es eine*n Schüler*in, der*die konvertiert ist. Sollte ich die Konversion ansprechen und thematisieren?

Susanne Kaiser:

In so aufgeladenen Zeiten wie heute schadet es auf gar keinen Fall, wenn man es mit Interesse anspricht. Dann sieht man, wie die Schüler*innen darauf reagieren und ob sie über ihre Konversion sprechen wollen oder nicht.

Sakina Abushi:

Gibt es Punkte, auf die ich achten könnte? Wie kann ich die Veränderung thematisieren? Was würden sich die Schüler*innen selbst wünschen?

Susanne Kaiser:

Ich kann mir vorstellen, dass Konvertit*innen sich eine anerkennende und keine ablehnende Haltung wünschen würden, und zwar egal, wie derjenige oder diejenige konvertiert ist, auch wenn es gleich mit Vollverschleierung einhergeht. Und dann muss man sich die Frage stellen: Wie sehr setzt sich jemand mit der Religion auseinander? Geht es da wirklich um Religion und um Wissen? Ich glaube, dass es einen Unterschied macht, ob sich Konvertit*innen selbst Wissen, Ritus und Habitus aneignen, weil sie sich wirklich für die neue Religion interessieren und darin ihren Weg finden wollen. Oder ob es darum geht, den Habitus – Kleidung, fromme Gesten, Regeln etc. – einfach unhinterfragt von einer bestimmten religiösen Bewegung zu übernehmen, um andere damit zu beeindrucken oder sogar zu schockieren. Wenn sich meine Schülerin oder mein Schüler gar nicht auf inhaltliche Fragen einlassen will, sondern kategorisch abblockt mit dem Hinweis, dass es nur so eben richtig ist, egal warum – dann sollte ich als Autoritätsperson intensiv das Gespräch suchen und möglicherweise auch bei professionellen Anlaufstellen nach Rat fragen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Lehrer*innen mit Taktgefühl das Thema Islam und Konversion ansprechen. Dass jemand blockiert, weil sie oder er sich angegriffen fühlt, hat erstmal noch nichts mit Radikalisierung zu tun, sondern ist eine normale Reaktion auf eine offensive Thematisierung. Verständnis und Offenheit sind deshalb wichtig.

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