Debatte über Naschids: Gegen die Vereinnahmung der Religion durch die Radikalen
21. Dezember 2016 | Jugendkulturen und Soziale Medien, Radikalisierung und Prävention

Naschids gelten als Wunderwaffe der Dschihadisten. Die mitreißenden Gesänge, die zumeist Propagandavideos untermalen, spielen eine wichtige Rolle, um Jugendliche für radikale Gruppen wie den IS zu mobilisieren. Dabei sind Naschids eigentlich etwas ganz anderes: Viele Muslim_innen lieben die religiösen Gesänge. Sie ärgern sich darüber, dass ihre Musik von den Radikalen vereinnahmt wurde und in der Öffentlichkeit in den Ruf geraten sind, zu Kampf und Gewalt aufzurufen. In den traditionellen Liedern geht es um die Liebe des Menschen zu Gott, dem Propheten und um das Streben nach Vollkommenheit.

Kürzlich stand an dieser Stelle ein Interview mit Behnam Said zum Thema Naschids als Propagandainstrument der Dschihadisten. Behnam Said, Islamwissenschaftler beim Verfassungsschutz Hamburg hat ausführlich über die Entstehung und Wirkungsmacht von religiös gefärbter Musik geforscht und beschreibt in seinem jüngst erschienenen Buch, wie diese Art der Gesänge in den letzten Jahrzehnten immer stärker von den Dschihadisten und anderen radikalen Gruppen eingesetzt wird, um Jugendliche für ihren Kampf zu mobilisieren. Zumeist sind es mitreißende Lieder, die Propagandavideos mit Kampfszenen, Dschihadisten in Heldenpose oder auch grausige Bildern, untermalen. Solche Videos werden zuhauf in den sozialen Medien verbreitet und die Analyse dieser Videos hilft zu verstehen, wie Propaganda wirkt. Nicht zuletzt sind sie Ausdruck einer Jugendkultur, die ihre eigenen Codes benutzt, über die sich die Mitglieder identifizieren und die sich von anderen Sub-Kulturen und den Werten der älteren Generationen abgrenzt. Ein interessantes Thema, also und das Interview mit Behnam Said ist lesenswert. Dennoch haben wir mehrere kritische Leser_innen-Kommentare zu dem Interview bekommen und auch mehrere ufuq.de-Kolleg_innen fanden die Betrachtung der Naschids zu einseitig.

Nachtrag zur Debatte um Naschids

Eine Kollegin äußerte sich wie folgt: „Es hat mich geärgert oder sagen wir lieber: Es hat mich traurig gemacht, dass es wieder einmal vor allem um die Naschids ging, die von den Radikalen ins Netz gestellt werden, um Jugendliche zu mobilisieren. Dass es auch noch ganz andere Naschids gibt, die mit Radikalität ganz und gar nichts zu tun haben und für viele Muslime wichtig sind, wurde nur am Rande erwähnt“, sagt sie.

Gerade im Geburtsmonat des Propheten, aber auch zu anderen Gelegenheiten treffen sich viele Muslim_innen, um gemeinsam zu singen. „Die Lieder spielen eine wichtige Rolle. Sie sind wie eine Art Gottesdienst“, sagt sie.

Zum Teil seien es traditionelle Stücke, die gesungen werden wie etwa das Stück „Tala al Badru aleina“. Das stammt aus der Zeit des Propheten. Es war das Lied, mit dem der Prophet und seine Gefährt_innen von den Bewohner_innen Medinas empfangen wurden“, sagt sie. Es gibt Nashids auch in unterschiedlichen Sprachen. Viele türkische Nashids (Ilahi) sind beispielsweise Gedichte von Yunus Emre, einem bekannten Dichter aus dem 14. Jahrhundert, die gesungen werden. Es sind sehr spirituelle Gedichte, die Gott loben und die Seele ansprechen. Naschids hat es schon immer gegeben, doch seit rund 15 Jahren haben sie eine Renaissance erlebt.

Es sind sehr spirituelle Gedichte, die Gott loben und die Seele ansprechen. Naschids hat es schon immer gegeben, doch seit rund 15 Jahren haben sie eine Renaissance erlebt. Sänger wie Sami Yusuf haben die alte Tradition aufgegriffen, mit neuen Klängen kombiniert und daraus eine neue Richtung der religiösen Musik begründet. Er lässt sich von den überlieferten Texten und Melodien inspirieren, setzt diese dann jedoch auf neue Art um. So handeln auch seine Texte von seiner Liebe zu Gott oder von bestimmten Tugenden, nach denen Muslim_innen streben. Er findet jedoch eine zeitgemäße Verpackung für diese Botschaft.

So handeln auch seine Texte von seiner Liebe zu Gott oder von bestimmten Tugenden, nach denen Muslim_innen streben. Er findet jedoch eine zeitgemäße Verpackung für diese Botschaft. Sami Yusuf singt in vielen verschiedenen Sprachen und er wird weltweit als Star gefeiert. Es gibt inzwischen in vielen Ländern Sänger_innen, die ebenfalls religiöse islamische Musik neu interpretieren. Die Entstehung dieser neuen-alten Musikrichtung wurde in den sozialen Medien von einer Debatte begleitet: Wie viel Instrumentalbegleitung ist mit dem Islam vereinbar? Sollten Frauen als Sängerinnen auftreten? Was darf auf den Videos zu sehen sein? Allerdings melden sich zunehmend kritische Stimmen in diesen Diskussionen. Nach dem Motto: Wir haben doch Wichtigeres zu tun, als und über solche Nebensächlichkeiten zu streiten.

Für viele Sänger_innen von Naschids ist das Singen ein Teil ihres religiösen Lebens. Sowohl die alten Texte und Melodien als auch neuere Lieder werden gesungen und werden oft auf persönliche Art von den Sänger_innen interpretiert.

Sami Yusuf hat seine CDs millionenfach verkauft und erreicht viele, vor allem junge Zuhörer_innen. Viele von ihnen sind fromme Muslim_innen, die nichts mit den radikalen Dschihadisten zu tun haben. Sie verstehen den Koran als Anleitung zu einem besseren, friedlicheren Leben und nicht als Aufruf zum Töten. Sie ärgern sich darüber, dass ihre Religion von den Radikalen vereinnahmt wird und so auch viele Glaubensinhalte und Arten, den Islam zu leben, in ein schlechtes Licht gerückt werden.

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