„Medien spielen für die Meinungsbildung von Jugendlichen eine entscheidende Rolle“ – das Projekt RISE – Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus
7. April 2020 | Demokratie und Partizipation, Diversität und Diskriminierung, Jugendkulturen und Soziale Medien, Radikalisierung und Prävention

Projektlogo RISE; Bild: RISE

Wie können Jugendliche gegen extremistische Ansprachen gestärkt werden? Im Projekt RISE – Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus entwickeln Jugendliche eigene Positionen und bringen ihre Perspektiven in professionell produzierten Filmen zum Ausdruck. Ihre Medienproduktionen werden durch pädagogische Materialien gerahmt und Fachkräften für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt. Das Projekt wird vom JFF – Institut für Medienpädagogik, ufuq.de, dem Medienzentrum Parabol und dem Netzwerk Vision Kino umgesetzt. Wir sprachen mit JFF-Referent Fabian Wörz über Ziele und Möglichkeiten des Projekts.

Sakina Abushi: Lieber Fabian, im vergangenen Jahr ist euer Projekt RISE – Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus gestartet. Worum geht es, und wen soll das Projekt ansprechen?

Fabian Wörz: Mit dem bundesweiten Modellprojekt RISE möchten wir einen Beitrag für die Präventionsarbeit und Demokratieförderung in Deutschland leisten. Junge Menschen im Alter von 14 bis 26 Jahren sollen im Umgang mit extremistischen Ansprachen im Netz gestärkt werden, indem sie eigene Positionen zu den Themen Gender, Gesellschaftskritik, Pluralismus, Werte und Religion sowie Rassismus entwickeln.

Das Besondere an RISE ist der medienvermittelte Peer-to-Peer-Ansatz. Wir unterstützen Jugendliche dabei, ihre Positionen und Perspektiven in eigenen Medienproduktionen zu artikulieren und sichtbar zu machen. Dabei fokussieren wir uns auf das Medium Film, bleiben aber offen für die Ideen der Jugendlichen. Die fertigen Filme werden auf der Projektplattform www.rise-jugendkultur.de pädagogisch gerahmt, so dass sie von Fachkräften in ihrer täglichen Arbeit eingesetzt werden können.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Jugendlichen selbst nicht unbedingt pädagogische Filme machen. Sie werden in der Produktion pädagogisch begleitet, können ihren Ideen aber freien Lauf lassen. Damit schaffen sie eine authentische und spannende Grundlage für die Diskussion von kontroversen Themen in pädagogischen Settings.

Sakina Abushi: Was war eure Motivation, das Projekt zu starten?

Fabian Wörz: Medien können für die Meinungsbildung nicht nur von Jugendlichen eine entscheidende Rolle spielen. Das haben auch populistische und extremistische Akteure schon lange für sich erkannt. Sie greifen Themen aus der Lebenswelt Jugendlicher auf und nutzen die Kanäle und Formate, über die sie junge Menschen direkt erreichen können. Die Ansprachen können dabei sehr subtil sein. Ich denke hier beispielsweise an humoristische Memes, die unter dem Anschein von Ironie fremdenfeindliche Botschaften transportieren.

Es ist deshalb umso wichtiger, Räume zu schaffen, in denen junge Menschen in einem pädagogischen Setting über kontroverse Themen diskutieren können und dabei ernst genommen werden. Wenn sie in ihren eigenen Positionen gestärkt werden, ist es schwieriger für extremistische Akteure, Einfluss zu nehmen. Solche Räume wollen wir mit RISE schaffen. Durch die Produktion eigener Medien setzen sich Jugendliche intensiv über einen längeren Zeitraum mit einem Thema auseinander, werden in Gruppenprozessen gestärkt und erfahren Selbstwirksamkeit. Gleichzeitig können die erarbeiteten Medien als authentische Diskussionsgrundlage in der pädagogischen Arbeit eingesetzt werden. Zudem möchten wir Fachkräften die notwendigen Hintergrundinformationen und das didaktische Material für ihre Arbeit zur Verfügung stellen.

Die Bedarfe der Jugendlichen sind sehr unterschiedlich: Viele Jugendliche haben beispielsweise mit dem Islamismus keinerlei Berührungspunkte, haben dafür aber ein sehr großes Bedürfnis, sich über den Rechtspopulismus in Deutschland auszutauschen. Im Projekt RISE möchten wir Fachkräften durch die Peer-to-Peer-Filme einen niederschwelligen Einstieg in das Thema bieten und lassen die jungen Menschen selbst zu Wort kommen. Wir hoffen, dass pädagogische Fachkräfte dadurch vielseitige und bedarfsorientierte Anknüpfungspunkte für ihre Arbeit finden.

Sakina Abushi: Welche Themen habt ihr ausgewählt und warum?

Fabian Wörz: Für uns stehen gerade genannten fünf Themenkomplexe im Fokus. Wir haben den Zugang über diese Themen gewählt, da sie einerseits sehr häufig in extremistischen Ansprachen vorkommen und andererseits relevant in der Lebenswelt vieler Jugendlicher sind. Es sind außerdem Themen, zu denen es innerhalb der Gesellschaft sehr unterschiedliche und kontroverse Sichtweisen gibt. Deshalb ist es wichtig, Räume für die Aushandlung dieser Themen zu schaffen und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, eigene Positionen dazu zu entwickeln.

Sakina Abushi: Was für Materialien entstehen im Laufe des Projektes, und warum sind sie für Pädagog*innen interessant?

Fabian Wörz: Es werden umfangreiche und vielseitige Materialien für Pädagog*innen erarbeitet. Dazu gehören die Medienproduktionen von Jugendlichen, die auf der Plattform pädagogisch eingeordnet werden. Zu einigen der Produktionen wird es in Zukunft umfangreiche pädagogische Materialpakete inklusive konkreter Methoden für den Einsatz in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit geben. Interessant ist das Material vor allem deshalb, weil es die Perspektive von Jugendlichen in den Fokus nimmt. Es wird aber auch didaktisches Material geben, das ohne die Produktionen der Jugendlichen funktioniert, wie zum Beispiel gut aufgearbeitete Hintergrundinformationen in Form von Artikeln und Kurzexpertisen zu den Themen des Projekts.

In Zukunft wird es auch eine Übersicht über wichtige Veranstaltungen, Anlaufstellen und Expert*innen aus dem Feld geben. Außerdem werden wir Fortbildungen für Fachkräfte anbieten und für junge Menschen neben dem Förderprogramm auch verschiedene Workshop- und Austauschformate entwickeln. Besonders wichtig ist uns auch der Austausch mit anderen Projekten, Trägern, Initiativen, Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen, die in der Präventionsarbeit tätig sind.

Sakina Abushi: Das Projekt bewegt sich an der Schnittstelle von Medienpädagogik, politischer Bildung und universeller Islamismusprävention. Welche Herausforderungen, welche Chancen birgt ein solcher multidisziplinärer Ansatz?

Fabian Wörz: Das JFF – Institut für Medienpädagogik führt das Projekt gemeinsam mit ufuq.de und dem Medienzentrum Parabol durch, die sich bereits aus der Zusammenarbeit im Modellprojekt bildmachen kennen. Dabei ergänzen sich die jeweiligen Expertisen in der medienpädagogischen und politisch bildnerischen Arbeit. Ich sehe die unterschiedlichen Perspektiven als große Bereicherung für das Projekt. Mir wird immer wieder deutlich, dass wir uns in den entscheidenden Fragen sehr schnell einig sind, weil wir dieselben Ziele verfolgen.

Gleichzeitig entstehen an wichtigen Stellen auch Reibungspunkte, so dass wir uns auch immer wieder selbst hinterfragen. Das halte ich für essenziell, um ein Thema voranzubringen und nicht Gefahr zu laufen, sich zu schnell zu wohl mit dem eigenen Ansatz zu fühlen. Mit dem Modellprojekt RISE bringen wir die Perspektiven der Medienpädagogik und der politischen Bildung zusammen, um neue Ansätze für die Universalprävention zu entwickeln.

Sakina Abushi: Ihr unterstützt Jugendliche dabei, eigene Perspektiven in Form von Medienprojekten sichtbar zu machen. Welche Projekte sind bislang entstanden? Gefällt dir eines davon besonders gut?

Fabian Wörz: Das ist wirklich eine schwierige Frage, weil ich von allen sechs Filmen, die bisher entstanden sind, sehr beeindruckt bin. Die Jugendlichen haben mit so viel Engagement, Ideen und Leidenschaft über mehrere Monate an ihren Filmen gearbeitet, und das sieht man. Man darf sich von der hohen Produktionsqualität nicht täuschen lassen, das sind alles Filme, die von jungen Menschen in ihrer Freizeit gemacht wurden. Trotzdem möchte ich gerne ein Projekt hervorheben, bei dem sich zwei Jugendliche aus Berlin-Neukölln durch die Produktion das erste Mal intensiv mit Film auseinandergesetzt haben. Sie haben den Film WIR SIND gedreht, in dem sie unterschiedlichen Menschen aus ihrem Kiez Fragen zum Thema Gruppenzugehörigkeit stellen. Herausgekommen ist ein spannender Interviewfilm mit vielseitigen Antworten.

Sakina Abushi: Wie gestaltet sich die Arbeit mit den Jugendlichen? Wie geht ihr damit um, wenn Jugendliche Haltungen vertreten, die ihr selbst problematisch findet?

Fabian Wörz: Aktuell läuft das Förderprogramm für Jugendliche. Das heißt, interessierte Jugendliche können ihre Ideen für ein Medienprojekt bei uns einreichen. Wenn sie die Zusage bekommen, geht damit eine bedarfsorientierte Begleitung der Produktion einher. Sie bekommen einen Auftaktworkshop und eine direkte Ansprechperson, die sie über den gesamten Produktionszeitraum in regelmäßigen Gesprächen begleitet. Allerdings handelt es sich hier nicht um ein mehrtägiges Workshop-Format, sondern um eine Begleitung über einen Zeitraum von meistens mehreren Monaten. Das setzt entweder ein sehr hohes Engagement der Jugendlichen oder eine zusätzliche pädagogische Begleitung voraus, die sehr eng mit den Jugendlichen zusammenarbeitet. Beides ist im Projekt möglich.

Wenn Haltungen vertreten werden, die wir selbst problematisch finden, thematisieren wir das, so wie wir es auch von anderen pädagogischen Fachkräften erwarten würden, die später mit den Filmen arbeiten. Wir legen Wert darauf, Aushandlungsprozesse zuzulassen, unterschiedliche Sichtweisen ernst zu nehmen und nicht vorschnell zu urteilen. Wir müssen es im Projekt auch aushalten, wenn Filme entstehen, die für sich stehend und ohne eine pädagogische Rahmung nicht ganz unproblematisch sind, wenn wir die Perspektive der Jugendlichen ernst nehmen wollen.

Sakina Abushi: Welche überraschenden Erkenntnisse gab es?

Fabian Wörz: Wenn ich ehrlich bin, war ich während der Filmproduktionen zwischendurch skeptisch, ob die Ideen aus den Drehbüchern mit der knappen Zeit und den knappen Ressourcen umsetzbar sind. Als ich dann das erste Mal einen Rohschnitt gesehen habe, war ich wirklich überrascht, wie es gelungen ist, bestimmte Szenen umzusetzen. Wenn ich dabei an meine Haltung denke, vielleicht könnte ich da in Zukunft etwas entspannter sein. Andererseits ist es mir auch wichtig, den Druck bei den Produktionen rauszunehmen. Es muss nicht gleich die Hollywood-Produktion sein, spannende Geschichten lassen sich auch mit ganz einfachen Mitteln erzählen.

Für mich war es wirklich interessant zu sehen, wie gesellschaftskritisch die Ideen der Jugendlichen in den bisher entstandenen Filmen sind. In den sechs Filmen werden unter anderem Themen wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Einsamkeit, Armut und Ungerechtigkeit behandelt. Das zeigt mir, wie wichtig es ist, Räume zu schaffen, in denen Jugendliche diese Themen auch diskutieren können, um dieses Feld nicht den populistischen und extremistischen Akteuren zu überlassen.

Sakina Abushi: Jugendliche können sich mit eigenen Ideen für ein Filmprojekt bei euch bewerben. Wonach sucht ihr genau, und was erwartet die Jugendlichen?

Fabian Wörz: Wir suchen nach Jugendlichen, die Lust haben, zu einem Aspekt der Themen Gender, Gesellschaftskritik, Pluralismus, Werte und Religion sowie Rassismus Medien zu machen. Das kann ein Film sein, aber auch etwas ganz anderes. Wir sind hier sehr offen für Ideen. Auf unserer Webseite können sie ihre Ideen einreichen. Neben den gesammelten Informationen zum Förderprogramm sind dort auch konkrete Fragen formuliert, mit denen wir versuchen, die Themen greifbarer zu machen.

Wenn eine Idee gefördert wird, bedeutet das zum einen eine finanzielle Unterstützung von bis zu 2.000 Euro, damit die Jugendlichen sich zum Beispiel Technik ausleihen, Fahrtkosten bezahlen oder auch Schauspieler*innen engagieren können. Zusätzlich bekommen sie einen Auftaktworkshop und bedarfsorientierte Coachings. Je nachdem, welches Vorwissen und welche Vorerfahrungen sie mitbringen, können diese stärker inhaltlich oder technisch ausgerichtet sein. Jede Gruppe hat bei uns eine direkte Ansprechperson, die sie um Rat und Unterstützung fragen kann und mit der die Bedarfe zu Beginn und während der Umsetzung besprochen werden. Auch eine kontinuierliche pädagogische Begleitung vor Ort ist möglich. Es können sich also auch sehr gerne Pädagog*innen an uns wenden, die mit einer Gruppe arbeiten und die gerne einen Film oder ein anderes Medienprojekt zum Thema machen möchten.

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