Antimuslimischer Rassismus: Erfahrungen aus unseren Workshops
30. Juni 2016 | Demokratie und Partizipation, Diversität und Diskriminierung, Religion und Religiosität

In unseren Workshops mit Jugendlichen geht es um die Themen Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus. „Wie wollen wir leben?“ ist die übergeordnete Frage, unter der Themen wie Religiosität, Identität, Teilhabe, Demokratie und Zugehörigkeit verhandelt werden. Dabei kommen immer wieder auch Erfahrungen mit antimuslimischem Rassismus zur Sprache. Aylin Yavaş hat ihre Erfahrungen aus den Workshops zu diesem Thema zusammengestellt.

Medien, Terror und Kopftuch

Jugendlichen fällt es zwar oft schwer, ihre Erfahrungen mit Rassismus als solchen zu benennen, sie nehmen rassistische Inhalte aber sehr wohl wahr. Statt von Rassismus sprechen sie oftmals von „Hetze“, „Islamfeindlichkeit[1]“ oder negativen Darstellungen des Islams. Besonders oft werden in unseren Workshops antimuslimische Bilder in Medien angesprochen. Jugendliche nehmen diese Darstellungen vielfach als einseitig wahr. Statt die Vielfalt der Muslim_innen aufzuzeigen und positive Rollenvorbilder anzubieten, werden hier – so die Wahrnehmung – oft nur Terror, Kriminalität und Unterdrückung thematisiert. „Manchmal denke ich, wenn ich selbst keine Muslima wäre und den ganzen Tag solche Berichte sehen würde, hätte ich selbst Angst vor dem Islam“, sagt Soufeina Hamed in einem unserer Filme, die in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Hamburg entstanden sind.

Junge Muslim_innen fühlen sich häufig als (potenzielle) Terrorist_innen stigmatisiert, sowohl als Kollektiv als auch auf einer persönliche Ebene. Besonders junge Männer und Jungen berichten von Situationen, in denen Menschen den U-Bahnwagon wechseln, sobald sie einsteigen. Ein anderer Schüler erzählt, wie er mit einem Koran in der Hand unterwegs zur Moschee beobachten musste, wie eine Gruppe aus scheinbarer Angst vor ihm weglief.

20160603_140610_resizedIn einer Übung, die wir in den Workshops durchführen, sollen Schüler_innen den Islam in Gestalt einer Person zeichnen, wie er in den Medien dargestellt wird. Ich habe in meinen Workshops noch nie ein Bild von Jugendlichen gesehen, in denen hier nicht ein_e islamistische_r Terrorist_in gemalt wurde.

Diese Wahrnehmung der Jugendlichen mag überzeichnet wirken, schließlich gibt es auch Medienbeiträge, in denen positiv über den Islam und Muslim_innen berichtet wird. Dennoch ist die Frage: Warum nehmen Schüler_innen diese Art der Berichterstattung weniger wahr? Meiner Erfahrung nach liegt das daran, dass die Konfrontation mit rassistischen Bildern einen wichtigen Teil ihrer Lebensrealität ausmacht. Sie spüren dabei schon sehr früh ein Unbehagen[2] – Rassismus prägt ihren Alltag.

Auch der Comedian Abdelkarim thematisiert die Darstellung von Muslim_innen und dem Islam in Medienberichten. Wir nutzen dieses Video als einen Einstieg, um mit Jugendlichen darüber zu sprechen, wie diese Feindbilder entstehen und warum Muslim_innen häufig sehr stereotyp dargestellt werden.

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„Er hat ihr einfach ins Gesicht gespuckt.“

Vor allem muslimische, kopftuchtragende Schülerinnen berichten von Rassismuserfahrungen im öffentlichen Raum, aber auch im institutionellen Rahmen. Eine junge Frau schilderte uns in einem Workshop folgende Situation: „In meinem Unterricht trägst du diesen Kartoffelsack nicht“, sagt eine Lehrerin zu einer Schülerin, die einen Khimar trägt. Was ihr Problem damit sei, fragt die Schülerin, woraufhin die Lehrerin antwortet, dass sie mit einem Kopftuch kein Problem habe, aber extremistische Symbole wie der Khimar hätten in der Schule nichts verloren. Auch das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an Berliner Schulen begegnet mir als Thema immer wieder. Schülerinnen erzählen, dass sie später gerne Lehrerin werden würden, aber es aufgrund des Kopftuchverbots nicht können. Damit einher geht auch die Kritik, dass andere religiöse Symbole nicht verboten seien. Ein Kreuz an einer Kette zu tragen zum Beispiel. Das Verbot sei auch ungerecht, weil viele andere religiöse Symbole einfach versteckt werden können, zum Beispiel die Kette unter dem T-Shirt. Das Kopftuch aber ist immer sichtbar.

Daher eignet sich dieses Thema besonders, um über den Umgang und die Wahrnehmung von Religion und religiösen Symbolen ins Gespräch zu kommen. Was ist überhaupt ein religiöses Symbol? Was ist mit der Perücke einer jüdischen Frau? Warum dürfen andere weltanschauliche Symbole wie das Logo des Feminismus offen gezeigt werden? Das alles sind heikle Fragen, die sich gut eignen, um die Konflikte und Widersprüche, aber auch Chancen einer pluralistischen Gesellschaft aufzuzeigen. Schließlich stehen sich hier ganz unterschiedliche – und zugleich berechtigte – Interessen und Rechte, wie sie zum Beispiel im Neutralitätsgesetz und durch das Recht auf freie Religionsausübung festgeschrieben sind, gegenüber.

Oft erzählen Schüler_innen in diesem Zusammenhang auch von Gewalterfahrungen. „Er hat ihr einfach ins Gesicht gespuckt.“, schildert ein Schüler, dessen Mutter auf offener Straße von einem Mann angegriffen wurde. Eine Schülerin erzählt, wie ihr ein Schüler das Tuch vom Kopf gerissen hat. Eine Konsequenz für den Jungen gab es nicht, denn die Schülerin schämte sich so sehr, dass sie lieber die Schule wechselte, als ihn öffentlich anzuprangern.

Kopftuchtragende Mädchen und junge Frauen berichten uns besonders oft von ethnisierten Ausgrenzungserfahrungen. Hier stellt das Kopftuch offenbar einen Marker für gesellschaftliche Veränderungen dar[3]. Besonders häufig hören sie Fragen wie „Wo kommst du her?“, die suggerieren, dass sie eigentlich nicht hierhergehören, ihr eigentlicher Platz woanders sei. Diese Frage thematisiert auch Soufeina Hamed in einem ihrer Comics.

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In unseren Workshops arbeiten wir mit diesen und anderen Comics. Hierüber lässt sich gut über Erfahrungen mit Rassismus ins Gespräch kommen: Was ist Rassismus? Wie können Menschen damit umgehen? Und was hat Rassismus eigentlich mit Macht zutun?

Anerkennen!

Unserer Erfahrung nach ist es wichtig, Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen zunächst einmal anzuerkennen. Viele rassistisch markierte Jugendliche erfahren Zurückweisung, wenn sie versuchen, über diese Erfahrungen zu sprechen: „Du übertreibst.“, „Das war doch gar nicht böse gemeint“, „Ich bin doch nur neugierig“… Dabei sind besonders Lehrer_innen Jugendlichen gegenüber in einer Machtposition[4], die es Schüler_innen fast unmöglich macht, ihre Position gegenüber Lehrer_innen sichtbar zu machen. Rassismus an Schulen ist Realität und diese muss anerkannt werden. Der Raum, den wir in unseren Workshops öffnen, um über solche Erfahrungen zu sprechen, wird gerne angenommen.

Oft werden wir von Lehrenden angefragt, weil es vermeintlich islamistische Tendenzen in der Klasse gibt. Aber nicht jede problematische Diskussion ist gleich islamistisch. Wenn wir als Teamer_innen in die Klasse kommen, ist von diesem „Islamismusproblem“ oftmals nicht mehr viel übrig. Auch hier kann ich sagen: Ich habe noch nie einen Workshop gemacht, in dem Jugendliche nicht über Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen gesprochen haben. Im Klassenzimmer ist das Rassismusproblem aus Sicht der Schüler_innen oftmals ein viel Größeres als das Islamismusproblem. Lehrende sehen dagegen in Identitätsprozessen und -konflikten, die auch mit Abgrenzung verbunden sind, schnell islamistische Muster. Tatsächlich aber, entstehen Identitätskonflikte der Jugendlichen auch aus Rassismus- und Ausgrenzungserfahrungen. Wenn also eine muslimische Schülerin einer anderen Schülerin sagt, sie sei keine Muslimin, weil sie kein Kopftuch trage, dann heißt das nicht unbedingt, dass sich dahinter islamistische Einstellungen verbergen. Vielmehr kann das Kopftuch hier auch als gemeinschaftsstiftendes Symbol gesehen werden, dass der Schülerin das Gefühl von Zugehörigkeit und Identität stiftet. Dann kann mit Schüler_innen über allgemeinere Fragen gesprochen werden: Was macht eine Gemeinschaft aus? Was ist ihnen gemein? Was nicht? Warum brauchen wie Gemeinschaften? Wann ist Gemeinschaft ausgrenzend?

Argumentieren, fliehen, lachen, ausweichen, wütend werden…

Im Umgang mit Rassismus herrscht oft ein Gefühl der Handlungsunfähigkeit. In unseren Workshops versuchen wir gemeinsam mit Jugendlichen zu erarbeiten, wie sie mit entsprechenden Erfahrungen umgehen können. Das tun wir auch, indem wir ihre tatsächlich erlebten rassistischen Situationen gemeinsam rekonstruieren: Welche Reaktionsmöglichkeiten habe ich? Aus dem Plenum ergeben sich bereits die unterschiedlichsten Umgangsstrategien: Anprangern, argumentieren, mobilisieren, ausnutzen, fliehen, ausweichen, lächerlich machen, ignorieren, wütend werden, trauern… sind einige der Strategien, die je nach Kontext und Subjekt unterschiedlich wirksam sein können. In einem zweiten Schritt erarbeiten die Jugendlichen anhand fiktiver Texte über rassistische Erlebnisse exemplarisch und analytisch an solchen Strategien.

Neben persönlichen Handlungsmöglichkeiten, zeigen wir auch externe Angebote auf: Beratungsstellen, Empowermentgruppen, Organisationen, Meldestellen. Allein das Wissen um diese Möglichkeiten kann schon helfen. Niedrigschwelliger hingegen ist hier der Hinweis auf Social Media als Plattform für Partizipation. Viele Jugendliche engagieren sich bereits im Netz, indem sie Beiträge teilen und kommentieren – dass auch das eine wirksame Form des Engagements ist, ist vielen nicht bewusst.

Rassismuskritische Narrative und positive role models

Auch die Medien sind ein wichtiges Thema in den Workshops. Hier ist es sinnvoll, auch positive Beispiele sichtbar zu machen. Schließlich gibt es viele Berichte über Muslim_innen und Islam, die sich nicht rassistischer Narrative wie der Fokussierung auf islamistischem Terrorismus oder der unterdrückten und unmündigen Muslimin bedienen. Das zeigt zum Beispiel der Fall von Betül Ulusoy, die bei einer Bewerbung auf eine Stelle im Neuköllner Rathaus wegen ihres Kopftuch auf Vorbehalte stieß. Sie machte diese Erfahrung öffentlich und: Viele Medien berichteten, über eine starke, intelligente Muslimin, die so gar nicht in antimuslimische Schubladen passt. Zu hoffen bleibt, dass wir als Teamer_innen Jugendliche irgendwann nicht mehr auf solche Berichte aufmerksam machen müssen, sondern sie so sichtbar werden, dass sie gar nicht mehr übersehen werden können.

Einige Methoden, die wir in den Workshops nutzen, finden Sie in unserem Handbuch „Wie wollen wir leben?“.


Anmerkungen

[1] Iman Attia diskutiert Begriffe wie Islamfeindlichkeit, Islamophobie und antimuslimischen Rassismus: Iman Attia. 2013. Privilegien sichern, nationale Identität revitalisieren. Gesellschafts- und handlungstheoretische Dimensionen der Theorie des antimuslimischen Rassismus im Unterschied zu Modellen von Islamophobie und Islamfeindlichkeit. In: Journal für Psycholgie 21 (2013) 1. Online abrufbar: journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/258/297. Zuletzt aufgerufen: 23.06.2016.

[2] Zu Rassismuserfahrungen von Kindern: Toan Quoc Nguyen. 2013. „Es gibt halt sowas wie einen Marionettentäter.“ Schulisch-institutionelle Rassismuserfahrungen, kindliche Vulnerabilität und Mikroaggression“. In: ZEP: Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 36 (2013) 2, S. 20-24. Online abrufbar: waxmann.com/index.php?eID=download&id_artikel=ART101307&uid=frei. Zuletzt aufgerufen: 22.06.2016.

[3] Für eine Abhandlung über Ausgrenzung und Kopftuch: Florian Kreutzer, Sümeyye Demir. 2015. Stigma »Kopftuch«. Zur rassistischen Produktion von Andersheit. Transcript Verlag: Bielefeld.

[4] Maischa Maureen Eggers. 2013. Diskriminierung an Berliner Schulen benennen.  Von Rassismus zu Inklusion. In: Newsletter des Migrationsrates Berlin-Brandenburg 8 (2013), S. 9-13. Online abrufbar: gew-berlin.de/public/media/Dokumentation_Symposium__Diskriminierung_an_Berliner_Schulen_benennen_.pdf. Zuletzt aufgerufen: 23.06.2016.

Quelle des Comics: Tuffix, http://tuffix.deviantart.com/art/Prejudice-and-Pride-319123154.

 

 

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