„Was sagt der Islam zu Homosexualität?“ und „Sind Muslime schwulenfeindlich?“ Diskutiert wird über diese Fragen im Fernsehen, in Zeitungen und natürlich auch in Klassenzimmern und auf Schulfluren. Was machen Lehrer_innen, wenn muslimische Schüler_innen schwulenfeindliche Bemerkungen machen? Wie reagieren, wenn sie erklären, dass im Islam Schwulsein als Sünde gelte? Diskriminierung gegen Homosexuelle ist natürlich auch Thema in den Workshops, die ufuq.de in Schulen durchführt.
Ausgelöst wurde die aktuelle Debatte durch die Morde im Schwulenclub „Pulse“ in Orlando, verübt von Omar Mateen. Dieser hatte sich kurz zuvor als Anhänger des sogenannten Islamischen Staates geoutet. Eine neue Wendung nahm die Debatte, als kurz nach der Tat bekannt wurde, dass Mateen im Verborgenen selbst homosexuell war, Kontakte in sozialen Netzwerken suchte und bei seiner Kontaktanbahnung abgelehnt wurde. Sofort spekulierten Zeitungskommentator_innen und Talkmaster_innen, dass er wohl mit dem Widerspruch nicht mehr leben konnte: Muslim und schwul zu sein.
Weiteren Stoff für Diskussionen lieferte die Verhaftung zahlreicher LGBTQ*-Aktivist-innen bei einer Christopher-Street-Day-Parade in Istanbul am Samstag, den 25. Juni. Dabei wurde auch der deutsche Grünenpolitiker Volker Beck kurzfristig von den türkischen Sicherheitskräften festgehalten. In der öffentlichen Diskussion wurde schnell eine Parallele zu Orlando gezogen.
Wie reagieren, wenn muslimische Schüler_innen homophobe Äußerungen machen?
Das Thema sorgt auch in Klassenzimmern für Diskussion. Was machen Lehrer_innen und Pädagog_innen, wenn ihre muslimischen Schüler_innen sich abfällig über Schwule und Lesben äußern? Wie reagieren, wenn sie behaupten, dass Homosexualität im Islam verboten ist? Was ist, wenn Diskriminierung zur Selbstverständlichkeit wird, und in Gewalt umzuschlagen droht? Auch bei den Workshops, die ufuq.de an Schulen durchführt, spielt das Thema eine Rolle. Hierbei beschäftigen wir uns jedoch nicht mit der Frage, ob Homosexualität im Islam als Sünde gesehen wird. Welcher Islam überhaupt? Zwar ist Homophobie unter Muslim_innen verbreitet und wird von vielen Gelehrten vertreten. Es gibt jedoch viele unterschiedliche Arten, die Religion zu verstehen und zu leben. Unter den weltweit 1,5 Milliarden Muslim_innen gibt es doch liberale und konservative Menschen, die Schwulsein als Sünde betrachten und andere, wie der französische Imam Ludovic-Mohamed Zahed, der selber offen schwul lebt, die davon ausgehen, dass der Prophet Mohammed sich für den Schutz von Minderheiten, also auch von Schwulen und Lesben eingesetzt habe.
„Ich würde mich mit den Jugendlichen in den Workshops nicht auf eine theologische Diskussion einlassen. Es spielt für uns auch gar keine Rolle, ob Schwulsein nun haram oder halal ist“, sagt ufuq.de-Mitarbeiterin Nina Sedlak-Cinar und bringt damit den ufuq.de-Ansatz auf den Punkt. Klar ist: Bilder von Geschlechterrollen, Normen hinsichtlich Sexualität und Identität sind wesentlich geprägt von gesellschaftlich dominanten, patriarchalen, sexistischen Verhältnissen und Denkmustern und weniger von Religion – auch wenn diese Einstellungen oft religiös legitimiert werden. Eigentlich geht es um Machtverhältnisse und um meist tief verwurzelte Denkmuster. Sie prägen das Verhalten der Menschen und verändern sich nur langsam, oft über Generationen hinweg.
Eingefahrene Diskriminierungsmuster hinterfragen
Wie wollen wir leben? So lautet die Leitfrage unserer pädagogischen Arbeit. Wichtig ist, dass wir allen Formen von Diskriminierung entgegentreten. In unseren Workshops thematisieren wir Diskriminierung und versuchen in der Diskussion die Jugendlichen dazu anzuregen, diskriminierende Einstellungen und Überzeugungen zu hinterfragen. Sie sofort komplett zu verändern, gelingt nur selten. Aber wir können Denkanstöße geben. Die ganz große Mehrheit der Jugendlichen in unseren Workshops ist ohnehin gegen Diskriminierung und oft sind es die Argumente der Gleichaltrigen, die besonders überzeugend wirken.
Wirkungsvoll sind hier weniger die religiösen Argumente als die lebensweltnahe Erkenntnis, dass es sich nun einmal nicht gut zusammenleben lässt, wenn einige ausgegrenzt werden. Sei es nun wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion. Viele Jugendliche haben selbst Diskriminierungserfahrungen. Daran knüpfen wir an. „Wir arbeiten mit dem Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Vereinfacht gesagt geht es darum: die einen werden als Muslim_innen, die anderen als Arbeitslose oder Schwule und wieder andere werden als arbeitslose, schwule Muslime diskriminiert. Das kann zur Sensibilisierung gegenüber minorisierten Gruppen beitragen.“, ergänzt ufuq.de-Mitarbeiterin Aylin Yavaş.
Genau deswegen ist aber die aktuelle Diskussion um die Hintergründe des Anschlags im Schwulenclub von Orlando so gefährlich: Sie wird instrumentalisiert und genutzt, um Stimmung zu machen. Verkündete doch ausgerechnet der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump kurz darauf, dass er die Freiheit Amerikas verteidigen werde. Damit meinte er offenbar auch das Recht, Sexualitäten auszuleben. Dabei gilt Trump bisher als schwulenfeindlich, hier ging es ihm wohl auch darum, sich LGBTQ*-Stimmen zu sichern, vor allem aber nutzte er die Chance, Stimmung gegen den Islam und Muslim_innen zu machen.
Für Lehrer_innen, die das Thema im Unterricht behandeln wollen, haben wir hier einige Materialien zusammengestellt:
Das Filmpaket „Wie wollen wir leben?“ bietet Materialien, Methoden und Anregungen zu Themen, an die sich Pädagog_innen in Schule und Jugendarbeit oft nicht heranwagen: Religion und Alltag, Scharia und Geschlechterrollen, Islamfeindlichkeit und Rassismus, Propaganda im Internet, Empowerment, Demokratie und Salafismus sowie Dschihadismus. Hier geht es zum Download der Broschüre. Das dazugehörige Filmpaket können Sie unter filmpaket@ufuq.de bestellen.
Ein Video zum Thema Menschenrechte, das auch schon jüngere Schüler_innen verstehen und das geeignet ist, das Konzept von unteilbaren Rechten zu verdeutlichen, findet sich hier.
In der aktuellen Diskussion nach den Morden von Orlando haben sich auch zahlreiche Muslim_innen zu Wort gemeldet, die der Mehrheitsmeinung widersprechen: Sie verstehen den Islam so, dass Schwulsein keine Sünde ist. In einem Interview mit dem WDR äußert sich der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza zu Wort. Mit einem Aufsatz zum gleichen Thema sorgte er kürzlich für Aufregung, zumindest bei sehr konservativen Muslim_innen. Noch weiter geht der bereits erwähnte französische Imam Zahed. „Der Prophet wäre für die Homoehe gewesen“, sagt er in einem Interview mit der Tageszeitung.
Das Thema ist nicht neu. Es kommt immer wieder auf. Bereits 2008 erschien ein offener Brief mehrerer bekannter islamischer Organisationen aus Berlin, die zwar Homosexualität theologisch als Sünde bezeichnen, jede Diskriminierung von Homosexuellen allerdings für unislamisch erklärten. Anlass war damals ein offen schwulenfeindlicher Beitrag in dem arabischsprachigen Berliner Stadtmagazin al-Salam. Wer die Erklärung der islamischen Organisationen auf der Webseite des Vereins Inssan e.V. liest, merkt, dass die Autor_innen um jedes Wort gerungen haben, aber die Aussage ist klar.