Zur Bedeutung von Diskriminierungserfahrungen und gesellschaftlicher Marginalisierung in religiösen Radikalisierungsprozessen
25. November 2016 | Diversität und Diskriminierung, Jugendkulturen und Soziale Medien, Radikalisierung und Prävention

Diskriminierung und Marginalisierung aufgrund von Religionszugehörigkeit und Herkunft allein können eine Abwendung von der Gesellschaft und eine Hinwendung zu religiös-extremistischen Orientierungen nicht erklären. Gleichwohl verweisen die vorliegenden Studien auf mögliche desintegrative und selbstethnisierende Wirkungen entsprechender Erfahrungen. In diesem Beitrag fasst Götz Nordbruch (ufuq.de) die Ergebnisse aktueller Forschungen zusammen.

Es gehe um einen ganz besonderen Fall, um einen „Fall von Terrorismus zwischen Kindheit, geistiger Manipulation und Krise der Gesellschaft. Um die Geschichte einer Gruppe von Mädchen, zerrissen zwischen den Problemen der Pubertät und den Fallstricken einer unruhigen Epoche.“ (Seelow 2016: 14) Der Bericht der französischen Tageszeitung Le Monde über eine Gruppe von fünf Frauen im Alter von 14 bis 19 Jahren, die sich auf Facebook kennenlernten und gemeinsam Pläne für den „Dschihad“ entwickelten, spiegelt das Dilemma aktueller Forschungen zu den Ursachen der Faszination für salafistische und dschihadistische Bewegungen: Die Frauen stammen aus sehr unterschiedlichen Familien (muslimisch, christlich, muslimisch-christlich, nicht-religiös), aus verschiedenen sozialen Milieus, wurden unterschiedlich sozialisiert – und trafen sich dennoch in dem Wunsch, im „Dschihad“ zu sterben. Die Reportage verweist auf die Vielschichtigkeit und Komplexität von Radikalisierungsprozessen, in denen sich Jugendliche und junge Erwachsene salafistischen Weltbildern und Orientierungen zuwenden und – in einigen Fällen – gewaltbereite Handlungsmuster übernehmen. Eindeutige und verallgemeinerbare kausale Zusammenhänge von biographischen Prägungen, Sozialisation und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit Radikalisierungsprozessen sind in der Regel nicht erkennbar.

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Der Beitrag erschien zuerst in der Broschüre „Pädagogischer Umgang mit Antimuslimischem Rassismus. Ein Beitrag zur Prävention der Radikalisierung von Jugendlichen“, die das Demokratiezentrum Baden-Württemberg herausgegeben hat.

Der folgende Beitrag fasst Ergebnisse diverser Studien zum Einfluss von Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen aufgrund von Religionszugehörigkeit und Herkunft auf entsprechende Radikalisierungsprozesse zusammen. Dabei werden neben jüngeren Forschungen im Kontext von Salafismus und Dschihadismus auch Studien zu Integration und Desintegration sowie zu Hintergründen von Gewaltbereitschaft aufgegriffen.

Ursachen und Faktoren von Radikalisierungsprozessen

In der wissenschaftlichen Debatte gehen die Einschätzungen zu den Ursachen und Einflussfaktoren, die eine religiöse Radikalisierung begünstigen, auseinander (u. a. Herding 2013; Brettfeld/Wetzel 2007). Mittlerweile liegen verschiedene Theorien und Modelle vor, die die Entwicklung beschreiben und Zusammenhänge aufzuzeigen versuchen. Exemplarisch für Forschungen zu religiösen Radikalisierungen steht insbesondere Wiktorowicz’ Modell einer dreistufigen Entwicklung, die im Kern (1) eine „kognitive Öffnung“ für neue Weltbilder und -deutungsmuster, (2) eine religiöse Identitäts- und Sinnsuche sowie (3) eine Sozialisation in einer Gruppe entsprechender ideologischer Ausrichtung umfasst (Centre international pour la prévention de la criminalité 2015: 53-55). In ähnlicher Weise unterscheidet auch Sageman vier Faktoren, die in Radikalisierungsprozessen zu beobachten sind. So sieht er (1) in einem Gefühl der Empörung über (internationale) Ungerechtigkeit und gesellschaftliche Konflikte, das (2) durch ein ideologisches Deutungsangebot („Es handelt sich um einen Krieg gegen den Islam!“) rationalisiert wird, ein charakteristisches Muster. Eigene Erfahrungen mit (3) Diskriminierungen und gesellschaftlicher Marginalisierung sowie (4) eine Bestätigung und Mobilisierung dieser Erfahrungen und Deutungen im Austausch mit anderen können diese Entwicklung schließlich bis hin zur Gewaltbereitschaft verstärken (ebd.: 58).

Gemeinsam ist diesen Modellen die Annahme einer Prozesshaftigkeit, die durch individuelle, gruppendynamische und gesellschaftliche Faktoren bedingt ist und nicht zwangsläufig auf einen Endpunkt – die Bereitschaft oder den Wunsch, Gewalt auszuüben – hinausläuft. In der Forschung, die diese Modelle aufgreift, besteht über die Gewichtung einzelner Faktoren allerdings keine Einigkeit. Angesichts der Vielfalt der Lebensläufe wenden sich einige Autorinnen und Autoren ausdrücklich gegen den Anspruch, entsprechende Entwicklungen schematisch abzubilden und kausale Zusammenhänge aufzuzeigen. So betonen Veldhuis und Staun die Bedeutung der individuellen und gesellschaftlichen Kontexte, „die die Art und Weise, wie Menschen ihre Umwelt und deren Facetten – darunter politische und wirtschaftliche Ereignisse, Gruppendynamiken oder Identitätsfragen – wahrnehmen und auf sie reagieren, beeinflussen.“ (Veldhuis/Staun 2009: 20)

Bei allen Unterschieden treffen sich die verschiedenen Ansätze in der Bedeutung, die der Suche nach religiösen Identitäts- und Deutungsangeboten, einer gesellschaftlichen Segregation sowie einer sozialen Desintegration für die Hinwendung zu religiösextremistischen Ideologien zugemessen wird. Dabei geht es sowohl um individuelle Erfahrungen (z. B. mit rassistischen Anfeindungen, Erfahrungen mit individuellen Diskriminierungen, Ausgrenzung und Nichtzugehörigkeit) als auch um gesellschaftliche Bedingungen (z. B. struktureller Rassismus, gesellschaftliche Marginalisierung, internationale Ungleichheit), die mit der subjektiven oder zugeschriebenen Religionszugehörigkeit zum Islam bzw. einer familiären Herkunft aus islamischen Ländern zusammenhängen. Für Eckert ist dabei insbesondere der Faktor der „fraternalen relativen Deprivation“ entscheidend. „(D)ie wahrgenommene Benachteiligung der Gruppe, der man zugehört oder mit der man sich identifiziert, ist der bisher beste Prognosefaktor für Radikalisierung. Diese Deprivation muss nicht sozio-ökonomisch sein, sie kann kulturell sein […]; sie kann politisch sein: Sie alle können als Viktimisierung, also als Opferwerdung empfunden werden und Radikalisierung auslösen.“ (Eckert 2013: 14)

In einer der ersten Forschungen zu religiös-extremistischen Einstellungen haben Heitmeyer u. a. auf einen solchen Zusammenhang hingewiesen. Auf der Grundlage von Umfragen unter türkeistämmigen Jugendlichen wiesen sie schon 1997 auf eine Wechselwirkung von Erfahrungen mit rassistischen Diskriminierungen und der Orientierung an religiös-extremistischen Handlungsmustern hin: „Wesentliche Ursachen für die Hinwendung zu einer religiös fundierten Gewaltbereitschaft sind nach unseren komplexen Analysen demnach die Reaktionen auf fremdenfeindliche Gewalt und die Verweigerung der Anerkennung einer kollektiven Identität durch die Mehrheitsgesellschaft, aber auch konkrete Diskriminierungserfahrungen im privaten Bereich sowie die negativen Folgen der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse.“ (Heitmeyer/Müller/Schröder 1997: 183-4) Trotz bisweilen scharfer Kritik, die sich an einer tendenziell negativen Bewertung von religiösen Orientierungen festmachte (Pinn 1999: 19), leistete die Studie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von religiös-extremistischen und nationalistischen Identitätsbildungsprozessen als Reaktion auf Ressentiments, Marginalisierung und Entfremdungserfahrungen.

Diskriminierungen, Rassismus, soziale Marginalisierung

Benachteiligungen von Musliminnen und Muslimen in den Bereichen Bildung, Berufsleben und Wohnen sind für verschiedene europäische Länder dokumentiert (u. a. Beutke/Kotzur 2015). Neben strukturellen Diskriminierungen spielen dabei diskriminierende und rassistische Positionen und Praktiken in alltäglichen Begegnungen sowie öffentlichen Diskursen eine entscheidende Rolle. In den vergangenen Jahren haben verschiedene Studien die Verbreitung von islamfeindlichen und rassistischen Positionen in Deutschland nachgewiesen. Diese Einstellungen spiegeln sich zugleich in einer großen Zahl rassistischer Straftaten, die zuletzt erneut deutlich angestiegen sind. Entsprechende Erfahrungen haben auf verschiedenen Ebenen desintegrative Wirkungen. So verweisen Uslucan und Yalcin auf Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls, eine sinkende Integrationsbereitschaft sowie eine erhöhte Bereitschaft zur Gewalt als Folge von Diskriminierungen von Menschen mit Migrationshintergrund (Uslucan/Yalcin 2012: 42). Studien wie von Frindte u. a. unterscheiden dabei zwischen persönlichen und gruppenbezogenen Diskriminierungen. Danach fühlen sich nur etwa 20 Prozent der befragten Musliminnen und Muslime persönlich diskriminiert, während 66 Prozent der Befragten über gruppenbezogene Diskriminierungen berichten (Frindte u. a. 2011: 183). Gruppenbezogene Diskriminierungswahrnehmungen werden in dieser Studie neben traditioneller Religiosität, autoritären Einstellungen und den Wertorientierungen „Macht“ und „Erfolg“ als Prädikatoren von potenziellen Radikalisierungsprozessen ausgemacht (ebd.: 432).

Der Zusammenhang von Marginalisierung und Diskriminierungserfahrungen mit Gewaltbereitschaft war auch Gegenstand einer Studie, die unter Musliminnen und Muslimen und Nichtmusliminnen und Nichtmuslimen in Frankreich, Großbritannien und Spanien durchgeführt wurde. Für junge Menschen, die von Marginalisierung und Diskriminierungen betroffen sind, wurde dabei eine hohe Wahrscheinlichkeit ausgemacht, „den Einsatz von Gewalt zu unterstützen und insbesondere selbst psychische und körperliche Gewalt auszuüben.“ (Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2010: 75) Als bedeutsam erwies sich hier nicht der religiöse oder kulturelle Hintergrund, sondern die Erfahrung von Marginalisierung und Diskriminierung selbst. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Mansel und Spaiser auch für den Zusammenhang von Diskriminierungserfahrungen und Abwertungsprozessen. Auch hier wurden keine wesentlichen Unterschiede zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund ausgemacht. Entscheidend sei vielmehr „das jeweils individuell erlebte Ausmaß von Benachteiligung und Diskriminierung“ (Mansel/Spaiser 2013: 276).

„Grievances“, also Wut und Empörung über gesellschaftliche Missstände und soziale Marginalisierung, werden in verschiedenen Studien als wichtige Faktoren ausgemacht, die eine „kognitive Öffnung“ für religiös-extremistische Orientierungen befördern können (Haider 2015: 5-6; kritisch dazu Fahim 2013: 46f.). Dabei geht es nicht allein um reale, persönliche Erfahrungen mit Ungerechtigkeit oder um ein subjektives Unbehagen in der Gesellschaft, sondern auch um Empörung und Ohnmacht angesichts von globaler Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Im Mittelpunkt steht insofern nicht das persönliche Erleben von oder die direkte Konfrontation mit entsprechenden Umständen; entscheidend ist vielmehr die Identifikation mit der Gruppe, die von der wahrgenommenen Ungerechtigkeit betroffen ist.

Diese Einschätzungen decken sich mit der Bedeutung, die der Darstellung von Leid und Ungerechtigkeit in religiös- extremistischen Medien zukommt. So nehmen Darstel- lungen von Rassismus, aber auch von zivilen Opfern militärischer Gewalt sowie von Armut und Benachteiligung insbesondere von Musliminnen und Muslimen in dschihadistischen Medien großen Raum ein und werden für eine Mobilisierung von Emotionen, vor allem aber auch für eine Aufforderung zu konkretem Handeln instrumentalisiert. Als Leitmotive dienen dabei u. a. soziale Ungleichheit, Rassismus und Islamfeindlichkeit, westliche Doppelstandards und Machtpolitik im Nahen Osten sowie ein vermeintlich genereller „Krieg des Westen gegen den Islam“ (Change Institute 2008: 55).

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung eines oft ausgeprägten politischen Bewusstseins, dass sich an konkreten Konflikten und gesellschaftlichen Missständen und Problemen festmacht. So betont die Studie des Change Institute die Bedeutung explizit politischer Fragen in Narrativen gewaltbereiter islamistischer Strömungen: „Das politische Bewußtsein der Befragten in dieser Studie war einer der herausstechenden Aspekte dieser Untersuchung. Es ging um eine ganze Reihe von wichtigen politischen Fragen mit Bezug zu ausländischen Kriegen, die muslimische Bevölkerungen betreffen, die US-Außenpolitik im Nahen Osten sowie die Kriege in Israel, Palästina und im Libanon. Bemerkenswert waren auch die Erzählungen und Überzeugungen hinsichtlich von Antiimperialismus, Antikapitalismus und einer Politik von sozialer Gerechtigkeit und Befreiung.“ (ebd.: 101)

Die Themen gesellschaftliche Marginalisierung und Benachteiligung verbinden sich hier mit realen, globalen Ungerechtigkeiten und Konflikten und fügen sich zu einer rigiden und unreflektierten Opferideologie, die reale Erfahrungen und Wissen aufgreift und rationalisiert.

Identität, Zugehörigkeit und Selbstethnisierung

Erfahrungen mit Diskriminierung und Marginalisierung haben unmittelbare Auswirkungen auf das Selbstverständnis und das Gefühl von Zugehörigkeit. Frindte u. a. verweisen unter anderem auf Einstellungsveränderungen von Musliminnen und Muslimen im Verlaufe der „Sarrazindebatte“:

„So fällt auf, dass vor allem zwischen den nichtdeutschen Muslimen ‚vor’ und ‚nach Sarrazin’ bedeutsame statistische Unterschiede hinsichtlich der abgefragten Einstellungen und Meinungen bestehen. Die ‚nach Sarrazin’ Befragten geben deutlich stärker zum Ausdruck, dass die Muslime die Kultur ihres Herkunftslandes bewahren sollten. Ebenso gravierender – im Vergleich zu den ‚vor Sarrazin’ Befragten – sind die Vorurteile gegenüber Juden und dem Westen oder die religiös-fundamentalistische Überzeugung bei den ‚nach Sarrazin’ Befragten ausgeprägt.“ (Frindte u. a. 2011: 592) Dabei betonen die Autoren, dass ein kausaler Zusammenhang im Rahmen dieser Studie nicht nachzuweisen sei, eine solche Annahme aber zumindest naheliege.

Auch Öktem (2013) verweist auf einen solchen Zusammenhang zwischen öffentlichem Diskurs und politischen Rahmenbedingungen und Identitätsbildungsprozessen von religiösen Minderheiten in Deutschland. An den Beispielen der Debatte um religiöse Beschneidungen sowie staatlicher Überwachungsmaßnahmen gegenüber islamischen Organisationen (hier insbesondere von Moscheen der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş sowie der Muslimischen Jugend Deutschland) verweist er auf die einschneidende Wirkung dieser Kontroversen und Praktiken auf deutsche Jüdinnen und Juden und Musliminnen und Muslime.

Im Zusammenhang mit religiösen Radikalisierungsprozessen wird insbesondere auf die Bedeutung von Identitätskonflikten – zum Beispiel als Folge von Diskriminierungen, Rassismus und Entfremdungsgefühlen – und dem Rückzug auf rigide und abgrenzende Gemeinschaftsangebote hingewiesen. (Haider 2015: 3-5; Veldhius/Staun 2009: 41) So beschreibt Daalgard-Nielsen Radikalisierungsprozesse als „Identitätsstabilisierung“ und „als radikale Bestätigung von ethnischen und religiösen Wurzeln und Traditionen.“ (Daalgard-Nielsen 2008: 7) Ideologisierte Gruppen böten klare Rollen und bedienten den Wunsch nach Identität und Zugehörigkeit (ebd.: 10).

In der Forschung zu Identitätsbildungsprozessen ist dieses Phänomen des Rückzugs und der Selbstethnifizierung als Reaktion auf Fremdzuschreibungen und rassistische Diskriminierungen umfangreich belegt. So sehen Uslucan und Yalcin in der verstärkten Identifikation mit der diskriminierten, aber vom Individuum aufgewerteten „Eigengruppe“ die Suche nach einer positiven sozialen Identität: „Die Reethnisierung, als der Rückbezug auf eine imaginierte eigene Gruppe, ist insbesondere für Migrantinnen und Migranten, die Opfer von Diskriminierungen werden, eine durchaus geeignete Strategie, um den Selbstwert zu schützen.“ (Uslucan/Yalcin 2012: 17) Zugleich verstärkt „eine zunehmende (Re)Ethnisierung wiederum […] die wahrgenommene individuelle Diskriminierung.“ (Skrobanek 2007: 36)

Zusammenfassung

Diskriminierung und Marginalisierung aufgrund von Religionszugehörigkeit und Herkunft allein können eine Abwendung von der Gesellschaft und eine Hinwendung zu religiös-extremistischen Orientierungen nicht erklären. Gleichwohl verweisen die vorliegenden Studien auf mögliche desintegrative und selbstethnisierende Wirkungen entsprechender Erfahrungen. Im europäischen und deutschen Kontext beschränken sich diese Beobachtungen nicht auf muslimische oder arabisch- oder türkeistämmige Jugendliche und junge Erwachsene, sondern lassen sich in ähnlicher Weise auf andere Biographien übertragen. Dabei geht es nicht allein um persönliche Erfahrungen und objektivierbare Benachteiligung, sondern insbesondere auch um diskursive Stigmatisierungen und die Verweigerung von Anerkennung und Zugehörigkeit. Sie bilden die Grundlage für den Rückzug auf eine vermeintlich ursprüngliche Identität, die in Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft konstruiert wird. Eine solche Strategie der Selbstaufwertung als Reaktion auf Diskriminierung und Marginalisierung birgt das Potenzial eines konfrontativen Selbstverständnisses, in dem es nicht allein um Abgrenzung und Selbstvergewisserung, sondern um Abwertung und aggressive Selbstbehauptung und damit um wesentliche Merkmale von kognitiver und gewaltbereiter Radikalisierung geht.


Literatur

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Brettfeld, Karin / Wetzel, Peter: Muslime in Deutschland. Integration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstatt und politisch-religiös motivierter Gewalt. Bundesministerium des Innern, Hamburg, 2007.

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