Die Familie kann man sich nicht aussuchen, dafür aber Freund*innen, Aktivitäten oder eben auch Religionen. Der Konvertit Dennis Sadik Kirschbaum berichtet den ufuq.de-Mitarbeiterinnen Jenny Omar und Maryam Kirchmann in dieser Podcast-Folge über seinen Weg als weißer Mann in den Islam.
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Transkription der Folge
Jenny: Hallo und herzlich willkommen! Mein Name ist Jenny. Und neben mir sitzt wieder…
Maryam: Maryam.
Jenny: Heute haben wir einen Gast bei uns, und zwar Dennis Sadik Kirschbaum. Wir haben ihn eingeladen, weil er eine interessante Geschichte zu erzählen hat. Dennis ist nämlich schon vor einigen Jahren zum Islam konvertiert. Was bedeutet ganz kurz konvertieren? Konvertieren ist, wenn man die Religion wechselt. Das kann zum Beispiel zum Islam passieren, aber auch zum Christentum, zum Judentum oder auch zu anderen Religionen. Genau das erschien uns doch sehr, sehr interessant. Deswegen haben wir Dennis eingeladen. Dennis, stelle dich doch erstmal vor und erzähle uns kurz, wer du bist.
Dennis: Hallo ihr Lieben! Danke für die Einladung. Ich freue mich sehr, hier sein zu dürfen und mit euch ein bisschen zu talken. Mein Name ist Dennis Sadik Kirschbaum. Ich bin 31 und studiere derzeit Politik und Philosophie auf Lehramt.
Maryam: Sag mal, Dennis, warum bist du denn damals zum Islam konvertiert?
Dennis: Das ist eine längere Geschichte. Vielleicht hole ich ein bisschen aus… Ich positioniere mich selbst als weiße Person. Ich bin in der DDR geboren. Meine Familie stammt aus der DDR. Der ältere Teil meiner Familie hat während des zweiten Weltkrieges auf der falschen Seite gekämpft. Und in meiner Familie gibt es einen großen Anteil von Menschen, die eher rechtsnationalistisch eingestellt sind, auch heute noch. Und wie das so ist, Kinder und Jugendliche werden ja nicht auf die Welt geboren und wissen schon, was für sie richtig und falsch ist. Sondern sie werden in erster Linie ja, das kennt ihr wahrscheinlich auch, durch ihre Eltern, durch ihr soziales Umfeld geprägt. Irgendwann während der Teenagerzeit steht jeder Mensch vor der Entscheidung, nehme ich diesen Wertekanon, den ich von Zuhause gelernt bekommen habe, auf? Lebe ich den selber aus? Oder möchte ich mich hier ein Stück weit aus meiner Familie heraus emanzipieren? Also, wenn ich jetzt über meine Familie spreche, dann meine ich so den äußeren Kreis. Ich meine nicht den inneren Kreis. Ich spreche jetzt nicht direkt über meine Eltern. Ich habe mit meinen Eltern eine wundervolle Beziehung. Das sind großartige Menschen. Sie haben mir tolle Werte beigebracht. Aber der äußere Teil, also meine Verwandtschaft sozusagen, die sind schon sehr rechtsnationalistisch eingestellt. Sie haben mir als Kind beigebracht: „Dennis, du kannst alles im Leben werden. Aber du solltest dich niemals im Leben mit muslimischen, jüdischen, Schwarzen oder homosexuellen Kindern abgeben.“ Das haben die auch wirklich genau so direkt gesagt. Das war sozusagen die verbotene Frucht, die ich nicht probieren durfte. Aber wie es so ist, als Teenager möchte man die verbotene Frucht unbedingt probieren, oder? Und ich hatte das große Glück, im Gegensatz zu dem älteren Teil meiner Familie, dass ich im wiedervereinigten Berlin aufgewachsen bin. Ich brauche euch das nicht erzählen. Wenn man in Berlin zur Schule geht, dann lernt man natürlich auch muslimische, jüdische, Schwarze, homosexuelle Kinder kennen. Als ich diese Menschen kennen gelernt habe, habe ich gemerkt, dass ich sie nicht hassen möchte. Ich habe voll viele Gemeinsamkeiten mit denen, ich kann mit denen über dieselben Jokes lachen und über dieselben traurigen Geschichten weinen. Mich verbindet ganz viel mit diesen Menschen. Dann war die Idee: „Okay, ich möchte innerhalb meiner Familie irgendwie ein Zeichen setzen. Ich möchte irgendwie rebellieren.“
Maryam: Ja, ich wollte gerade sagen, das klingt so nach Rebellion.
Dennis: Ja, viele Teenager haben ja diese Phase, in der man sich selbst findet und in der man auch ein bisschen Grenzen austesten möchte und sich ausprobiert – wie weit kann man eigentlich gehen? Genau in dieser Phase war ich dann eben und habe mir dann überlegt: „Was wäre jetzt die größtmögliche Provokation, die ich bringen könnte, damit alle so richtig aus der Haut fahren?“ Und dann gab es zwei Überlegungen für mich: Einmal, dass ich zum Judentum konvertiere und einmal, dass ich zum Islam konvertiere. Beides war in der Familie total kontrovers diskutiert. Es gab eine sehr starke ablehnende Haltung gegenüber beiden religiösen Gruppen. Dann habe ich mich informiert. Wie läuft das eigentlich? Wie konvertiert man zum Islam? Wie konvertiert man zum Judentum? Ihr merkt schon, meine Geschichte ist nicht so ganz typisch. Ich habe jetzt nicht den Koran aufgeschlagen und da einen Vers gelesen, der mich super berührt hat. Oder ich habe im Traum ein gewisses Licht gesehen und habe dann die Rechtleitung bekommen. Bei mir war es am Anfang überhaupt nicht spirituell oder theologisch begründet, dass ich mich für den Islam entscheide, sondern es war eine bewusste politische Entscheidung sozusagen. Ich wollte einfach Ärger machen. Ich habe mich dann wie gesagt informiert: „Wie ist das im Judentum? Wie ist das im Islam?“ Und habe dann festgestellt, wenn ich zum Judentum konvertieren möchte, dann muss ich so 20 Jahre studieren.
Jenny: Das dauert richtig lang, ne.
Dennis: Ja, und dann vor einem Rabbinat und die müssen das bestätigen. Als Jugendlicher suchst du die schnelle Nummer für deine Rebellion und willst jetzt nicht 20 Jahre erstmal warten. Dann habe ich geschaut, wie das im Islam ist. Du sagst die Shahada, das Glaubensbekenntnis – diesen einen Satz, bei dem du bezeugst, dass du an Gott glaubst und dass der Prophet Mohammed sein letzter Gesandter ist. Das hat für mich in dem Moment total Sinn gemacht, kann aber rückwirkend natürlich auch sehr kontrovers gerne diskutiert werden. Weil es am Ende eine Religion ist. Man sollte eine Religion auch nicht für seine eigenen politischen Interessen missbrauchen. Ich habe das tatsächlich anfangs so gemacht als Jugendlicher. Ich habe da nicht so groß nachgedacht und bin deswegen dann zum Islam konvertiert.
Maryam: Ich finde das total spannend. Wo hast du dich denn überhaupt informiert? Und wie ist das letztendlich eigentlich dann abgelaufen? Also hast du das alleine zuhause gemacht oder wie war das?
Dennis: Am Anfang war die Recherche tatsächlich eher zu Hause im Internet. Und ihr kennt das wahrscheinlich, wenn man im Internet sich über den Islam auf Deutsch informieren möchte. Dann findet man da meistens nicht so tolle Sachen. Meistens sind dann da eher so die extremen Positionen leicht zugänglich und die eher ausgewogenen nicht. Deswegen habe ich dann auch tatsächlich eher in meiner Schule den persönlichen Kontakt mit muslimischen Menschen gesucht. Ich hatte, wie gesagt, schon muslimische Freunde. Und habe dann eben auch Muslim*innen in meiner Klasse kennengelernt, die sich tatsächlich gut auskannten, die mir auch viel beigebracht haben, die mir dann auch geholfen haben, mich dann später auch tatsächlich mit theologischen Aspekten oder mit Spiritualität zu beschäftigen. Ich habe ja gesagt, am Anfang war das eher wirklich so eine Hau-ruff-Nummer, eine politische Entscheidung. Aber später, innerhalb weniger Monate, hat sich dann eben auch für mich gezeigt: „Gut, meine Provokation hat sehr gut funktioniert.“
Jenny: Das wollte ich gerade fragen. Wie hat denn deine Familie reagiert? Oder deine weite Familie?
Maryam: Ich stelle mir das echt richtig krass vor… Wenn man diese Entscheidung macht und sich dem dann stellen muss. Das stelle ich mir so vor, dass man voller Adrenalin ist…
Dennis: Es war tatsächlich eine interessante Zeit rückblickend, weil meine Familie sehr, sehr ablehnend reagiert hat und wir auch bis heute ein sehr schwieriges Verhältnis haben. Also, es gibt immer noch Leute in meiner Familie, die mir aufgrund dessen, dass ich zum Islam konvertiert bin, nicht mehr die Hand geben, weil sie denken, sie stecken sich dann mit der Muslimness an. Das ist so ähnlich wie wenn Weiße Menschen Angst haben, Schwarzen Menschen die Hand zu geben, weil sie denken, die Haut färbt sich dann ab. (Maryam: Oh mein Gott. Krass.) Total rassistische schwierige Gedanken, die aber Rassist*innen tatsächlich ausleben. Deswegen war es von Anfang an eine sehr kontroverse Debatte in meiner Familie. Meine Provokation hat sehr gut funktioniert, zu gut könnte man sagen. Das hat wiederum dazu geführt, dass ich wie gesagt innerhalb meiner Familie einen starken Ausschluss erfahren habe, womit ich auf der einen Seite gerechnet habe. Aber die Reaktion hat mich am Ende dann doch auch manchmal in eine gewisse Einsamkeit und Traurigkeit gebracht. Da war dann eigentlich der Ausgleich, mir eine muslimische Ersatzfamilie zu suchen, eigentlich sehr naheliegend. Deswegen bin ich dann sehr, sehr schnell dahin gekommen, dass ich dann in Moscheen aktiv wurde und mich eben mit muslimischen Communities beschäftigt habe. Dadurch habe ich dann tatsächlich auch zur Spiritualität und zur Theologie einen Zugang gefunden. Das war eine totale Bereicherung für mich. Irgendwann kam dann doch noch einmal diese Entscheidung für mich: „Was machst du denn jetzt eigentlich? Deine Provokation hat ja funktioniert. Aber du weißt gar nicht so richtig, um was es im Islam eigentlich geht? Willst du das jetzt eigentlich machen ein Leben lang? Oder hast du das jetzt wirklich nur benutzt, um mal kurz Ärger zu machen und dann kannst du es auch wieder sein lassen? Genau in der Zeit hatte ich einen ganz guten Zugang zu Moscheegemeinden, zu Freunden, zu muslimischen Menschen, die mir dann auch die Spiritualität und die Theologie näherbringen konnten, sodass ich mich dann auch noch einmal bewusst entschieden habe: „Das ist ein Lebensweg. Den möchte ich jetzt gehen. Und den möchte ich tatsächlich auch kontinuierlich ein Leben lang mitgestalten.“
Jenny: Das ist voll spannend, dass du aus einer Provokation tatsächlich gläubig geworden bist und tatsächlich diesen Weg gehen wolltest… Das ist irgendwie ja auch beeindruckend. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass es vielleicht auch nicht immer einfach war, wenn du dann da in der Community warst. Also wurdest du denn da aufgenommen? Waren die Leute eher skeptisch? Oder haben sie sich gefreut? Ich meine, vielleicht wussten von deinen Schulfreunden einige auch: „Naja, der hat das am Anfang irgendwie nur gemacht, um ein bisschen die Familie aufzumischen.“
Dennis: Den Aspekt haben tatsächlich nicht so viele mitbekommen, weil ich da mit 16 auch die Schule gewechselt habe. Da wussten gar nicht mehr so viele Bescheid. Meine Erfahrungen in der muslimischen Community waren sehr unterschiedlich. Am Anfang, das können vielleicht auch einige Konvertiten nachvollziehen, wird man so auf Händen getragen. „Er macht das alles freiwillig! Was für ein Held! Er fastet, er muss das gar nicht machen, weil die Eltern ihm das sagen, sondern er macht das, weil er das machen möchte. Wow!“ Und dann lernst du, wenn du so als Konvertit neu in eine Gemeinde kommst, ganz viele Menschen kennen. Alle möchten dir die Hand geben. Alle umarmen dich, küssen dich, haben Geschenke für dich. Das war ein bisschen zu viel manchmal.
Maryam: Ja, ich stelle mir das auch so vor.
Dennis: Ich bin nicht ein Stück besser wie geborene Muslime! Das ist ja auch ein Druck irgendwie. Also das ist ja schon extrem. Ich habe auch diesen Druck tatsächlich gespürt und fand das echt unangenehm. Ganz oft. Und dachte mir so, okay, warum wird Ali oder Mohamed hier in der Gemeinde nicht so auf Händen getragen? Warum dann nur Dennis? Das ist irgendwie strange…
Maryam: Ich finde das gerade total spannend auf einer emotionalen Ebene, weil das ist ein totales Spannungsverhältnis. Also einerseits den Druck von deiner Familie aushalten zu können. Und dann andererseits diesen überwältigenden, aber auch ein bisschen gesellschaftlichen Druck auszuhalten, da dann jetzt auch irgendwie abliefern zu müssen – vor allem als jugendliche Person! Jetzt, wir sind erwachsen, wir unterhalten uns darüber in Revue. Aber als jugendliche Person stelle ich mir das wahnsinnig intensiv vor. Hattest du dann irgendwie enge Freunde, mit denen du dich dann genau zu dieser Zeit austauschen konntest?
Dennis: Ja, absolut. Ich hatte dann ein paar Freunde, die auch schon mit 16 sehr religiös waren. Die jetzt mich tatsächlich in die Gemeinde mitgenommen haben und die mir den Zugang auch zu deutschsprachigem Wissen über den Islam ermöglicht haben, das ein bisschen ausgewogener war. Nicht so wie das ganze Zeug, was man im Internet manchmal findet, was manchmal nicht so ausgewogen ist. Was so ein bisschen anders war. Das hat mir echt sehr, sehr geholfen tatsächlich. Manche Personen, mit denen ich damals befreundet war, mit denen stehe ich auch heute noch im Kontakt. Mit denen habe heute ein sehr, sehr gutes Verhältnis. Und wir kennen uns jetzt einfach schon eine sehr lange Zeit und dadurch ist eine gewisse Innigkeit entstanden, die total schön ist.
Jenny: Okay, du hast gerade erzählt, dass du von Freunden auch den Kontakt zu deutschsprachigen Informationen vermittelt bekommen hast. Mich würde noch einmal interessieren, kannst du denn Arabisch oder hast du irgendwie versucht, dir Arabisch beizubringen, da das ja nun einmal so die Sprache auch des Korans ist?
Dennis: Also erstmal kleine Sidenote: Ich hatte mit 17 dann meine erste feste Freundin. Sie war Türkin. Da habe ich Türkischunterricht genommen, weil ich sie beeindrucken wollte.
Maryam: Süß!
Dennis: Ja, in der Volkshochschule Kreuzberg. Das war auf jeden Fall eine interessante Nummer. Das Türkische beinhaltet ja auch zu einem Drittel viel arabisch. Und irgendwie da ich sowieso in dieser Phase war, in der ich mich für die Religion sehr stark interessiert und den Türkischunterricht hatte, habe ich auch gemerkt: „Okay, ich habe auch ein gewisses Interesse für die arabische Sprache und habe dann tatsächlich am Ende mehr Arabisch gelernt als Türkisch. Mein Türkischlehrer war not amused davon. Er fand das gar nicht gut. Irgendwann musste ich dann auch die Schule verlassen und habe mir dann ein bisschen Arabisch im Selbststudium weiterhin beibringen können, auch durch Freunde. Das Problem beim Arabischen ist tatsächlich, dass du ja hier das Hocharabisch lernst, was ja aber auch irgendwie niemand spricht. Als ich auf einer Reise zum Beispiel in Marokko war, habe ich gemerkt, ich komme hier mit meinen Arabischkenntnissen überhaupt nicht weiter. Ich verstehe einfach gar nichts. Deswegen ist mein Arabisch sehr rudimentär, tatsächlich sehr begrenzt. Aber ich habe auf jeden Fall Interesse, das weiter auszubauen.
Jenny: Vielleicht noch eine Rückfrage dazu: Du hast dir ja auch einen anderen Namen gegeben. Das passt vielleicht jetzt so ein bisschen da rein. Wie bist du denn eigentlich dazu gekommen? Wir haben ja eben gerade schon erwähnt, du heißt Dennis Sadik Kirschbaum. Das ist aber wahrscheinlich nicht der Name, den dir deine Eltern gegeben haben, oder?
Dennis: Genau. Also, „Dennis“ hat mir meine Mutter gegeben. Sie hat sich gegen meine Oma durchgesetzt. Die wollte mich nämlich unbedingt David nennen. Auch ein wunderschöner Name. Aber als ich dann zum Islam konvertiert bin, war für mich klar, ich möchte auch einen muslimischen Namen haben, der in der Community bekannt ist. Und ich wollte aber auch einen Namen haben, der nicht so häufig ist. Auch wieder dieser jugendliche Leichtsinn – ich möchte etwas Besonderes sein.
Jenny: Jeder will etwas Besonderes sein!
Dennis: Ja, und dann habe ich geguckt: Was für Namen gibt es denn, die nicht so häufig vorkommen? Und so bin ich dann auf den Namen „Sadik“ gestoßen, was eigentlich ein sehr, sehr schöner Name ist, denn er umschreibt eine Person, die immer ehrlich, wahrhaftig ist. Und natürlich sind wir Menschen nicht immer ehrlich. Wir alle haben diese Gelegenheit, in der wir ein bisschen flunkern, richtig? Aber wenn Leute mich „Sadik“ rufen oder nennen, dann werde ich eben daran erinnert: Ich sollte ehrlich und wahrhaftig sein. Und diese stetige Erinnerung an diese doch schöne Eigenschaft, die fand ich irgendwie cool. Wie gesagt, dass der Name nicht so häufig benutzt wird. Dann vor zwei Jahren habe ich auf einer Reise durch Israel und Palästina einen jungen Mann kennen gelernt, der Sadik hieß und der jüdisch war. Da ist mir erst bewusst geworden, dass Sadik auch ein hebräischer Name sein kann. Das fand ich noch schöner, weil ich habe ja einen jüdischen Familiennamen. Deswegen fand ich diese Verbindung dann, obwohl sie sehr zufällig entstanden ist, dann doch noch passender.
Maryam: Ja, total… Ich wollte jetzt mal irgendwie nachfragen: Was bedeutet denn „muslimischsein“ für dich?
Dennis: Da gibt es zwei Aspekte. Einmal den Identitätsaspekt. Also, dass ich mich als muslimisch definiere, der Gruppe der Muslim*innen weltweit zugehörig fühle – eben auch Ausschlüsse aufgrund dieser Identität erfahre… Das Thema antimuslimischer Rassismus ist in den letzten Jahren in Deutschland auch durch so schreckliche Ereignisse wie den Anschlag in Hanau sehr präsent geworden. Ich finde, das ist ein wichtiges Thema. Aber das zeigt eben auch, dass man gar nicht religiös sein muss, um sich als muslimisch zu identifizieren bzw. antimuslimischen Rassismus zu erleben. Denn die Opfer in Hanau waren größtenteils jetzt nicht sonderlich praktizierende Muslime, wenn sie sich überhaupt als muslimisch bezeichnet haben. Deswegen gibt es auch einmal auf jeden Fall für mich diesen Identitätsaspekt. Und einmal eben diesen religiösen Aspekt, wo man dann eben sagt: „Gut, ich beschäftige mich mit der Entstehungsgeschichte der Menschheit, mit dem Ursprung, mit dem Erschöpfer, mit den Geboten und Verboten, die der Schöpfer uns auferlegt hat, die an ihn glauben.“
Maryam: Ich könnte mir vorstellen, dass auch muslimisch bzw. religiös sein viel mit gesellschaftlichen Werten und Moralvorstellungen zu tun hat, oder?
Dennis: Absolut! Ich glaube, viele Werte, die wir versuchen, Kindern und Jugendlichen nahe zu bringen in einer demokratischen Gesellschaft, wie Toleranz, Solidarität, Zusammenhalt, Warmherzigkeit – das sind glaube ich alles Werte, die wir auch in den großen Religionen wiederfinden. Ich glaube, alles hängt miteinander zusammen: Die Entstehungsgeschichte moderner Nationalstaaten, die Aufklärung, Philosophen, Religionen. Das baut alles irgendwie aufeinander auf tatsächlich…
Maryam: Jetzt holt er aus!
Dennis: Ja. Ihr seht: Da kommt der Lehrer in mir raus.
Maryam: Kurzer Themenshift. Wir gehen zu Nationalstaaten.
Jenny: Ich habe noch einmal eine Frage, die ich mich in der Vorbereitung selbst gefragt habe. Meinst du, es könnte passieren, dass du noch einmal zu einer anderen Religion wechselst? Also, dass du vielleicht in zehn Jahren Midlifecrisis hast und du denkst, irgendwie gibt es doch etwas anderes, was mich mehr berührt?
Maryam: Zum Beispiel das 20-jährige Studium.
Dennis: Ja, ich habe den Gedanken verworfen, um ehrlich zu sein… Nein, ich denke, dass ich jetzt doch schon gefestigt bin im Leben und super happy mit meiner Religion bin. Und denke, dass ein weiterer Wechsel für mich nicht in Frage kommt. You never know! Es kann natürlich sein, dass ich in 20 Jahren wegen Midlifecrisis oder so mich noch einmal ganz anders positioniere. Aber jetzt aktuell kann ich mir das gar nicht vorstellen, weil ich einfach super happy und ausgewogen lebe.
Maryam: Dennis, wir haben uns ja jetzt schon ein paar Mal vorher im Leben unterhalten. Und ich weiß, dass ich immer total beeindruckt war, dass du gefühlt überall super engagiert dabei bist und auch in ganz verschiedenen Bereichen irgendwie aktiv bist. Würdest du sagen, dass vor allem auch vor dem Hintergrund, dass du ja früher eigentlich als Jugendlicher dein Konvertieren eigentlich aus einer Provokation da war, dass sich das total verändert hat? Und dass dein muslimisch sein irgendwie auch mit deinem Engagement zusammenhängt?
Dennis: Absolut! Ich glaube, dass mein Engagement in den vielfältigen Bereichen natürlich auch religiös begründet ist. Der Islam bringt uns bei, dass wir uns für andere Menschen einsetzen sollen, dass wir solidarisch sein sollen, dass wir Menschen kennen lernen sollen. Deswegen mag ich das, Angebote zu schaffen, in denen Menschen unterschiedlicher Kulturen, Herkünfte und Identitäten einander kennenlernen können, in den Austausch treten können, wie jetzt zum Beispiel im interreligiösen Dialog. Durch mein Studium mag ich es aber auch total, Bildungsangebote zu schaffen, weil ich glaube: Bildung ist der Schlüssel. Ich glaube, dass dieser Provokationsgedanke bei mir immer noch sehr präsent ist. Ich glaube, dass mir als Kind beigebracht wurde: „Lerne auf gar keinen Fall jüdische, muslimische, Schwarze, homosexuelle Kinder kennen. Das ist die rote Linie.“ Dass ich genau diese rote Linie übertreten möchte. Immer noch und genau deswegen extra in diese Communities hineinschaue und versuche, so viele Menschen wie möglich, die eben auch Schwarz, muslimisch, jüdisch oder homosexuell sind, kennenzulernen und sie Teil meines Lebens werden zu lassen. Mich mit ihren Identitäten zu beschäftigen, sie miteinander bekannt zu machen, ihnen eine Stimme zu geben. Ich versuche, für diese Menschen ein guter Verbündeter zu sein. Das möchte ich nicht, indem ich mir diese Diskurse aneigne und für sie spreche, sondern indem ich mit ihnen spreche. Deswegen glaube ich, ist es so wichtig, dass ich mich in ganz unterschiedlichen Netzwerken einbringe, wo diesen Menschen eine Plattform gegeben wird.
Maryam: Ich muss gerade ein bisschen schmunzeln, weil genau das, was deine Großfamilie vermeiden wollte, so richtig schief gegangen ist. Du bist sozusagen komplett das Gegenteil von dem geworden, was die sich da überlegt hatten, was jetzt irgendwie für uns total (Jenny: Ein Glück!) super ist. Wirklich ein Glück! Hat nicht so gut funktioniert.
Jenny: Vielleicht noch eine kurze Rückfrage. Ich weiß, du machst super, super viel. Aber vielleicht magst du kurz die Sachen nennen, in denen du engagiert bist? Das ist vielleicht auch noch einmal ganz interessant zu hören.
Dennis: Natürlich, sehr gerne. Ich arbeite jetzt seit vielen Jahren freiberuflich als Trainer und mache so Workshops. Und meine Hauptthemen sind dabei eben Rassismuskritik, Feminismus oder koloniale Kontinuitäten. Da arbeite ich eben auch sehr eng mit der Schwarzen Community in Berlin zusammen. Darüber hinaus habe ich 2017 einen Verein gegründet. Der heißt JUMA e.V. – Jung, muslimisch, aktiv. Das ist ein Verein für junge Muslim*innen, in dem wir eben nicht schauen: „Bist du jetzt sunnitisch, schiitisch, alevitisch, religiös, nicht religiös geprägt?“ Sondern was uns verbindet, wir bezeichnen uns als Muslim*innen und wir haben das Problem des antimuslimischen Rassismus in Deutschland erkannt und möchten dagegen etwas machen. In dem Kontext haben wir auch interreligiöse Angebote gestartet. Deswegen arbeite ich auch sehr eng mit alevitischen oder jüdischen Communities zusammen und habe dort auch viel kennenlernen dürfen.
Jenny: Auf jeden Fall superspannend und genau das, was deine Familie wahrscheinlich nicht wollte. Wir haben jetzt super viel über Religion gesprochen, wovon träumst du denn nachts? Also was würdest du dir denn wünschen? Ich meine, du machst schon super viel. Aber was würdest du dir wünschen in Bezug auf Religion in Berlin?
Dennis: Ich träume tatsächlich von einer Welt, wo Menschen, ob sie religiös sind oder nicht religiös sind, sich nicht dafür rechtfertigen müssen. Wo das einfach selbstverständlicher Teil der Gesellschaft ist. Ich träume darüber hinaus von einer Welt, in der mir mein Leben lang bewusst ist, auch wenn ich mich mit diesen Themen jetzt mein ganzes Leben beschäftige, dass ich trotzdem an meiner Haltung weiterhin arbeiten möchte. Denn auch ich laufe Gefahr, weiterhin Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus zu reproduzieren, weil ich das als Kind gelernt bekommen habe. Und ich muss das eben aktiv mein Leben lang verlernen. Genau diese Haltung, die möchte ich auch anderen Kindern und Jugendlichen mitgeben. Egal, ob du ein Teil einer von diesen Schweinereien betroffenen Gruppe bist, die wir in der Gesellschaft leider immer noch haben, dass wir uns trotzdem bewusst werden, auch wir können das ganze oder können andere Schweinereien reproduzieren. Und können uns auch menschenfeindlich äußern. Ich glaube, das ist superwichtig. Mit allen Menschen über diese Haltung in das Gespräch zu gehen. Davon träume ich nachts.
Maryam: Also, ich nehme das gerade auch noch einmal so als Merksatz für mich mit. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen. Wir müssen einfach immer wieder unsere eigenen Positionen, unsere eigenen Gedanken hinterfragen. Wir haben keine Deutungshoheit. Wir können nicht wissen, dass wir irgendwie zu der einen guten Seite gehören und der Rest muss noch lernen. Sondern wir sind angehalten, immer weiter an uns zu arbeiten.
Dennis: So ist es. Und wenn wir bei uns anfangen und bei unseren Freunden und unserem Wirkungskreis, dann haben wir schon allen geholfen, glaube ich. Dann haben wir das gemacht, was in unserer Macht liegt. Und alles Andere liegt dann bei Gott.
Jenny: Dieser Appell, wo man vielleicht das Lehramtsstudium heraushört, war ja schon ein wunderbares Schlusswort. Dennis, danke, dass du da warst. Und diese ja auch sehr persönliche Geschichte mit uns geteilt hast!
Dennis: Danke! Es freut mich jedes Mal, diese Geschichte mit Menschen zu teilen, weil ich glaube, ich habe auch als Jugendlicher viel Schmerz erfahren. Und wie sagt man, geteiltes Leid ist halbes Leid. Jedes Mal, wenn ich diese Geschichte erzähle, habe ich das Gefühl, dass ein stückweit auch in mir so ein Heilungsprozess stattfindet. Deswegen vielen Dank, dass ich die Geschichte auch hier teilen durfte.
Jenny: Danke dir und wir freuen uns, wenn ihr wieder dabei seid, beim ufuq.de-Podcast „Wovon träumst du eigentlich nachts?“
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