„Wovon träumst du eigentlich nachts?“ – Podcast-Folge 2: Kritisches Weißsein mit Christian Kautz
17. Dezember 2020 | Diversität und Diskriminierung, Jugendkulturen und Soziale Medien

Die ufuq.de Podcast-Reihe „Wovon träumst du eigentlich nachts?“, die sich an Jugendliche und interessierte Fachkräfte richtet, beschäftigt sich in ihrer zweiten Folge mit Critical Whiteness bzw. Kritischem Weißsein. Die Frage, wovon geträumt wird, beantworten monatlich in jeder Folge verschiedene Gäst*innen aus der Zivilgesellschaft. Verständlich und ohne Fachjargon erzählen junge Menschen, was sie derzeit gesellschaftspolitisch beschäftigt, wie sie sich gegen Missstände engagieren und wie sie eigentlich leben wollen. Entstanden ist der Podcast im Rahmen der Fachstelle für Pädagogik zwischen Islam, antimuslimischem Rassismus und Islamismus in Berlin.

Was ist die Rolle von weißen Menschen, wenn es um Rassismus geht? Gibt es überhaupt Rassismus gegen weiße Menschen? Warum soll es notwendig sein, die eigene Hautfarbe zu benennen? In der zweiten Folge unseres Podcasts befragen ufuq.de-Mitarbeiterinnen Maryam Kirchmann und Jenny Omar Christian Kautz zu kritischem Weißsein und Rassismus. Zur Zeit der Aufnahme war Christian noch Student und als Teamer für das ufuq.de-Projekt Wie wollen wir leben? tätig, mittlerweile ist er bei ufuq.de als Bildungsreferent tätig.

 

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Transkription der Folge

Maryam: Sag mal, Jenny, wovon träumst du eigentlich nachts? 

Jenny: Also letzte Nacht habe ich von der Black Lives MatterFolge geträumt, die wir letztens aufgenommen haben mit unserer Gästin Jamila. Die hat mich noch sehr beschäftigt, sodass ich dann davon geträumt habe. Und dann habe ich auch einer Freundin davon erzählt und sie hat gesagt, dass sie das auch sehr lange schon beschäftigt. Und dass sie sehr fertig ist seit der Sache mit George Floyd und seitdem die Demos gegen Rassismus sind. Mich hat das sehr gewundert, weil sie weiß und deutsch ist. Und natürlich ist es gut, dass sie sich damit beschäftigt, aber sie betrifft das nicht direkt. Und da habe ich mich gewundert, warum sie seitdem so fertig ist.  

Maryam: Ja, ich verstehe, was du meinst. Vielleicht sollten wir, bevor wir in unsere Diskussion starten, unseren Zuhörer*innen erklären, was wir eigentlich meinen mit den Farben, Nicht-Farben, die wir hier erwähnen: weiß und schwarz und so weiter.  

Maryam: Wir haben uns einen ganz tollen Gast heute eingeladen, der heute mit uns über das Thema kritisches Weißsein sprechen wird. Vielleicht magst du dich mal vorstellen, Christian.   

Christian: Ja, erst mal vielen Dank für die Einladung. Ich habe mich gefreut, dass ihr mich gefragt habt. Ich bin Christian, ich bin 27, wohne in Berlin, in Neukölln (MaryamWuhuNeukölln!) und studiere in Potsdam. Was gibt es noch zu mir zu erzählen? Ich bin in einem kleinen Dorf in Niedersachsen groß geworden, ich bin weiß und bin in meiner Familie die erste Person, die studiert. Das sind erst mal viele Sachen, aber vielleicht spielt das gleich nochmal eine Rolle.    

Maryam: Ja, soll ich weiter machen? Ok, mein Name ist Maryam, ich bin auch weiß. Ich wohne auch in Neukölln, deswegen kamen gerade die Shout Outs für Neukölln. Ich studiere auch gerade, ich bin auch bei mir in der Familie die erste Person, die studiert hat, so wie du. Ich glaube, da sind wir uns sehr ähnlich. Und was sagt man noch so zu sich? Ich mache alle Sachen, die Menschen gerne mögen: essen, kochen, Musik hören, tanzen und all diese Dinge. Und du, Jenny? 

Jenny: Mein Name ist Jenny. Ich bin nicht weiß. Meine Mama ist Deutsche und mein Papa kommt aus Malaysia. Ich wohne nicht in Neukölln, sondern im Wedding. Und ich bin aufgewachsen in der Nähe von Hamburg, ich bin also Hamburgerin. Was gibt es zu mir sonst zu sagen? Ich esse auch gerne und ich glaube, wir sollten beim nächsten Mal mehr Essen hier haben.  

Maryam: Dann können sich alle Zuhörer*innen die Ohren zuhalten, weil nur noch geknuspert und geknistert wird mit den ganzen Chips-Tüten, die wir auf dem Tisch haben werden. 

JennyIhr beide habt ja jetzt gerade gesagt, dass ihr weiß seid. Ich habe das gerade schon von einer Freundin von mir erzählt. Vielleicht müssen wir erst mal herausfinden oder du musst uns erklären, Christian, was ist denn überhaupt gemeint, wenn wir von weißen Menschen sprechen? Das klingt ja erst mal ein bisschen komisch.  

Christian: Ich würde versuchen, das erst mal so zu erklären: Mit weiß ist erst mal meine Hautfarbe gemeint. Ich glaube, ich brauche niemanden zu überzeugen, wenn ich sage, weiß ist wirklich niemandes Hautfarbe. Ich kenne keinen Menschen; ich glaube nicht, dass das so existiert. Darum geht es aber auch nicht. Es geht darum, dass die Welt irgendwann aufgeteilt wurde in weiße Menschen und in nichtweiße Menschen, zum Beispiel schwarze Menschen – oder in Deutschland wird gerne der Begriff Menschen mit Migrationshintergrund gesagt. Das spielt meistens darauf an, dass die Menschen eine dunklere Hautfarbe haben. Auch wenn es überhaupt nicht darum geht, wo die Menschen geboren sind, vielleicht sind sie in Deutschland geboren. Das war erst mal so die erste Antwort. 

Maryam: Christian, wir beide haben festgestellt, wir sind weiß. Wie ist es für dich im Alltag, das so zu benennen? Wie ist es in deinem Bekannten- und Freundeskreis? Wo verwendest du überhaupt diese Bezeichnung? 

ChristianWie fange ich da an? Ich glaube, ich würde erst mal so beginnen, dass es früher für mich komisch gewesen wäre, wenn ich so benannt worden wäre. Ich habe ja gesagt, ich bin in einem kleinen Dorf in Niedersachsen groß geworden und da spielte Hautfarbe in dem Sinne nie eine richtige Rolle. Also weder in meiner Familie, noch in meiner Schule, noch in meinem Umfeld ging es darum, dass der Großteil der Menschen, mit denen ich auf dem Dorf wohnte, weiß ist. Was aber schon immer ein Thema war, wenn eine Person nicht die gleiche Hautfarbe hatte wie wir. Dort wurden dann Begriffe gefunden, deswegen habe ich es gerade in der ersten Antwort schon angerissen, dort ging es dann um schwarze Menschen, um asiatische Menschen, um Menschen, die einfach nicht so aussahen wie viele Menschen, die mit mir auf dem Dorf gewohnt haben. Das hat jetzt damals nicht dazu geführt, dass dann meine Eltern oder ich oder das Umfeld, in dem ich mich damals aufgehalten habe, gecheckt haben, für alle anderen Menschen sagen wir eine Farbe, um die zu beschreiben, aber für uns nicht. Sollten wir das vielleicht ändern? Nein, für uns war das irgendwie normal. Wir waren die normalen Menschen. Und andere waren dann schwarze Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund.  

Das hat sich dann irgendwann geändert. Ich bin in eine größere Stadt gezogen, habe angefangen zu studieren. Und ich habe Menschen kennengelernt aus ganz vielen Hintergründen, aus ganz vielen Bereichen der Erde und aus Deutschland. Und dann wurde mir immer bewusster, wahrscheinlich durch das Studium, wahrscheinlich auch durch die Leute, die ich dort kennengelernt habe, ich kann gar nicht so genau sagen, woran das genau liegt, dass meine Haut doch eine Farbe hat. Dass meine Haut nicht unsichtbar ist, sondern dass es Auswirkungen darauf hat, wie ich wahrgenommen werde, dass ich eben weiß bin 

Jenny: Was würdest du sagen, was die Auswirkungen sind, dass du anders wahrgenommen wirst als vielleicht schwarze Menschen? 

ChristianAuswirkungen, haben wir ganz am Anfang der Studienzeit sehr gemerkt, wenn wir in einen Club gehen wollten. Die ganzen weißen Menschen, mit denen ich dort in den Club gegangen bin, wurden nicht von dem Türsteher kontrolliert. Aber Menschen, die nicht weiß waren, durften manchmal nicht mal rein, aus welchen Gründen auch immer. Da wird dann gesagt, es ist eine geschlossene Gesellschaft. 

Maryam: Ja, da wird dann nie der wahre Grund genannt.  

Christian: Es wird halt nie der wahre Grund genannt, das ist richtig versteckt. Bei uns auf der Schule damals gab es eine Person, deren Eltern aus Griechenland kamen. Sie war total gut in der Schule, aber die Klassenlehrerin hat gesagt, sie wird es auf dem Gymnasium nicht schaffen. Einfach, weil sie wusste, dass die Eltern kein Geld haben und nicht so gut Deutsch sprechen. Und aus dem Grund hat sie der Mitschülerin keine Empfehlung für das Gymnasium gegeben. Das ist eine Auswirkung, die Menschen nicht haben, wie ich zum Beispiel, die weiß sind. Meine Eltern hatten auch kein Geld, ich habe gerade darüber gesprochen, dass ich aus einer Arbeiterfamilie komme, aber mir haben die Lehrer gesagt, ich sei schlau, soll meine Chancen nutzen und habe alle Möglichkeiten der Welt.   

MaryamJa, wenn du es willst. 

Christian: Wenn du es willst. Und das ist ein großer Unterschied, der mir irgendwann bewusst wurde und auch schmerzlich bewusst wurde, dass ich Vorteile in dieser Gesellschaft habe, nur weil ich eine Hautfarbe habe, für die ich nichts kann. Aber nur weil ich diese Hautfarbe habe, werde ich anders behandelt und wahrgenommen.   

Maryam: Also so, wie ich das gerade verstehe, ist es in dem kritischen Weißsein so, dass man die Hautfarbe benennt, um sie sichtbar zu machen. So wie man alle anderen Hautfarben auch sichtbar macht oder zumindest Hintergründe, oder welche äußerlichen Merkmale sichtbar sind. Und das, was ich jetzt verstanden habe, ist, dass es vorher einfach unsichtbar war und dementsprechend als normal galt. Sozusagen alles, was wir erlebt haben, ist normal. Man hat das niemals auf unsere Äußerlichkeiten bezogen, sondern wenn man mal nicht so gut war in der Schule, dann war man vielleicht auch einfach nicht so gut in der Schule. Aber andere Leute, die sich vielleicht wirklich anstrengen, werden aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft schlechter behandelt.  

Du hast gerade eben über Vorteile und Privilegien gesprochen. Wie kann man das im Alltag nutzen? Wir beide sind weiß und wir haben Freund*innen im Bekanntenkreis zum Beispiel, die nicht weiß sind. Was für Möglichkeiten gibt es da, dass wir in irgendeiner Form uns, ich sage mal, solidarisch zeigen mit unseren Freund*innen?  

Christian: Bevor ich das beantworte, muss ich kurz auf die erste Frage zurückkommen, in der ich gesagt habe, dass erst mal die Hautfarbe damit gemeint ist. Aber ich habe nicht deutlich gemacht, dass das erst mal nur der erste Gedanke dahinter ist und viel mehr als nur der Hautton einer Person hinter den Begriffen steckt. Der Begriff schwarz wird zum Beispiel als Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer oder afrodiasporischer Herkunft, von schwarzen Menschen, Menschen mit dunkler Hautfarbe und People, Menschen of Color gewählt und bezieht sich auch hier nicht darauf, den Hautton der Person zu beschreiben, sondern in welchem Verhältnis diese Menschen gegenüber weißen Menschen stehen.  

Maryam: Vielleicht müssen wir unseren Followern noch erklären, was eigentlich diasporisch und People of Color bedeutet.  

Christian: Bevor wir aber jetzt in eine Diskussion verfallen, wer schwarz ist und wer weiß ist, würde ich versuchen, in die Richtung zu gehen, sich die Frage zu stellen, woher diese Unterscheidung überhaupt kommt? Also sich erst mal zu fragen: Wann haben Menschen angefangen, in schwarz und weiß zu denken, wenn sie über Menschen sprechen? Dann fällt, glaube ich, schnell auf, dass diese Unterscheidung an sich schon aus rassistischen Gründen entstanden ist. Nämlich, um bestimmten Menschen eine bessere gesellschaftliche Stellung als anderen Menschen zu ermöglichen. Im Falle dieser Welt ist es so, dass weiße Menschen aus dieser Unterscheidung Vorteile erhalten haben und schwarze Menschen darunter leiden. Das ist auch der größte Vorteil – oder das Privileg – von weißen Menschen bei der ganzen Sache. Dadurch, dass sie gesellschaftlich als weiß markiert sind, also als weiß wahrgenommen werden, werden sie bestimmte negative Erfahrungen nie machen, die schwarze Menschen oder Menschen of Color tagtäglich erleiden. Damit meine ich rassistische Erfahrungen. Und um auf deine zweite Frage zurückzukommen, wie wir uns solidarisch zeigen können. Es gibt im Englischen einen Begriff, der nennt sich Allyship. Da geht es darum, als Verbündete oder Verbündeter Menschen zu unterstützen, die von Rassismus betroffen sind oder gesellschaftlich unterdrückt werden.  

Maryam: Was zählt denn dazu? 

Christian: Hierzu zählen, ich würde eine kleine Liste vorstellen: Zum einen, das eigene Weißsein und die Vorteile, die man daraus zieht, erkennen. Und damit meine ich, zu checken, dass diese gesellschaftliche Wahrnehmung und Unterscheidung zwischen weiß und schwarz vorhanden ist und daraus ein Machtverhältnis entsteht, welches bestimmte Menschen unterdrückt und anderen Menschen Vorteile, beziehungsweise Privilegien gibt. Wichtig ist dabei, sich nicht nur auf dieser Erkenntnis auszuruhen, sondern aktiv zu werden. Damit meine ich nicht aktiv im Sinne von Selbstdarstellung. Also du brauchst jetzt nicht jeder Person auf die Nase binden, dass du weiß bist. Und du brauchst auch nicht jeder Person erklären, was du alles für Vorteile dadurch in deinem Leben hast, sondern den Fokus auf die Menschen richten, die Nachteile aus dieser Unterscheidung ziehen, also schwarze Menschen oder Menschen of Color. Dann sich über Rassismus und Anti-Rassismus informieren. Das Internet ist voll von guten Angeboten, ob auf YouTube oder Instagram, TikTok. Und dann erst mal als letzten Punkt, die eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen mit anderen weißen Menschen teilen. 

Maryam: Das ist wichtig.  

ChristianDu kannst Rassismus nicht alleine bekämpfen. Von daher ist es wichtig, Rassismus auch zu thematisieren. Die Aufgabe, Rassismus zu thematisieren, die kann nicht bei denen hängenbleiben, die eh von Rassismus betroffen sind. Das ist auf jeden Fall etwas, was du als weiße Person machen kannst. Du kannst dich darauf einstellen, dass es auch in Diskussionen ausarten kann mit den Eltern, mit Leuten, die sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben oder noch nicht so lange damit auseinandergesetzt haben. Das ist völlig normal. Ich glaube, wir kennen das alle, wenn wir irgendwie einen Streit mit einer Person haben, bleiben wir auch erst mal bei unserer Meinung. Aber irgendwann kommen wir vielleicht zu dem Punkt, wo man darüber nachdenkt, hatte die andere Person vielleicht doch recht? 

Maryam: Am besten kommt das sogar schon früher. 

Christian: Lernen und Einstellungen und neue Sichtweisen zu bekommen – das dauert seine Zeit.  

Maryam: Das, was ich jetzt daraus verstanden habe, ist auch, dass man sich jetzt nicht auf einmal als Retter der Erde aufführen soll. Aso Leute, nur weil ihr weiß seid, müsst ihr nicht andere Leute vor ihrem Unglück bewahren. Es ist auch übergriffig, wenn ihr das macht.

JennyDu hast ja gerade schon viele Vorteile aufgezählt, die man hat, wenn man weiß ist. Also man kommt in den Club rein, man kann reisen, man macht leichte Schulabschlüsse oder hat zumindest nicht so viele Probleme. Wie ist das eigentlich, hat man gar keine Nachteile, wenn man weiß ist? Also so ist es ja wahrscheinlich nicht.  

ChristianNein, da hast du auch recht.  

Maryam: Doch, das Leben ist immer super (lacht) 

Christian: Dein Leben kann schon auch beschissen sein. Was wichtig ist, ist, dass du checkst, dass dein Leben wegen deiner Hautfarbe nicht noch beschissener wird. Also weiße Menschen können Vorurteile erfahren, gerade in der Schule gibt es auch Beleidigungen, die nur für weiße Menschen sich ausgedacht werden. Weiße Menschen können ausgegrenzt werden, aufgrund vieler verschiedener Merkmale. Ob das jetzt deswegen ist, wen du liebst, wie du liebst oder was für ein Geschlecht du hast. Deswegen können auch weiße Menschen ausgegrenzt werden.  

Jenny: Da hast du gerade schon das Stichwort genannt. Vielleicht kannst du nochmal genau erklären, was hat eigentlich Weißsein mit Rassismus zu tun? Wie ist da genau der Zusammenhang? 

Christian: Um diese Frage zu beantworten, würde ich erst mal versuchen, kurz zu beschreiben, was Rassismus ist, auch wenn das jetzt natürlich nur kurz stattfinden kann. Für mich oder für die Menschen, mit denen ich arbeite in der politischen Bildung, ist es die strukturelle Benachteiligung von Menschen aufgrund von äußerlichen Merkmalen, die eine bestimmte Abstammung oder eine bestimmte Herkunft vermuten lassen, zum Beispiel aufgrund ihrer Hautfarbe. Das ist ein äußeres Merkmal, das sichtbar ist.  

Maryam: Mit strukturell meinst du jetzt in Institutionen, zum Beispiel in der Schule oder wenn ich zum Amt gehe oder so? 

Christian: Genau, mit strukturell wollte ich den Unterschied aufmachen zu zum Beispiel Mobbing, wo man ausgegrenzt wird, in einem kleinen Kreis, wie beispielsweise in der Schule. Aber wenn du gemobbt wirst und in der Schule ausgegrenzt wirst, kannst du zum Bäcker gehen, zur Bank gehen oder was auch immer und dort wirst du nicht mehr ausgegrenzt. Das meine ich mit dem Strukturellen.  

MaryamJa, verstehe.  

Christian: Die strukturelle Benachteiligung ist: Du bist eine Person, die nicht weiß ist und das heißt, du hast fast in deinem ganzen gesellschaftlichen Leben tendenziell Nachteile, die Menschen nicht haben, die weiß sind.  

Maryam: Ja, verstehe.  

Christian: Das ist die strukturelle Benachteiligung. Genau. Ich glaube, es ist wichtig, kurz die Geschichte von Rassismus zu benennen. Es zeigt sich in den Jahrhunderten der Sklaverei oder der Kolonialgeschichte, als weiße Menschen Macht ausgeübt haben auf nicht-weiße Menschen. Das Thema gab es sicherlich auch oft in der Schule.  

Maryam: Hoffentlich gab es das Thema. 

Christian: Ja, hoffentlich gab es das. Das hat bedeutet, dass weiße Menschen in der Gesellschaft einen anderen Stellenwert haben als nicht-weiße Menschen. Dass nicht-weiße Menschen schlechter gestellt sind in der Gesellschaft als weiße Menschen. Das hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass in der Welt das Bild entstanden ist, ein rassistisches Bild von weißen Menschen und nicht-weißen Menschen und das wird bewertet. Weiße Personen werden anders wahrgenommen, sie haben andere Positionen in der Gesellschaft und nicht-weiße Menschen haben eine Position, die schlechter ist. Auch wenn Rassismus in vielen Fällen heutzutage nicht mehr bedeutet, dass Menschen starke Gewalt erfahren oder dass Anschläge ausgeübt werden. Rassismus ist auch das Loben für ein gutes Deutsch zum Beispiel. Rassismus ist auch das Anfassen von Dreadlocks oder Braids bei schwarzen Menschen, weil das eben anders aussieht als bei uns Weißen. Das ist auch Rassismus.  

Maryam: Verstehe.  

Christian: Rassismus ist auch das Bewundern für so eine temperamentvolle Persönlichkeit, weil man als Kartoffel einfach steif ist. Das mag positiv gemeint sein, aber es zeigt eben das Bild von dieser Welt, das wir alle in unseren Köpfen haben, dass es einen Unterschied macht, ob Menschen weiß sind oder ob Menschen eben nicht weiß sind. Das ist auch Rassismus.    

Maryam: Da stellt sich mir jetzt die eigentlich uns schon beantwortete Frage, aber ich glaube es ist wichtig, dass unsere Zuhörer*innen das ein für alle Mal geklärt haben, Christian, gibt es Rassismus auch gegen Weiße? 

Christian: Nein.  

Jenny: Klare Antwort. 

Christian: Nein, gibt es nicht. Natürlich wäre es irgendwie denkbar, wäre die Geschichte der Welt eine andere gewesen, dass es auch Rassismus gegen Weiße gibt. Aber so wie die Geschichte der Menschheit ist, waren über Jahrhunderte lang weiße Menschen viel mächtiger als schwarze Menschen. Und das nicht, weil sie besser sind, sondern einfach, weil sie zu einer bestimmten Zeit mehr Möglichkeiten hatten, andere Menschen zu unterdrücken.  

Maryam: Das heißt, es geht einfach viel um Macht.  

Christian: Es geht um Macht. Es geht um Macht und um Gewalt, ja.  

Maryam: Und ich glaube, das kennen unsere Zuhörer*innen auch aus Fernsehserien, Netflix und so weiter. Es geht viel um Macht in Gesellschaften und ich glaube, Rassismus ist ein gutes Beispiel dafür, wie Macht missbraucht wurde und missbraucht wird. 

Jenny: Wenn ich das jetzt so höre, frage ich mich, ist es denn eigentlich schlimm, wenn man weiß ist? Weil man denkt sich, meine ganzen Vorfahren haben alle unterdrückt und ich mache das auch noch, obwohl ich das vielleicht gar nicht will. Muss ich mich jetzt schlecht fühlen? Ich jetzt persönlich vielleicht nicht, aber musst du dich jetzt schlecht fühlen? 

Christian: Nein, ich glaube nicht, dass du dich entschuldigen musst für etwas, für das du nichts kannst. Darüber haben wir am Anfang auch schon gesprochen. Wir können alle nichts für unsere Hautfarbe. Was aber wichtig ist, gerade bei weißen Menschen, ruh dich nicht darauf aus, weil du das Glück hast, nicht von Rassismus betroffen zu sein. Aber all die anderen Menschen, die nicht weiß sind, die erleben Rassismus jeden Tag und die können sich nicht aussuchen, ob sie sich damit beschäftigen oder nicht. Die müssen sich damit auseinandersetzen, weil sie Rassismus erfahren. Es geht darum, dich zu connecten mit Menschen, die nicht weiß sind. Man kennt sicher Leute im eigenen Kiez oder auch auf dem Dorf gibt es Menschen, die nicht weiß sind, führ Freundschaften. Jetzt such dir nicht extra Menschen, die nicht weiß sind, das meine ich nicht. 

MaryamNur noch die als Freunde. 

Jenny: Alle weißen Zuhörer*innen laufen jetzt erst mal los.  

Christian: Aber schau mal, ob es nicht Menschen in deinem Umfeld gibt, die nicht-weiß sind und die vielleicht auch cool sind. Höre den Leuten mal zu und rede nicht nur über deine eigene Perspektive, sondern hör dir einfach mal an, was für schöne, beschissene Sachen ihnen schon einmal passiert sind, ohne dann direkt selber darüber zu sprechen, dass du auch schon mal dumm angemacht wurdest, weil du weiß bist.  

Jenny: Ja, ich glaube, das ist wichtig, da einfach mal zuzuhören und das so stehen zu lassen, was andere Menschen für Erfahrungen machen.  

Christian: Sei dir bewusst, dass du als weiße Person immer schon gehört wurdest. Du hast immer schon eine Bühne gehabt. Es ist vielleicht mal an der Zeit, anderen Menschen diese Bühne zu geben.  

Maryam: Ja, und ich glaube auch, dass es wichtig ist, diese Bezeichnung weiß nicht als Beleidigung wahrzunehmen, sondern dass es einen Zustand beschreibt und etwas beschreibt, was ganz wichtig ist, zu realisieren.  

Christian: Fragt eure nicht-weißen Freundinnen und Freunde, ob sie Unterstützung in bestimmten Situationen haben wollen. Helft nicht einfach, denn auch Helfen kann eine Form von Rassismus sein, auch wenn es gut gemeint ist, ist es nicht immer hilfreich. Aber ihr habt die Möglichkeit, zu fragen. Wir haben alle einen Mund, mit dem wir sprechen können. Nutzt das und fragt einfach mal nach und fragt auch mal öfter nach, fragt ein zweites Mal nach, wie der Name richtig ausgesprochen wird, weil irgendwann bekommt ihr es auch hin.  

Maryam: Sprecht den Namen richtig aus, Leute. Es ist nicht so schwer. Ihr könnt auch Namen wie Elfriede oder so aussprechen, dann könnt ihr auch andere Namen aussprechen. Das ist nicht so schwer. Ich habe nochmal eine kleine Nachfrage. Ich glaube, wenn man über Hautfarbe redet, dann ist das bei einigen Leuten verletzend, wenn man immer wieder auf die Hautfarbe reduziert wird, vielleicht hast du noch einen Satz zusammengefasst, wir haben ja schon darüber geredet, warum ist es so wichtig, dass dieses Weißsein klar benannt wird? 

Christian: Weil alle anderen auch immer benannt werden. Es gibt oft die Diskussion, warum muss ich jetzt sagen, dass ich weiß bin? Warum scheinen weiße Menschen die Einzigen zu sein, die das Recht haben, ihre Hautfarbe zu ignorieren und ignorieren zu können? Das checke ich nicht. Ich glaube, ich brauche da jetzt keinen catchy Satz. Checkt mal, dass ihr die Einzigen seid, die sich das aussuchen können, ob ihr über eure Hautfarbe sprecht oder nicht. Das ist schon so dumm, dass Leute sich eigentlich Gedanken machen müssen, also ohne Witz.  

Maryam: Mir fällt gerade noch ein, wir haben eben noch über diese Themen gesprochen, wie sich Weiße verhalten können im Umgang, wenn andere Leute Rassismus zum Beispiel erleben. Und im Vorfeld hatten wir uns ein Video angeschaut auf dem Kanal „Auf Klo”.

JennyDas dauert auch nur zehn Minuten. Das kriegt man auch mal schnell hin. Genau, dann würden wir dir die letzte Frage stellen, Christian. Wovon träumst du denn eigentlich nachts? Beziehungsweise was wünschst du dir mit Blick auf die Themen, die wir heute besprochen haben? Wenn es um Weißsein geht, wenn es um Rassismus geht, da wünschst du dir wahrscheinlich viel.

Christian: Wir leben alle in einer Gesellschaft und wir sind alle dafür verantwortlich, diese Gesellschaft zu verändern. Und da müssen alle mitmachen und deswegen wünsche ich mir, dass Leute sich mit der Gesellschaft auseinandersetzen.  

Maryam: Vielen Dank für dieses Schlusswort.


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