Waldbrände, Überschwemmungen, Hitzerekorde: Der Klimawandel führt zu Extremwetterereignissen, die wir schon jetzt zu spüren bekommen. Auffallend ist dabei die ungleiche Beteiligung an bzw. Betroffenheit von den Folgen der Erderwärmung: Während reiche Industrieländer die meisten Emissionen verursachen, leiden besonders Länder des Globalen Südens, die verhältnismäßig wenig daran beteiligt sind, unter den Auswirkungen. Die Klimakrise ist also eng mit Fragen sozialer Ungleichheit verknüpft. In der neuen Folge unseres Podcasts sprechen wir mit der Studentin und Aktivistin Sandra über das Thema Klimagerechtigkeit. Sie verrät uns, was ihr eigener biografischer Hintergrund mit ihrem Engagement zu tun hat, welche Rolle Rassismus und Kolonialismus bei der Klimakrise spielen und lässt uns teilhaben an ihrer Vorstellung einer klimagerechten Welt.
Die Folgen erscheinen einmal im Monat und sind über den Audioplayer und auf Spotify hörbar.
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Transkription der Folge
Jenny:
Hallo und herzlich willkommen zum ufuq.de-Podcast „Wovon träumst du eigentlich nachts?“. Mein Name ist Jenny, und meine Kollegin Maryam ist hier. Wir wollen heute über das Thema Klimaschutz und Umweltschutz sprechen. Und bevor ich unsere Gästin vorstelle, wollte ich dich erstmal fragen, Maryam: Was fällt dir eigentlich zu dem Thema ein?
Maryam:
Hallo. Also, so ganz spontan fällt mir ein, dass ich im September beim Klimastreik war und mir das Nura-Konzert angeguckt habe und tatsächlich echt berührt war davon, dass so, so viele junge Menschen auf der Straße waren, auch schon auf dem Weg dorthin. Aber ich muss auch gleichzeitig zugeben, dass es vielleicht nicht ausreicht, zwei Mal im Jahr zum Klimastreik zu gehen, sondern ich mich vielleicht eher im Alltag auch mal mit meinen Klimasünden auseinandersetzen müsste, weil ich dazu neige, auf jeden Fall ziemlich viel online zu bestellen und auch in Urlaub zu fliegen.
Jenny:
Ja, das ist ja auch alles, glaube ich, nicht ganz so einfach. Und deswegen ist es besonders gut, dass wir heute eine Expertin dahaben. Jedenfalls eine Person, die uns vielleicht ein bisschen mehr über Klimaschutz erzählen kann. Herzlich Willkommen, Sandra! Erzähl doch mal, wer du bist und was du so machst.
Sandra:
Hallo. Ich bin Sandra. Ich bin 22 und studiere gerade Politikwissenschaft im Bachelor hier in Berlin. Ich engagiere mich seit drei, vier Jahren für das Thema Klimagerechtigkeit und gehe da vor allem Fragen nach, welche Folgen der Klimawandel für Menschen in Lateinamerika oder Afrika hat, also im globalen Süden, und auch, was für Folgen der Klimawandel für Menschen in Europa und anderen reicheren Ländern hat, die eben nicht so gut vom Staat geschützt werden, wie zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund oder arme Menschen.
Jenny:
Voll spannend und auch voll viel. Wie genau machst du das denn, oder was genau machst du da in deinem Engagement?
Sandra:
Zu meinem Engagement kam es vor allem auch durch mein Engagement davor für UNICEF. Ich habe in meiner Jugend angefangen, mich für UNICEF zu engagieren, also dem Kinderhilfswerk, was sich eben für die Umsetzung der Kinderrechte einsetzt. Also das Recht auf Gesundheit, Recht auf Bildung, Recht auf eine gesunde Umwelt unter anderem, und habe dann immer mehr geschaut: Okay, was sind Probleme auf der Welt, die das gute Leben für junge Menschen bedrohen? Und bin dann unter anderem auf das Thema Klimawandel gestoßen. Und da hat es erstmal damit angefangen, dass ich ganz viel dazu gelesen habe, mir Filme angeschaut habe und mich dann eben mit anderen jungen Menschen zusammengetan habe und wir versucht haben, andere Menschen von dieser Gefahr, dem Klimawandel, zu erzählen und auch zu fragen: Okay, wie können wir Menschen schützen? Und das hat sich jetzt vor allem, seit ich mit der Schule fertig bin, so verstetigt, indem ich häufig Workshops gebe mit Freunden bei Umweltbewegungen wie Fridays for Future oder der Public Climate School, oder auch bei Ende Gelände. Genau. Und wir waren auch schon ein paar Mal bei so Sachen wie der Klimakonferenz.
Jenny:
Da muss ich doch nochmal kurz eine Nachfrage stellen: Wer ist denn eure Zielgruppe dann? Du hast jetzt gerade gesagt, ihr seid bei Fridays for Future und so. Dann sind das wahrscheinlich junge Leute. Aber habt ihr auch schon mal mit so, sage ich mal, älteren Leuten gesprochen und denen quasi davon erzählt? Weil ich mir das eigentlich auch nochmal besonders spannend vorstelle.
Sandra:
Also mit älteren, machtvollen Menschen haben wir noch gar nicht so viel gesprochen. Sollten wir vielleicht ein bisschen mehr machen. Aber es richtet sich vor allem an eben junge Menschen, die diese Fragen gerade auf die Straße bringen. Denn Fridays for Future hat eine ungemeine Wirkkraft und hat einfach super viele Menschen auf das Thema aufmerksam gemacht. Und mir geht es vor allem darum, dieses Thema noch ein bisschen weiter aufzufächern und nicht so ein Gefühl von „Klimawandel passiert nur gerade jetzt“ und „Es geht nur darum, ob Amsterdam jetzt in ein paar Jahren überschwemmt ist oder nicht“ zu vermitteln, sondern zu zeigen, dass dieses Thema Klimawandel schon sehr, sehr, sehr lange ein wichtiges Thema ist und wie viele andere Krisen, die wir als davon getrennt verstehen, dazu gehören.
Maryam:
Ich bin total beeindruckt davon, in wie vielen Bereichen du irgendwie aktiv bist. Was mich total interessieren würde ist: Warum ist das Thema für dich so interessant? Also, warum engagierst du dich so sehr für dieses riesengroße Thema Klima?
Sandra:
Ich glaube, es gibt nicht so einen klaren Grund dafür. Ich hatte ziemlich Glück, dass ich so mit 14 schon angefangen habe, mir die Kinderrechtskonvention regelmäßig durchzulesen und damit globale Probleme zu assoziieren.
Jenny:
Voll krass, wenn ich das mal so sagen darf. Ja, wow. (Lacht)
Maryam:
Und, Jenny, was hast du mit 14 so gemacht? (lacht)
Jenny:
Ich glaube, leider nicht die Kinderrechtskonvention gelesen.
Sandra:
Ich glaube, es ist sehr geprägt davon, dass meine Eltern aus Äthiopien kommen und ich regelmäßig dort meinen Sommer verbracht habe und schnell gemerkt habe: Okay, Menschen in Äthiopien oder meine Familie in Äthiopien lebt ein sehr, sehr anderes Leben. Und ich habe mich gefragt: Weshalb ist das so, wenn wir dieselben Rechte haben? Und habe dann auch angefangen, mich immer mehr für Politik zu interessieren und studiere jetzt eben auch Politikwissenschaft. Und man kann all diese Themen wie „Wieso gibt es Armut?“ oder „Wieso gibt es Ungerechtigkeit?“ aus super vielen verschiedenen Perspektiven beleuchten. Aber eine sehr wichtige dabei ist eben auch der Klimawandel. Denn Klimawandel ist eigentlich eine ziemliche natürliche Sache. Jeder, der schon mal Ice Age geschaut hat, weiß, dass die ganze Erde irgendwie mal eingefroren war. Aber die Art und Weise, wie Länder wirtschaften, also wie wir Produkte produzieren, wie wir sie durch die Welt transportieren, hat auch einen krassen Einfluss darauf, ob diese Prozesse verstärkt werden, also, wie darin eingegriffen wird oder wessen Meinung eben gefragt wird, in dem, wie wir zusammenleben, in dem, wie wir wirtschaften. Ich glaube, ich habe gar nicht mal so eine krasse Waldliebe oder solche Sachen. Also, ich gehe in den Wald, aber meine Eltern haben mich jetzt nie in den Wald mitgenommen oder in irgendwelche großen Parks oder so was. Ich kann vielleicht so drei Bäume nennen. Aber ich finde es irgendwie super spannend, der Frage nachzugehen: Okay, wenn ich nach Äthiopien gehe, wieso sehe ich so krass viele Mülldeponien, aber weiß, dass die Leute richtig wenig Müll produzieren? In Deutschland habe ich, wenn ich nicht explizit mit der Schule hingegangen bin, noch nie eine Mülldeponie gesehen. Und solche Fragen lassen sich halt gut am Thema Klimawandel abarbeiten, lassen sich genauso gut auch am Thema, keine Ahnung, EU-Außenpolitik abarbeiten. Aber wenn man über Klimawandel redet, ist es irgendwie cooler, weil es einfach viel mehr mit Zuhören zu tun hat. Und in jeder Begegnung kann ich irgendwelche Informationen zum Klimawandel oder zu Klimagerechtigkeitskämpfen herausfiltern. Und das mag ich richtig gerne. Ich mag, dass ich eine direkte Verbindung zwischen meinem Leben und Klimagerechtigkeit herstellen kann und nicht das Gefühl habe, ich muss erst einen Master gemacht haben, um mich in EU-Außenpolitik einzubringen.
Maryam:
Also, ehrlich gesagt bin ich gerade total beeindruckt von dem, was du gesagt hast. Du hast ja gerade eben gesagt, dass Klimagerechtigkeit auch ganz viel mit deinem eigenen Leben zu tun hat. Kannst du vielleicht nochmal erklären, was du damit meinst?
Sandra:
Also, dazu vielleicht noch ein bisschen mehr zu mir: Ich komme eigentlich aus Frankfurt am Main, aus einem etwas ärmeren Stadtteil im Nordwesten von Frankfurt. Und ziemlich nah von da, wo ich wohne, also vielleicht so fünf Minuten zu Fuß, ist eine fette Autobahn. Und diese fette Autobahn ist eine krasse Lärmbelastung und man merkt auch, dass da mega viel Feinstaub runterkommt. Und jetzt habe ich unter anderem durch mein Studium gelernt, dass es solche Sachen gibt wie Feinstaubradare. Also, man kann sich ein Bild von einer Stadt anschauen und gucken: Okay, wo ist die krasseste Feinstaubbelastung? Und auf diesen Radaren sieht man eben, dass die Belastung am höchsten ist in ärmeren Stadtteilen, wo weniger Menschen sind, die zum Beispiel wählen gehen. Also, in meinem Stadtteil sind vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, überwiegend Menschen, die erst nach Deutschland migriert sind und einfach nicht so politisch Gehör finden. Und die direkte Verbindung ist nicht: Weil da diese Autobahn ist, finden die Menschen wenig Gehör. Sondern es geht noch viel, viel weiter: Weil da diese Autobahn ist, sind Menschen krasser durch Feinstaub belastet. Das hat Auswirkungen auf deren Gesundheit. Gleichzeitig habe ich aber auch dadurch, dass ich in die Uni gegangen bin, gemerkt, dass in meinem Stadtteil nicht wirklich eine gute Bibliothek ist. Also selbst wenn ich dieser Frage nachgehen wollen würde „Okay, was waren Standortentscheidungen, dass diese Autobahn diesen Stadtteil durchquert?“, könnte ich mich nicht wirklich dazu bilden. Und als ich dann in der Schule aber vom Klimawandel gelernt habe, ging es ganz viel um solche Sachen wie Avocados oder den ökologischen Fußabdruck von Gewürzen, die ich im Supermarkt kaufe. Oder aber auch diese Frage von „Wie viele Autos haben Leute zusammen?“. Ich war auf einer eher reicheren Schule, wo Leute eben mehrere Autos hatten. Aber ich kam aus einer Familie, wo wir kein Auto hatten und immer U-Bahn gefahren sind. Diese Autobahn ist zwar durch oder beziehungsweise über meinen Stadtteil gefahren, aber ich hatte gar keine Berührungspunkte damit. Also, diese Autobahn ist nur da durchgefahren, damit, keine Ahnung, reiche Leute regelmäßig zum Flughafen fahren können oder ihre Produkte von A nach B bekommen.
Eine Sache, die mir auch noch aufgefallen ist, ist, dass es in der Schule so darum ging: „Welche Auswirkungen hat unser Konsum?“ Also ist man vegetarisch, ist man vegan? Meine Eltern kommen ja aus Äthiopien. Und die äthiopische Küche ist sehr vegan. Unter anderem aus religiösen Gründen, aber es hat auch einfach damit zu tun, dass sich nicht jeder Fleisch leisten kann. Fleisch ist einfach nicht so verankert in der äthiopischen Esskultur wie in der deutschen. Also, worauf ich damit hinaus möchte, ist, dass ich diese großen Faktoren, die zum Klimawandel beitragen, gar nicht so wirklich in meiner Lebensrealität wiederfinde. Und wenn, dann sind es eher kleine Ausnahmen oder solche Sachen, die eben mit meinem Aufstieg, also damit, dass ich einen höheren Abschluss habe, dass ich mehr Geld verdiene, verknüpft sind. Denn so häufig fliege ich nicht in den Urlaub. Und wenn ich ins Ausland fliege, fliege ich meistens zu meiner Familie, die nicht irgendwie ein Bundesland weiter lebt. Da habe ich mich einfach gefragt: Ich kann die Verbindung nicht zum Klimawandel ziehen, indem ich so eine krasse Schuld empfinde. Also, auch was du am Anfang angesprochen hast. Ich glaube nicht, dass du zu den schuldigsten Menschen auf der Welt gehörst. (Maryam: Danke.) (Alle lachen), um dich ein bisschen von deiner Schuld zu befreien. Aber dann habe ich mich gefragt: Okay, was für eine andere Beziehung habe ich dazu? Und klar ist es voll nervig, darüber nachzudenken, dass diese Scheißautobahn durch meinen Stadtteil fährt, aber gleichzeitig habe ich dann auch gesehen, mit wie vielen anderen Kämpfen das irgendwie verbunden ist, also, einfach mit meiner ganzen Lebensrealität irgendwo politisch, erst dadurch, dass ich in einem armen Stadtteil aufgewachsen bin.
Maryam:
Du hast ja jetzt gerade eben gesagt, dass du eine direkte Verbindung zwischen Klimawandel und deinem persönlichen Leben herstellen kannst. Und du hast ja auch gerade gesagt, dass ich jetzt nicht die größte Klimasünderin der Welt bin. Gleichzeitig muss ich ehrlich sagen, dass ich mich ja wahrscheinlich genau auch aufgrund von Medienberichterstattung und Unterhaltungen in meinem Freund*innenkreis immer wieder frage: Okay, wie kann ich mein Leben klimagerechter machen? Und was mir immer wieder in den Kopf kommt, ist dieses 1,5-Grad-Ziel. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht so ganz weiß, was ich sozusagen als Einzelperson dazu beitragen kann und was dieses 1,5-Grad-Ziel überhaupt bedeutet. Das ist jetzt vielleicht eine offene, große Frage. Aber vielleicht kannst du kurz erklären: Was ist dieses 1,5-Grad-Ziel?
Sandra:
Das 1,5-Grad-Ziel wurde in Paris 2015 während der Weltklimakonferenz beschlossen. Also, die circa 196 Staaten kommen jedes Jahr zusammen, treffen sich an irgendeinem Ort, dieses Jahr war es, glaube ich, in Schottland, und überlegen sich: Okay, wie kann man dem Klimawandel entgegenwirken? Und 2015 wurde eben beschlossen: Die Erdatmosphäre soll nicht heißer werden als 1,5 Grad im Vergleich zu 1830 ungefähr, also zum Beginn der Industrialisierung. Und ich glaube, genau dieser Beginn vor der Industrialisierung ist super wichtig für die Perspektiven, die ich versuche mit reinzubringen, weil die Industrialisierung auch ganz viel mit dem Thema Kolonialismus und dem Kapitalismus zu tun hat. Dieses 1,5-Grad-Ziel ist mega wichtig, denn es basiert auf ganz vielen wissenschaftlichen Studien, die davon ausgehen, dass, wenn die Erde heißer als 1,5 Grad im Vergleich zu vor der Industrialisierung wird, irreversible Schäden auf der Welt entstehen. Also, dass es von da aus im Prinzip kein Zurück mehr gibt, das heißt unsere Klimabemühungen dann einfach nicht mehr so effektiv sind, wie wenn wir jetzt einfach richtig loslegen und versuchen, an das 1,5-Grad-Ziel zu kommen oder eigentlich am besten noch viel, viel niedriger. Ich glaube, solche individuellen Entscheidungen sind super wichtig. Ich habe ja vorhin schon von Mülldeponien gesprochen. Ich weiß nicht mehr genau, wie viel es waren, aber ich glaube, ungefähr 150.000 Tonnen deutscher Plastikmüll landen jährlich in Malaysia. Es ist also gar nicht so irrelevant, ob man sich jetzt einen Joghurt kauft, der in einer Glasverpackung oder in einer Plastikverpackung ist. Aber es ist nicht das Wichtigste, würde ich sagen. In rassismus- oder kolonialismuskritischen Klimabewegungen wird häufig davon gesprochen, dass der ökologische Fußabdruck ein Mittel ist, um zu gucken: Welche Auswirkungen hat unser Konsum auf die Erde? Und in diesen Kreisen wird sehr viel darüber gesprochen, dass dieser Fußabdruck häufig auf Kosten anderer Menschen geht. Also von Menschen in Teilen der Welt, die sich nicht so vor den Folgen des Klimawandels schützen können wie zum Beispiel Deutschland.
Maryam:
Du hast ja gerade von verschiedenen Joghurtarten im Glas oder im Plastikbecher gesprochen. Ich komme aus einer Familie, wo für solche Entscheidungen gar keine Zeit oder gar keine Kraft und vor allem auch überhaupt gar kein Geld da war. Und ich habe immer so ein bisschen die Angst, dass dann mit dem Finger auf die Leute gezeigt wird, die sich nicht mit diesem Thema beschäftigen können, weil sie es sich nicht leisten können, zum Beispiel, jetzt so ganz klischeehaft, alles in Bio oder so zu kaufen. Vielleicht kannst du dazu nochmal was sagen?
Sandra:
Ja. Ich glaube, das ist auch eine ganz große Kritik, die an Fridays for Future häufig getätigt wird. 2020 oder 2019 hatten die auch so eine große Aktion, wo sie einen Flughafen blockiert haben, um Menschen zu zeigen oder darauf aufmerksam zu machen, dass Fliegen mega schädlich für die Umwelt ist. Ich glaube, die Frage hat ganz viel mit „Was ist mein eigener Wirkungsraum?“ zu tun. Denn meine Familie würde sich auch keinen Joghurt im Glasbecher leisten können. Das ist teuer. Das ist eine Sache, die zugänglicher gemacht werden muss. Aber diesen Protest muss nicht jeder Mensch führen, denke ich. Da liegt die Verantwortung bei der Regierung, das zugänglicher zu machen, genauso wie die Regierung zugänglich macht, dass wir unsere Wasserflaschen recyceln können. Also, es muss einfach ins Leben integrierbar sein. Deswegen halte ich auch ehrlich gesagt nicht viel davon, wenn man Menschen für ihre individuellen Konsumentscheidungen verurteilt. Also, ich kenne es aus meiner Familie, dass wir die Prospekte durchgehen und überlegen: „Was sind die günstigsten Sachen, die wir uns kaufen können?“ Ich werde mir jetzt nicht davor noch eine Rede von Greta Thunberg anhören und mir überlegen: „Okay, also unter dem Gesichtspunkt, kaufe ich jetzt den Joghurt oder den?“ Es ist ein Privileg, sich damit auseinanderzusetzen, was vor der eigenen Haustür passiert. Und ich würde so gerne mehr Menschen dazu ermutigen, das, was sie machen, eigentlich noch mehr zu politisieren. Also zu sagen: „Okay, das ist gerade voll krass, was ihr macht. Armut ist richtig scheiße und wäre politisch komplett vermeidbar“. Und eine Sache, an die ich häufig denke, ist ein Protest in London von Black Lives Matter. Da sind wir auch beim Thema Intersektionalität. Intersektionalität ist eine feministische Theorie, die sagt, dass man nie eine einzige Realität lebt. Also ich zum Beispiel identifiziere mich als Frau und erlebe Sexismus. Aber ich lebe auch die Realität als Schwarze Person und erlebe Rassismus. Und ich bin auch mit Hartz IV aufgewachsen, also habe ich auch sehr viel Klassismus erlebt. Das heißt, ich hatte weniger Zugang zu sehr vielen Sachen, weil meine Familie nicht so viel Geld hat. Jetzt die Brücke zu Black Lives Matter: Black Lives Matter in London hat nämlich auch diesen tollen intersektionalen Ansatz, dass sie sich nicht nur fragen: „Okay, welche Folgen hat es, dass wir Schwarz sind?“, sondern gehen auch der Frage nach: „Was hat es eigentlich für Auswirkungen, dass Schwarze Menschen sehr häufig Schwarz und auch arm sind?“ Und sie hatten so einen richtig coolen Protest, ich weiß gar nicht mehr, wann, am Londoner Flughafen, wo sie gegen den Weiterbau des Flughafens protestiert haben. Also gar nicht gegen das Fliegen selbst, sondern sie sind auf eine höhere Ebene gegangen und haben gesagt: „Okay, hier, keine Ahnung, welche Investoren, britische Regierung, ihr fördert gerade, dass dieser Flughafen weitergebaut wird. Nehmt mal eure Verantwortung wahr“. Weil, die britische Regierung und die ganzen Investoren dahinter, die haben eine krasse Verantwortung. Die können sich morgen überlegen, ob sie ein Fußballstadion oder einen Flughafen fördern. Das ist nicht dasselbe wie „Ich stehe im Supermarkt, habe nur noch fünf Euro und überlege, was ich mir kaufe“ oder „Ich sehe meine Familie nur einmal im Jahr, weil sie auf einem anderen Kontinent lebt“. Ich kann alle nur motivieren, sich diesen Protest nochmal online anzuschauen. Ich habe es einfach sehr geliebt, wie sie diesen Protest politisiert haben. Sie sind nämlich konkret darauf eingegangen, dass Flughäfen häufig in armen Stadtteilen sind, also in Frankfurt zum Beispiel ziemlich nahe an Rüsselsheim, wo auch Opel „zufälligerweise“ sitzt. Oder eben in London in Newham, wo mega viele arme Menschen leben und die Leute, die im Flughafen arbeiten, vielleicht einen Mindestlohn oder ein bisschen mehr verdienen, aber die Leute, die tatsächlich regelmäßig fliegen, mehrere Tausend im Monat verdienen. Und ich würde mir so krass wünschen, dass sich vor allem junge Menschen, die denken, sie müssten eigentlich reich sein und bei, keine Ahnung, Alnatura einkaufen, um in diesem Klimathema mit drin zu sein, sich also erstmal ein bisschen den Druck nehmen und sich dann angucken: Okay, was macht meine Familie eigentlich den ganzen Tag und was ist eigentlich mein Leben? Und von da aus eine Verbindung zum Thema Klimawandel ziehen. Weil, meine Familie hat sehr viel in Supermärkten gearbeitet, die natürlich auch durch das, was sie anbieten, super viel mit Klimawandel zusammen haben, aber auch in dem, was gerade als trendy gilt, also welches Gewürz zum Beispiel oder Avocados oder ich kenne aus Äthiopien dieses äthiopische Mehl Teff, was jetzt irgendwie supercool ist, weil es glutenfrei ist, also, so ganz viele rassistische Fragen, die damit auch verbunden sind. Und sich daran nicht nur empowern können, sondern gleichzeitig auch eine Chance sehen, ihre komplexe Realität als Mensch mit Migrationshintergrund oder als arme Person in ihren politischen Kampf integrieren wollen. Also, sofern sie in politischen Kämpfen involviert sein wollen. Das war jetzt sehr komplex. Ich hoffe, das war irgendwie verständlich.
Jenny:
Voll. Also, voll interessant. Aber, ja, es war sehr komplex. Du hast ja eben gerade, beziehungsweise, ist vielleicht sogar schon ein bisschen länger her, vom Zusammenhang von Klimawandel und Kolonialismus gesprochen. Vielleicht kannst du darauf nochmal ein bisschen näher eingehen und das nochmal erklären. Wo ist da genau der Zusammenhang?
Sandra:
Okay, ich mache es jetzt mal so ganz runtergebrochen. Also, im 15. Jahrhundert will Kolumbus Amerika entdecken, aber landet auf den Bahamas und beschließt dann: Okay, wir besetzen jetzt im Auftrag von Spanien. Das haben ganz viele Länder gemacht, unter anderem auch Deutschland (sehr wichtig zu wissen), Großbritannien (habe ich ja vorhin schon eine Verbindung zu gezogen) oder auch Portugal. Also ganz viele europäische Mächte haben Länder im globalen Süden besetzt. Und die wollten nicht nur das Land haben, sondern auch ganz viele Ressourcen wie zum Beispiel Zucker, Tabak, Kaffee, um den in den eigenen Ländern anzubieten, aber auch, um global damit zu handeln. Um das alles anzubauen, haben sie erstmal Land gebraucht, also haben ganz viel gerodet, haben in das Ökosystem eingegriffen, haben viel verbrannt. Also, die hatten einfach keinen Respekt und auch einfach keine Ahnung, weil sie sich als überlegen verstanden haben. Um zum Beispiel Zucker anzubauen, braucht man mega viel Arbeitskraft. Das heißt, Mächte wie Großbritannien haben sich gedacht: Okay, wo kriegen wir ganz viel Arbeitskraft her, ohne unser „überlegenes“ Volk zum Arbeiten zu zwingen? Das ist so ein bisschen die Verbindung auch zum transatlantischen Sklavenhandel. Es wurden eben Menschen aus dem globalen Süden, vor allem aus Afrika, in die Karibik oder nach Lateinamerika verschleppt, um dann auf diesen Feldern zu arbeiten, damit Länder des globalen Nordens, also vor allem europäische Länder, kann man, glaube ich, ganz offen sagen, ganz viel Reichtum anhäufen konnten. Und, wie gesagt, der Klimawandel ist ja eigentlich ganz normal. Aber wenn über die Bedürfnisse der Menschen hinweg krass gewirtschaftet wird, Wälder gerodet werden, der Erde einfach die Nährstoffe genommen werden, um krasse wirtschaftliche Profite anzuhäufen, dann entstehen eben solche Phänomene wie der Treibhausgaseffekt. Das, würde ich sagen, ist so ganz grob die Verbindung zwischen Kolonialismus und Klimawandel. Also die Art und Weise, wie wir global wirtschaften, ist nicht normal. Und sie basiert einfach darauf, dass europäische Mächte oder auch bis heute europäische Länder sich das Recht rausnehmen oder das Recht schaffen, unnachhaltig zu wirtschaften, um sich einfach Land anzueignen und Arbeitskräfte auszubeuten.
Jenny:
Eigentlich muss ich da jetzt nochmal nachfragen: Passiert das nicht heute eigentlich immer noch?
Sandra:
Ja, das passiert heute immer noch. Aber wir sprechen nicht mehr von Kolonialismus, weil offiziell, so zum Ende des 20. Jahrhunderts, die meisten Länder entkolonialisiert wurden. Das war auch ganz viel im Zusammenhang mit der Entstehung der Vereinten Nationen. Aber koloniale Verhältnisse herrschen immer noch. Man spricht auch von „kolonialen Kontinuitäten“, also „kolonial“ wie das Machtverhältnis und „Kontinuität“, weil es noch weitergeht. Wenn man sich zum Beispiel deutsch-tansanische Beziehungen anschaut oder deutsch-kamerunische Beziehungen, dann sieht man, dass Deutschland viel mehr Profit macht als die Länder. Und die Frage, ob der Kolonialismus tatsächlich abgeschlossen ist, ist auch eine Frage von „Wie definiere ich Kolonialismus?“ Frankreich hat zum Beispiel immer noch Überseegebiete, die formal noch zu Frankreich gehören. Also, ich könnte jetzt sagen „Ich will nach La Reunion“, also ein Überseegebiet, und ich könnte das einfach machen, weil es französisches Land und somit Teil der EU ist, auch wenn es eigentlich viel näher für meine Verwandten aus Äthiopien erreichbar wäre und man irgendwie denken würde: Okay, so ein bisschen dieselbe Richtung, müsste eigentlich zugänglicher sein. Also ja, es geht auf jeden Fall weiter. Die Art und Weise, wie wir das bezeichnen, ist eine politische Frage. Sage ich „koloniale Kontinuität“ oder sage ich „liberale Marktwirtschaft“ und die Leute müssen einfach bessere Verträge bilden? Deswegen ist es, glaube ich, super wichtig, in die Geschichte zu schauen. Und eine Sache, die ich richtig cool finde, ist, dass es gar nicht unbedingt sein muss „Okay, ich muss jetzt super viel recherchieren und in die Bibliothek gehen“, sondern ich glaube, wenn man sich Kultur, Filme, Musik aus den ausgebeuteten Ländern anschaut, dann sieht man einfach sehr, dass diese Präsenz von europäischen Mächten in diesen Ländern nicht natürlich ist, sondern ganz viel mit Profit zu tun hat und einfach mit sehr, sehr langjährigen, ausbeuterischen Beziehungen, die bis zurück in den Kolonialismus führen.
Jenny:
Was genau bedeutet Klimagerechtigkeit auf einer globalen Ebene konkret?
Sandra:
Um sich dem anzunähern, was Klimagerechtigkeit global bedeutet, muss man sich, glaube ich, ziemlich ähnliche Fragen stellen: Wer sind die vulnerabelsten Menschen? Welche Menschen können sich helfen, wenn sie in eine Krisensituation gelangen, wie eine Überschwemmung, eine Überflutung, Dürreperioden? Und weshalb sind die Menschen so vulnerabel, also wieso können sie sich nicht helfen? Und da sind intersektionale Fragen, die wir vorhin angesprochen haben, genauso wichtig, wie zum Beispiel: Frauen verdienen global, also eigentlich in jeder Gesellschaft, weniger als Männer, können sich dementsprechend weniger gut schützen, können also, wenn wir zum Beispiel über den globalen Süden sprechen, vielleicht weniger gut in innovative Bewässerungssysteme investieren, aber auch Zugang zu Autos und all diese Sachen. Also habe ich das Geld, um zu fliehen? Was Klimagerechtigkeit genau bedeutet, ist eigentlich ein ständiger Aushandlungsprozess. Aber ich würde sagen, es geht ganz viel darum, dass die Länder, die am meisten zum Klimawandel beziehungsweise zur Klimakrise beitragen, auch genauso viel Verantwortung übernehmen. Also, es gibt ganz viele verschiedene Statistiken, aber eine besagt, dass sieben von zehn der vulnerabelsten Länder im Angesicht der Klimakrise in Subsahara-Afrika sind. Das sage ich jetzt, weil ich vorhin ausgeholt habe und gesagt habe, dass der Klimawandel oder die Klimakrise krass durch den Kolonialismus befeuert wird oder wir im Prinzip schon 500 Jahre, also so lange, wie der Kolonialismus gewirkt hat, eine Klimakrise erleben. Und es sind eben nicht die vulnerabelsten Länder, die am meisten zum Klimawandel beigetragen haben, sondern die krassen Profiteure, wie Länder der EU oder auch Nordamerika, die diese Klimakrise verursacht haben und einfach keine Verantwortung übernehmen. Das 1,5-Grad-Ziel ist eine Annäherung daran, dass mehr Länder dafür Verantwortung übernehmen, aber ich glaube, wir müssen diese Frage ständig stellen: Was würde es eigentlich bedeuten, gerecht mit dieser Klimakrise umzugehen, sie gerecht historisch einzuordnen? Und ich sage historische Einordnung, weil es wichtig ist zu sagen „Okay, die und die Unternehmen, die und die Länder sind am verantwortlichsten“. Denn wenn mir einmal diese Länder ausgesprochen haben oder diese Unternehmen, dann können wir diese Verbindungen ziehen, die ich am Anfang auch auf lokaler Ebene gezogen habe.
Jenny:
So, wie du es beschreibst, ist einfach noch super viel zu tun, wenn wir es irgendwie schaffen wollen. Kannst du unseren Zuhörer*innen vielleicht sagen, was sie machen können, wenn sie sich engagieren möchten?
Sandra:
Ich glaube, als erstes mal sagen: Keinen Druck machen. (Alle lachen)
Jenny:
Das ist, glaube ich, entspannend zu hören.
Sandra:
Ja, genau. Und sich überlegen: Okay, welchen Zugang möchte ich dazu wählen? Wenn jemand gerne Theater spielt, gibt es bestimmt Theatergruppen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Oder man kann auch dezidiert sagen: Ich will in diese Geschichten reingucken und die irgendwie abbilden. Natürlich kann man sich immer den großen Bewegungen wie Fridays for Future anschließen. Es gibt Bewegungen, die betrachten das alles aus einer rassismuskritischen Linse, wie zum Beispiel das Black Earth Collective in Berlin. Ich weiß, dass es bei der Bundjugend in Berlin auch eine Gruppe gibt, ich glaube, sie heißt „Locals United“, die das auch aus einer rassismuskritischen und ich glaube auch genderkritischen Perspektive betrachten. Also ich glaube, wenn ich jetzt nochmal 14 wäre, würde ich einfach bei Google mein Hobby eingeben und Klimawandel und gucken, wer sich damit auseinandersetzt, damit es nicht so ein Thema ist, was kaum greifbar ist und man das Gefühl hat, dieses Thema erschlägt mich. Der Vorteil bei großen und komplexen Problemen ist, dass es ganz, ganz viele Wege gibt, sich damit auseinanderzusetzen und dass jeder einzelne Weg davon sehr valide und sehr, sehr wichtig ist und jeder einzelne Weg dazu beiträgt, dass wir ein komplexeres Verständnis von Klimagerechtigkeit bekommen. Und je mehr Verständnis und Ansatzpunkte wir haben, umso zielgerichteter werden wir das Problem auf jeden Fall lösen können.
Maryam:
Ich hoffe, unsere Zuhörer*innen sind jetzt schon fleißig am Googlen, wo sie sich engagieren können. Und wir sind schon am Ende von unserem Podcast angekommen. Wir haben noch eine letzte Frage, die wir all unseren Gäst*innen stellen: Sandra, wovon träumst du eigentlich nachts, wenn du an die Zukunft vom Klima denkst?
Sandra:
Also, ich glaube, ich träume sehr klischeehaft auf jeden Fall von einer gesunden Natur, von weniger Mülldeponien. Und ich träume einfach von einem einfacheren Leben. Ich träume auf jeden Fall von weniger prekärer Arbeit, ob es in Deutschland oder im globalen Süden ist. Ich träume davon, dass Menschen wohnen, wo sie wollen, und dort, wo sie wohnen wollen, auch Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Dass Leute ihrer Leidenschaft nachgehen können und einfach nicht davon beeinträchtigt sind, wie wenige Länder wirtschaften, um Profite zu erzielen. Ich wünsche mir einfach, dass Menschen dem nachgehen, dem sie nachgehen wollen und eben nicht diesem krassen Machtverhältnis ausgesetzt sind. Aber ich glaube, so für die nächsten fünf bis zehn Jahre träume ich einfach davon, dass junge Menschen mit mehr Selbstbewusstsein durch die Welt gehen und sich trauen, ihre Lebensrealität zu politisieren und zu sagen: Hey, das was ich mache, ist gerade voll relevant. Nicht nur in meinem Kiez, sondern auch einfach global. Und sich miteinander vernetzen und sich gegenseitig inspirieren. Ich glaube, das ist auf jeden Fall eine gute Strategie, um die Klimakrise anzugehen und auch vielleicht jetzt schon ein bisschen einen Komfort im Klimakampf zu finden, aber auch einfach ein gewisses Selbstbewusstsein zu haben.
Jenny:
Ja, danke, Sandra, dass du bei uns warst. Ich bin auf jeden Fall sehr inspiriert.
Maryam:
Ich auch.
Jenny:
Und wir freuen uns, wenn ihr das nächste Mal wieder dabei seid beim ufuq.de-Podcast „Wovon träumst du eigentlich nachts?“.
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