Willkommen in der Fremdheit – wie die Schule das Fremde aufheben kann
13. Februar 2019 | Diversität und Diskriminierung, Geschichte, Biografien und Erinnerung

In der Einwanderungsgesellschaft muss die Schule es auch verstehen, mit Fremden und mit Fremdheit umzugehen. Wenn das gelingt, kann sie zu einem Ort werden, an dem Bindung entsteht – zum Gewinn aller. Der Schulbegleiter und Lehrer Philip Mohamed Al-Khazan analysiert Fremdheit, beleuchtet die Rolle von Emotionen und zeigt mit Beispielen, wie die Schule Fremdheit überwinden kann.

Die Flüchtlingskrise hat in Deutschland verschiedene Problematiken und Themen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt: Fremdenfeindlichkeit, Islamismus, Rechtsradikalismus – aber auch Menschenrechte, Demokratie und die Außenpolitik der Bundesregierung.

Die Bundeskanzlerin verteidigte ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik. „Wer richtungweisende politische Entscheidungen zu treffen hat, muss das tun, auch wenn sie polarisieren“, sagte Angela Merkel dem Tagesspiegel. Die Polarisierung in der Flüchtlingskrise kann nicht größer sein. Während auf der einen Seite eine Willkommenskultur zelebriert wird, baut sich auf der anderen Seite eine ablehnende bis fremdenfeindliche Haltung auf.

Die fremdenfeindliche Haltung ist zunächst einmal eine Haltung. Eine Haltung basiert auf Emotionen. Diese Emotionen stellen uns vor eine große Herausforderung. Die Konflikte, welche in der Gesellschaft ausgetragen werden, finden schon längst Eingang in die Klassenzimmer.

Deshalb kommt auch der Schule die Pflicht zu, tätig zu werden. Aber was soll die Schule tun? Zunächst einmal sollte die eigene Haltung, die Haltung als Schule, als Schulleitung und als Lehrer_in reflektiert werden. Wir müssen uns also mit dem Thema „fremd“ und „Fremdheit“ auseinandersetzen.

Was bedeutet fremd? Der Duden unterscheidet bei „fremd“ zwischen drei Bedeutungen:

1. nicht dem eigenen Land oder Volk angehörend; eine andere Herkunft aufweisend
2. einem anderen gehörend; einen anderen, nicht die eigene Person, den eigenen Besitz betreffend
3. a. unbekannt; nicht vertraut
b. ungewohnt; nicht zu der Vorstellung, die jemand von jemandem, etwas hat, passend; anders geartet.

Ein Wort in seinen Bedeutungen rational zu erfassen, heißt jedoch nicht, es ganzheitlich erfasst zu haben. Die unterschiedlichen Perspektiven und die von ihm ausgelösten Emotionen können dem Wort eine ganz andere Bedeutung geben.

Am Anfang war die Emotion

„Fremd“ ist die Abwesenheit von Vertrautheit oder Sicherheit. Fremdsein kann instrumentalisiert werden. Es kann als Hilfe dienen, die eigene Selbstsicherheit zu stärken. Heikel wird es, wenn die fehlende Vertrautheit bzw. Sicherheit ausgenutzt wird. Sie kann das Gemeinschaftsgefühl einer Gruppe stärken, indem sie sich gegenüber dem Fremden abgrenzt.

Die Instrumentalisierung läuft manchmal auf der unterbewussten Ebene ab und wird durch verschiedene Emotionen vorangetrieben: geringes Selbstwertgefühl, aufgestauter Frust, Einsamkeit, Gier oder Neid. „Fremd“ ist ein Gefühl. Wir müssen uns bewusst machen, dass Emotionen die Tendenzen unserer Handlung festlegen, bevor die Vernunft zum Einsatz kommt.

Ein rationales Verstehen des Fremden allein hebt das Fremdsein nicht auf. Viel wichtiger ist ein emotionales Verstehen für das, was zunächst fremd ist, um die Fremdheit aufzuheben. Es ist ein Prozess, der Geduld benötigt, möglichst ohne ein Gefühl der Fremdbestimmung zu erwecken.

Erwartung und Realität

Fremd zu sein, besitzt eine negative, ausgrenzende Tendenz, während „Aufbruch in die Fremde“ im Positiven Abenteuerlust und Neugierde ausdrückt. Wer in die Fremde zieht, kann schnell von einer Ernüchterung erschlagen werden, indem sich seine Erwartungen in Luft auflösen. Die Stadt der Liebe versetzt Japaner in das „Paris-Syndrom“, eine Depression, welche unter anderem durch die aggressive Ungeduld und den ungezwungenen Humor der Pariser_innen alle romantischen Erwartungen der fremden Besucher zerschmettert.

Ein Traumland manche Deutscher wie Kanada kann für sie zu einem Albtraum werden, wenn sie sich dort Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung ausgesetzt sehen.

Die Suche vieler Asylbewerber nach Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in Deutschland endet in einer Containerwohnung, und man wird von der hiesigen Bürokratie im Status eines Geduldeten in eine scheinbar ewige Fremdheit verbannt.

Der Wunsch, dazuzugehören

Egal wohin man auswandert, die Enttäuschung kann groß sein. Und der damit einhergehende Frust mindert nicht die Bereitschaft, den Umhang des Fremdseins abzulegen. Die eigene Identitätsentwicklung und der Integrationsversuch werden erschwert. Sie wird gar in ein Trotzverhalten kanalisiert, um das Selbstwertgefühl zu steigern.

Aus meiner eigenen Migrationserfahrung heraus bin ich fest davon überzeugt, dass niemand in der Fremdheit verweilen möchte, egal ob eine erzwungene oder freiwillige Migration sie oder ihn in die Fremde aufbrechen ließ.

Doch wie versuchen Menschen, die Fremdheit zu überwinden? Sie suchen sich eine Gemeinschaft, mit der sie sprachliche und traditionelle Gemeinsamkeiten besitzen. Manche versuchen, durch Namensänderung die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, indem sie landestypische Namen annehmen. Manche haben das Glück, die Fremdheit mit viel Unterstützung durch Menschen aus ihrer neuen Heimat zu überwinden.

In der Fremde

Auf www.deutsche-im-ausland.org werden deutsche Auswanderer_innen darauf hingewiesen, dass ein Kulturschock durch mentale und sprachliche Unterschiede zu erwarten sei. Gegen Heimweh und das Getrenntsein von Familie und Freunden empfehlen sie, andere Deutsche im Ausland zu suchen, und zwar anhand einer Adressdatenbank für im Ausland lebende Deutsche.

Eine wunderbare Hilfe, die ich emotional und rational verstehen kann. Leider erschwert diese Hilfe, sich in die neue Kultur einzuleben. Sie fördert das Entstehen von Subkulturen, die wiederum andere Menschen ausgrenzen. Für die Alteingesessenen ist der rapide Wandel ihrer Umgebung manchmal verunsichernd. Die gewohnten Annehmlichkeiten des Alltags werden durch „sonderbare“ Eigenheiten der neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger gestört.

Sie sprechen teilweise sehr laut in der Bahn, halten sich manchmal nicht an gewohnte Regeln wie die Mülltrennung, halten sich vielleicht nicht an Ruhezeiten, oder exotische Gewürze schwängern das Treppenhaus. Die Fremdheit verstärkt das Fremde. Und der Fremde verharrt in der Fremdheit. Wie kann also diese Verkeilung gelöst werden?

Das politische Spiel mit der Fremdheit

Aktuell stehen in Deutschland und in Europa zwei Phänomene im Fokus, die Angst und teilweise Schrecken verbreiten: Die religiös begründete Radikalisierung und der auflebende Nationalismus, gepaart mit Islamophobie und Ausländerfeindlichkeit. IS, Pegida, AfD, Salafismus und Neonationalismus sind Schlagwörter, die ständig in den Medien auftauchen.

Solche Strömungen machen sich die Fremdheit zunutze und können Menschen dazu bringen, Dinge zu tun, die menschenfeindlich sind. Die aktuellen und vergangenen Konflikte werden von den Kindern weitergetragen. Das Kind wird im Laufe der sozialen Konditionierung zum Fackelträger der Konflikte, welche ihm die Erwachsenen vorleben.

Wenn ich Schülerinnen und Schüler frage, wie sie die ganzen Konflikte sehen, offenbart sich mir ein Unmut über die aktuellen Ereignisse, wie die Anschläge in Paris 2015, den Konflikt über die Flüchtlinge und die Kriege in der Ukraine und Syrien. Die Kinder sind teilweise zwiegespalten.

Die fortgeschrittene soziale Konditionierung steht der eigenen Selbstbestimmung gegenüber. Auf der einen Seite vertreten sie die Meinungen ihrer Eltern, Gleichaltriger oder der Massenmedien. Auf der anderen Seite erkennen sie einen Widerstand in sich, der sich oftmals resigniert in einem typischen Satz äußert: „Die sind doch alle bescheuert, dass sie sich gegenseitig hassen.“

Angst vor der Schublade

Meine Erfahrung ist: Schülerinnen und Schüler, die einen Migrationshintergrund haben, die entweder in Deutschland geboren sind oder länger hier leben, äußern sich negativ über die Flüchtlinge. Dahinter steckt die Angst, aufgrund der negativen Ereignisse wie in Köln, mit ihnen in eine Schublade gesteckt zu werden.

Diese Angst zeigt, dass sich die Schüler_innen noch nicht akzeptiert fühlen. Es ist die Angst, dass die Wut über solche Vorfälle auch sie treffen könnte. Was nützt es, wenn ich einen deutschen Pass habe, mich aber nicht akzeptiert fühle? Wie umgehen mit der Angst, wie ein_e Fremde_r behandelt zu werden?

Ich bin, was ich bin

Worauf kann ich meine Identität begründen? Wenn ich den Pass eines Landes besitze, besitze ich noch lange nicht die Eigenheiten von dessen Kultur. Die Einbürgerungskurse verhelfen mir nicht, in die einheimische Kultur einzutauchen. Die Sprache zu erlernen, hebt zwar eine große Barriere auf.

Es ist aber nicht möglich, die Sprache so zu erlernen, dass man nach kurzer Zeit die sichtbare und hörbare Markierung des Fremdseins ablegen kann. Ich kann nicht erwarten, dass ich sofort akzeptiert werde, gar mich dazugehörig fühle. Wie kann ich also die Fremdheit überwinden?

1. Mein fremdes Gegenüber bleibt mir solange fremd, wie ich mich damit nicht beschäftige (rational und emotional).
2. Meine Fremdheit gegenüber anderen müssen die anderen auch selbst überwinden (rational und emotional).

Wichtig ist, dass man seine Identität nicht von anderen abhängig macht. Nehmen wir mich:

Ich bin in Äthiopien geboren. 1990 bin ich, mit acht Jahren, nach Deutschland gekommen. Ich bin halb Araber und halb Afrikaner. In der Nachbarschaft in Äthiopien wurde ich als Araber bezeichnet, in Saudi-Arabien und Jemen wurden wir als Afrikaner deklariert. In Deutschland war ich der Ausländer. Was bin ich nun???

Identitätskrise

Ich fiel in eine tiefe Identitätskrise, als ich ungefähr 15 Jahre alt war. Ich musste tief in mich hineinhorchen, bis ich erkannte, was ich bin. Zunächst erkannte ich, dass Nationalität eine Illusion war. Als ich ein wenig Ahnenforschung betrieb, fand ich heraus, dass ich iranische, türkische, spanische, arabische und afrikanische Gene hatte.

Die deutsche Sprache ist schnell zu meiner Muttersprache geworden. Ich schätze die afrikanisch-arabische Gelassenheit, mit den ernsten Dingen des Lebens umzugehen; das Essen, die Freude, ständig unter Menschen zu sein, und die Kontaktfreudigkeit. Man musste nur fünf Minuten in einem jemenitischen Sammeltaxi sitzen und man fand jemanden, der einen zum Essen einlud.

Die Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit mancher Äthiopier und Äthiopierinnen, die sehr wenig besaßen und einem dennoch ihr letztes Stück Brot zu geben bereit waren, beschämte mich; und es erfüllte mich zugleich mit Stolz, dass ich einer von ihnen war.

Ergebnis einer Ereigniskette

Die Zuverlässigkeit mancher Deutscher, ihre Integrität und ihre Offenheit gegenüber dem Wissen über andere Kulturen und Länder beeindruckte mich. Ich mag den offenen Zugang zu Wissen in Deutschland. Hier konnte ich in eine Kirche gehen, einen Gottesdienst besuchen, ohne als Moslem beschimpft und hinausbefördert zu werden.

Ich mag den Umgang mit den Kindern an der Schule, wo ich doch viele Erinnerungen an meine Schulzeit in Äthiopien habe. Ich werde nicht die Schläge vergessen, die dort in fast jedem Unterricht ausgeteilt wurden. Ich habe für mich irgendwann festgestellt: Ich bin Deutscher, ich bin Jemenit, und ich bin Äthiopier, ich bin Europäer, ich bin Araber und ich bin Afrikaner. Und niemand hat das Recht, mich in eine Schublade zu zwängen.

Ich habe für mich die Illusion der nationalistischen Grenzen überwunden und erkannt, wie die Welt miteinander verbunden ist. Ich bin das Ergebnis einer multikulturellen Ereigniskette! Ich fühle mich nicht nur an einem Ort zu Hause. Dadurch habe ich meine Identitätskrise überwunden und meine Freiheit erlangt.

Was kann die Schule tun?

Was kann die Schule tun, um die Fremdheit zu überwinden? Schule kann dazu beitragen, die Welt trotz aller Unterschiede als ein Ganzes zu erfassen – im Unterricht, aber auch außerhalb des Unterrichts. Damit sie das kann, darf sie sich nicht nur als einen Ort des Lernens verstehen.

1. Die Verantwortung der Schule hat sich im Laufe der Zeit geändert. In Deutschland gibt es seit längerer Zeit Ganztagsschulen oder Grundschulen mit Ganztagsbetreuung. Somit ist das Kind von 8 bis 16 Uhr oder länger an der Schule und nicht zu Hause. Das Konstrukt der Familie wird insofern verändert, als die Familie, zeitlich, nicht mehr der primäre Aufenthaltsort des Kindes ist. Seinen Alltag verbringt das Kind größtenteils in der Schule. Diese quantitative Verschiebung der Zeit, in der das Kind moralischer und emotionaler Führung bedarf, darf nicht außer Acht gelassen werden. Schule ist nicht mehr nur ein Raum des Lernens und Lehrens.

2. Die Schule kann auch als Raum des kulturellen Austausches dienen; nicht durch das Belehren, nicht aus Büchern, sondern durch das Erleben.

3. Die Schule steht vor der Herausforderung, Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler zu erfüllen, die früher eher zu Hause befriedigt wurden. Es sind Bedürfnisse wie das Sprechen über eigene Probleme und eigene Lebensfragen. Ich sehe die Notwendigkeit, dass Schule auch Bindungsarbeit leisten muss. Bindung ist ein tiefes Bedürfnis eines jeden Kindes.

Die Schule darf ihre Aufgabe nicht nur darin sehen, die Schülerinnen und Schüler auf das zukünftige Arbeitsleben vorzubereiten. Sie muss ihre Arbeit darauf ausrichten, dass jede Absolventin und jeder Absolvent auf das Leben vorbereitet ist. Psychologie und Soziologie sollten fest integrierte Fächer an der Schule sein. Der Erwerb einer emotionalen Intelligenz sollte an der Schule gefördert werden. Nicht zuletzt ist diese dann auch für den beruflichen Erfolg notwendig.

Die Schule kann dazu beitragen, das Fremde aufzuheben, indem das Fremde erlebt wird; die Entfremdung zu verhindern, indem der Schüler bzw. die Schülerin sich selbst erlebt und kennenlernt, und die Fremdheit zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften aufzuheben, indem sich beide miteinander beschäftigen.

Sie kann dazu beitragen, die kulturelle Vielfalt, aber auch die Vielfalt der Persönlichkeiten an der Schule kennenzulernen und als Reichtum zu schätzen. Sie kann lehren, hinter den „sonderbaren“ Eigenheiten den Menschen zu sehen, und zwar mit allseinen Emotionen.

Respekt vorleben

Ich habe als Lehrer an einer Stadtteilschule in Hamburg gearbeitet. Der ursprüngliche Plan war, eine Prävention religiös begründeter Radikalisierung aufzubauen. Wir erkannten jedoch schnell, dass nicht die Religion ausschlaggebend für die Radikalisierung war, sondern Emotionen. Ein im Lehrer-Zweierteam entwickeltes Vorhaben entstand aus einem Zufall heraus.

Der Anlass war: Eine muslimische Schülerin drängte eine alevitische Mitschülerin dazu, ein Kopftuch zu tragen. Meine Kollegin, die Religionspädagogin ist, und ich überlegten uns, den Religionsunterricht zu nutzen, um die mobbende Schülerin dafür zu sensibilisieren, dass das, was sie tat, nicht in Ordnung war.

Wir haben den Unterricht in Doppelbesetzung geführt und unterrichteten parallel. Wir behandelten den Islam, das Christentum und das Judentum in einem vergleichenden Religionsunterricht. Wir sprachen mit den Schülerinnen und Schülern über die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten. Im Unterricht vermittelten wir mehrperspektivisches Wissen.

Wichtiger aber war: Meine Kollegin als Christin und ich als Muslim unterrichteten gemeinsam in gegenseitiger Wertschätzung und Respekt, und dies hatte offensichtlich eine Vorbildfunktion für das Verhältnis der muslimischen und der nichtmuslimischen Schüler_innen. Die Jugendlichen bauten eine starke Klassengemeinschaft auf und sie wurden toleranter und menschenfreundlicher.

Kultur erleben

Eine Nachbarschule inspirierte uns, eine weitere Aktion ins Leben zu rufen: „Die Begegnung der Kulturen“. Es ist eine Initiative aus der oben genannten Erkenntnis, dass Kultur nicht nur gelernt, sondern erfahren werden muss. Über diese Erfahrung verblasst die Fremdheit einer Kultur. In diesem Sinne haben wir an unserer Schule das islamische Fastenbrechen im Monat Ramadan veranstaltet.

Wir haben die Schülerschaft samt den Eltern eingeladen, und außerdem das Lehrer_innenkollegium. Wir verbrachten einen wunderschönen Abend mit Muslim_innen, Christ_innen, Agnostiker_innen, Atheist_innen und Sikhs. Eine Schülerin erzählte über die Tradition des Fastens im Islam. Zwei Kollegen erzählten über die Tradition des Fastens im Judentum und Christentum.

Danach konnten Eltern, Lehrende, Schülerinnen und Schüler sich unterhalten, austauschen und einfach als Menschen die Gesellschaft der anderen genießen. Die Gäste und die Lehrkräfte brachten Speisen mit, deren Rezepte aus den verschiedensten Ecken dieser Erde stammten.

Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte rückten näher aneinander. Es war ein Bindungsaufbau zu spüren, weil die Eltern diesmal nicht zur Schule kamen, um die Noten ihres Kindes zu besprechen. Die Schülerinnen und Schüler kamen zur Schule, weil bzw. obwohl sie nicht lernen mussten. Lehrkräfte kamen zur Schule, ohne unterrichten oder Besprechungen durchführen zu müssen. Und unsere Schulleiterin kam nicht, um zu führen. Wir waren an diesem Abend einfach Menschen.

Vielfalt ohne Einheit ist Wirrwarr

Wie wir am Beispiel der Terroranschläge in Frankreich 2015 sehen können, muss bei den Attentätern eine enorm fortgeschrittene Entfremdung stattgefunden haben, so dass sie ihre Mitmenschen zu töten bereit waren; denn sie sind teilweise sogar in Paris geboren und aufgewachsen, und sie haben dort gelebt. Wenn ich von einer Grundhaltung ausgehe, einen Schuldigen oder einen Feind zu suchen, kann ich ihn auch in der fremden Person finden.

Die Wahrnehmung des Fremden, das etwas Geheimnisvolles, Aufregendes und Unbekanntes hat, kann jedoch auch aus einer positiven Emotion und Erwartung hervorgehen. Daher ist die Reflexion der eigenen Emotionen ein wichtiges Thema, das die Schule aufgreifen muss. Und zugleich muss die Schule den Raum geben, dass Schülerinnen und Schüler und auch Lehrkräfte die positiven Emotionen im Miteinander ausleben können.

Ich hatte in meinem Leben das Glück, dass ich eine Grundschullehrerin hatte, die ihre private Zeit opferte, um mir in Deutsch Nachhilfe zu geben. Ich fand Menschen, Freunde und Freundinnen, die mich unterstützen, mich respektieren und schätzen für das, was ich bin. Und ich bekam Gelegenheit, eine Schule zu unterstützen, die sich kulturell öffnet.

Vor einigen Tagen fuhr ich mit der U-Bahn, und mir fiel auf dem Bildschirm ein sogenanntes Zitat des Tages auf, das mir für unser Thema passend erschien:

„Vielfalt, die nicht auf Einheit zurückgeht, ist Wirrwarr; Einheit, die nicht auf Vielfalt gründet, ist Tyrannei.“ Blaise Pascal (1623 – 1662)

Dieser Beitrag erschien zuerst im März 2018 als Teil des Dossiers Schule und Zivilgesellschaft der Heinrich-Böll-Stiftung. Der Beitrag steht unter der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0. Wir danken dem Autor und der Heinrich-Böll-Stiftung für die Erlaubnis, den Beitrag hier zu veröffentlichen.

Skip to content