Wie kann die Zusammenarbeit zwischen muslimischen Vereinen und der Polizei gelingen? Ein Gespräch über das Kooperationsnetzwerk – Sicher Zusammenleben (KoSiZu)
28. April 2022 | Demokratie und Partizipation, Diversität und Diskriminierung, Religion und Religiosität

Die Zusammenarbeit von muslimischen Vereinen und der Polizei kann für beide Seiten hilfreich sein. Marcel Komarek und Sonja Bartsch vom Kooperationsnetzwerk – Sicher Zusammenleben (KoSiZu) des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge berichten von ihren Erfahrungen aus der Netzwerkarbeit – und wie sich deren Schwerpunkte in den vergangenen Jahren verändert haben.

 

Götz Nordbruch:

Herr Komarek, Frau Bartsch, Sie arbeiten im Kooperationsnetzwerk – Sicher Zusammenleben (KoSiZu), in dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Sicherheitsbehörden und muslimische Vereine zusammenbringt. Was war der Anlass, ein solches Netzwerk aufzubauen?

Marcel Komarek:

Das Kooperationsnetzwerk geht auf die Clearingstelle Präventionskooperation zurück, die im März 2008 auf Beschluss der Deutschen Islam Konferenz geschaffen wurde. Die Idee dazu entstand im Gesprächskreis „Sicherheit und Islamismus“, in dem Vertreter*innen der Bundesregierung mit Vertreter*innen der muslimischen Verbände zusammenkamen. Die Clearingstelle wurde beim BAMF angesiedelt und diente als Beratungs- und Servicestelle sowohl für muslimische Verbände als auch für die Polizei. Im Grunde sollte sie die Zusammenarbeit unterstützen und dabei auch Fördermöglichkeiten aufzeigen.

Am Anfang stand die Clearingstelle ganz im Zeichen der Prävention von Islamismus. Heute geht es in der Zusammenarbeit um ein viel weiteres Themenfeld. Deshalb wurde die Clearingstelle 2019/2020 neu konzipiert, um den Anliegen der Partnerinnen und Partnern vor Ort – sowohl der Moscheegemeinden als auch der Polizei – gerecht zu werden. In der Umbenennung in „Kooperationsnetzwerk – Sicher Zusammenleben“ spiegelt sich der Anspruch, beide Perspektiven klarer abzubilden und einen Dialog auf Augenhöhe zu ermöglichen, der nicht mehr ausschließlich unter dem Zeichen der Islamismusprävention steht. Es geht um die Anliegen der muslimischen Gemeinden und der Vertreterinnen und Vertreter des muslimischen Lebens in Deutschland. Sie sind in diesem Dialog genauso wichtig wie die klassischen Themen der Polizei. Dazu zählen zum Beispiel auch antimuslimischer Rassismus und Rechtsextremismus, die muslimische Vereine natürlich besonders betreffen.

Götz Nordbruch:

Was sind denn die Anlässe, zu denen sich Moscheegemeinden und die Polizei gezielt vernetzen? In den Bundesländern gibt es ja schon Kontaktbeamt*innen, die auch mit Moscheegemeinden in Kontakt stehen.

Marcel Komarek:

Die Strukturen sind von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen gibt es beispielsweise die sogenannten Kontaktbeamt*innen Muslimische Institutionen (KMI), die Kontakte mit den Gemeinden pflegen und mit diesen im engen Austausch stehen. Sie arbeiten teilweise hauptamtlich und gehen – ganz ähnlich wie Streetworker – auf muslimische Einrichtungen zu. Solche Strukturen gibt es aber nicht in allen Bundesländern, daher übernehmen wir hier eine Art Mittlerfunktion, um diese Kontakte aufzubauen. Darüber hinaus geht es aber auch darum, den Austausch auf Bundesebene zu unterstützen und einen Erfahrungstransfer anzustoßen. Wir machen beispielsweise immer wieder die Erfahrung, dass Netzwerke stark an einzelnen Personen hängen, und wenn ein Kollege oder eine Kollegin in den Ruhestand geht oder der Vorstand beim Verein wechselt, müssen die Bande wieder neu geknüpft werden. Wir möchten dazu beitragen, dass diese Netzwerke nachhaltig wirken können.

Für die muslimischen Gemeinden ist ein Grund für die Zusammenarbeit das Thema Sicherheit der Moscheen und ihrer Besucher*innen, gerade angesichts von antimuslimischem Rassismus und Rechtsextremismus. Das ist eine zentrale Frage, über die man sich mit der Polizei austauschen möchte. Darüber hinaus gibt es auch bei der Polizei ein großes Interesse, interkulturelle Kompetenzen beispielsweise durch Begegnungsveranstaltungen zu stärken.

Götz Nordbruch:

Was wäre denn ein konkretes Angebot an Moscheegemeinden? Zum Beispiel, wenn es um eine rechtsextreme Demonstration geht, die im Umfeld einer Moschee geplant ist?

Marcel Komarek:

Das beginnt damit, dass die Polizei mit den Moscheegemeinden in den Dialog geht und zum Beispiel über die Sicherheitsvorkehrungen informiert. Es geht darum, ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu schaffen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Deswegen wird nicht nur mit den Vorständen der Moscheegemeinden das Gespräch gesucht, sondern auch mit der Basis, um so das Vertrauen in die Polizei und den Rechtsstaat insgesamt weiter zu stärken.

Sonja Bartsch:

Ein konkretes Beispiel: Mittlerweile erhalten viele Moscheegemeinden Droh-E-Mails oder Drohbriefe. Es ist wichtig, dass die Kontaktbeamt*innen die Moscheen ermutigen, diese Drohungen auch zur Anzeige zu bringen. Es geht auch darum, in den Gemeinden einer Art Abstumpfung entgegenzuwirken und Rückendeckung zu geben, um solche Angriffe oder Drohungen jedes Mal wieder zur Anzeige zu bringen.

Götz Nordbruch:

Merken Sie, dass die Hemmschwelle, Anzeige zu erstatten und Vorfälle zu melden, durch solche Kontakte gesenkt wird?

Sonja Bartsch:

In Bundesländern, in denen die Kontaktbeamt*innen bereits ohne konkreten Anlass mit den Gemeinden in Kontakt stehen, ist diese Hemmschwelle sehr niedrig. Der Austausch zwischen den Gemeinden und der Polizei läuft dort meist sehr niedrigschwellig ab und bei Problemen kann – entsprechend den Möglichkeiten – schnell geholfen werden. Wenn es solche Kontakte nicht gibt, ist die Hemmschwelle, sich bei Bedrohungen an die Polizei zu wenden, bedeutend höher.

Götz Nordbruch:

Vertrauen entsteht vor allem dann, wenn man das Gefühl hat, dass auch eigene Interessen geschützt werden. Welche Rolle spielen die klassischen Präventionsthemen der Polizei in diesen Netzwerken, also zum Beispiel Einbruchschutz, Verkehrssicherheit oder Drogenprävention? Themen, mit denen die Polizei auch an andere Einrichtungen wie zum Beispiel Schulen herantritt.

Sonja Bartsch:

Tatsächlich spielen diese Themen eine große Rolle. Die Kontaktbeamt*innen werden oft als Ansprechpartner*innen für alle Behörden wahrgenommen. Dann geht es etwa um die Frage, wo man eine Veranstaltung anmelden muss oder um Fragen zu den Corona-Regeln: „Was müssen wir beim Freitagsgebet berücksichtigen?“ Das war ein wichtiges Thema in den letzten beiden Jahren. Aber auch internationale Konflikte werden in den Gesprächen immer wieder angesprochen, gerade wenn dazu Demonstrationen im Umfeld angekündigt sind. Und natürlich Fragen, die mit Jugendkriminalität zusammenhängen, also zum Beispiel Drogen- und Gewaltprävention.

Götz Nordbruch:

Sie sagten, dass es auch darum geht, über diese Kontakte in die Polizei hineinzuwirken. Inwiefern kommen denn in Gesprächen mit Jugendlichen auch Konflikte mit der Polizei zur Sprache? Zum Beispiel, wenn es um kontrovers diskutierte Themen wie Racial Profiling oder Gewalt von Polizist*innen geht?

Sonja Bartsch:

Wir fördern einige Projekte, in denen genau solche Fragen behandelt werden. In einem Projekt kommen Jugendliche und Polizeibeamt*innen zusammen und versetzen sich in Rollenspielen – angeleitet durch Theaterpädagog*innen – in die Situation des jeweils anderen. Es geht darum, zu verstehen, wie die Situation auf die Gegenseite wirkt, um damit Konflikte, beispielsweise bei Personenkontrollen, zu vermeiden.

In einem anderen Projekt kommen Jugendliche und Polizist*innen zu verschiedenen Aktivitäten wie Fußballspielen oder Kochen zusammen, und können sich dann im lockeren Rahmen über ihre Erfahrungen und Perspektiven austauschen. Dabei wird mit einer begleitenden Evaluation ermittelt, welche Auswirkung diese Begegnungen auf die jeweiligen Personen und ihre Einstellungen haben.

Marcel Komarek:

Über das Kooperationsnetzwerk haben wir die Möglichkeit, solche punktuellen Dialogplattformen oder Dialogveranstaltungen finanziell und organisatorisch zu fördern. Dabei sind ganz unterschiedliche Formate denkbar. Aber es geht uns eben auch um längerfristige Projekte, wie meine Kollegin sie beschrieben hat. Wichtig ist uns zudem der bundesweite Erfahrungsaustausch, den wir mit Veranstaltungen anregen wollen.

Götz Nordbruch:

Sie haben erwähnt, dass das Netzwerk auch auf aktuelle Entwicklungen reagiert. Gibt es denn Überlegungen, auch nichtmuslimische Akteure aus dem Bereich von Migrant*innenorganisationen miteinzubeziehen?

Sonja Bartsch:

Das Kooperationsnetzwerk bezieht sich in der Konzeption auf muslimische Akteure, aber wir sind da grundsätzlich offen. Wir beobachten in verschiedenen Bundesländern den Trend, dass die Polizei versucht, mit ihren Verbindungsstellen mehrere Glaubensgemeinschaften gleichermaßen anzusprechen oder sich für Migrant*innenorganisationen allgemein zu öffnen, um möglichen Stigmatisierungseffekten zu begegnen. In Baden-Württemberg geht es zum Beispiel in die Richtung, mit möglichst vielen Religionsgemeinschaften zusammenzuarbeiten. Auch auf der Seite der christlichen Kirchen bestand hier großes Interesse. Zum jetzigen Stand wenden wir uns aber vor allem an muslimische Organisationen. Wir freuen uns über jede Anfrage, aus der sich eine Zusammenarbeit ergeben könnte.

Götz Nordbruch:

Frau Bartsch, Herr Komarek, danke für das Gespräch!

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