Die MEMO-Jugendstudie 2023 hat in den Medien für Aufsehen gesorgt. Zwar würde ein Großteil der Jugendlichen sich für die Geschichte des Nationalsozialismus interessieren, könnte gleichzeitig aber nicht deren korrekten Zeitraum benennen. Im Interview mit ufuq.de gibt Studienleiter Michael Papendick einen Überblick über die zentralen Ergebnisse und räumt auch mit vorschnellen Annahmen auf.
Maike Tragsdorf (ufuq.de):
Herr Papendick, nachdem ich die Studie gelesen hatte, war ich zunächst positiv überrascht: Der Nationalsozialismus wird von 80 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen als besonders wichtiges geschichtliches Ereignis wahrgenommen. Die Befragten sagen, dass sie über diese Zeit auch am meisten in der Schule gelernt hätten, nehmen die Schulzeit als wichtigen Teil der deutschen Erinnerungskultur wahr und ein sehr großer Teil stellt auch eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht infrage. Das sind ja erst einmal sehr optimistisch stimmende und erfreuliche Ergebnisse, oder?
Michael Papendick:
Ich denke schon. Man muss bei derartigen Umfragen bedenken, dass die Antworten der Befragten zum Teil normativ geprägt sind. Wir haben alle gelernt, dass die Geschichte „irgendwie wichtig“ ist und gesellschaftlich als wichtig bewertet wird. Wenn man in Umfragen eine Frage stellt wie „Ist die NS-Zeit wichtig?“ oder „Sollten wir uns mit dieser Zeit beschäftigen?“, dann ist ein Teil der Antworten zwangsläufig normativ geprägt.
Gleichzeitig ist es ein wiederkehrendes Ergebnis aus unseren Umfragen, dass Menschen die NS-Zeit weiterhin als bedeutsam und erinnerungswürdig empfinden. Unsere Umfragen sind anonym; das heißt, Befragte müssen nicht normativ antworten. Man könnte auch sagen: „Nee, ehrlich gesagt interessiert es mich nicht.” Deswegen denke ich schon, dass sich in den Umfrageergebnissen auch ein ehrliches Interesse widerspiegelt.
Zudem haben wir wiederkehrend offen gefragt, also nicht „Findest du die NS-Zeit immer noch wichtig?”, sondern offen nach geschichtlichen Ereignissen, für die die Befragten sich besonders interessieren und die sie als gesellschaftlich relevant empfinden. Und auch dann wird am häufigsten die NS-Zeit genannt. In der Summe ist es ein positives Ergebnis, gerade bei jungen Erwachsenen – obwohl gesellschaftlich oftmals suggeriert wird, dass insbesondere junge Menschen eigentlich kein Interesse mehr an dem Thema hätten und gesättigt seien.
„Es ist ein menschlicher Effekt, dass wir Themen als relevant oder interessant beurteilen und dennoch wenig Ahnung davon haben und unser vorhandenes Wissen überschätzen.”
Maike Tragsdorf (ufuq.de):
Dann kommen wir zu einem etwas irritierenden Ergebnis: Ein Großteil der Befragten kann den korrekten Zeitraum des Nationalsozialismus nicht benennen. Das ist natürlich einerseits irritierend und schockierend, andererseits frage ich mich: Wie wichtig ist es überhaupt, dass man den genauen Zeitraum benennen kann? Was sagt das darüber aus, wie wir den Nationalsozialismus erinnern und was wir über ihn in der Bildungsarbeit vermitteln sollten?
Michael Papendick:
Das ist eine gute und auch große Frage – eine Frage, die sich vor allem politisch Bildende und auch die Gedenkstätten als zentrale Anlaufstellen von NS- und historisch-politischer Bildung stellen. Es ist eine der zentralen Fragen der Erinnerungskultur und der politischen Bildung, welche „Lehren“ Menschen aus der Auseinandersetzung mit der (NS-)Geschichte ziehen sollen und woran man ein mögliches „Lernen aus der Geschichte“ bemisst. Einerseits überraschen uns derartige Ergebnisse nur bedingt, denn wir kennen das Muster aus anderen Studien: Wenn wir Menschen fragen, ob sie ein Thema als wichtig empfinden, z. B. den Klimaschutz, dann sagt ein großer Teil: „Ja natürlich, finde ich total wichtig“. Wenn man dann im Detail nachfragt: „Und was weißt du darüber?“, dann ist dieses Wissen oftmals sehr dünn. Es ist ein menschlicher Effekt, dass wir Themen als relevant oder interessant beurteilen und dennoch wenig Ahnung davon haben und unser vorhandenes Wissen überschätzen.
Natürlich ist das Wissen um historische Fakten und den historischen Kontext, z.B. der NS-Geschichte, ein wichtiger Aspekt des Lernens über diese Geschichte. Wir brauchen eine historische Verortung und dazu gehört Faktenwissen, auch, um uns zum Beispiel gegen Geschichtsrevisionismus wehren zu können. Wir müssen die Fakten kennen, damit wir die Verzerrung von Fakten überhaupt wahrnehmen und in Frage stellen können. Daher ist Faktenwissen ein zentraler Aspekt – aber kein ausreichender. Nur, weil ich die Fakten der NS-Geschichte kenne, heißt das noch lange nicht, dass ich auch Schlüsse oder gesellschaftliche Lehren aus dieser Geschichte gezogen habe. Ich bin selbst kein historisch-politisch Bildender, ich kann nur spekulieren, aber in den Ergebnissen der Jugendstudie zeigt sich, dass Jugendliche und junge Erwachsene insbesondere auch an der „Anwendbarkeit“ von Geschichte interessiert sind, also dem Transfer in die Gegenwart, und der lässt sich mit Faktenwissen allein nicht erreichen. Medial funktioniert die polemische Reduktion auf Einzelergebnisse gut, wenn man sagt: „Drei Viertel kennen die Fakten nicht!“. Diese Wissenslücken sind ein Problem, ja, aber das Gesamtbild ist komplexer.
„Ein Bewusstsein für die Relevanz von Geschichte haben herkunftsdeutsche Jugendliche nicht mehr als migrantische.“
Maike Tragsdorf (ufuq.de):
Ein weiteres Ergebnis ist, dass je höher der eigene Bildungsabschluss oder der der Eltern, desto intensiver die Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus. Andere Faktoren wie Geschlecht, Alter oder eine eigene Migrationsbiografie haben nur einen geringen Einfluss. Was heißt das für die Bildungs- und Erinnerungsarbeit?
Michael Papendick:
Das heißt vor allem, dass noch immer Scheindebatten geführt werden, die an der Realität vorbeigehen. Eine der Standardfragen, die wir als Reaktion auf unsere Studien bekommen, ist: „Wie ist das bei Menschen mit Migrationsgeschichte? Sind die überhaupt interessiert an dem Thema, die haben ja überhaupt keinen familiären Bezug?“ Unsere Studien zeigen, dass eine Migrationsbiografie kein zentraler Faktor ist, um das Interesse an der NS-Geschichte zu erklären. Es sind in größerem Maße andere Faktoren, die entscheiden, ob Menschen sich für diese Geschichte interessieren und mit dem Thema befassen. Und da ist vor allem der Bildungshintergrund relevant, sowohl der eigene als auch der der Eltern. Das wiederum hängt mit anderen Faktoren zusammen, z. B.verfügbaren finanziellen Ressourcen und vorhandenen Zugängen zu Bildung im Alltag.
Für mich bedeutet das, dass Bildungsarbeit vor allem diejenigen in den Blick nehmen muss, die bisher nicht abgeholt werden. Und das ist auch und insbesondere eine Frage der sozialen und gesellschaftlichen Situation, in der Menschen sich befinden, und eine der Lücken, die womöglich stärker geschlossen werden können. Man verrennt sich medial schnell in anderen Debatten. Zentrale Fragen, die man sich stellen muss, lauten: Wie können wir diejenigen, die im Elternhaus oder ihrem sozialen Umfeld nicht schon an das Thema herangeführt werden, und die in ihrem Alltag wenig Zugang zu Bildung haben, auf die richtige Weise und in ihrer jeweiligen Lebensrealität abholen?
Ein Versuch, der in den letzten Jahren vermehrt gemacht wird, ist, das Problem über soziale Medien zu lösen. Das ist naheliegend, weil junge Menschen soziale Medien nutzen. Aber ich glaube nicht, dass das reicht. Es ist wichtig, dass junge Menschen an realen Orten abgeholt werden und dass dort ein Bezug hergestellt und aufgezeigt wird, warum Geschichte relevant ist und warum muss es sich lohnt, sich damit auseinanderzusetzen. Lokale Erinnerungskulturen, Bezüge zur eigenen Lebensrealität. Dabei muss man natürlich auch nüchtern festhalten: Man wird nie alle erreichen können und es ist legitim, wenn Jugendliche sich nicht für das Thema interessieren und keine Relevanz darin sehen. Das muss man akzeptieren.
Aber nochmal zur Frage nach der Bedeutung von Migrationsbiografien: Die Auseinandersetzung von Jugendlichen mit dem NS hat sich durch Diversität und Migrationsbiografien nicht grundsätzlich verändert. Zum einen: Nur, weil ich eine Migrationsbiografie habe, heißt das noch lange nicht, dass meine Familiengeschichte keinen NS-Bezug hat. Zum anderen: Generell spielt die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Familiengeschichte für junge Erwachsene eine untergeordnete Rolle – Interesse an dem Thema entwickeln sie mehrheitlich aus anderen Gründen. Letztlich geht es um das grundlegende Interesse an Geschichte, um die Frage, ob Jugendliche Geschichte für relevant halten oder nicht, und das ist keine Frage von Migration. Ein Bewusstsein für die Relevanz von Geschichte haben herkunftsdeutsche Jugendliche nicht mehr als migrantische.
„In vielen Antworten spiegelt sich die Annahme wieder, dass Hitler und ein begrenzter Kreis von Nazi-Schergen die NS-Verbrechen begingen und die Bevölkerung passiv daneben stand. Hier tun sich bedeutsame Wissenslücken auf.“
Maike Tragsdorf (ufuq.de):
Ein Aspekt, der die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ganz besonders interessiert, ist die Rolle der vermeintlich unbeteiligten deutschen Bevölkerung während der Zeit des Nationalsozialismus. Darauf hätten sie gerne eine Antwort. Wie interpretieren Sie dieses Ergebnis?
Michael Papendick:
Es zeigt sich vor allem, dass sie über diesen Aspekt bisher wenig wissen und sich Fragen stellen. Wir haben in der Studie offen gefragt: „Welche sind die Fragen im Kontext der NS-Geschichte, auf die du selbst gerne eine Antwort hättest?“ Und hier zeigen sich immer wieder die großen Fragen nach dem Warum und Wie. Wie eine Gesellschaft Verbrechen wie jene in der NS-Zeit zulassen oder ermöglichen konnte und wie Hitler es schaffen konnte, derartige Verbrechen zu begehen. Viele Jugendliche haben ein grundlegendes Bewusstsein dafür, dass derartige Entwicklungen in einem gesellschaftlichen Kontext stattfinden. Aber sie haben wenig Antworten darauf, welche Rolle die deutsche Gesellschaft im Kontext des Nationalsozialismus spielte, inwiefern die Menschen von den Verbrechen wussten, aktiv oder passiv involviert waren, Widerstand geleistet, profitiert oder die Ideologie mitgetragen haben. In vielen Antworten spiegelt sich die Annahme wieder, dass Hitler und ein begrenzter Kreis von Nazi-Schergen die NS-Verbrechen begingen und die Bevölkerung passiv daneben stand. Hier tun sich bedeutsame Wissenslücken auf.
Es ist Spekulation meinerseits, aber womöglich stammen diese Fragen auch daher, dass junge Erwachsene heute ein stärkeres Bewusstsein für die Rolle und Verantwortung von Gesellschaften haben. Wenn wir über den Klimawandel oder über gesellschaftliche Probleme in der Gegenwart diskutieren, verstehen junge Erwachsene oftmals, dass das nicht isoliert stattfindet, sondern dass es eine Gesellschaft gibt, die Verantwortung trägt oder tragen könnte. Dieses Wissen oder diese Wahrnehmung wird womöglich auch auf die Vergangenheit übertragen. Dies scheint ein bisher unterrepräsentierter Aspekt in der politischen Bildung und Erinnerungskultur zu sein – auch, weil es ein besonders komplexes und herausforderndes Thema ist, die gesellschaftlichen Bedingungen des NS zu vermitteln.
Maike Tragsdorf (ufuq.de):
In der geschichtspolitischen Debatte wird aktuell viel über die Erinnerung an die Kolonialgeschichte gesprochen – auch mit Blick auf die Bedeutung der Kolonialgeschichte für die NS-Zeit. Zeigt sich diese Leerstelle des Erinnerns an die deutsche Kolonialgeschichte auch in Ihrer Befragung?
Michael Papendick:
Wenn wir explizit fragen, ob junge Erwachsene der Meinung sind, dass andere Aspekte der deutschen Geschichte, zum Beispiel die Kolonialzeit, unterrepräsentiert sind, dann sagen sie mehrheitlich „Ja“. Viele haben mitbekommen, dass es hier Leerstellen gibt. Bei einer offenen Frage, zum Beispiel „Was sind denn die geschichtlichen Zeiträume, die du besonders relevant findest oder die die wir als Gesellschaft mehr auf dem Schirm haben sollten?“, wird die Kolonialgeschichte hingegen nicht genannt. Von den dreieinhalbtausend Befragten haben wir hier weniger als zehn Nennungen der Kolonialgeschichte. Vielleicht ändert sich das mit zunehmender Präsenz des Themas und die Ergebnisse sehen in zehn Jahren anders aus, aber aktuell ist es bei den Schüler*innen trotz eines grundlegenden Interesses noch nicht angekommen.
„Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Instagram die Zukunft der Erinnerungskultur ist.“
Maike Tragsdorf (ufuq.de):
Wenn wir schon bei Formen der Auseinandersetzung sind: Es ging ja auch um Vorschläge für eine erinnerungskulturelle Auseinandersetzung mit geschichtlich bedeutenden Ereignissen. Ein Großteil der Befragten hat da klassische Bildungsformate wie den Geschichtsunterricht oder den Besuch von Gedenkstätten vorgeschlagen. Ich frage mich, ob die Jugendlichen und jungen Erwachsenen vielleicht nur diese ganz klassischen Angebote kennen? Wie vielfältig ist die Angebotslandschaft in diesem Bereich?
Michael Papendick:
Ich kann die Angebotsvielfalt selbst nicht beurteilen, aber durch die Zusammenarbeit mit der Stiftung EVZ, die einen engen Praxisbezug hat, bekommen wir einen Eindruck: Das Angebot reicht von (internationalen) Gedenkstättenfahrten über Kulturveranstaltungen, Tanz, Theater, digitale Zeitzeugnisse, Serious Games und Vieles mehr, also verschiedenste Formen der Aufarbeitung, um Jugendlichen ein möglichst breites Angebot zu machen. Ich denke daher schon, dass viele mehr kennen als Schule und Gedenkstätten, auch wenn ich bezweifle, dass die Angebotsvielfalt dem Großteil der jungen Menschen bewusst ist. Die Tatsache, dass insbesondere die Formate Schule und Gedenkorte genannt werden, ist aus meiner Sicht aber auch eine bewusste Entscheidung, mit der die Befragten zum Ausdruck bringen, dass dies die Orte sind, die sie als besonders seriös wahrnehmen und denen sie besonders vertrauen. Das sind Orte mit Autorität, von denen sie annehmen, dass Inhalte gut aufbereitet sind und ihnen fundiertes Wissen vermittelt wird.
Meine Interpretation der Daten ist aber auch, dass sie sich nicht „ständig“ mit dem Thema befassen wollen. Es ist in Ordnung, wenn sie sich in ihrer Freizeit, z.B. in sozialen Medien, mal nicht mit inhaltlichen und politischen Themen beschäftigen möchten. Das bedeutet aus meiner Sicht nicht, dass man Jugendliche mit sozialen Medien nicht abholen kann, aber der Kern der Bildungsarbeit sollte strukturiert und organisiert stattfinden. Es scheint mir ein unrealistischer Anspruch, dass Jugendliche sich neben Schule und Hausaufgaben noch völlig eigeninitiativ mit derart komplexen Themen auseinandersetzen – selbst wenn wir es wünschenswert fänden.
Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Instagram die Zukunft der Erinnerungskultur ist. Wir haben in unserer Studie auch gefragt: „Was war für dich persönlich die bisher sinnvollste Auseinandersetzung mit dem Thema?“ und die häufigste Antwort war „Dokumentationen“, also nicht Snippets bei Tiktok oder Instagram, sondern ernsthafte und umfassende Informationsvermittlung. Aus meiner Sicht scheint ein Angebot wie das von „MrWissen2Go“ ein guter Kompromiss aus verschiedenen Bedürfnissen – also ein Format, das vom Umfang mit zehn bis 20 Minuten-Videos überschaubar, aber trotzdem fundiert und seriös ist. Nicht ohne Grund ist dieser YouTube-Kanal in unserer Umfrage der am häufigsten genannte digitale Zugang zum Thema NS-Geschichte.
„Wir sehen, dass Jugendliche die Gesellschaft in der NS-Zeit tendenziell kritischer beurteilen als die älteren Generationen.“
Maike Tragsdorf (ufuq.de):
Eine Mitverantwortung der eigenen Familie am Nationalsozialismus sieht rund die Hälfte der Befragten, mehr als in der Vergleichsstudie mit der Allgemeinbevölkerung. Gleichzeitig schwindet das Wissen um die Involviertheit der eigenen Vorfahren. Viele Jugendliche können dazu keine richtige Aussage machen. Haben Sie eine Erklärung für dieses Ergebnis?
Michael Papendick:
Das ist eine der Fragen, die wir gern weiter untersuchen würden. Wir sehen, dass Jugendliche die Gesellschaft in der NS-Zeit tendenziell kritischer beurteilen als die älteren Generationen. Die Hälfte der Jugendlichen geht davon aus, dass die deutsche Gesellschaft von den Verbrechen wusste, sie gehen auch häufiger davon aus, dass Menschen als Täter*innen involviert waren. Das liegt womöglich auch daran, dass Jugendliche weniger stark von den Biografien ihrer Großeltern oder Urgroßeltern geprägt sind als ihre Eltern. Sie haben oftmals keinen familiären Bezug zur NS-Geschichte und sind nicht so sehr in der Bredouille: Einerseits das Wissen um die Historie, also das Wissen um eine Gesellschaft, die die Verbrechen mit ermöglicht hat, und andererseits der Kontakt zu einer Person aus dem eigenen familiären Umfeld, die vielleicht eine andere Version der Geschichte erzählt, zu der sie eine emotionale Bindung haben. Das ist ein Problem, das ihre Elterngeneration viel stärker hatte: Wie kann man in Einklang bringen, dass all das passiert ist, ohne die eigenen Vorfahren anzuklagen? Eine These ist: Frühere Generationen haben die Geschichten ihrer Eltern und Großeltern gehört und haben diese Geschichten auf die Gesellschaft generalisiert. Jugendliche gehen den umgekehrten Weg: Sie lernen, dass es da eine Gesellschaft gab, die diese Verbrechen zugelassen hat, und daraus folgern sie: Wenn dem so ist, dann gilt das wohl auch für meine eigenen Vorfahren.
Maike Tragsdorf (ufuq.de):
Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Michael Papendick:
Sehr gerne!