Ist die Kategorie „Mensch mit Migrationshintergrund“ diskriminierend, weil sie uns in „echte“ und „eingewanderte“ Deutsche einteilt? Oder ergibt die Kategorie für Statistiken Sinn? Wer muss sich in Deutschland eigentlich integrieren und wer nicht? Wir haben einige Materialien zusammengestellt, mit denen pädagogische Fachkräfte über diese Fragen mit Jugendlichen diskutieren können.
„Wer ist wir?“ Diese Frage stellt sich nach den rassistischen Anschlägen von Hanau umso dringlicher. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel griff diese Frage beim jüngsten „Integrationsgipfel“ auf: „Muss jemand, der Schwarz ist, immer beweisen, dass er integriert ist?“ Mit Blick auf ihren polnischen Großvater ergänzte sie: „Mich fragt natürlich keiner, ob ich irgendwie jetzt noch zu integrieren sei.“
Wie lange muss sich eigentlich jemand fragen lassen, ob er oder sie integriert ist? Angela Merkel hat auf dem #Integrationsgipfel dazu klare Worte gefunden. — ZDF heute (@ZDFheute) March 3, 2020
Angela Merkel zum Integrationsgipfel, 03.03.2020 (1:45 Min.), Video bei Twitter
Die Aussagen von Merkel, mit denen sie sich gegen zunehmende rassistische Hetze wendete, eignen sich auch für die Bildungsarbeit, um sich mit Begriffen wie „Migrationshintergrund“, „Identität“ und „Deutschsein“ zu beschäftigen.
„Migrationshintergrund“ – Was ist damit gemeint?
Tatsächlich ist im Alltag oft von „Menschen mit Migrationshintergrund“ die Rede – und zwar auch in Bezug auf Menschen, die seit Generationen in Deutschland leben. Dabei bezieht sich „Migrationshintergrund“ alltagssprachlich nicht auf alle Migrationen: Menschen, deren Eltern oder Großeltern aus Frankreich oder Großbritannien nach Deutschland kamen, werden in der Regel nicht nach ihrem „Migrationshintergrund“ gefragt. Ein „Migrationshintergrund“ wird also anscheinend nur bestimmten Menschen zugeschrieben.
Was es mit dem Begriff auf sich hat, und warum er so umstritten ist, fasst ein Beitrag von Anne-Kathrin Will zusammen: „Einen Migrationshintergrund hat niemand, sondern er wird Menschen zugeschrieben.“
Ausgangspunkt ist dabei die Definition des Migrationshintergrundes durch das Statistische Bundesamt: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.“ (destatis.de) Will betont die Probleme, die mit einer solchen Kategorisierung einhergehen. So bildet diese Kategorie die gesellschaftliche Realität nur unzureichend ab: „Die statistische Erfassung des Migrationshintergrunds eignet sich nicht, im Alltag erlebte Ausschlüsse oder Diskriminierungen sichtbar zu machen, die auf einer vermuteten Andersartigkeit aufgrund des Aussehens, des Namens oder eines Akzents beruhen.“
Anne-Kathrin Will, Migrationshintergrund – wieso, woher, wohin?, bpb.de, 05.02.2020
Migrationshintergrund: Ergibt die Kategorie Sinn?
Um die Grenzen des Begriffes geht es auch in einem Video des ARD-Radioprogramms Cosmo. In dem Video kommen Personen zu Wort, die mit dem Begriff nichts anfangen können – zum Beispiel, weil sie als Schwarze Deutsche oder deutsche Roma eben schlicht nicht migriert sind. Zur Abbildung von Rassismuserfahrungen ist der Begriff also eher nicht geeignet, denn diese kann man auch dann machen, wenn man selbst gar keinen „Migrationshintergrund“ hat.
„Migrationshintergrund – Was bedeutet das überhaupt?“, Cosmo/WDR/Radio Bremen/RBB, 19.02.2020 (4:14 Min.), Video bei Youtube.
Befürworter des Begriffes argumentieren dagegen, man müsse Migrationsbewegungen nach Deutschland statistisch erfassen – unter anderem, um staatliche Ressourcen beispielsweise für Sprachförderungen sinnvoll zu verteilen. Braucht es also vielleicht doch eine Erfassung des „Migrationshintergrundes“, um Chancengleichheit herzustellen?
Erfahrungen mit Nichtanerkennung und Diskriminierung
Für Jugendliche, die als „nichtdeutsch“ wahrgenommen werden, äußert sich dies auch in ihrem Alltag, zum Beispiel in Fragen danach, „woher sie wirklich kommen“. In einem Video der Deutschen Welle, des Auslandsrundfunks der Bundesrepublik Deutschland, kommen Menschen mit solchen Erfahrungen zu Wort. Sie reichen von Fragen zur vermeintlichen Herkunft über Stereotype über „Türken“ bis hin zu verbaler und körperlicher Gewalt. Karim El Helaifi aus Berlin fordert im Video daher: „Ich glaube, wir müssen das Deutschsein einfach neu denken. Solange Deutschsein daran geknüpft ist, dass man dieses komische Andere nicht haben sollten, werden wir nicht weiterkommen.“
Deutsche Welle, „Kein Ausländer – und doch ein Fremder: Alltagsrassismus in Deutschland“, 19.2.2020 (9:49 Min.), Video bei Youtube.
„People of Color“ – eine rassismuskritische Alternative
Ein Begriff, der mittlerweile auch im Deutschen häufig für Menschen mit Rassismuserfahrungen verwendet wird, ist Person oder People of Color (PoC). Ein Video des Online-Lifestylemagazins RosaMag, das von afrodeutschen Frauen erstellt wird, fasst die Geschichte des Begriffes zusammen und erklärt, warum die Entscheidung für diese Bezeichnung auch eine politische ist.
„Was bedeutet People of Color?“, RosaMag, 11.06.2019 (2:47 Min.), Video bei Youtube.
„Wir sind …?“ Ja, wer eigentlich – und warum ist diese Frage wichtig?
Um die Frage nach dem „Wir“ geht es in einem Video von jungen Filmemacher*innen. Was macht das „Wir“ aus, warum ist ein „Wir“ wichtig? Und wie unterscheidet sich dieses „Wir“ von Person zu Person? Das Video ist im Projekt RISE – Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus entstanden.
„Wir sind“, rise-jugendkultur.de (7:32 Min.), Video bei Youtube.