Was tun gegen antimuslimischen Rassismus im Klassenzimmer? – Webtalk mit Fatima El Sayed
14. Dezember 2022 | Demokratie und Partizipation, Diversität und Diskriminierung, Religion und Religiosität

Symbolbild. Bild: sweetlouise/pixabay.com

Strukturell verankerter antimuslimischer Rassismus und schwerfällige institutionelle Wandelprozesse – bei manch einer Lehrkraft stellen sich Ernüchterung oder gar Ohnmachtsgefühle beim Gedanken an diese gesellschaftlichen Baustellen ein. Einzelne Lehrkräfte können die strukturellen Probleme zwar nicht allein lösen, aber sie können Bildungsbiografien betroffener Schüler*innen durchaus positiv beeinflussen und auf diese Weise auch mit vermeintlich kleinen Gesten antimuslimischem Rassismus entgegenwirken. Bereits Sätze von Lehrer*innen wie „Ich glaube an dich“ oder „Du schaffst das“ können laut Fatima El Sayed bei den einzelnen Schüler*innen viel bewirken.

In diesem Webtalk spricht die Wissenschaftlerin darüber, wie sich antimuslimischer Rassismus in der Institution Schule zeigt und bietet Lehrkräften auf individueller sowie Schulen auf struktureller Ebene Handlungsoptionen an. Dabei stellt sie Bezüge zu ihrem aktuellen Forschungsprojekt am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität her. Sie macht deutlich: Es braucht ein stärkeres Einbeziehen zivilgesellschaftlicher Akteure in den Lernraum Schule.


Transkription der Folge

Gisela (ufuq.de):

Herzlich willkommen an alle Zuhörenden zum heutigen Webtalk von ufuq.de. Das Thema ist heute: „Handlungsoptionen gegen antimuslimischen Rassismus im Klassenzimmer“. Zu Gast ist Fatima El Sayed. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „D:ISLAM“ am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität Berlin. Sie hat Arabistik und Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin und an der Universität Granada studiert. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Politik in der MENA-Region, feministische und postkoloniale Theorien sowie die Verschränkung von Migrations-, Integrations- und Islamdiskursen in Deutschland. Sie war außerdem in einem Projekt mit geflüchteten Frauen und als wissenschaftliche Referentin bei den neuen deutschen organisationen tätig. Daneben gibt sie Workshops zu den Themen Antirassismus und intersektionaler Feminismus. Liebe Fatima, herzlich willkommen. Ich freue mich sehr, dass du da bist. Zu Beginn würde ich dich als Antirassismus-Trainerin gerne fragen: Wie erklärst du in deinen Trainings und Workshops, wie sich antimuslimischer Rassismus zeigt und woran er überhaupt zu erkennen ist?

Fatima:

Ganz herzlichen Dank erstmal für die Einladung. Ich freue mich sehr, hier zu sein. Wir steigen direkt mit der Frage ein, wie wir antimuslimischen Rassismus definieren. Es gibt in der Wissenschaft sehr viele unterschiedliche Zugänge zu antimuslimischem Rassismus, aber in Trainings versuchen wir das natürlich runterzubrechen. Antimuslimischen Rassismus würde ich als eine Form des Rassismus bezeichnen, die sich auf Menschen muslimischen Glaubens und Menschen, die als solche wahrgenommen werden, bezieht. Häufig ist es so, dass Menschen aufgrund von Stereotypen oder äußeren Merkmalen wie einer dunklen Haarfarbe als Muslim*innen und als „fremd“ wahrgenommen werden, auch wenn sie dem muslimischen Glauben nicht angehören. Rassismus ist etwas, was sich gesellschaftlich, strukturell, institutionell manifestiert, aber auch individuell, also in Alltagspraktiken. In Bezug auf antimuslimischen Rassismus können wir sagen, dass er sich darin ausdrückt, dass Muslim*innen oder Menschen, die als solche wahrgenommen werden, aufgrund ihrer vermeintlichen Religionszugehörigkeit abgewertet werden. Das heißt, sie werden diskriminiert oder eben nicht als gleichwertig wahrgenommen. Das kann sich nicht nur im Interpersonellen ausdrücken, sondern auch in Diskursen oder stereotypen Bildern, die zum Beispiel in Medien kursieren oder auch in Bildungseinrichtungen da sind.

Gisela (ufuq.de):

Vielen Dank für diese Definitionen von antimuslimischem Rassismus. Fatima, wenn du an den Kontext Schule denkst: Wie zeigt sich das dort? Welche Situationen hast du da vor Augen?

Fatima:

Vielleicht gehe ich nochmal ein bisschen zurück. Der Kontext Schule ist sehr spezifisch. Knapp 40 Prozent aller schulpflichtigen Kinder in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. In der Gesamtgesellschaft sind es nur 27 Prozent. Das heißt, die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund im Schulkontext ist deutlich größer. Perspektivisch werden wir eine größere Anzahl an Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft haben. Die sind natürlich nicht alle muslimisch, aber sie sind zumindest zu einem großen Teil auch muslimisch. Deshalb ist antimuslimischer Rassismus in Schulen sehr präsent und ein großes Thema, weil eben – das wird auch von Beratungsstellen berichtet – ein Großteil von antimuslimischen Vorfällen tatsächlich im Schulkontext stattfindet. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass Schule vor allem deswegen ein spezieller Raum ist, weil dort eine Vielzahl von Machthierarchien aufeinandertreffen. Einerseits sind Kinder und Jugendliche natürlich altersbedingt den Lehrkräften unterlegen und haben weniger Lebenserfahrung. Hinzu kommt, dass Lehrkräfte als Wissensvermittler*innen nochmal eine ganz andere Rolle als Schüler*innen haben, die die Rezipienten am anderen Ende sind. Lehrer*innen verfügen natürlich auch über Sanktionsmaßnahmen und die Notenvergabe, was sie in der Hierarchie nochmal besonders positioniert. Das heißt, der Schulkontext ist wirklich sehr, sehr speziell. Hinzu kommt auch, dass in Deutschland eine Schulpflicht gilt. Das heißt, Menschen können sich nicht einfach aus dem Kontext herausziehen und sagen: „Ich gehe nicht mehr zur Schule“, wie man das beispielsweise an einem Arbeitsplatz machen könnte. Das ist zwar nicht unbedingt einfach, aber zumindest eine Option. Im Schulkontext ist es viel schwieriger für Schüler*innen, sich aus dem Kontext rauszuziehen. Ich habe mich jetzt ganz speziell auf Schüler*innen bezogen. Natürlich gibt es auch Rassismus gegen Lehrkräfte, aber da wollte ich nochmal in Bezug auf die Schüler*innen darauf hinweisen, dass diese Machthierarchien da wirklich eine große Rolle spielen und dass das natürlich die Schule an vielen Stellen nochmal zu einem weitaus problematischeren Kontext bezüglich antimuslimischem Rassismus macht. Was sind typische antimuslimische Vorfälle? Häufig gibt es rassistische Äußerungen oder Mobbing gegenüber muslimischen Schüler*innen durch Lehrkräfte auf der einen Seite, aber auch durch Mitschüler*innen auf der anderen Seite. Auch von psychischen und körperlichen Angriffen wird berichtet. Das sind Felder, in denen sich antimuslimischer Rassismus manifestiert. Was aber vielleicht gar nicht als antimuslimischer Rassismus wahrgenommen wird, sind die subtilen Formen, die sich gar nicht unbedingt in abwertenden Äußerungen ausdrücken: In Bezug auf Terroranschläge, die von Islamist*innen verübt werden, werden muslimische Schüler*innen beispielsweise dazu aufgefordert, sich zu äußern. Wir könnten jetzt denken: Das ist vollkommen okay, das ist eine muslimische Schülerin, die kann sich doch zu den Vorfällen äußern. Aber das sind die subtilen Formen von antimuslimischem Rassismus, denn ich suche diese Person gezielt aus, aufgrund ihrer erkennbaren Religionszugehörigkeit, und das ist problematisch, das muss man dann benennen.

Gisela (ufuq.de):

Velen Dank für diesen ersten Blick in die Schule. Wir hatten ja angekündigt, dass wir heute über Handlungsmöglichkeiten sprechen. Bevor wir das tun, würde ich dich bitten, uns einen Einblick in deine aktuelle Situation zu geben. Du forschst zu Abwehrmechanismen gegen antimuslimischen Rassismus und Islamismus in migrantischen Frauenorganisationen. Worum geht es da und was sind wichtige Punkte, die für Bildungsinstitutionen interessant sind?

Fatima:

Ich rede sehr gerne über meine Forschung, wobei ich aktuell noch im Feld bin, das heißt, es gibt noch keine gültigen Ergebnisse. Mein Forschungsschwerpunkt bezieht sich, wie du gerade gesagt hast, auf die Abwehrstrategien von Frauenorganisationen in Deutschland. Ich erforsche, welche Handlungsmöglichkeiten muslimische Frauenorganisationen auf antimuslimischen Rassismus auf der einen und Islamismus auf der anderen Seite entwickeln, denn das sind zwei Kräfte, die ja menschenabwertend oder menschenverachtend sind, Pluralität nicht anerkennen und sich sehr exklusiv darstellen. Das heißt, dieses Spannungsfeld, in dem sich zivile Akteure bewegen, insbesondere religiöse Akteure, ist mein Forschungsgegenstand. Dabei will ich nochmal betonen, dass es nicht unbedingt zwei gleichwertige Kräftesind. Wenn wir von Islamismus reden, ist das eben kein strukturelles Problem, zumindest in Deutschland nicht. Aber antimuslimischer Rassismus ist etwas, was sich auf institutioneller, struktureller Ebene manifestiert. Islamismus als politisch motivierte Ideologie versucht, insbesondere Frauen, aber auch andere Minderheiten und Gruppen zu diffamieren und ihre Handlungsspielräume einzuengen und ein bestimmtes Weltbild, eine bestimmte Ideologie aufzuoktroyieren. Das ist mein Forschungsgegenstand, an dem ich mich gerade abarbeite und in dessen Rahmen ich Feldforschung durchführe. Du hattest eben nach der Relevanz für die Bildungsinstitution Schule gefragt. Meine Erkenntnisse bislang sind, dass Schule an sich als Organisation sehr isoliert, also eine Art Blase ist, in der wenig Austausch mit der Gesamtgesellschaft stattfindet. Wenn wir von antimuslimischem Rassismus, auch im Kontext Schule sprechen, dann ist sehr klar und deutlich, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Diskurse, die in der Gesamtgesellschaft stattfinden, werden auch in der Schule diskutiert. Vorhin habe ich das Beispiel eines islamistischen Terroranschlags genannt. Das geht nicht an Schule vorbei, trotzdem bleibt die Auseinandersetzung relativ isoliert in dem Schulkontext. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, zivilgesellschaftliche Akteur*innen stärker in den Raum Schule mit einzubeziehen, weil sie bestimmte Erfahrungswerte mit der Thematik mitbringen, aber auch Unterstützungsangebote liefern können, die im Schulkontext gar nicht möglich sind zu stemmen, weil Lehrkräfte begrenzte Ressourcen haben und weil Sozialarbeiter*innen, die eventuell in Schulen sind, auch nicht unbedingt ausreichend sind. Daher wäre es sinnvoll, auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen stärker einzubinden und den Schulkontext zu öffnen für neue Ideen, für Erfahrungswerte, die auch sehr hilfreich sind.

Gisela (ufuq.de):

Magst du mal sagen, an welche zivilgesellschaftlichen Akteur*innen du denkst, beispielsweise in Berlin?

Fatima:

Also meine Forschung beschäftigt sich vor allem mit muslimischen Frauenorganisationen. Die bieten beispielsweise Empowerment-Workshops oder auch Beratungsangebote an. Wenn ich mir jetzt die gesamte Zivilgesellschaft in Berlin angucke, dann will ich auch auf bestimmte schulzentrierte Stellen aufmerksam machen, zum Beispiel die Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen ADAS, oder Sand e.V. Die machen jetzt nicht ganz spezifisch etwas im Bereich Schule, sind aber auch wichtige Ansprechpartner zu antimuslimischem Rassismus. Dann die CLAIM-Allianz, das ist die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Ein anderer Akteur, der auch schon jahrelange Erfahrung im Bereich Schule und Rassismus mitbringt, ist die RAA, die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie. Das sind so die Hauptakteur*innen, würde ich sagen. Darüber hinaus gibt es eben auch Frauenorganisationen, die ein breites Angebot haben und Workshops für Schüler*innen, die zum Beispiel Rassismuserfahrungen machen, oder Sensibilisierungsworkshops für weiße Menschen anbieten.

Gisela (ufuq.de):

Vielen Dank für den Einblick in deine Forschung. Ich bin wirklich sehr interessiert und könnte mir vorstellen, dass auch viele, die hier zuhören, gerne die Ergebnisse bekommen würden, wenn es so weit ist. Das würde uns freuen und wir könnten das vielleicht auch veröffentlichen bzw. teilen.

Fatima:

Ja, sehr gerne.

Gisela (ufuq.de):

Dann würde ich den Blick gerne in den Klassenraum, in den Schulalltag lenken, und dich fragen: Welche Möglichkeiten haben Pädagog*innen, Lehrkräfte, Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen konkret, um antimuslimischem Rassismus entgegenzuwirken?

Fatima:

Wir wollen ja heute auch über Handlungsoptionen sprechen und ich glaube, gerade bei Rassismus, Antisemitismus und jeglicher Form von menschenverachtenden Ideologien, fühlen sich viele total überwältigt und fragen sich: „Was soll das denn bringen, wenn ich als individuelle Person einzelne Handlungen vollziehe und mir Mühe gebe?“.
Vielleicht gehe ich an der Stelle nochmal einen kleinen Schritt zurück. Das ist etwas, was tatsächlich strukturell verankert ist. Wissensbestände und unsere Wahrnehmung sind sehr stark geprägt von antimuslimischem Rassismus und vielen anderen Rassismen und wir sind daran gehalten, uns immer wieder zu reflektieren. Ich glaube, das ist der erste Punkt, der auch für Lehrkräfte relevant ist. Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, in jeglicher Hinsicht. Für den Kontext Schule gilt, dass Lehrkräfte sich über ihre Positionierung bewusstwerden, also sich fragen: Welche Rolle spiele ich im Klassenraum? Wie reagieren Schüler*innen auf mich? In welcher Machtposition stehe ich? Ich hatte es ja vorhin schon angerissen: Es gibt mehrere Lektionen, die da zusammenkommen und ich glaube, sich als Lehrkraft dessen bewusst zu werden, ist der erste Schritt. Für eine ganz bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema antimuslimischer Rassismus gibt es mittlerweile eine große Palette an Angeboten, Sensibilisierungstrainings, Critical-Whiteness-Trainings, die alle durchgeführt werden, um sich der ganzen Thematik mal anzunähern. Ich glaube, da gibt es auch sehr häufig Verdrängungsmechanismen oder einfach nicht die Kapazitäten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Aber es ist wichtig und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und ein gesamtgesellschaftliches Ziel, diese Art von Rassismus zu überwinden. Das ist im Kontext Schule ein ganz wichtiger Aspekt. Vielleicht kann man die „Win-Situation“ auch darin sehen, dass ich als Lehrkraft in der Klasse mehr soziale Kohäsion herstelle und Frieden stifte, indem ich diese Themen aufgreife. Erstmal ist es natürlich eine Herausforderung, sich damit zu konfrontieren, denn keiner möchte gerne als Rassist*in dargestellt oder bezeichnet werden.
Aber ich glaube, wenn wir uns klarmachen, dass es eben nichts Individuelles ist, sondern die Art, wie wir sozialisiert sind, durch Rassismus geprägt ist, dann wird es vielleicht auch etwas einfacher und dann kann man das von der Person abkoppeln und es wirklich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen. Für die einzelne Person heißt es also erstens, diese Reflexion vorzunehmen und zweitens, sich ganz bewusst mit Fachliteratur dazu, Workshops, Trainings, etc. auseinanderzusetzen, bevor das Thema erstmals mit Schüler*innen behandelt wird. Dann gibt es natürlich – und da kann ich vielleicht ein bisschen Eigenwerbung machen und von meinen Erfahrungen berichten – durchaus Schulen, die beispielsweise in Form von Projekttagen bestimmte Themen fokussieren. Vor einigen Tagen war ich als Workshoptrainerin involviert in einen Workshop an einer Schule in Essen, wo wir über mehrere Tage am Stück einen Workshop zu Rassismus und der Verknüpfung zu Antisemitismus gegeben haben. Das war insofern sehr spannend, als dass es eben nicht nur zwei Stunden waren, in denen man sich kurz damit auseinandersetzt, sondern wirklich ein fortlaufender Prozess und dass sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den Schüler*innen von Tag zu Tag eine Entwicklung stattgefunden hat. Ich will jetzt nicht sagen, dass es eine sukzessive Entwicklung hin zu „wir sind eine rassismusfreie Schule“ gibt, so kann man sich das nicht vorstellen, aber es fand eben wirklich ein Reflexionsprozess statt. Es war eine sehr positive Erfahrung, sich nicht nur punktuell damit auseinanderzusetzen, wie mit einem Kapitel im Lehrplan, sondern das zu verstetigen. Im Kontext Schule ist das sehr schwer, denn es sind teilweise schwer aufzubrechende Strukturen und sehr viele Vorgaben. Der Schulalltag ist vermutlich stressig genug als Lehrkraft, aber so ein Training in Anspruch zu nehmen, wenn sich die Chance ergibt, beispielsweise in Form von Projekttagen, ist sowohl für die Schüler*innen als auch für die Lehrer*innen eine Bereicherung und da kann dann wirklich auch eine intensivere Auseinandersetzung damit stattfinden. Vielleicht noch ein letzter Punkt zum individuellen Wirkungskreis: Wir sind einerseits strukturell gebunden und haben Rassismus als Struktur im Hinterkopf, aber gleichzeitig begegne ich als Mensch, als Individuum, Anderen ja auch auf individueller Ebene und glaube, da haben Lehrkräfte durchaus die Möglichkeit, den einzelnen Schüler*innen ganz bewusst Wertschätzung und Anerkennung entgegenzubringen und sich immer wieder zu fragen: Mache ich das jetzt als Akt von Wertschätzung? Das kann ja teilweise auch rassistisch oder antimuslimisch sein, indem ich eben ganz bestimmte Aspekte hervorhebe oder positiv konnotiere. Das mag nett gemeint sein, aber man sollte sich sagen: Wir wollen als Menschen alle gleichwertig behandelt und gleich wahrgenommen werden und dann an dem Punkt Wertschätzung oder Anerkennung beispielsweise für religiös-weltanschauliche Vielfalt oder auch für Mehrsprachigkeit etablieren. Ich glaube, das ist der erste Punkt, wo die Möglichkeit für individuelles Handeln besteht. Dass ich die Person als solche sehe und nicht als Teil einer Gruppe, beispielsweise der muslimischen Glaubensgemeinschaft.

Gisela (ufuq.de):

Velen Dank. Wenn du an die Institution Schule denkst: Was wäre da ein erreichbarer Schritt für Veränderung?

Fatima:

Ich glaube, auf institutioneller Ebene muss ziemlich viel passieren. Da ist bisher noch wenig passiert. Aber es gibt wirklich sehr viele Vorstöße, insbesondere von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die beispielsweise unabhängige, handlungsbefugte Beschwerdestellen innerhalb von Schulen etablieren. Das ist zum Beispiel ein ganz wichtiger Schritt, denn das Problem, das wir immer haben ist, dass Schüler*innen, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind, erstmal überhaupt nicht wissen, wohin sie damit gehen sollen. Häufig ist die Kenntnis nicht da, welche Stellen es dafür eigentlich gibt. Wenn das beispielsweise in einer Schule angesiedelt ist, dann ist die Barriere schon mal viel niedriger und eine Beschwerdestelle innerhalb der Schule kennt natürlich den Schulkontext, die Schulstrukturen und kann dann auch ganz anders agieren. Häufig berichten Beschwerdestellen, dass sie nicht so viel Handlungsspielraum haben, weil es auch die gesetzlichen Grundlagen dafür nicht gibt. Da muss einiges passieren. Dann bin ich der Meinung, dass es auf jeden Fall mehr Rassismus- und Critical-Whiteness-Trainings in der Lehrkräfteausbildung geben muss. Das heißt, dass es kein Fremdbegriff mehr ist, sondern dass ich zumindest schon mal was davon gehört habe und das ein oder andere Training dazu hatte. Weiterbildung wäre natürlich auch wünschenswert, also regelmäßige Fortbildungsangebote für Lehrkräfte zu haben, die es aktuell in der Form noch nicht gibt. Da wäre es, glaube ich, auch sinnvoll, dass Lehrkräfte, die beispielsweise noch keine Critical-Whiteness- oder Rassismustrainings durchlaufen haben und schon länger im Schulbetrieb sind, das auch mitnehmen können. Dann hatte ich eben schon erwähnt – das muss aber auch institutionell stärker verankert werden – eine Anerkennung und Förderung von Mehrsprachigkeit. Jetzt kann man sich fragen: Was hat antimuslimischer Rassismus mit Mehrsprachigkeit zu tun? Fakt ist, dass eine Mehrheit der muslimischen Schüler*innen oder derer, die als solche wahrgenommen werden, eine zweite Fremdsprache spricht oder eine zweite Muttersprache hat, häufig Arabisch, Türkisch oder Kurdisch. Das sind Sprachen, die im deutschen Kontext nicht unbedingt hohe Anerkennung genießen und da muss es einfach hin zu mehr Anerkennung der Sprachen im gesamtgesellschaftlichen Kontext, aber auch im Schulkontext gehen. Ansonsten plädiere ich für mehr Diversität, Sensibilität und Inklusion in Klassenzimmern. Wie konkret das dann aussieht, überlasse ich den Praktiker*innen.

Gisela (ufuq.de):

Es gibt auf jeden Fall viel zu tun und die Veränderungsprozesse sind ja auch da. Ich finde es wichtig, dass du die verschiedenen Ebenen nochmal so gut auf den Punkt gebracht hast und was es an einer Schule verändern würde, wenn es eine unabhängige Beschwerdestelle gäbe, während die Lehrkräfte sich fortbilden können. Wir kommen jetzt langsam zum Ende und ich würde dich gerne fragen: Gibt es jetzt an dieser Stelle noch etwas, was du den Zuhörenden mitgeben möchtest? Gibt es Ergänzungen? Oder möchtest du ein Statement zum Abschluss dieses Gesprächs abgeben?

Fatima:

Ich stecke ja – ich weiß nicht, ob es Glück oder Pech ist – nicht in der Rolle von Lehrkräften und habe durch die Workshops auch immer wieder erlebt, wie schwer der Schulkontext ist. Erst einmal will ich sagen: Ich habe eine große Anerkennung für das, was in Schulen von Lehrkräften geleistet wird. Ich glaube, es darf auch nicht vergessen werden, dass es sehr viele Lehrkräfte gibt, die sich durchaus kritisch mit Themen auseinandersetzen, die versuchen, Lehrmaterialien zu evaluieren, neue Lehrmaterialien zu erstellen, die einen sehr geschärften Blick für dieses Thema haben. Auch, wenn Rassismus etwas Systematisches ist, was nicht unbedingt durch individuelles Handeln überwunden werden kann, können solche kleinen, individuellen Handlungen einzelner Lehrkräfte Biografien von Schüler*innen beeinflussen und positive Anstöße für Veränderungen geben. Das habe ich in meinem Umfeld und auch in meiner Arbeit in den letzten Jahren häufig erfahren. Allein Sätze wie „ich glaube an dich“ oder „du schaffst das“ bewirken total viel. Ich glaube, bei all dem Frust, den das Thema mit sich bringt, sind das kleine Hoffnungsschimmer, die, wenn sich das flächendeckend etabliert, durchaus zukunftsweisend sein und einen positiven Wandel bewirken können.

Gisela (ufuq.de):

Vielen Dank, liebe Fatima. Auch im Namen von ufuq.de herzlichen Dank, dass du zu diesem Gespräch gekommen bist und auch dafür, dass wir das aufzeichnen durften.

Fatima:

Ja, sehr gerne.

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