Verhindern, dass sich Geschichte wiederholt – Teamenden-Fachtag in Augsburg
8. Mai 2020 | Unkategorisiert

Fachtag mit ufuq.de-Teamenden im jüdischen Museum Augsburg; Bild: ufuq.de

Wie kann eine zunehmende politische Polarisierung zur Spaltung und zum endgültigen Ausschluss einzelner Gruppen aus der Gesellschaft führen? Was kann man aus der Geschichte lernen und mit aktuellen Beispielen verknüpfen? Darüber und über ihre eigene Haltung in Workshops mit Jugendlichen haben im März Teamer*innen von ufuq.de-Workshops aus Augsburg, Nürnberg und Würzburg auf einem Fachtag reflektiert. Der emotional bewegende Besuch der Ausstellung „Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge“ des jüdischen Museums Augsburg gab dazu wesentliche Impulse. ufuq.de-Mitarbeiterin Corina Flaig berichtet.

In einem eintägigen Fachaustausch im März 2020 haben neun Teamende der ufuq.de-Workshops aus Augsburg, Nürnberg und Würzburg ihre eigene Haltung und ihre Rolle in den Klassenzimmern reflektiert. Der Umgang mit Emotionen im Workshopsetting war dabei ein bestimmendes Thema. Die Teamenden brachten dazu unter anderem ihre eigenen Emotionen ein, die am Morgen des Tages beim Besuch der Ausstellung „Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge“ (Details siehe unten) des jüdischen Museums Augsburg aufkamen. Zum Beginn des Fachaustausches hatte die gesamte Gruppe eine Führung durch die Ausstellung erhalten. Die geistige und emotionale Dimension der Ausstellung wurde anschließend in zwei Gruppen verarbeitet: Welche Aspekte der Ausstellung waren besonders berührend? Was bewegt in dieser Hinsicht jede*n Einzelne*n (politisch)?

Sich die eigene Haltung und Stimmung als Teamende*r bewusst zu machen, hat eine Auswirkung auf den Verlauf der Workshops. So haben sich die Teamenden unter anderem in Erinnerung gerufen, wie elementar der Moment der ersten Begegnung mit den Schüler*innen für den Verlauf des Workshops ist. Besonders wichtig ist es den Teamenden, den Jugendlichen mit Wertschätzung, Interesse und Offenheit gegenüberzutreten. Denn die Erfahrungen zeigten, dass die persönliche Betroffenheit auf Seiten der Schüler*innen – und manchmal auch der Teamer*innen – bei den „Wie wollen wir leben?“-Workshops aufgegriffen werden sollten. Deutlich wurde auch, wie das Sprechen über und das Zeigen von Gefühlen beispielsweise zur eigenen Authentizität beiträgt. Die Emotionen bei Schüler*innen zeigen, was ihnen am Herzen liegt. Gleichzeitig ist es wichtig, abzuwägen, wann man sich selbst oder den/die Co-Teamer*in schützen oder die Emotionen der Jugendlichen abfangen muss.

Zur Aufarbeitung der Ausstellung stellte ein Teamer das Thema „Genozid aus der Perspektive der Friedens- und Konfliktforschung“ vor. Auch ein Stufenmodell aus der Genozidforschung, auf dem die einzelnen Stationen der Ausstellung basierten, wurde besprochen. Die Gruppe stellte Überlegungen an, was einen Genozid kennzeichnet und wie er sich von Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Massenmorden unterscheiden lassen kann. Weiter sprachen die Teilnehmer*innen über einzelne Genozide in der Geschichte . Die Erfahrung zeigt: Ein Verständnis für und Wissen über kollektive Verbrechen der Menschheitsgeschichte hilft dabei, mit Jugendlichen über Exklusion und Diskriminierung zu sprechen. Auch der Umgang mit Nationalgefühl kann hier von Bedeutung sein. Das Ziel im Klassenzimmer kann sein, Gedenken wachzuhalten und ein Bewusstsein zu schaffen, das hilft, solche Ereignisse in Zukunft zu verhindern.

Um die Methodenvielfalt künftiger Workshops zu vergrößern, entwickelten die Teamenden zudem in einer Art offenen Werkstatt Konzeptideen unter dem Stichwort „Halt-Mal“. Ziel dieser Einheit war vor allem, sich darüber bewusst zu werden, welche Werte und Ideen in der heutigen Gesellschaft in Deutschland oder konkret im direkten Lebensumfeld geschützt werden müssen. Worauf sollte ein Halt-Mal aufmerksam machen? Was ist erhaltenswert? Was gibt mir Halt? Wie können besorgniserregende gesellschaftliche Entwicklungen angehalten werden? Auch Vorschläge zu Material und Ort oder einem Kanal, auf dem das Halt-Mal die Menschen erreichen soll, wurden gesammelt. Die Ideen reichten von einer Plastik über eine Videoinstallation am Hauptbahnhof bis zu einer Aktion in der Fußgängerzone.

Die Ausstellung „Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge“ (18.12.2019 – 29.03.2020 )

Ausgangspunkt der Ausstellung ist der Film „Die Stadt ohne Juden“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Hugo Bettauer (1922). Aus heutiger Perspektive beschreibt er in prophetischer Weitsicht die Geschehnisse zur Zeit des Nationalsozialismus. Die in der Ausstellung gezeigten Filmszenen „verweisen auf die schrittweise Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung während des Aufstiegs und der Etablierung der NS-Bewegung in den 1920er- und 1930er-Jahren“ (NS-Dokumentationszentrum München). Sie begleiten die Besucher*innen durch die Ausstellung und durch Stufen der Ausgrenzung: Die Polarisierung der Gesellschaft, das Erschaffen von Stereotypen, Empathieverlust und Brutalisierung bis hin zum Ausschluss der zum Feindbild stilisierten Menschengruppe.

An jeder Station werden parallel die steigende Diskreditierung jüdischer Menschen ab den 1920er Jahren und der Ausschluss von Minderheiten von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute gezeigt.

Die Ausstellung stellte Fragen…

  • Haben wir ‚Weimarer Verhältnisse‘?
  • Ähnelt die heutige Situation derjenigen am Ende der Weimarer Republik und kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten?
  • Ist noch Zeit, „Wehret den Anfängen” zu mahnen? (NS-Dokumentationszentrum München)

und verwies auf das Fortbestehen antisemitischer Stereotype und das Prinzip einfacher Lösungen, wie zum Beispiel „Ausländer raus!“, das auch heute komplexe Problemlagen lösen soll. Die Diskriminierung und Anfeindung sowie Gewalttaten gegenüber fremdgelesenen Menschen in Deutschland wurden den Besucher*innen vor Augen gehalten.

Die Ausstellung, die einen besonderen Schwerpunkt auf Bayern legte, stellte zudem die Frage, ob und inwiefern die gesellschaftliche Polarisierung und Spaltung während der Jahre des Aufstiegs des Nationalsozialismus mit der aktuellen Situation unserer Gegenwart verglichen werden kann, soll oder sogar muss. Die Anschläge in Hanau am 19. Februar 2020, der Anschlag auf eine Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 und rassistische Übergriffe auf offener Straße auf Jüd*innen, Muslim*innen, als fremd markierte Menschen und Geflüchtete zeigen, wie aktuell Antisemitismus und Hass auf „anders“ markierte Menschen in Deutschland und Europa sind.

Die in Wien vom Film Archiv Austria entwickelte Ausstellung wurde zuvor regional angepasst in München gezeigt. Das Buch zur Ausstellung ist im Buchhandel erhältlich. Die ufuq.de-Fachstelle in Bayern bedankt sich beim Jüdischen Museum Augsburg für die Tour durch die eindrückliche Ausstellung.

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