Über Herausforderungen und Lösungen für schwierige Themen und Situationen in der politischen Bildungsarbeit diskutierten Teamer*innen aus dem ufuq.de-Projekt „Wie wollen wir leben?“ im Rahmen eines Fachaustausches. Die „Wie wollen wir leben?“-Workshops bieten Jugendlichen einen Raum, um über Erfahrungen von Rassismus, Diskriminierung, Wertvorstellungen, Geschlechterrollen und Identität zu reflektieren. Diese Gesprächsräume für Jugendliche zu eröffnen, erfordert hohe professionelle Kompetenz und gestaltet sich für die Teamenden nicht immer als eine einfache Aufgabe. Vom Fachtag in Berlin berichtet ufuq.de-Mitarbeiterin Thy Le.
Welche Methoden und Inhalte funktionieren in den Workshops besonders gut? Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf? Wie sieht ein professioneller Umgang mit Provokationen von Schüler*innen in den Klassen aus? Um diesen und anderen Fragen auf den Grund zu gehen und um praxisrelevantes Wissen untereinander zu teilen, ging es am 15.11.2019 für mehr als 30 Teamende aus verschiedenen Bundesländern aus dem ufuq.de-Projekt „Wie wollen wir leben?“ zum dreitätigen Fachaustausch nach Berlin-Wedding.
Aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen an den jeweiligen Einsatzorten verfügen die Teamer*innen über unterschiedliche Erfahrungen und Lösungsansätze. Auch findet sich unter den studierenden Teamer*innen eine breite Palette an Studienfächern, darunter Erziehungswissenschaften, Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaften, Gender Studies, Sozial- und Kulturanthropologie und Philosophie. Insbesondere für neue Teamer*innen bot der Fachaustausch somit eine wertvolle Chance, von den Erfahrungen „alteingesessener“ Teamer*innen zu profitieren.
Den Fachaustausch mit einer Begrüßungsrede eröffnete Canan Korucu am Freitagnachmittag. Der grundsätzliche Erfolg von „Wie wollen wir leben?“ sei zu einem maßgeblichen Teil den Teamenden zu verdanken, sagte die ufuq.de-Co-Geschäftsführerin. Dass das Projekt seit seiner Entstehung im Jahr 2011 an immer mehr Standorten durchgeführt werden könne, spreche für sich.
Marktplatz
Ein Novum der Veranstaltung in diesem Jahr war ein „Marktplatz“-Stand mit sorgfältig aufbereiteter Fachliteratur und Handreichungen für die Teamer*innen. Im Rahmen eines Open Space konnten sich die Teamer*innen zudem über konkrete Fragen austauschen, die ihnen in der Workshoparbeit begegnen. Zum Beispiel über den Umgang mit theologischen Fragestellungen in Gesprächen mit Jugendlichen: In den „Wie wollen wir leben?“-Workshops geht es ausdrücklich nicht um Religionsunterricht oder Theologie, dennoch stellt sich den Teamer*innen immer wieder die Frage, ob auch theologische Argumentationen in der politischen Bildung sinnvoll sein können.
Methoden zum Austausch und zur Reflexion über machtkritische Perspektiven in der Bildungsarbeit bot der erste Themenworkshop, den Dr. Rosa Fava und Berivan Köroğlu von der Amadeu-Antonio-Stiftung leiteten. Nach einführenden theoretischen Überlegungen folgten konkrete Fallbesprechungen, die die Teilnehmer*innen in Kleingruppengesprächen und anschließend im großen Plenum präsentierten.
Den zweiten Workshop – zum Thema Klassenmanagement – leitete Katharina Krysmanski, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Dahlem School of Education an der Freien Universität Berlin. Die diplomierte Kinder- und Jugendpsychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Intervention und Störungsprävention hat selbst langjährige Erfahrung als Lehrkraft an Schulen und arbeitet als Multiplikatorin seit zehn Jahren in der Lehrkräftefortbildung. Ihr Workshop sollte die Teamer*innen darin bestärken, den Unterrichtsfluss zu steuern, und vermittelte Erklärungsansätze für das Verhalten von Schüler*innen im Alltag. So wurden etwa systematisch verschiedene Arten von Störverhalten und den zugrundeliegenden Motiven besprochen. Ziel war, das Repertoire an Handlungsstrategien der Teamer*innen im Umgang mit herausfordernden Situationen und Störungen in Form von Provokationen von Schüler*innen in der pädagogischen Praxis zu erweitern.
Pädagogische Beziehung zu den Jugendlichen
Eine zentrale Herausforderung, vor der die Teamer*innen häufig stehen, ist der Aufbau einer pädagogischen Beziehung zu den Jugendlichen. Denn im Vergleich zu Lehrkräften, die mit dem alltäglichen Klassenklima besser vertraut sind, müssen Teamende innerhalb kurzer Zeit eine Vertrauensbasis schaffen, um den Raum für Reflexion und Gespräche über Identität, Rassismus und Diskriminierung zu öffnen. Manchmal gestalten sich die Situationen sogar als unberechenbar.
Wenn etwa Jugendliche fremden Erwachsenen wie den Teamenden von ihnen schmerzhaften Erlebnissen wie Diskriminierung berichten sollen, kann das für sie eine unangenehme Situation darstellen. Keinesfalls müsse dies für die Teamer*innen jedoch ein Problem oder gar eine unlösbare Aufgabe sein, sondern könne für beide Seiten eine wertvolle Lernerfahrung darstellen, sagte Krysmanski. Entscheidend sei, mit welcher Haltung die Teamer*innen den Schüler*innen begegnen. Für die Arbeit auch in der politischen Bildung sei ein pädagogischer Ansatz zielführend, der anerkennend ist und sich an den Ressourcen der Schüler*innen orientiert.
Darüber hinaus sei es angebracht, positive, kurze Erwartungsformulierungen an die Schüler*innen zu treffen, so Krysmanski. Wenig sinnvoll sind hingegen Erwartungsformulierungen in Form von Verboten. Die Teamer*innen sollten das Bedürfnis nach Anerkennung unter den Schüler*innen berücksichtigen. So sollten die Teamenden auch schwierige Situationen stets als Lerngelegenheiten verstehen und entsprechend nutzen. „Mit ernst gemeinter Wertschätzung kann viel erreicht werden“, sagte die Workshopleiterin.
Konkrete Handlungsstrategien
Für die Teamenden erwies es sich daher als besonders hilfreich, konkrete Handlungsstrategien im Umgang mit Provokationen herauszuarbeiten. „Der Workshop ‚Klassenmanagement‘ war für mich als Teamerin und angehende Lehrerin sehr hilfreich“, zog eine Teamerin als Fazit, die seit 2017 „Wie wollen wir leben?“-Workshops durchführt. „Selbst in meinem Lehramtsstudium wurde diese Thematik bisher wenig aufgegriffen. Dabei ist es so wichtig, als Teamerin den richtigen Umgang mit Provokationen und Störungen von Seiten der Schüler*innen zu finden.“
Die ufuq.de-Mitarbeiterinnen Aylin Yavaş und Jenny Omar koordinieren und verantworten das Projekt „Wie wollen wir leben?“ und richteten den Fachaustausch aus.