Vor zehn Jahren löste das Theaterstück „Dritte Generation“ von Yael Ronen und ihrem Ensemble in der Schaubühne Berlin zum Teil heftige Debatten aus. Es verhandelte mit abgründigem Humor den Nahostkonflikt und brach mit Tabus. Jetzt ist eine aktualisierte Version am Maxim-Gorki-Theater zu sehen. ufuq.de-Mitarbeiterin Sakina Abushi war bei der Premiere.
Zehn Jahre nach dem großen Erfolg ihres Stückes Dritte Generation an der Berliner Schaubühne bringen Yael Ronen und Ensemble eine aktualisierte Version auf die Bühne – dieses Mal am Maxim-Gorki-Theater in Berlin unter Intendantin Shermin Langhoff. Ich erinnere mich noch gut an den Effekt, den das Stück damals auf mich hatte – israelische, palästinensische und deutsche Schauspieler_innen verhandelten mit abgründigem Humor den Nahostkonflikt und die Frage nach deutscher Schuld und Antisemitismus in Europa und zerschossen dabei sichtlich lustvoll jedes nur erdenkliche Tabu. Die Inszenierung war enorm unterhaltsam und bot Stoff für wochenlange, zum Teil heftige Debatten.
Die Themen, Tabubrüche und auch große Teile des Skripts sind exakt die gleichen wie vor zehn Jahren. Niels Bormann erfragt, wie auch schon vor zehn Jahren, gleich zu Beginn, wer im Publikum denn jüdisch, schwul, ostdeutsch, Sinto, Rom oder auch „sich türkisch definierend“ sei – um sich dann tränenreich im Namen Deutschlands bei allen Minderheiten für das ihnen durch Deutsche zugefügte Unrecht zu entschuldigen. Orit Nahmias hält, wie schon vor zehn Jahren, einen großen Monolog gegen Vergleiche – von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus, von Holocaust und anderen Genoziden, ach von allem Möglichen, und wehrt sich gegen Versuche, Antisemitismus zu definieren: Antisemitismus sei wie Pornografie – wenn man ihn sehe, erkenne man ihn schon.
Ich fühle mich, wie schon vor zehn Jahren, bestens unterhalten. Dennoch beschleicht mich ein Gefühl der Enttäuschung. Zu vieles ist gleichgeblieben, zu viele Texte sind fast wortgleich übernommen worden. Eine Referenz auf Stagnation, daran, dass sich im Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser_innen in den letzten zehn Jahren nicht viel verändert hat? Mag sein, aber in Deutschland und Europa hat sich so vieles getan, das nur in Nebensätzen gestreift wird.
Orit Nahmias erwähnt beiläufig, dass man als Jude oder Jüdin nicht mehr durch den Berliner Bezirk Prenzlauer Berg laufen kann, ohne mit einem Gürtel geschlagen zu werden – und belässt es dabei (erwähnt aber noch, dass die Juden aus diesem Grund mehr denn je ihren eigenen Staat – für sich alleine! – brauchen). Abak Safaei-Rad zeigt sich verwirrt, dass die AfD von einer Lesbe geführt wird, die mit einer Frau mit Migrationshintergrund zusammen ist, und dass Schwarze Deutsche bei Pegida mitlaufen. Es entsteht der Eindruck einer gewissen Berührungsangst gegenüber Themen, die aktuell diskutiert werden: Wie definieren wir eigentlich Antisemitismus? Wo ist die Trennlinie zu legitimer Kritik am Staate Israel? Gibt es „muslimischen Antisemitismus“? Wie sieht es mit Antisemitismus und Rassismus in der Mitte der deutschen Gesellschaft aus? Und wie ist es zum Erstarken des Rechtspopulismus in Europa gekommen?
Höhepunkte der Inszenierung
Höhepunkte der Inszenierung sind eine palästinensische Butho-Performance („nach der Orange greifen“) von Yousef Sweid, und die Szene, in der Orit Nahmias, Ayelet Robinson und Michael Ronen israelische Teenager_innen mimen, die sich erst seit der Klassenfahrt nach Auschwitz wirklich jüdisch fühlen und sich wahnsinnig auf die Rekrutierungs-Party der Armee freuen („Wir sind doch nicht das einzige Land auf der Welt, das auf unbewaffnete Demonstranten schießt!“) – Stellen, an denen das Publikum Erleichterung findet, wo die Schauspieler_innen physisch, humorvoll und originell agieren.
An einer Stelle wird es still im Publikum: Lamis Ammar fordert das Publikum auf, einen Rhythmus zu klatschen, und rezitiert unter lustvoller, bierzeltseeliger Beteiligung der Theaterbesucher_innen ein palästinensisches Widerstandsgedicht. Ayelet Robinson unterbricht die Darstellung und greift das Publikum direkt an: Nie hätte sie geglaubt, dass ein Theater voller Deutscher einer solchen Darstellung applaudieren würde – werde doch im Gedicht das Recht Israels zu existieren negiert. Betretenes Schweigen.
Am Schluss gibt es dann noch das „Coming-in“ eines bislang im Untergrund lebenden Deutschen, der sich aufgrund der um sich greifenden Deutschenverfolgung in Berlin gezwungen sieht, in weiß besockten Sandalenfüßen heimlich mit seinen Leidensgenoss_innen Leberwurstbrote aus Tupperdosen zu verzehren und dabei die Schwarzwaldklinik zu glotzen. Da er sich größere Karrierechancen ausmalte, erfand Dieter Schmidt einst kurzerhand ein Alter Ego Dimitrij Schaad mit kasachischem Migrationshintergrund – doch diese Zeiten sind vorbei. Dieter Schmidt ist heute stolz, Deutscher zu sein. Er hat die Schnauze voll von amateurhaftem, auto-fiktionalem Dokumentartheater und hat am Gorki seine Kündigung eingereicht. Die Stille nach der Szene wird durchbrochen von einsamem Applaus aus dem Publikum – plötzlich ist nicht mehr klar, ob das jetzt noch ein Spaß ist. Ein Schauer rinnt uns über den Rücken.
Durchaus erheitert, aber doch mit einem leicht bitteren Geschmack im Mund findet man sich zur Premierenparty. Was vor zehn Jahren ein humorvoller Tabubruch war, stand damals im Kontext einer zumindest nicht völlig hoffnungslosen Situation. Wir waren jung, wir glaubten vor zehn Jahren tatsächlich noch, dass es zu unseren Lebzeiten eine politische Lösung des Konfliktes geben könnte. Third Generation – Next Generation steht heute im Kontext absoluter Stagnation in Israel und Palästina, einer zerfallenden Europäischen Union und grassierendem Rechtsextremismus und Rassismus in Europa. Das Stück wirkt anders, wenn in zahllosen europäischen Ländern Rechtspopulist_innen an der Regierung sind. Und Tabubrüche machen nicht ganz so viel Spaß, wenn rassistische Tabubrüche in unseren Gesellschaften an der Tagesordnung und längst in unseren Parlamenten angekommen sind.
Eine Freundin meint noch, das Stück sei offensichtlich für ein deutsches Publikum gedacht, für Israelis in Berlin sei es alter Wein in neuen Schläuchen, für Palästinenser_innen nicht zornig genug.
Für Schulklassen geeignet?
Ist das Stück geeignet, um es mit Schulklassen zu besuchen? Einerseits: Jugendliche hätten ihre helle Freude an den vielen Tabubrüchen und der offenen Ansprache all jener Themen, die im Unterricht oft nur zögerlich behandelt werden. Es gibt viele Anknüpfungspunkte, die es ihnen ermöglichen würden, auch über eigene Familiengeschichten zu sprechen. Andererseits: Die Inszenierung ist größtenteils in englischer Sprache gehalten – zwar gibt es Übertitel, es dürfte trotzdem eine Herausforderung für Schüler_innen sein, dem sehr textorientierten Stück über zwei Stunden lang zu folgen. Wer es wagen will, wende sich an die engagierte Theaterpädagogik des Hauses und investiere in eine detaillierte Vorbereitung, Verstehaufgaben und inhaltliche Anker. Dann könnte aus einem Besuch am Maxim-Gorki-Theater eine herausragende Übung in Multiperspektivität werden.
Third Generation – Next Generation zeigt einen Raum, in dem vieles auf den Tisch kommt – Stereotype, Hass, Humor, Vorurteile, Schuld und handfeste Interessen vermengen sich zu einer unterhaltsamen und explosiven Mischung. Was uns als politische Bildner_innen aber wirklich interessiert, ist das, was passiert, wenn alle Gegensätzlichkeiten und Widersprüche offen liegen, und man trotzdem (als Ensemble, als Gesellschaft) weitermachen muss. Interessiert hätten uns die Fragen, die wirklich weh tun. In diesen Bereich wagt sich Third Generation – Next Generation nicht vor.