Warum so viele Menschen meinen, dass Islam und Demokratie nicht zusammenpassen
1. Mai 2017 | Diversität und Diskriminierung, Religion und Religiosität, Unkategorisiert

Zwei Meldungen aus Medien, veröffentlicht an einem Tag Mitte Mai, wie sie aber mehr oder weniger alltäglich zu lesen und zu hören sind: 1. „Die Bekennerschreiben zum Attentat auf den Mannschaftsbus des BVB werden jetzt von Islamwissenschaftlern untersucht“. 2. In Großbritannien wird erstmals eine Finanztechnologiefirma zugelassen, die sich an die „islamischen Scharia-Regeln“ halte. Klingt beides logisch? Aber: Welche Weisheiten sollen eigentlich Islamwissenschaftler_innen zu einem Bekennerschreiben mutmaßlicher Terroristen beitragen? Und: Was genau sind denn diese ominösen „Scharia-Regeln“, wo diese doch in keinem Gesetzbuch nachzulesen sind und sich muslimische Gelehrten in Jahrhunderten nicht darüber einig geworden sind? In Wirklichkeit sind es hoffentlich Islamismus- und Terrorismusexperten, die Bekennerschreiben analysieren. Und die Meldung zur Finanztechnologiefirma müsste – etwas komplizierter, aber dafür korrekt – lauten, dass die Firma Regeln folge, von denen ihre Repräsentanten erklären, sie entsprächen der Scharia.

Es sind solche alltäglichen, teils ganz banalen und in der Regel nicht „bös gemeinten“ Meldungen, die ihre Rezipienten, also uns alle, meinen machen, dass es „den Islam“ gebe, der ganz bestimmte Regeln und Gesetze vorgebe, aus denen sich jegliches Denken und Handeln von Muslim_innen mehr oder weniger direkt ableiten lasse. Ein solches unpluralistisches (und damit undemokratisches) Islamverständnis vertreten eigentlich nur Fundamentalisten.

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Noch ein Beispiel: Inside Islam, das Buch des Journalisten Constantin Schreiber, scheint da ein willkommener Lichtblick. Seine Reportagen über Moscheebesuche und seine Protokolle von Predigten aus zahlreichen Moscheen in Deutschland haben in den Feuilletons für großes Aufsehen gesorgt. Schließlich gibt er Einblicke in eine Welt, die den meisten Nichtmuslimen unbekannt bleibt: „Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird“, verspricht der Untertitel. Gezielt hat Schreiber Moscheen aufgesucht, die weder als „radikal“, noch als Vorzeigebeispiele eines besonders liberalen Islams gelten. Er nimmt seine Leser_innen mit zum „ganz normalen“ Islam. Leider gelingt es dann aber doch nicht, die Vielfalt dieses Islam in Deutschland abzubilden und verschiedene Lesarten nebeneinander zu stellen, wie Muslim_innen ihren Glauben leben. Das gilt insbesondere für die TV-Reportagereihe, die das Erscheinen des Buches begleitet: Mit leicht zynischem Unterton wird hier die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit von Predigern infrage gestellt und suggeriert, dass diese sich doch vermutlich nur liberal geben, solange die Kamera läuft. Es entsteht – wieder einmal – der Eindruck, dass es sich beim Islam um eine intolerante, demokratieverachtende Religion handele, Muslim_innen daher Probleme mit dem Leben in einer demokratischen Gesellschaft hätten und sich zunächst einmal verändern müssten, bevor sie dazugehören dürfen. Woran das liegt? Offenbar haben auch viele derjenigen Politiker_innen, Expert_innen und Journalist_innen, die es eigentlich besser wissen, Probleme damit, auf die Vielschichtigkeit muslimischen Lebens in Deutschland und der Welt hinzuweisen –  z.B. auch darauf, dass sehr viele so genannte „Muslim_innen“ gar nicht religiös sind. Solche Erkenntnisgewinne brauchen Zeit und gehören wohl zu den mitunter konflikthaften Prozessen in einer Migrationsgesellschaft. Aber schon jetzt gehören zu einem ganz normalen Medientag eben auch diejenigen Meldungen, die eher unaufgeregt eine Botschaft vermitteln, wie sie eigentlich bereits allen Umfragen und Erhebungen zu entnehmen ist: „Ja, es gibt Muslim_innen, die haben – wie andere Deutsche auch – an dem einen oder anderen Punkt mehr oder weniger ausgeprägte Probleme mit Demokratie und Pluralismus. Darüber ist dann zu reden. Gleichzeitig verstehen sich die meisten in Deutschland lebenden Muslim_innen ganz selbstverständlich als Demokraten“.

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