Salam-Online. Unterrichtsmaterialien zu Online-Hate-Speech und Islam
30. Mai 2017 | Radikalisierung und Prävention

Wie lernen Schüler_innen, sich gegen online Hate Speech zu wehren? Wie können Lehrer_innen dazu beitragen, den Hass im Netz einzudämmen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Wissenschaftler_innen und Student_innen am Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. „Salam-Online: Forschungswerkstatt Gegenrede zu Salafismus und Islamischem Extremismus“: so der Titel des Projektseminars, welches von September bis Dezember 2016 zu diesem Thema arbeitete und schließlich die vorliegende Handreichung veröffentlichte. Dabei flossen auch die Erfahrungen aus der Arbeit von Ufuq.de ein und wir beteiligten uns mit fachlicher Beratung. Das erklärte Ziel des Projektseminars und der Handreichung ist es, für den Umgang mit dem Phänomen online Hate Speech zu sensibilisieren und pädagogische Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Studierenden selbst wurden von Beginn an aktiv in die Vorbereitung der Handreichung eingebunden und konzipierten drei Unterrichtseinheiten. Die Handreichung gibt es hier zum Download. Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus der Einleitung von Marcel Klapp, Sindyan Qasem und Mouhanad Khorchide.

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Die vorliegende Handreichung richtet sich an pädagogisches Fachpersonal und Lehrkräfte, die im Unterricht zum Thema online Hate Speech aus dem muslimischen Spektrum arbeiten möchten. Am ZIT werden derzeit über 800 muslimische Studierende zu Wissenschaftler_innen, Theolog_innen und überwiegend zu Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht ausgebildet, die den Islam in Nordrhein-Westfalen, aber auch deutschlandweit in den nächsten Jahren maßgeblich prägen werden.

Die derzeitige gesellschaftliche Verunsicherung durch die wachsende salafistische Szene und ihre Verbindung zum dschihadistischen Terrorismus nährt die Hoffnung, der islamische Religionsunterricht möge einen Beitrag zur Prävention vor der Radikalisierung jugendlicher Muslime leisten. Auch wenn die Präventionsarbeit gegen Extremismus nicht die primäre Aufgabe des Religionsunterrichts ist, erfüllt die dort vermittelte Befähigung junger Muslim_innen zur Reflexion des eigenen Glaubens eine wichtige Aufgabe. Tatsächlich sind es vornehmlich religiöse Analphabeten, die offen für die extremistischen Lesarten des Islam sind. Viele junge Muslime haben beispielsweise Schwierigkeiten, Anschluss an den Islam der Elterngeneration zu finden, da in den Moscheen zumeist in deren Herkunftssprache gepredigt wird. Auch hat ein Großteil der Imame kaum Einblicke in die Lebenswelten der muslimischen Jugend in Deutschland.

Diese Situation erleichtert die Ansprache durch salafistische Angebote im Internet, die ja zumeist in deutscher Sprache stattfindet. Auch wenn eine einsame Radikalisierung Einzelner online mittlerweile als unwahrscheinlich gilt, spielt das Angebot im Netz für die meisten Radikalisierungsprozesse eine maßgebliche Rolle. Dessen Spektrum reicht von dschihadistischer Propaganda wie z.B. den Videos des vermeintlichen Islamischen Staates (IS), bis hin zu Hassbotschaften Einzelner in den Kommentarspalten der Sozialen Netzwerke. Insbesondere die so genannte Hate Speech oder Hassrede scheint milieuübergreifend zunehmend salonfähig zu werden und das gesellschaftliche Klima nachhaltig zu verändern.

Selbst Politiker_innen setzen zum Erreichen ihrer Ziele immer häufiger auf spalterische Rhetorik und gruppenbezogene Herabwürdigungen, wie es beispielsweise Donald Trump im Herbst 2016 auf beunruhigende Weise im Wahlkampf gezeigt hat. Als hate speech verstehen wir in unserem Projekt wie in dieser Handreichung den hasserfüllten Sprechakt, der bestimmte Kriterien erfüllt. Zentral sind die Funktionen der Degradierung und Entmenschlichung, die bewusste Reproduktion und Verstärkung bestehender Spannungen und die damit einhergehende Schaffung von „Wir“ und „Sie“, in-group und out-group. Hate speech bezieht sich also im Gegensatz zur einfachen Beleidigung in der Regel nicht auf Individuen, sondern auf Menschengruppen.

Mechanismen des Hate Speech

Die spezifische Natur der Onlinekommunikation, vor allem die gegebene Anonymität und die Möglichkeit der sofortigen Verbreitung von Inhalten an Empfänger_innen weltweit, kann das Gefahrenpotential von Hate Speech derart verstärken, dass es sich in extremen Fällen in Gewalt entladen kann. So gilt die Verbreitung von Hassrede verschiedenen NGOs auch als Indikator in der Prävention vor Gewaltausbrüchen und Genoziden.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hat in unterschiedlichen Milieus je eigene Argumentationsmuster und Narrative, auf die sie zurückgreift. Ein verbreitetes Motiv muslimischer online Hate Speech ist beispielsweise die Praxis des takfir, die Erklärung von bestimmten Gruppen, Muslimen wie nicht-Muslimen, zu „Ungläubigen“, auch oft verbunden mit dem Aufbau von Narrativen und Bedrohungsszenarien eines islamfeindlichen Westens. Da muslimische wie nichtmuslimische Jugendliche sich einen großen Teil des Alltags online bewegen und sich oft unkritisch verschiedensten Inhalten und Nachrichten aussetzen, sind sie besonders gefährdet, einerseits Opfer von Hassrede zu werden, andererseits aber auch unbedacht hasserfüllte Sprechakte zu verbreiten.

Um der Dynamik und Komplexität dieser spezifischen Online-Kommunikationskultur als Lehrperson im islamischen Religionsunterricht begegnen zu können, reicht theologisches und religionsdidaktisches Wissen allein nicht aus. Da sich aber nicht abzeichnet, dass Medienkompetenz sich in absehbarer Zeit als eigenständiges Schulfach etablieren könnte, erscheint es ratsam, sie in den jeweiligen Fachunterricht zu integrieren, was die Weiterbildung der Lehrkräfte in diesem Bereich unerlässlich macht. Bis dato existieren nur wenige Materialien zum Thema online Hate Speech im Bereich Salafismus und Islamismus, die von Lehrkräften gewinnbringend im Unterricht angewendet werden können. Die Produktion und Bereitstellung von Informationen und einsatzfertigen Unterrichtseinheiten in Form dieser Handreichung war daher ein zentrales Anliegen des Projekts.

Download der Broschüre: https://www.uni-muenster.de/

 

 

 

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