Jette und Frank van der Velden wissen, wovon sie reden, wenn es um religiöse Minderheiten geht. Sie haben viele Jahre in Ägypten gelebt und haben dort für die katholische Gemeinde und in der Schule gearbeitet. Sie wissen, wie Islam im Alltag gelebt wird, haben Generationen von Schüler_innen im Unterricht erlebt und wissen, wie unterstützend Religion für Menschen in Ausnahmesituationen wirken kann. Dieses Wissen geben sie jetzt in Wiesbaden weiter: in einem Workshop für Ehren- und Hauptamtliche, die sich um Geflüchtete kümmern. Julia Gerlach hat mit Jette van der Velden gesprochen.
Worum geht es in Eurem Projekt?
Anfang Juni startet unser Kurs und geht dann bis Dezember. In acht Workshops wollen wir mit den Teilnehmer_innen zu verschiedenen Themen arbeiten. Das Besondere ist, dass wir Haupt- und Ehrenamtliche zusammenbringen und auch Mitarbeiter_innen aus Behörden und Verwaltung dabei sind und sich so auch miteinander austauschen können. Die Nachfrage ist riesig. Drei Tage nachdem wir die Einladung verschickt haben, war der Kurs voll und wir nehmen jetzt viel mehr Teilnehmer_innen als eigentlich geplant: 30 statt 20.
Was brauchen diese ehren- und hauptamtlichen Helfer denn?
Viele Schulen haben lange gebraucht, um zu realisieren, wie stark sie sich durch die Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung schon verändert haben und noch verändern müssen. Die Ankunft der Geflüchteten jetzt hat ihnen dieses Thema im verstärkten Maße vor Augen geführt und es ist ein Bedarf entstanden, sich vorzubereiten. Vor allem an Schulen gibt es viel Potenzial in der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen, das noch viel stärker genutzt werden kann. Hier entsteht gerade etwas Neues. Das sehen wir auch an den Anmeldungen: Da haben sich zum Beispiel Lehrer_innen und Ehrenamtliche einer Schule zusammen angemeldet.
Und was macht ihr konkret?
Wir wollen in unserem Workshop einerseits hard skills vermitteln: Was ist Mehrsprachigkeit? Wie verläuft Zweitspracherwerb? Was ist der Lernhintergrund der Geflüchteten? Wie plane ich unter diesen Bedingungen meinen Unterricht? Das sind Sachen, die man auch an der Universität lernen kann, aber viele haben es nicht getan. Dazu kommen soft skills: Welche positiven Rollenmodelle können wir den Kindern anbieten? Wie lässt sich migrantische Selbstorganisation stärker einbeziehen? Wie kann man das Potenzial anzapfen, das die Religiosität vieler Geflüchteter mitbringt. Es geht also um ein religions- und herkunftssensibles Handeln.
Welche Rolle spielt denn der zunehmende Rassismus in der Bevölkerung. Von Willkommenskultur ist ja vielerorts nicht mehr so viel zu spüren?
Ach, das würde ich so nicht sagen. Und vor allem: Die Leute, an die wir uns ja richten, haben das Problem nicht. Sie engagieren sich doch und machen ständig die Erfahrung in der konkreten Arbeit. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen: Ich bin auch in einer Schule als Ehrenamtliche aktiv und da sieht man doch, wie lerngierig die Kinder sind und wie groß die Erfolge sind. Die Leute, die zu uns kommen, brauchen wir nicht zu überzeugen. Die sind schon überzeugt.
Aber vielleicht müssen sie angesichts der Stimmung bestärkt werden?
Ich denke, es ist wichtig, dass man die Fähigkeiten lernt, seine Arbeit gut zu machen. Dass man möglichst wenig negative Erfahrungen macht und möglichst wenig Misserfolgserlebnisse hat. Das ist auch ein wichtiger Schritt, dass Ressentiments nicht aufgegriffen werden.
Du hast von Religion als Ressource gesprochen. Was ist damit gemeint?
Unter den Geflüchteten, gerade aus der arabischen Welt sind viele, für die Religion eine große Rolle spielt. Viele definieren sich darüber und ziehen aus dem Glauben Kraft. Das wollen wir positiv in die Arbeit einbeziehen. Sozialarbeit in Deutschland ist ja oft sehr von der Religion gelöst. Das ist schade, denn da geht viel verloren, was positiv eingesetzt werden kann. Letztes Jahr, bevor wir überhaupt absehen konnten, dass die Ankunft der Geflüchteten ein so großes Thema werden würde, haben wir ein Seminar nur zu diesem Thema angeboten: Da ging es um die Einbeziehung der Religiosität in die Sozialarbeit mit hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund.
Und in dem neuen Kurs ist das auch wieder ein zentrales Thema?
Ja, das ist ja der Ansatz der ganzen Kooperationsgemeinschaft, die hinter diesem Projekt steckt. Deswegen wird der Seminarkurs von Prof. Harry H. Behr mitgeleitet, der an der Goethe-Universität Frankfurt Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Islam lehrt. Es ist natürlich eine schöne Anerkennung für uns, dass das Land Hessen diese religions- und kultursensiblen Fragestellungen im Rahmen des Hessencampus Wiesbaden finanziell fördert.