Rechtspopulistischen Verführungen widerstehen: Jugend und gesellschaftlicher Zusammenhalt
2. August 2023 | Demokratie und Partizipation, Jugendkulturen und Soziale Medien

Symbolbild; Bild: Egor Myznik/Unsplash

Rechtspopulist*innen teilen die Welt gerne in Schwarz und Weiß: Auf einer Seite eine vermeintlich korrupte politische Elite, auf der anderen „das Volk“, dessen Interessen nicht gehört würden. Krisen, Konflikte und Polarisierungen sind der Treibstoff für Rechtspopulismus – und Populismus ist zugleich Ausdruck und eine weitere Ursache davon. Wie verbreitet sind rechtspopulistische Tendenzen bei Jugendlichen? Wie kann politische Bildung die Resilienz gegenüber simplifizierenden und demagogischen Positionen stärken?

Demokratien durchlaufen weiterhin einen Stresstest. Sie sind insbesondere von jenen herausgefordert, die sich im Namen ‚wahrer‘ demokratischer Praxis zu befleißigen meinen: Rechtspopulist*innen sind auf der politischen Landkarte nicht mehr wegzudenken. Ihre elektoralen Erfolge sind erheblich. Wenn sie nicht regieren wie etwa in Ungarn oder nunmehr auch in kleinen Teilen Deutschlands, so ist zumindest jede Regierungsbildung nur gegen Rechtspopulist*innen und in oftmals ungeliebten parteipolitischen Abwehrkonstellationen herzustellen. Rechtspopulismus beengt nicht nur Demokratie, er bedingt auch Veränderungen.

„Der Rechtspopulismus, wie er sich in Deutschland parteipolitisch etabliert hat, will nicht Demokratie im deliberativen Sinne, sondern Vulgärdemokratie, die sich vor allem dadurch auszeichnet, angstgespeiste Mehrheitsmeinungen gegen einen (verfassungsrechtlich garantierten) Minoritätenschutz auszuspielen.“

Dabei zeichnet sich Populismus in einer bekannten (und bereits klassisch gewordenen) Populismustheorie durch wenige Merkmale aus (instruktiv Mudde 2004): unversöhnt gegenübergestellt findet sich ein korruptes Politikerestablishment und ein wahres Volk – dessen Willen Populist*innen freilich zu kennen meinen. Propagiert wird innerhalb dieser manichäistischen Grundsituation die Volkssouveränität als wahrhaftiges Herrschaftsorgan (vgl. Mudde/Kaltwasser 2019: 25). Für den Fall des Rechtspopulismus ist dabei u. a. eine Volkshomogenität kennzeichnend (freilich ebenso wie die Homogenität der politischen Elite). Dieser Punkt ist zentral, weil jede Volkshomogenisierung die Anerkennung von Unterschiedlichkeit verneint. Rechtspopulist*innen haben ein bestimmtes Bild, wie das Volk aussieht, wem Ressourcen zugesprochen werden und wem diese versagt bleiben sollen. Es ist daher nicht überraschend, dass sie kritisch-emanzipative identitätspolitische Bewegungen, die um Integration durch Inklusion bemüht sind, (buchstäblich) bekämpft werden und sich an ihnen (ebenfalls buchstäblich!) festgebissen wird (Süddeutsche Zeitung, 2023). Der Rechtspopulismus, wie er sich in Deutschland parteipolitisch etabliert hat, will nicht Demokratie im deliberativen Sinne, sondern Vulgärdemokratie, die sich vor allem dadurch auszeichnet, angstgespeiste Mehrheitsmeinungen gegen einen (verfassungsrechtlich garantierten) Minoritätenschutz auszuspielen. Deswegen ersehnen Rechtspopulist*innen auch Volksentscheide, insbesondere dann, wenn es z. B. um Geflüchtete oder Gender-Toiletten ginge. Dass sie damit auch der vermeintlichen Politikverdrossenheit der Massen selbstlos beikommen möchten, tarnt allenfalls ihre eigene Demokratieverdrossenheit.

Die Konfliktlinien der Gesellschaft – in Fragen zu Wirtschaft, Migration, Klima, Digitalisierung, Geschlecht etc. – sind derzeit empfindlich in Bewegung, wobei sich die Polarisierungsintensität – freilich mit Ausnahme der auf Migration bezogenen Einstellungen – weithin moderat darstellt (Mau et al. 2020). Rechtspopulistische Parteien besetzen diese Themen aber hörbar mit antidemokratischen und menschenfeindlichen Diskursen und insinuieren reale Polarisierung. Der Klimawandel wird derweil kurzerhand unter Hinzunahme „alternativer Fakten“ (Kumkar 2022) als Lüge ‚grüner‘ Ideologie abgetan, mitunter klientilistisch zur Wohlstandssicherung, zuweilen rassistisch legitimiert (Quent et al. 2020); es wird versucht, Geschlechterverhältnisse gegen einen sog. ‚Genderwahnsinn‘ zu retraditionalisieren und Geflüchtete werden verabscheut, geradezu „dämonisiert“ (Castro Varela/Mecheril 2016).

Politische Dispositionen im Jugendalter

Jugendsozialisation ist in diesen Zeiten also notwendigerweise „Krisensozialisation“ (Bauer 2023). Jugendliche werden in öffentlich-medialen und zuweilen auch politischen Diskussionen mal als Heilsbringer*innen einer besseren Gesellschaft stilisiert, mal als ungezähmte Horde. Sie finden sich unverhofft in kriminologischen oder pathologischen Heuristiken wieder, die jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft zur Zukunftsapokalyptik wenden. Eine unaufgeregte empirische Haltung erlaubt hier tiefere Einsichten, auch wenn rechtspopulistisches Denken von Jugendlichen (noch) wenig erforscht ist (2023). Repräsentative Studien wie die Shell-Studie zeigen, dass Jugendliche teilweise populismusgeneigt oder gar nationalpopulistisch sind (insgesamt 33 Prozent), sie also in Fragebögen zu (rechts)populistischen Statements Zustimmung bekunden (Albrecht et al. 2019: 79; vgl. auch Zick et al. 2020). Die Daten, die zum Wahlverhalten von Jugendlichen vorliegen, deuten auf ähnliche Anteile hin (Tagesspiegel 2021). Dabei gibt es deutliche regionale Unterschiede: Gerade in Regionen, die von Krisen betroffen sind und in denen materielle Zukunftsangst herrscht, wird die Tendenz, für rechtspopulistische Parteien zu votieren, signifikant größer (Zagórski et al. 2019).

Für die politische Dispositionsentwicklung ist dies ein bedeutsamer empirischer Umstand. Gerade Jugend wird sozialisationstheoretisch als eine kritische Phase verstanden – kritisch in dem Sinne, dass hier Möglichkeiten für Autonomiegewinne in besonderer Weise verfügbar werden und sich in der langfristigen Dispositionsentwicklung materialisieren (können). Diese Phase übersetzt sich in politische Werte, Einstellungen und Praktiken, es werden gesellschaftliche Sinnhorizonte handlungsleitend gekoppelt, die Zugehörigkeit, Identität und Solidarität vermitteln. Dies geschieht zweifellos in jeder Lebensphase. In der Jugendphase wird diese „Mentalisierung“ (Bauer 2020) des Ich im Wir und des Wir im Ich gleichwohl erstmalig, und erstmalig so „intensiv“ erlebt. Damit ist keinesfalls gesagt, dass Jugend ein Automatismus für Autonomie ist, erst recht nicht für Emanzipation. Es ist ein fragiler Prozess, der hypothetisch das ankündigt, was sein kann. Diese Differenz hatte bereits Jürgen Habermas in seiner Identitätstheorie beschrieben, bei der das Erreichen einer Ich-Identität einen möglichen, aber keinen notwendigen Entwicklungsverlauf darstellt (ebd.).

Jugendliche mentalisieren in der Regel das, was in der Kindheit als Disposition erworben, man könnte auch sagen, habituell vorgeprägt wurde – und das jetzt selbst zur Disposition steht. Damit sind die familialen Erzeugungsbedingungen eingekreist, in denen spezifische Selbst- und Weltverhältnisse gebildet werden. Weil in diesen frühen Lebensphasen junge Menschen stärker von ihren Kontextfaktoren abhängen, kommen der Familie und den familialen Wertetransmissionsprozessen eine besondere Rolle zu (vgl. Lareau 2003). In der Jugendphase können hier Verhärtungseffekte stattfinden. Dispositionen können auch volatil werden, d. h. sie können sich in nunmehr erweiterten Sozialisationsräumen von Schule, Peerkontexten, Vereinen, Medien etc. verändern.

Der Blick auf die Genese ist auch für die gesellschaftliche Entwicklung interessant. Ob gesellschaftlicher Wandel einsetzt, hängt maßgeblich auch vom Transformationsscharnier der Jugendzeit ab. Intergenerationale Studien indizieren derzeit eine Tendenz zur Angleichung. Jüngere kongruieren in vielen Dimensionen mit den Einstellungen der Älteren (etwa mit Blick auf Klimasorgen, vgl. Isenberg Lima 2023). Intragenerationale Studien zeigen darüber hinaus, dass wir nicht die Jugend vorfinden, sondern Jugenden, und deshalb mit viel Heterogenität rechnen müssen. Die SINUS Jugendmilieu-Studien (vgl. Calmbach et al. 2020) schauen indes nicht nur auf solitäre Einstellungen und das Wahlverhalten, sondern integrieren erkenntnisstiftend auch Muster von Praktiken des Alltags mit sozio-demografischen Daten. Auch sie weisen einen bedeutenden Teil der Jugend aus, der zum Pol der autoritären Grundorientierung tendiert, also Milieugruppen, die besonders mit Blick auf rechtspopulistische und radikale Politik mobilisierbar erscheinen (siehe Abb.).

SINUS Jugendmilieus

Abb. SINUS Jugendmilieus (vgl. SINUS-Institut 2023)

Ebenso hat sich eine „Generation Greta“ (Hurrelmann/Albrecht 2020) Bahn gebrochen, die sich in den postmaterialistischen, expeditiven wie experimentalistischen Milieus bewegt, wohlgleich zumeist den ökonomisch wie kulturell ressourcenstärkeren Herkunftsmilieus entstammt und eben solche Zukunftsprognosen für sich beansprucht.

Diese Großstrukturbeschreibung der Jugendmilieu-Studien lassen sich mit der Shell-Studie zu einer interessanten Leerstelle verbinden: Eine signifikante Größe (28 Prozent) stellen jene dar, die sich nicht eindeutig positioniert zeigen (Albert et al. 2019: 79). Das kann gleichwohl nicht überraschen. Wenn Erhebungen nicht zur Positionierung zwingen, sind es Formierungsprozesse der Jugend, die sich Ausdruck verschaffen und politische Positionierungen noch aufschieben. Gleichwohl sind jene eben noch eine unbestimmte Reserve – für oder gegen ein demokratisches Zusammenleben in der Zukunft.

Jugendliche als Akteure

Jugend ist herausgefordert, mit dem Dauerhintergrundrauschen (oder auch mit dem alltagsinvasiven Vorhandensein) von Krisen, Konflikten und Polarisierungen umzugehen. Rechtspopulismus reicht dafür simplifizierende Deutungsschablonen an, die oft mit Verschwörungsnarrativen einhergehen und bisweilen ein inniges Verhältnis zu Antisemitismus oder Rassismus pflegen. Deutungen, die versuchen, komplexe Zusammenhänge differenziert darzustellen und zu verstehen, fordern weit mehr heraus. Oftmals gerät aus dem Blick, dass Konflikt- und Polarisierungsphänomene mitunter auch als Demokratiegewinn gelesen werden können. Das „Integrationsparadox“ (El-Mafaalani 2018) meint etwa genau dies, wenn die erfolgreiche Inklusion von Minderheiten dazu führt, dass es nicht weniger, sondern mehr Konflikte in der Gesellschaft gibt, weil die symbolisch wie ökonomisch Avancierenden nun auch das große Ganze mitbestimmen wollen (und können). Rechtspopulist*innen werden auch deshalb als demokratiemelancholisch bezeichnet, weil sie eine vermeintlich bessere Zeit der Demokratie als (schein)argumentativen Bezugspunkt imaginieren – ohne freilich ausweisen zu können, wo genau dieses Korrelat einer goldenen Zeit zu verorten ist.

Solche verknöcherten Weltverständnisse – die weit in die Mitte der Gesellschaft ragen – zu durchbrechen, um individuelle wie gesellschaftliche Emanzipation zu bedingen, ist schmerzhaft. Für die Forschung muss es bedeuten, weiterhin nach den Ursachen zu fragen, die Menschen in die Arme der Rechtspopulist*innen treiben. Für die pädagogische und politisch-bildnerische Praxis muss es derweil bedeuten, Ambiguitätsintoleranz gegenüber rechtspopulistischer Demagogie und ihrer „falschen Propheten“ (Löwenthal 2021) zu fördern und die Widerständigkeit gegenüber autoritärer Menschenfeindlichkeit zu stärken, um einen Fluchtpunkt einer ambiguitätstoleranten, aber solidarisch ausgerichteten Bildung zu erhalten. Denn junge Menschen sind nicht nur politische Objekte, sondern Akteure, die mit den unabweisbaren zivilisatorischen Zukunftsunsicherheiten umgehen müssen.

Jugend kann ein Hebel sein, individuelle, und darüber auch gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu erwirken. Dafür muss ihnen aber die Chance und das Rüstzeug (mit)gegeben werden, bereits heute Einfluss zu nehmen. Dies geht nur im generationalen Zusammenspiel: Für die Älteren könnte das heißen, Bildungsprozesse so einzurichten, dass der zentrische Blick auf das Ich verlernt und die Konzepte ‚Gleichheit‘ und ‚Chancen‘ nicht nur zu mehr Chancengleichheit im Erwerbssystem zusammengezogen werden. Diese Form einer „verwalteten Welt“ (Horkheimer/Adorno 2011, im Vorwort) muss überschritten werden. Nicht nur Chancengleichheit, sondern Gleichheit ist in Bildungsarrangements zuvorderst zu bemühen, um für einen solidarischen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu orientieren – und dabei zu helfen, sich deutlich abzugrenzen gegenüber jenen, die bestrebt sind, einen inklusiven Zusammenhalt im Namen der Demokratie zu sabotieren.

Literatur

Albert, Matthias; Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun; Kantar: Jugend 2019 – 18. Shell-Jugendstudie. Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim/Basel.

Bauer, Ullrich (2020): Wodurch bleibt die Jugendphase signifikant? Die theoretische Verortung der Jugendphase zwischen Habitusgenese, Autonomiestreben und intensiver Mentalisierung. In: Heinen, Andreas et al. (Hrsg.): Entgrenzung der Jugend und Verjugendlichung der Gesellschaft. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 54-70.

Bauer, Ullrich (2023): Krisensozialisation. In: Ertuğrul, Barış; Ders. (Hg.): Sozialisation und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Aufwachsen in Krisen und Konflikten. Frankfurt am Main: Campus, S. 147-173.

Calmbach, Marc; Flaig, Bodo; Edwards, James; Möller-Slawinski, Heide; Borchard, Inga; Schleer, Christoph (2020): Wie ticken Jugendliche? 2020. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

El-Mafaalani, Aladin (2018): Das Integrationsparadox. Köln: Kiepenhäuser und Witsch.

Ertuğrul, Barış (2023): Jugendlicher Populismus oder Populismus ohne Jugend? In: Ders.; Bauer, Ullrich (Hg.): Sozialisation und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Aufwachsen in Krisen und Konflikten. Frankfurt am Main: Campus, S. 123-146.

Horkheimer; Max/Adorno, Theodor W. (2011). Dialektik der Aufklärung. 20. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer-Verlag.

Hurrelmann, Klaus; Albrecht, Erik (2020): Generation Greta. Weinheim/Basel: Beltz.

Isenberg Lima, Paulo Emilio (2023): Vom generationalen Konflikt zum Bindeglied? In: Ertuğrul, Barış; Bauer, Ullrich (Hg.): Sozialisation und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Aufwachsen in Krisen und Konflikten. Frankfurt am Main: Campus, S. 209-240.

Kumkar, Nils (2022): Alternative Fakten. Berlin: Suhrkamp.

Lareau, Anette (2023): Unequal Childhoods. Berkeley: University of California Press.

Löwenthal, Leo (2021): Falsche Propheten. Berlin: Suhrkamp.

Mudde, Cas (2004): The Populist Zeitgeist. In: Government and Opposition. 39(4), S. 541-563.

Mudde, Cas; Kaltwasser, Rovira (2019): Populismus. Eine sehr kurze Einführung. Bonn: Dietz Verlag.

SINUS-Institut (2023): Sinus-Jugendmilieus. Zuletzt aufgerufen 13.05.2023.

Süddeutsche Zeitung (2023): Der beißende AfD-Politiker. Zuletzt aufgerufen 13.05.2023.

Tagesspiegel (2021): AfD stärkste Kraft bei Unter-30-Jährigen.

Zagórski, Piotr; Rama, José; Cordero, Guillermo (2019): Young and Temporary. Employement Insecurity and Support for Ringt-Wing Populist Parties in Europe. In: Government and Opposition, 56(3), S. 405-426.

Zick, Andreas; Berghan, Wilhelm; Mokros, Niko (2020): Jung, feindselig, rechts!? Menschenfeindloche, rechtspopulistische und -extreme Orientierungen im intergenerativen Vergleich. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 23(6), S. 1149-1178.

Logo des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX)
Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX).
Skip to content