„Maike, was ist das Veto-Prinzip?“ Der neue Couch Talk mit Theaterpädagogin Maike Plath
6. Dezember 2022 | Demokratie und Partizipation

Maike Plath beim ufuq.de Couch Talk. Bild: ufuq.de

Als Maike Plath als Lehrerin an eine Neuköllner Schule kam, musste sie feststellen, dass sie mit den Methoden, die sie im Studium gelernt hatte, nicht weiterkam. Sie entwickelte ein eigenes pädagogisches Konzept, das sogenannte „Veto-Prinzip“. Es gelang ihr, mit Hilfe theaterpädagogischer Methoden einen geschützten Raum zu schaffen, in dem die Integrität jedes*r Einzelnen gewahrt werden kann. Im Gespräch mit unserer Kollegin Sakina Abushi stellt sie das Konzept im Detail vor, erzählt von der chaotischen Anfangsphase und verrät, wie sie es geschafft hat, die Methode mit theatralen Mitteln umzusetzen.

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Transkript zum Video

Sakina Abushi:

Hallo und herzlich willkommen zum ufuq.de Couch Talk. Ich bin Sakina und freue mich, dass ihr wieder dabei seid. Stellt euch vor, ihr seid Mitte, Ende zwanzig und ausgebildete Lehrerin. Ihr kommt an eine ganz normale Schule in Neukölln um zu unterrichten und merkt: Nichts von dem, was ihr im Studium gelernt habt, hilft euch da weiter. Und ihr merkt, es gibt eine Lösung und das ist das Theater. Davon erzählt uns heute Maike Plath. Sie ist Lehrerin, Theaterpädagogin, Aktivistin und Autorin. Herzlich willkommen, Maike.

Maike Plath:

Danke dir, ich freue mich.

Sakina Abushi:

Maike, wie demokratisch ist eigentlich das System Schule?

Maike Plath:

Meiner Ansicht nach ist es nur scheindemokratisch. Es sieht nach außen demokratisch aus, aber wenn wir genauer hinschauen, dann gibt es noch ordentlich Platz nach oben.

Sakina Abushi:

Kannst du uns einfach mal erzählen, wie das für dich war? Du warst noch relativ jung, aber doch schon irgendwie gestandene Lehrkraft, bist an diese Schule in Neukölln gekommen und hast gemerkt: Ich komme hier irgendwie nicht weiter. Wie war dieser Lernprozess?

Maike Plath:

Ich war vorher acht Jahre an einer Integrierten Gesamtschule mit sehr engagierter Elternschaft und überwiegend weißen Jugendlichen. Dann, in Neukölln, habe ich mich in einer für mich ungewohnten Situation wiedergefunden und festgestellt, dass ich mit dem, was ich in meiner Ausbildung gelernt habe, überhaupt nicht weiterkomme. Insbesondere mit diesen wahnsinnig vielen demokratischen, vielleicht auch scheindemokratischen Unterrichtsmethoden, hatte ich überhaupt keine Chance durchzukommen. Was ich erlebt habe war, dass die anderen Lehrkräfte auf diese Situation autoritär reagiert haben. Das heißt Notendruck, Toiletten abschließen, „Wenn du nicht, dann…“, also alles, was man so im autoritären Sortiment findet. Belohnungen, Strafen, Punkte für „gutes“, Striche für „schlechtes“ Verhalten, Manipulation, Moralisierung. Das sind ja alles autoritäre Mittel und mit denen, die ich gelernt hatte, kam ich auch nicht klar. Das war eigentlich der Anfang dafür, zu hinterfragen, ob Schule demokratisch ist und was uns eigentlich fehlt.

Sakina Abushi:

Was hat denn gefehlt?

Maike Plath:

Es hat ein halbes Jahr gedauert. Ein halbes Jahr Scheitern habe ich mir angetan. Du hast es ja so anmoderiert, dass es das Theater war, aber das stimmt nicht ganz, denn ich bin da ja schon ausgebildete Theaterpädagogin gewesen und auch früher schon auf die Idee gekommen, mit denen in die Aula zu gehen und Theater zu machen. Aber das hat überhaupt nicht geklappt und meine Erkenntnis war dann irgendwann, dass wahnsinnig viel Demütigung durch das Schulsystem passiert war und dass die Perspektiven, Grenzen und Bedürfnisse der Jugendlichen überhaupt nicht beachtet wurden. Ich mache es kurz: Ich bin ihnen irgendwann in ihrem Widerstand entgegengegangen. Es waren von 27 quasi 27 dagegen, was ich mache. Auch gegen Schule und überhaupt gegen alles. Dann habe ich gedacht: Okay, alles, was ich jetzt um mich herum sehe, was andere Lehrer*innen machen, funktioniert nicht. Also mache ich das Unerwartete und gebe ihnen das Vetorecht. Die Idee habe ich von Jesper Juul. Also nicht das Vetorecht, aber dass ich sage: Wir brauchen gar nicht anzufangen, wenn ein Mensch seine Integrität nicht schützen darf. Statt Integrität könnte ich auch Würde sagen. Wenn ich einem Menschen nicht die Möglichkeit gebe, seine Grenzen und Bedürfnisse zu schützen und von da aus zu gehen, dann brauche ich eigentlich gar nicht anzufangen. Natürlich hat das erstmal zu großem Chaos geführt. Alle waren superlustig und albern, haben Veto gemacht und die ganze Aula zerlegt.

Sakina Abushi:

Veto heißt, sie konnten jederzeit sagen: „Ich möchte nicht.“

Maike Plath:

Genau. Ich habe ihnen gesagt: Vetorecht heißt, ganz egal, was für ein Auftrag kommt, du kannst sagen: „Ich will nicht, Veto.“ Du musst das auch nicht begründen. Dann gab es eben diese Phase, wo das sehr albern und destruktiv angewandt wurde, aber ich habe dann mit ihnen darüber gesprochen, was ich damit meine und Spielanordnungen gemacht, in denen das Veto Sinn gemacht hat. Das war der zweite Trick, also Spielanordnungen zu machen, in denen sie sich dann selbst steuern konnten auf einer Skala von einfach bis komplex. Das hat sie, glaube ich, an Computerspiele erinnert und auch da gelten bestimmte Regeln und die konnte ich durchsetzen. Auch mit der Begründung, dass wir ja auch kein Fußball spielen können, wenn wir uns nicht darauf einigen, dass das Runde ins Eckige kommt. Irgendwas müssen wir festlegen. Diese Spiele haben ihnen Spaß gemacht.

Sakina Abushi:

Du hast dann im Prinzip ein ganzes pädagogisches Prinzip entwickelt, das „Veto-Prinzip“ nennt es sich heute.

Maike Plath:

Genau. Ich bin immer von den Momenten ausgegangen, wo ich scheitere, und habe mir letztendlich die Minimalanforderung gestellt: Wie kommen die Blicke zu mir zurück in den Raum und was kann ich überhaupt machen, damit die Schüler*innen kooperieren, also irgendwie irgendwas machen? Dann war die erste Frage: Was ist der Sinn, also warum machen wir das jetzt überhaupt? Gute Frage, übrigens. Da habe ich gemerkt, dass ich auch mich selbst erstmal fragen muss: Mache ich etwas nur, weil es im Lehrplan steht? Dann macht es für mich keinen Sinn. Wer bin ich? Was kann ich vertreten und was will ich eigentlich? Da sind wir auch wieder beim Stichwort Integrität. Dann haben wir uns auf ein Ziel geeinigt, das war Schritt eins. Schritt zwei war, einen Erfahrungsspielraum zu eröffnen. Das war dann auch mit theatralen Mitteln, Spielanordnungen mit klaren Regeln und diesen Skalen. Dieser Erfahrungsspielraum hat dadurch funktioniert, dass ich Wissen auf Karten geschrieben habe und wir uns alle nur auf dieses Wissen bezogen haben und nicht noch auf irgendwas anderes von außen. Der dritte Schritt war dann, dass wir darüber reden, was wir erlebt haben. Das war gerade in Bezug auf das Veto wichtig, denn mir ging es darum, dass jeder Mensch im Raum erzählen darf, welche Gefühle hochgekommen sind, während wir etwas gemacht haben und ob jemand zum Beispiel Veto machen wollte und es doch nicht gemacht hat, also ob jemand innere Widerstände hatte. Dann haben wir zunehmend auch über Gefühle gesprochen, weil zum Beispiel nur Wut und Liebe bekannt waren. Ich habe erstmal den Raum eröffnet, dass alles sein darf, dass eben auch der ganze Ärger oder die Frustration, Wut, alles sein darf und dass wir anfangen, uns darüber zu unterhalten. Dann haben wir diesen Dreischritt immer komplexer gestaltet. Ich würde gerne die Theater-Sache nochmal ganz kurz aufgreifen, weil es nämlich eigentlich mit dem Theater angefangen hat, das Ganze. Also nachdem ich das Veto eingeführt hatte, habe ich natürlich schon gedacht, wir gehen mal in die Aula und machen Theater, denn das Schlimmste waren dieser Klassenraum und die Rollen. Die waren so zementiert, dass wir uns als Menschen gar nicht mehr begegnen konnten, sondern es war fast wie ein Klischee: „Ich spiele Schüler*in“ und „Ich spiele Lehrer*in.“ Da war eigentlich keine menschliche Kommunikation möglich und deswegen dachte ich, wir gehen mal in einen Raum, wo diese Anordnung schon mal nicht ist. Peter Brook, Theatermacher, hat definiert, was Theater in seiner Minimalanforderung ist. Die kleinste Einheit von Theater ist: Ein Mensch tut etwas und ein anderer schaut ihm dabei zu. Davon bin ich ausgegangen, also die eine Hälfte der Schüler*innen steht auf der Bühne, die andere Hälfte ist unten vor der Bühne und schaut zu, was die oben machen. Das ist dann in totales Gealber ausgeartet und da war alles durcheinander und funktionierte nicht. Ich wollte aber jetzt nicht die Regie übernehmen, denn dann hätten wir dasselbe Machtverhältnis gehabt wie im Klassenraum. Deswegen habe ich dann gedacht, die, die unten zuschauen, bekommen eine Fernbedienung in die Hand und dürfen das Programm wechseln. Um das Programm zu wechseln, müssen sie aber wissen, wie Theater funktioniert und deswegen habe ich ihnen dann Karten gegeben. Das ist das sogenannte Mischpult. Sie hatten bunte Karten, von einfach bis komplex, immer mehr, und konnten dann über Ansagen das Programm wechseln. Damit gab es immerhin schon mal ein bestimmtes Prinzip, sodass sie nicht alle durcheinanderschreien.

Sakina Abushi:

Sie konnten dich quasi beeinflussen, wie mit einer Fernbedienung?

Maike Plath:

Nein, nein, ich war völlig draußen. Ich wollte mich komplett rausnehmen. Ich habe ihnen gesagt: „Ich bringe euch bei, wie Führung funktioniert, wie ihr Chef sein könnt.“ Dann haben die, die unten waren, diese Karten hier benutzt und haben dann eben gesehen, was auf der Bühne passiert. Dann habe ich mir gedacht: Das Problem ist ja immer noch nicht gelöst. Es gibt immer noch ein ungleiches Machtverhältnis, denn wenn Leute unten Aufträge nach oben schreien, dann fühlen sich die oben ja auch irgendwie schlecht. Deswegen haben nicht nur die unten ein Mischpult bekommen, sondern auch die oben auf der Bühne. Und da ging es dann eben los mit dem Veto-Prinzip: Wenn ich einen Auftrag höre und den nicht ausführen will, kann ich „Veto“ sagen. Dann haben die Spieler*innen oben auf der Bühne als nächstes die Karte „Klarheit“ bekommen. Das bedeutet, wenn die Regie unten etwas ansagt und es ist entweder zu leise oder durcheinander oder man versteht es aus welchen Gründen auch immer nicht, darf ich als Spieler*in „Klarheit“ zurückmelden. Das geht über Theater weit hinaus, denn letztendlich geht es um dieses ungleiche Machtverhältnis. Wenn Führung so spricht, dass ich als die Person, die „folgen“ soll, das nicht verstehe, egal aus welchen Gründen, dann habe ich das Recht, Klarheit einzufordern. Weil es die Verantwortung der Führung ist, so zu sprechen, dass ich es verstehe. Sonst kann sie es ja gleich lassen. Also da ist eben wieder das Thema, Machtverhältnisse anzugleichen und eine Gleichwürdigkeit hinzubekommen. Die nächste Karte war „Tempo“, im Sinne von „Es ist mir jetzt zu langweilig, ich brauche mehr“ oder „Es geht mir zu schnell, bitte langsam.“ Dann gibt es die Karte „Störgefühl“, die auch sehr wichtig ist. Die kam insbesondere beim dritten Schritt zum Einsatz, wenn wir reflektiert haben über das, was passiert ist, denn ich habe immer gesagt: „Verstehen ist Zufall.“ Wir sagen Wörter, aber hinter uns liegen Welten und es ist Zufall, dass ich dasselbe meine wie du. Deswegen ist es wichtig, dass die Leute die Karte „Störgefühl“ haben, um anzuzeigen, wenn emotional etwas mit ihnen passiert und sie innerlich wegkippen. Also, wenn ich Herzrasen kriege oder einen Trigger oder was auch immer, dann darf ich das melden und sagen: „Störgefühl“. Dann wechseln wir die Ebene, steigen aus dem Gespräch aus, das wir gerade führen und versuchen, erstmal rauszufinden, wo das Störgefühl entstanden ist und was ich brauche, damit es mir wieder besser geht. Im Grunde ist das auch das Thema „Konflikte haben Vorrang.“ Dann gibt es die Karte „Verantwortung“. Im Theaterbereich bedeutet das, wenn jemand einen Regieauftrag reinruft und da vielleicht eine Person auf der Bühne ist, die sich noch nicht traut, Veto zu machen, und irgendjemand im Raum das wahrnimmt, dann kann jemand anderes „Verantwortung“ rufen und dann wird dieser Auftrag zurückgenommen, ohne Erklärung. Das heißt, dass alle aufeinander achten und dass die, die unten sind und die Führung übernehmen, auch entlastet werden. Sie werden ja sowieso massiv entlastet dadurch, dass die auf der Bühne jetzt ihre Grenzen und Bedürfnisse anzeigen dürfen. „Freispiel“ ist eine Variante von Veto. Wenn wir zum Beispiel hier auf dem Sofa sitzen, bei Politiker*innen auch sehr beliebt, und du mir eine Frage stellst, dann übernimmst du ja die Führung und ich folge, indem ich antworte. Wenn ich nicht Veto machen möchte, kann ich im Grunde genommen auch etwas anderes sagen. Also ich kann statt deiner Frage vielleicht eine andere beantworten. Dann mache ich Freispiel. So ähnlich ist das auf der Bühne. Wir können auf der Bühne Veto machen oder wir können den Auftrag ignorieren und etwas anderes machen. Das wäre Freispiel. Das heißt für Gruppen auch: Ich kann im Raum bleiben und mich anders einbringen, obwohl ich diesen Auftrag nicht mag. Die letzte Karte, die auch für Gespräche gedacht ist, wenn es Konflikte gibt, ist der „Blick von außen“. Das heißt, wir gehen in die Helikopter-Perspektive und schauen von oben drauf und können dann eine Art Aufstellung machen. Entweder mit Figürchen oder mit Gegenständen und uns von draußen angucken: Was ist denn da eigentlich passiert? Also aus dem inneren Tunnelblick aussteigen und das ganze systemisch betrachten. Man kann sich ja denken, dass diese beiden Mischpulte, also „Führen“ und „Folgen“, Spielanordnungen brauchen, um sie einzuüben. Aber irgendwann nehmen sie von selbst Fahrt auf und wir können dann alle thematischen Kontexte mit anderem Wissen versehen und eine Gesprächskultur etablieren, die gleichwürdig ist.

Sakina Abushi:

Du selbst hast ja mittlerweile das System Schule verlassen und hast schon angedeutet, dass das Veto-Prinzip auch in anderen Kontexten hilfreich sein kann. Ich denke jetzt an die politische Bildung oder an Organisationen wie unsere. Kannst du für uns nochmal kurz sagen: Was ist das Veto-Prinzip und was kann man damit machen, als Gruppe, als Organisation, als Verein?

Maike Plath:

Das Veto-Prinzip ist ein ganz klares Konzept, das Schritt für Schritt eine andere Kultur etabliert und das tatsächlich auch dazu führt, dass alle Beteiligten eine andere Perspektive erhalten und Schritt für Schritt alle zur Führung ermächtigt werden. Das bedeutet, dass alle im Raum Schritt für Schritt Verantwortung für sich selbst übernehmen können und bei ihrer Integrität starten. Der Ausgangspunkt ist nicht mehr eine Norm, also „Ich kriege eine Eins, wenn ich dies und das mache“, sondern wir starten mit der Integrität der Geschichte, dem Potenzial, den Grenzen und Bedürfnissen jeder einzelnen Person und lernen, uns darüber Schritt für Schritt zu verständigen und dann für größere, komplexere Aufgaben zu kooperieren. Das ist tatsächlich auch die Gleichung, die Jesper Juul schon beschrieben hat. Dazu will ich ganz kurz zwei Sätze sagen. So, wie wir sozialisiert sind, denken wir immer: „Wenn es um mich geht, wenn ich bei Integrität starte, dann ist das egoistisch, es geht ja nicht nur um mich.“ In der Schule hängen immer Plakate, auf denen steht, dass wir auf die Anderen achten sollen und so. Aber der Witz ist: So funktioniert es nicht. Jesper Juul hat schon festgestellt: Erst, wenn deine Grenzen und Bedürfnisse geschützt sind, erst wenn du Raum bekommst und der Mensch sein darfst, der du wirklich bist, erst dann entwickelst du die Bereitschaft zur Kooperation. Erst, wenn ich weiß, ich darf hier sein und meine Sache ist wichtig und hat Platz, kann ich dir deinen Platz auch gönnen. Das heißt, erstmal müssen wir Integrität wieder lernen. Als kleine Kinder können wir das. Kleine Kinder sagen: „Ich will alleine“ oder so. Die haben das noch, aber im Schulsystem wird es abtrainiert. Irgendwann weiß ich gar nicht mehr, wer ich bin oder was ich brauche, sondern gucke immer nur: Was muss ich in diesem Raum machen, durch welchen Reifen muss ich springen, damit ich so und so viel Punkte kriege? Dadurch entwickeln wir einen Fake-Selbstwert und der ist hohl. Dann weiß ich letztendlich gar nicht, was ich in der Welt soll oder wer ich bin. Wenn ich aber mit dem Selbstwert starte, also wenn ich für das Props [Respekt, Anm. d. Red.] kriege, was ich bin, unabhängig von der Norm, und meine Geschichte und meine Sachen Raum bekommen, dann komme ich irgendwann dahin, dass ich mich dafür interessiere, was die anderen erzählen. Das ist die erste Phase des Veto-Prinzips, das lernen wir in Spielanordnungen. Wenn dieser Boden gelegt ist und diese Gesprächskultur ganz klar geklärt ist, und die Leute auch wissen, wie sie miteinander sprechen können, dann geht es darum, komplexe Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Dann benutzen sie aber schon diese ganzen Instrumente und dann können sie auch irgendwelche anderen Aufgaben erledigen. Es gibt halt nicht mehr die eine Person, die die Ansagen macht, sondern es gibt auch Mittel, um anzuzeigen „Hier geht es jetzt gerade über meine Grenze“ und es gibt Tools, um friedvoll Konflikte zu lösen.

Sakina Abushi:

Verstehe. Wenn mich das jetzt interessiert und ich das nochmal in der Tiefe begreifen oder für mich lernen möchte mit dem Veto-Prinzip, wie gehe ich da vor?

Maike Plath:

Natürlich habe ich auch viel publiziert zu dem Thema, aber ich glaube, dass alleine auf dem Sofa liegen und lesen es nicht so bringt, denn meiner Erfahrung nach funktioniert es über Kognition, Körper und Emotionen. So ist das ganze Konzept ja auch aufgebaut und deswegen braucht es Erfahrungsspielräume. Meine beiden Kolleginnen bei ACT e.V. in Berlin und ich bieten ein sehr umfangreiches Workshop-Programm in Berlin an. Aufeinander aufbauende Workshops, sowohl im künstlerischen Bereich „Theater, Tanz und bildende Künste“ als auch ausschließlich Führungsworkshops. Die kann man buchen unter act-berlin.de. Außerdem gibt es jetzt seit einiger Zeit eine Veto-Weiterbildung, weil wir festgestellt haben, dass es am meisten bringt, mit der gleichen Gruppe über längere Zeit zusammenzubleiben und aufeinander aufbauend mehrere Module zu machen. Denn das führt dann eben dazu, dass ich Präsenz entwickle, Führung übernehmen kann und keine Angst mehr davor habe, in Räume zu gehen, die ich nicht überblicken kann. Ich kann dann überall, egal wo, mit Unvorhergesehenem umgehen, weil ich selbst die Führungsinstrumente habe und mit mir selbst im Klaren bin. Zusätzlich gibt es auf dem Youtube-Kanal „Rede mal ordentlich, Frau Plath!“ ein paar Tutorials mit Figürchen und so, die man sich kostenfrei angucken kann. Ja und ansonsten alles, was im Netz unter www.maikeplath.de steht und alle Bücher natürlich. Im Buch „Befreit euch“ habe ich das auch nochmal ziemlich ausführlich im praktischen Teil beschrieben, sodass es einen guten Gesamteindruck gibt.

Sakina Abushi:

Super. Vielen Dank, dass du heute hier bei uns bist und das vorstellst. Mich macht das total neugierig, mehr zu lesen. Ich bin gerade ungefähr bei der Hälfte deines Buchs „Türwächter:innen der Freiheit“ und finde es total mitreißend, weil es auch so ehrlich davon berichtet, wie schwierig das war, als Lehrerin anzufangen und zu merken: „Ich brauche da nochmal andere Tools und muss da nochmal ehrlicher mit mir und meinen Methoden sein.“

Maike Plath:

„Türwächter:innen der Freiheit“ ist übrigens mein neuestes Buch und da wollte ich den emotionalen Kanal legen, weil es mir um Kognition, Körper und Emotionen geht. Hier darf Mensch auf dem Sofa liegen und einfach nur lesen, denn hier geht es einfach darum, den emotionalen Raum zu öffnen und selbst nachzuspüren: „Wie war denn das eigentlich und wie ist der Weg zum Veto-Prinzip für mich gewesen?“

Sakina Abushi:

Vielen Dank, dass du heute hier warst. Das war der ufuq.de Couch Talk. Danke fürs Zuschauen und bis zum nächsten Mal.

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Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX).
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