Wie kann in den zunehmend diverser werdenden Städten Deutschlands friedliches Zusammenleben gelingen, wenn zugleich die soziale Schere immer weiter auseinandergeht? Im Hinblick auf die Gestaltung eines sicheren und friedlichen Zusammenlebens müssen Kommunen die zentrale Aufgabe leisten, Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Religion sowie alten und jungen Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Lesen Sie hier die Leitgedanken der Mitglieds-Städte des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (DEFUS e. V.) zur Prävention von Polarisierung und demokratiefeindlichen Tendenzen in Kommunen.
Die Gesellschaft in Deutschland wird bunter und älter. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich immer weiter ausdifferenziert. Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Religion, alte und junge Menschen, Menschen mit Behinderung, Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen beteiligen sich am gesellschaftlichen Leben. In den letzten Jahren hat die soziale Ungleichheit in Deutschland zugenommen, und mehr Menschen leben in prekären Verhältnissen. Insbesondere in der Stadt treffen auf engstem Raum viele verschiedene Menschen, Kulturen, Wünsche und Ziele aufeinander. Das führt zwangsläufig zu Reibung und Konflikten, denen mit demokratischen und gewaltfreien Mechanismen begegnet werden muss.
Das Ideal und die Idee der sozialgemischten Stadtgesellschaft entsprechen nicht mehr überall der Wirklichkeit. Stadtteile, in denen überdurchschnittlich viele Empfänger von Sozialleistungen leben, führen zu negativen Nachbarschaftseffekten, die einen direkten Einfluss auf die Lebensqualität und das Sicherheitsempfindenhaben. Auch ‚Gated Communities‘ tragen nicht zu einer toleranten und akzeptierenden Stadtgesellschaft bei.
In den Kommunen ist die Integration von Zugewanderten von der Unterbringung über die Integration in die Bildungseinrichtungen bis hin zur Arbeitsmarktintegration eine zentrale Daueraufgabe. Gerade Terroranschläge und dramatische Einzeltaten von Geflüchteten in Verbindung mit den gestiegenen Zuwanderungszahlen der letzten Jahre haben das Sicherheitsgefühl und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung verändert. In Folge dessen werden im gesellschaftlichen Diskurs nun zunehmend Fragen der Migration und Integration mit Fragen der Sicherheit verknüpft und oftmals rassistisch aufgeladen. Gleichzeitig steigen die Zahlen der rassistisch oder antisemitisch motivierten Straf- und Gewalttaten – mit massiven Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl von Minderheiten.
Eine sich zusehends polarisierende Gesellschaft streitet um die Ausgestaltung der staatlichen Antworten auf die veränderte Lage. Der Schutz aller hier lebenden Menschen vor rassistischen, antisemitischen oder sonstigen Formen von Hasskriminalität und Diskriminierung hat genauso wie der Schutz unserer demokratischen Grundwerte und die Prävention von demokratie- und menschenfeindlicher Radikalisierung eklatant an Bedeutung gewonnen.
Das friedliche Zusammenleben einer immer diverser werdenden Gesellschaft zu organisieren und dabei die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nicht zu verlieren, ist eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre. Kommunen sind maßgeblich für die alltägliche Gewährleistung der Sicherheit und des gesellschaftlichen Friedens verantwortlich. Sie müssen die Integration verschiedener Kulturen und Lebensentwürfe leisten sowie ausdifferenzierte gesellschaftliche Bedürfnisse mittragen und managen. Hinzu kommen die Nutzungs- und Interessenskonflikte im öffentlichen Raum, die ebenfalls von der Kommune ausgehandelt und gelöst werden sollen.
Die Mitgliedsstädte des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (DEFUS e. V.) haben sich mit Blick auf die Herausforderung in unseren Städten auf Leitüberlegungen verständigt, die Grundlage unserer weiteren Anstrengungen für die Organisation des friedlichen Zusammenlebens in unseren Städten sein werden:
- Kommunen können und müssen aktiv auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen reagieren. Die Prävention von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Extremismus und demokratiefeindlichen Entwicklungen muss allerdings Chefsache sein und in den Kommunen von den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern sowie deren Verwaltungsvorstand aktiv getragen werden, um erfolgreich zu sein.
- In Europa sind soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten nach wie vor zu weit verbreitet. Kommunen und Städte müssen dem entgegenwirken und sich für faire und gerechte Städte einsetzen. Denn diese Ungleichheiten erzeugen Ressentiments und verschärfen demokratie- und menschenfeindliche Tendenzen sowie die Polarisierung der Gesellschaft, die zu Gewalt und Kriminalität führen können.
- Die DEFUS-Mitglieder setzen sich aktiv für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ein, um Polarisierung entgegenzutreten und um Bedingungen für ein friedliches Zusammenleben aktiv zu schaffen.
- Kommunen müssen die zunehmende soziale Segregation von Milieus aufhalten, die zu negativen Nachbarschaftseffekten und Verdrängung führt. Vielfalt und Diversität werden dort am meisten akzeptiert, wo sie zur Lebensrealität gehören. „Das Beste was eine Stadt für ihre eigene Sicherheit tun kann, ist, sich ihrer Diversität bewusst zu werden und sie zu schätzen.“ ( ).
- In immer dichter werdenden Räumen muss es Platz für Begegnung und Austausch geben, um ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen, zu erhalten und zu stärken. Begegnungen schaffen Vertrauen, bauen Ressentiments ab und fördern demokratische Aushandlungsprozess von Konflikten und Nutzungsinteressen. Die Schaffung von sozialen, baulichen und virtuellen Räumen der Begegnung müssen Kommunen als Aufgabe begreifen.
- In den Städten muss die lokale Sicherheits- und Integrationspolitik verstärkt die Ebene der Nachbarschaft ins Visier nehmen. Nur dort können wir Menschen zusammenbringen, Vielfalt leben und Toleranz lernen.
- Sicherheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und erfordert die aktive Beteiligung aller Stadtbewohner. Insbesondere Frauen, Jugendliche, Seniorinnen und Senioren und Bevölkerungsgruppen, die von Marginalisierung und Diskriminierung betroffen sind, sollten nicht nur passive Ziele von Präventionsmaßnahmen sein, sondern eine aktive Rolle in der Gestaltung von urbaner Sicherheitspolitik spielen.
- Wir brauchen neue, mutige Kommunikationsformate, die die Bürgerinnen und Bürger auch tatsächlich erreichen. Polizei, Verwaltung und Politik müssen offen und ehrlich mit den Bürgerinnen und Bürgern reden und der Moderation von Aushandlungsprozessen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen die notwendigen personellen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stellen. Nur so wird es gelingen, den demokratischen Werten des Zuhörens, Aushandelns und der Beteiligung in den Kommunen zeitgemäß gerecht zu werden und auch dafür zu begeistern.
- Die Prävention von demokratiefeindlichen Tendenzen sollte möglichst früh beginnen. Dafür braucht es qualifiziertes Personal, das die Aktivitäten koordiniert, organisiert und die Qualität sichert. Kommunen müssen auf dauerhafte und nicht projektgebundenen Unterstützung von Bund und Ländern zählen können.
- Kommunen sollten Forschungsvorhaben, die sich mit Polarisierung, Zusammenhalt, Segregation, demokratischer Teilhabe, demokratie- und menschenfeindlichen Tendenzen etc. beschäftigen, unterstützen, um zur praxisnahen Wissensgewinnung beizutragen.
Diese Leitgedanken sind Ergebnis eines Austausches der DEFUS-Mitglieder auf den Mitgliederversammlungen in Hannover im November 2018 und in Augsburg im Juni 2019.
Liste der unterzeichnenden Mitglieder:
- Stadt Augsburg
- Land Berlin
- Stadt Düsseldorf
- Stadt Essen
- Stadt Gelsenkirchen
- Stadt Gladbeck
- Stadt Göttingen
- Stadt Hannover
- Stadt Heidelberg
- Stadt Karlsruhe
- Stadt Köln
- Kreis Lippe
- Stadt Mannheim
- Stadt München
- Stadt Nürnberg
- Stadt Stuttgart
- Deutscher Präventionstag
- Landespräventionsrat Niedersachsen
Dieser Beitrag wurde im September 2019 auf www.defus.de veröffentlicht. Wir danken dem Verein für die Erlaubnis, den Beitrag hier zu veröffentlichen.