Das Medienprojekt Wuppertal ist eine seit 1992 erfolgreich geführte Jugendvideoproduktion, die sich auch überregional einen Namen gemacht hat. Nun erscheint die Filmreihe „Alltagsrassismus“, die aus einem Kurzfilm und zwei Dokumentarfilmen besteht. Was bieten die Materialien und sind sie geeignet, das Thema mit Jugendlichen zu besprechen? ufuq.de-Mitarbeiterin Thy Le hat sich die Filme angesehen.
Die dreiteilige Filmreihe „Alltagsrassismus“ mit insgesamt 57 Minuten Spiellänge bietet neben dem halbstündigen Kurzspielfilm „Su“ die interviewbasierten Dokumentarfilme „Bruder, Bruder, Bruder“ und „Ich gehe dazwischen“. Alle drei Teile beeindrucken mit gekonnter Kameraführung und Schnitten. Jugendliche unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft gewähren persönliche Einblicke in ihre Gefühle und Gedanken zu erlebtem Rassismus und Diskriminierung aus ihrem Alltag und ihren Umgang damit. Wo fängt Rassismus an? Wer definiert bei rassistischen Witzen, was ‚Spaß‘ ist und was nicht? Kann man Rassismus verlernen?
In „Su“ erfährt der*die Zuschauer*in, wie zwei unterschiedlich geprägte Mädchen ihre Angst vor dem Unbekannten und Fremden überwinden. „Su“ thematisiert auf eine spannende Art und Weise Aushandlungen zwischen mehreren Jugendlichen, die unterschiedlicher Herkunft sind oder unterschiedlichem Glauben folgen und wie es ihnen gelingt, scheinbare Widersprüche miteinander zu vereinen.
Die Protagonistin Su zieht mit ihrer Familie in einen neuen Ort und besucht eine neue Schule, auf die sie sich jedoch gar nicht freut. Bald wird sie von einer Mitschülerin zu deren 16. Geburtstag eingeladen. Auf dem Geburtstag muss Su, die von ihren Mitschüler*innen als „fremd“ gelesen wird, sich neugierigen Fragen zu ihrer Herkunft und ihrem Glauben stellen. Die Mädchen geben sich mit keiner von Sus Antworten zufrieden; so sorgt ihre unverblümte Antwort „Ich komme von überallher“ für Verwirrung und Ablehnung. Und wieso trinkt Su kein Bier und isst kein Schweinefleisch? Ist sie Muslimin? Türkin? Peruanerin? Su wehrt sich am Ende gegen den an sie gerichteten Rassismus: „Es ist doch egal, wo ich herkomme! Ich bin trotzdem die Terroristin, ich bin trotzdem die Nazibraut, für die Türken bin ich nicht Türkisch genug…“
Parallel sehen wir, wie die weiße Außenseiterin der Klasse Kathi unter den massiven Geldproblemen ihrer Mutter leidet. Kathi zeigt eine muslim*innenfeindliche Haltung, die auch ihre Mutter und Kathis Freund Steve teilen. Die junge Muslimin Ilayda hingegen möchte ihren strenggläubigen muslimischen Mitschüler Yusuf, der sich eine „Bilderbuch-Muslimin“ zur Freundin wünscht, beeindrucken. Ilayda darf eigentlich nicht auf Partys gehen, aber sie schleicht sich trotzdem auf die Geburtstagsparty. Eine unerwartete Wendung tritt ein, als Ilaydas Bruder wütend auf der Party erscheint, um sie nach Hause zu bringen. Yusuf bemerkt, dass Ilayda anders ist, als sie zu sein vorgibt und muss seine Überzeugungen auf den Prüfstand stellen. Ein weiterer Konflikt bahnt sich an, als Kathi uneingeladen zur Party erscheint. Als schließlich auch noch Steve auftaucht, droht die Party völlig zu eskalieren. Wie gelingt es Kathi und Su, trotz allem Freundschaft zu schließen? Wie finden Ilayda und Yusuf einen Weg zueinander?
Dem Kurzfilm „Su“ ist es gelungen, darzustellen, wie Rassismus als System sich durch alle Altersstufen, Geschlechter und sozialen Klassen hindurchzieht. Ferner zeigt der Film, wie facettenreich und vielschichtig Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen sind. Gegenseitige Vorbehalte unter den Schüler*innen hinsichtlich Ethnie, sozialer Klasse, Gender und Religion werden aufgezeigt Die vielschichtige Verschränkung all dieser Differenzkategorien wirft somit den Topos der Intersektionalität auf. Als positiv lässt sich auch hervorheben, dass in „Su“ skizziert wird, wie man sich gegen erlebten Rassismus und Diskriminierung zur Wehr setzen kann.
Doch wie kann mit Diskriminierung umgegangen werden? Wie begegnet man Rassismus im Alltag? In dem kurzen dokumentarischen Film „Ich gehe dazwischen“ kommen manche Schauspieler*innen aus „Su“ und weitere beteiligte Jugendliche in kurzen Interviewsequenzen zu Wort. Selbstbewusst erzählen sie, wie sie handeln, wenn sie Rassismus bei Anderen beobachten und wie sie versuchen, Betroffene in diesen Situationen zu stärken. Ein Jugendlicher beschreibt die Folgen von erlebtem Alltagsrassismus treffend: „Kratzer gehen weg, Wörter schleppt man mit sich herum.“ Allzu häufig heiße es nach erlebten rassistischen Äußerungen „War doch nur Spaß!“ oder „Nimm’s nicht so ernst.“ Aber wer darf definieren, was ‚Spaß‘ ist und wer beleidigt sein darf? Wer darf entscheiden, wo sich die Grenzen des Sag- und Machbaren befinden?
Die vielen Interviewausschnitte aus der anderen Dokumentation „Bruder, Bruder, Bruder“ offenbaren, wie sich die Jugendlichen zu ihrer eigenen Identität und den Identitäten anderer positionieren. Ein Schüler beschreibt, dass er lediglich das macht, was von seinem äußeren Umfeld erwartet wird. Zuhause nehme man die eine Rolle, in der Schule oder im Verein eine andere ein. Ein anderer Schüler berichtet genervt von jährlichen Fragen zu Ramadan. Als Muslim werde er wider Willen zum Sprecher seines Glaubens gemacht. Die Aussage einer Schülerin „Ich bin überall die Ausländerin“ spiegelt die Erfahrung vieler People of Color wider, sich nirgendwo, selbst nicht im Herkunftsland der (Groß-)Eltern, zugehörig fühlen zu können. Zwischen den jeweiligen Szenen werden Essensfotos aus diversen Kulturen eingeblendet. Unterschiedlichkeit ist für die Jugendlichen keine Hürde, sondern eine gegenseitige Bereicherung. Der Kanon der Jugendlichen ist klar: Im Vordergrund sollte der Charakter der Person stehen, nicht etwa deren Herkunft oder Kultur.
Abschließend kann festgehalten werden, dass die Filmreihe „Alltagsrassismus“ für den Unterricht zu empfehlen ist. Sie dürfte darin eine willkommene Abwechslung für die Klasse sein und für interessanten Gesprächsstoff sorgen. Vor allen Dingen ist es wichtig, dass eine anschließende Reflexion zwischen Lehrkräften und Schüler*innen stattfinden sollte. Im Film fallen rassistische Schimpfwörter, die es zu reflektieren gilt. Ferner sollte im Vorfeld geklärt werden, ob eine der dargestellten Formen des Rassismus einzelne Schüler*innen möglicherweise triggern könnte. Dennoch bietet die Filmreihe inspirierende Anstöße, Rücksicht aufeinander zu nehmen und sich in seiner Unterschiedlichkeit und Vielfalt zu akzeptieren.
Die DVD „Alltagsrassismus“ kann über das Medienprojekt Wuppertal gekauft oder gegen Gebühr ausgeliehen, heruntergeladen oder gestreamt werden.
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