Schüler*innen zum Thema Kopftuch: „Können Lehrer*innen neutral sein?“
29. März 2017 | Diversität und Diskriminierung, Religion und Religiosität

In Berlin schlägt das Thema Kopftuch bei Lehrerinnen gerade einmal wieder hohe Wellen. Die politischen Parteien positionieren sich und zum Teil laufen die Fronten mitten durch die Fraktionen. Es geht um das Berliner Neutralitätsgesetz, dass allen Repräsentant*innen des Staates verbietet, religiöse oder weltanschauliche Symbole zu zeigen. Ist es noch zeitgemäß oder wird es demnächst vom Bundesverfassungsgericht gekippt? ufuq.de wollte wissen, wie die Betroffenen darüber denken. Aylin Yavas und Julia Gerlach haben mit einer 9. Klasse an der Robert-Koch-Schule in Berlin-Kreuzberg diskutiert. Ein Gesprächsprotokoll.

Aylin Yavas: Vielen Dank, dass ihr heute mit uns über das Thema kopftuchtragende Lehrerinnen sprechen wollt. Wir werden euch gleich Aussagen vorlegen und bitten euch, euch zwischen den aufgehängten Ja- und Nein-Karten zu positionieren. Ihr könnt euch auch dazwischen stellen, oder ein bisschen weiter zum Ja oder Nein. Die erste Aussage lautet: „Mich würde stören, wenn meine Geschichtslehrerin ein Kopftuch trägt.“

Julia Gerlach: Oh, ihr steht alle bei Nein. Könnt ihr uns das erklären? Sara, was sagst du dazu?

Sara: Mich würde es nicht stören. Unterricht ist Unterricht, Hauptsache ich lerne etwas.

Yusuf: Mich stört das auch nicht, weil der Unterricht nichts mit Religion zu tun hat. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn eine Lehrerin ein Kreuz um den Hals trägt.

Aymen: Mich würde es auch nicht stören, ich bin hier um zu lernen. Es ist mir egal was Lehrerinnen auf dem Kopf tragen.

Yusha: Es wurde schon alles gesagt, aber ich finde, dass meiner Geschichtslehrerin ein Kopftuch stehen würde. (Gelächter)

Beyza: Das ist doch so wie mit Tattoos. Wenn sie geeignet ist, soll sie unterrichten dürfen

Aylin Yavas: Hier kommt die nächste Aussage, zu der ihr euch bitte zwischen Ja und Nein positioniert: „Mich würde es stören, wenn meine Religionslehrerin ein Kopftuch trägt.“

Beyza: Es ist doch egal, ob die Religionslehrerin christlich oder muslimisch oder was ganz Anderes ist, oder? Die Hauptsache ist, dass sie über alle Religionen gleich berichtet. Was meine Religion angeht – da kenne ich mich ja am besten aus.

Maya: So lange sich die Lehrerin neutral verhält, ist es egal. Wenn nicht, dann ist es dasselbe wie im Falle einer Christin ein großes Kreuz trägt und sich nicht neutral verhält.

Julia Gerlach: Aber, wenn die Lehrerin dann so ein großes Kreuz trägt, könnte man ja vermuten, dass sie sich nicht neutral verhält, oder?

Melda: Nein, sie ist doch Lehrerin und muss neutral bleiben. Sie darf ja nicht für uns entscheiden, welche Religion besser ist. Letztes Jahr hat uns ein Atheist zu Judentum, Christentum und Islam unterrichtet und er hat das auch nicht schlecht geredet oder dass es Gott nicht gibt.

Julia Gerlach: Selina, du hast dich etwas weiter zur Mitte hin positionniert. Es stört dich also wohl ein bisschen, wenn deine Religionslehrerin Kopftuch trägt. Warum?

Selina: Manche Lehrer bleiben eben nicht neutral und sagen ihre Meinung, das würde mich dann schon stören.

Aylin Yavas: Wenn ihr an ein heikleres Thema denkt, wie zum Beispiel den Sexualkundeunterricht. Würde es euch da stören, wenn eine Kopftuchtragende Lehrerin unterrichtet?

Beyza: Wieso? Jeder Lehrer hat doch Erfahrung dazu.

Melda: Ich find das Thema allgemein komisch, da ist es egal ob die Lehrerin Kopftuch trägt oder nicht.

Julia Gerlach: Ist es dann vielleicht ein bisschen peinlicher?

Melda: Ich finde es noch peinlicher Männer zu fragen.

Ayman: Ich finde, wenn wir Sexualkundeunterricht haben, sollen die Jungs es bei einem Lehrer haben und die Mädchen bei einer Lehrerin.

Aylin Yavas: Es gibt ja auch in anderen Religionen Formen der Bedeckung. Wie ist das mit dem Nonnen Habit, würde euch das bei eurer Geschichtslehrerin stören?

Yusuf: Ich finde, da ist es genau das gleiche. Solange sie uns nicht beeinflusst, stört mich das nicht.

Ender: Das ist das gleiche wie mit Kopftuch, nur eben eine andere Religion.

Melda: Es ist doch egal, welche Zeichen die tragen. Auch wenn sie nicht sowas anhaben, kann es doch trotzdem sein, dass sie zum Beispiel von der Nationalität her was gegen Andere haben.

Julia Gerlach: Mensch, wir hatten erwartet, dass es zu dem heiklen Thema Kopftuch sehr viel mehr unterschiedliche Meinungen geben würde. Ihr seid euch aber offenbar ziemlich einig und steht hier immer alle auf der Nein-Seite des Klassenzimmers.

Aylin Yavas: Vielleicht ändert sich das ja bei der nächsten Frage: Findet ihr das Kopftuchverbot diskriminierend?

(Alle Schüler*innen gehen auf die andere Seite und stehen jetzt bei “Ja“)

Melda: Die sagen ja, dass es darum geht, die Kinder nicht zu beeinflussen. Aber zur Weihnachtszeit schmücken die Lehrer ja auch die Klassenzimmer und das ist doch ein christliches Fest. Da ist es doch umso mehr eine Diskriminierung, dass muslimische Lehrerinnen kein Kopftuch tragen dürfen.

Selina: Ich finde das auch diskriminierend. Vor allem, weil ihre Religionszugehörigkeit gar nichts mit dem Unterricht zu tun hat. Und wenn eine Lehrerin ein Kreuz um den Hals trägt dann stört das ja auch niemanden.

Aylin Yavas: In Berlin ist das so, dass alle religiösen Symbole verboten sind. Ein Kreuz um den Hals ist auch nicht erlaubt. Ist es trotzdem diskriminierend, dass Musliminnen kein Kopftuch tragen dürfen?

Melda: Es ist doch egal, ob alle oder nur einer diskriminiert wird. Die sollen auch ein Kreuz tragen dürfen. Die wollen ja vermeiden, dass die Kinder nicht beeinflusst werden, aber dann sollten die Lehrer ihnen beibringen, dass sie sich nicht beeinflussen lassen sollen.

Beyza: Jeder sollte seine Religion zeigen dürfen, finde ich.

Cedric: Man könnte ja auch sagen, dass die Lehrer*innen keine Markenklamotten tragen dürfen, weil das ja auch beeinflussen kann.

Aylin Yavas: Dann kommen wir zur nächsten Aussage. Mal sehen, was ihr jetzt sagt: „Ich empfinde meine jetzigen Lehrer*innen als neutral.“

Ender: Ich finde schon, dass sie neutral sind, bis jetzt wurde ich noch nie im Bezug auf die Religion beeinflusst.

Julia Gerlach: Woran würde man denn merken, dass sie euch beeinflussen?

Yusuf: Vielleicht, indem sie nur über Christen reden und gar nicht über andere Religionen.

Ender: Oder auch, wenn sie etwas schlechtreden.

Beyza: In Ethik haben wir ja auch unterschiedliche Religionen behandelt und da haben wir von allen Religionen was gelernt. Wir haben auch viel über Politik geredet und als wir zum Beispiel über Erdogan diskutiert haben, haben die Lehrer nur gefragt und gar keine Meinung gesagt. Ich finde sowieso, dass Erwachsene sich bei sowas raushalten sollen, die Kinder sollten das unter sich machen.

Aylin Yavas: Dann lässt uns jetzt zurück in den Stuhlkreis kommen. Mich würde interessieren, was für euch Neutralität bedeutet?

Can: Neutralität bedeutet für mich, dass man weder auf der einen noch auf der anderen Seite steht, sondern mittig bleibt.

Maya: Für mich ist Neutralität, wenn man nichts gegen die Meinung der anderen hat.

Ayman: Für mich bedeutet es, unparteiisch zu sein. Wenn sich zum Beispiel ein Muslim und Christ darüber streiten, welche Religion besser ist. Dann ist es gut, wenn es noch einen dritten gibt, der keinem nähersteht.

Aylin Yavas: Aber bedeutet das, dass Lehrer*innen keine Meinung haben dürfen?

Rana: Nein, es geht eher darum, die Meinung nicht so doll nach außen zu tragen. Nur weil sie Kopftuch trägt, heißt es ja nicht, dass sie ständig über Glauben redet.

Cedric: Wenn sie ein Kopftuch trägt, ist das eine persönliche Entscheidung, die nicht bedeutet, dass sie andere beeinflusst.

Selina: Ich fand das irgendwie komisch, als Melda meinte, dass es blöd ist, wenn eine Lehrerin das Klassenzimmer für Weihnachten schmückt. Gleichzeitig findet sie es aber Okay, wenn eine Lehrerin ein Kopftuch trägt. Da siehst Du nur eine Seite.

Melda: Das hast Du falsch verstanden. Ich finde es ungerecht, dass das Schmücken erlaubt ist und das Kopftuch nicht. Ich habe aber nichts gegen das Schmücken. Ich will nur, dass auch das Kopftuch erlaubt wird.

Selina: Das finde ich auch.

Aylin Yavas: Ist es für euch denn vergleichbar: Der Adventskranz im Klassenzimmer und das Kopftuch der Lehrerin?

Melda: Für mich schon: In beiden Fällen sieht man doch, zu welcher Religion die Lehrerin gehört.

Aileena: Das Kopftuch trägt man nur für sich, wenn man einen Adventskranz in die Klasse stellt, dann ist der ja für alle da.

Ender: Der Adventskranz ist ja nur für eine bestimmte Zeit da, aber das Kopftuch ist ja immer da, also das legt man ja nicht einfach wieder ab, wenn die Zeit vorbei ist.

Beyza: Ich finde, es wollte noch sagen, dass Lehrer Kinder in der Grundschule viel leichter beeinflussen können. Später ist die eigene Meinung ja viel fester.

Julia Gerlach: Und wie ist das in der Grundschule: Wenn eine Lehrerin ein Kopftuch trägt, könnte es dann sein, dass ein muslimisches Mädchen auch ein Kopftuch trägt, um der Lehrerin zu gefallen?

Beyza: Nein, nur weil meine Lehrerin ein Tattoo trägt, will ich doch nicht auch gleich ein Tattoo. Aber die Kinder sind sowieso selbstbewusst. Die wissen was sie wollen und sagen das auch.

Julia Gerlach: Neulich war ich bei einer Veranstaltung bei der es auch um das Thema ging. Da war eine Mutter, die auch Elternvertreterin war, und die hat gesagt, dass die Mehrheit der Mütter an der Schule auch ein Kopftuch tragen und dass sie es deswegen unneutral findet, dass es keine kopftuchtragenden Lehrerinnen gibt.

Melda: Also ich finde niemand sollte sich einmischen, ob jemand ein Kopftuch trägt oder nicht, das ist doch die Entscheidung von jedem selbst.

Aylin Yavas: Ich glaube, die Frau meinte nicht, dass die Lehrerinnen Kopftuch tragen sollen, sondern hat eher das Gesetz kritisiert und dass Lehrerinnen kein Kopftuch tragen dürfen. Sie wollte sagen, dass es nicht neutral ist, weil die Mädchen und Mütter in der Schule so nicht repräsentiert werden. Also ist die Frage vielleicht, ob es für euch eher neutral ist, wenn es ganz viele verschiedene Symbole gibt, wie das Kopftuch, oder das Regenbogensymbol, das Anarchiesymbol – oder ist es für euch eher neutral, wenn alle gleich aussehen?

Melda: Ich finde es eher neutral, wenn alle tragen was sie wollen. Auch, weil manche sonts gar nicht in dem Beruf arbeiten können, den sie gerne wollen.

Cedric: Wenn alle ihre Symbole tragen dürften, dann würde ein Kind ja ganz vielen verschiedenen Einflüsse ausgesetzt sein. Am Ende eben die sich dann gegenseitig auf.

Can: Es ist ja so, dass viele Leute Schwule nicht akzeptieren können. Eigentlich ist man aber kein Mensch mehr, weil man jemanden verabscheut der auch ein Mensch ist. Der ja normal lebt, normal sein Geld verdient und mit einem Mann zusammen ist. Und das ist ja auch etwas, was man nicht unbedingt von außen sieht, also ist es vielleicht doch was anderes als das Kopftuch.

Rana: In meiner Grundschule gab es auch einen schwulen Lehrer und der war auch neutral. Der hat das Schwulsein aber jetzt auch nicht so offen gezeigt. Das war gar kein Problem.

Ada: Nee, ich finde ein Lehrer kann auch sagen, was er denkt oder wer er ist. Er darf andere nur nicht schlechter behandeln, weil sie nicht so sind.

Aylin Yavas: Welche Art der Beeinflussung ist für euch nicht mehr okay? In der Schule und auch sonst wird man ja eigentlich ständig beeinflusst: Dass man keine Drogen nehmen soll, nicht klauen darf und dass es nicht okay ist, andere einfach auszulachen. Und dann gibt es eben auch noch die Frage der Religion und der Politik. Gibt es für euch einen Unterschied?

Ada: Wenn es um Drogen oder Diebstahl geht, dann halte die Lehrer uns davon ab, um uns zu helfen. Aber bei Religion gibt es aber keine klare Meinung. Da gibt es kein richtiges oder falsches.

Cedric: Bei der Religion kann man auch nicht begründen, warum etwas schlecht sein sollte. Bei Drogen kann man das begründen, weil es schlecht für die Gesundheit ist.

Aylin Yavas: Zum Abschluss würde mich noch interessieren: Bei welchen Symbolen würdet ihr denn sagen, dass sich der*die Lehrer*in nicht mehr neutral verhalten kann, wenn sie sie trägt?

Ender: Hakenkreuz zum Beispiel.

Selina: Niqab finde ich irgendwie schwierig.

Rana: Es gibt so ein Blatt, da ist das Islamzeichen durchgestrichen, also die sind gegen den Islam.

Maya: Ich habe auch Plakate gesehen, auf denen Moscheen durchgestrichen waren. Das sollte auch nicht in der Schule sein.

Ada: Ich finde, es hört da auf, wenn zum Beispiel ein Lehrer sagt, es gibt keinen Gott. Wenn er sagen würde, er glaubt nicht an Gott, fände ich das okay, weil ich ja trotzdem glauben kann.

Cedric: Ich finde, Lehrer sollten keine Zeichen tragen, die nur dafürstehen, dass sie gegen etwas sind, wie zum Beispiel Nazizeichen.

Julia Gerlach: Vielen Dank, dass ihr mit uns gesprochen habt. Es ist immer wieder toll mit euch zu diskutieren.

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