Ich würde gerne mit einer größeren Einordnung von israelbezogenem Antisemitismus beginnen. Israelbezogener Antisemitismus ist zunächst einmal Antisemitismus, ganz egal, in welchem politischen Spektrum oder in welcher gesellschaftlichen Sphäre er artikuliert wird. Er ist mehr als ein bloßes Phänomen, sondern ein Ungleichheitsverhältnis, ein Machtverhältnis, ein Unterdrückungsverhältnis und er wirkt genauso wie alle anderen Formen von Antisemitismus gewaltvoll, vor allem auf Juden und Jüdinnen. Zumeist sind sie davon betroffen. Und auch israelbezogener Antisemitismus artikuliert sich wie Antisemitismus insgesamt in unterschiedlichen Nuancen, also von subtil bis hin zur Vernichtungsdimension. Und auch unabhängig von bestimmten Realitäten. Antisemitismus existiert seit über 2.000 Jahren und seine Grundstruktur ist stabil. Nur wie er sich eben artikuliert, welche konkreten Stereotype, Zuschreibungen, Zuordnungen, Zuweisungen verbreitet werden und welche Anlässe und Gelegenheiten genutzt werden, das ist das Dynamische. Die klassischen antisemitischen Funktionen, allen voran die Dämonisierung von Juden und Jüdinnen, werden im israelbezogenen Antisemitismus auf den Staat Israel übertragen als jüdisches Kollektiv und eben mit genau diesem antisemitischen Repertoire belegt, auf eine gesellschaftlich breit akzeptierte Art und Weise. Die Bilder, die hier zum Tragen kommen beim israelbezogenen Antisemitismus, sind eben so wirkmächtig, weil auch sie kontinuierlich, von Generation zu Generation, weitergegeben wurden und Wissensbestände sind, auf die einfach zurückgegriffen werden kann. Das sind zum Beispiel Bilder und Vorstellungen von Bösartigkeit, von Macht, von Einfluss, von Rachsucht, von Gewalttätigkeit, von Illoyalität, von Konspiration, von Fremdheit und von etwas wie unnatürlich sein. Das waren jetzt krasse Reproduktionen. Aber wir müssen sie manchmal leider so formulieren, um zu wissen, worüber wir sprechen. Diese Bilder von Juden und Jüdinnen werden beim israelbezogenen Antisemitismus auf den Staat Israel übertragen. Zugleich wird dann, in Übereinstimmung mit der vermeintlichen Illegitimität des Staates, Juden und Jüdinnen das Recht auf nationale Selbstbestimmung entzogen, der Staat per se dämonisiert, die Existenzberechtigung abgesprochen. Oder ganz häufig auch – was wir sehr verdichtet erleben seit dem 7. Oktober – dass auch das Leben und Überleben von Juden und Jüdinnen einer gewissen Beliebigkeit preisgegeben wird. Das betrifft Menschen in Israel, aber auch Juden und Jüdinnen hier. Die antisemitische Message der Anschläge ist angekommen und hat sich auch hier mit Angriffen auf Juden und Jüdinnen vermischt. Dazu kam auch eine weitgehend ausgebliebene Solidarität vonseiten der Zivilgesellschaft. All das gehört auch zur Begriffsannäherung, wenn wir über israelbezogenen Antisemitismus sprechen. Ebenso wie der Fakt, dass israelbezogener Antisemitismus sich eben nicht nur so in diesem Abzirkeln von Sprachhandlungen messen lässt. Also so viel zum Schnelltest. Antisemitismus ist nämlich auch ein Ressentiment, ein Gefühlsbestand, der überlebt hat und der seit 1945 gerade hier auch spezifisch aufgeladen ist. Ich weiß nicht, wie viele Hörer*innen das wissen, aber in den letzten Monaten, auch vor dem 7. Oktober, waren Schulen beispielsweise für Juden und Jüdinnen unsichere Orte. Das hat sich seit dem 7. Oktober verdichtet. Die Bedrohung hat zugenommen. Viele jüdische Kinder und Jugendliche haben ihre Schulen nicht mehr besucht, weil sie dort angegriffen worden sind. Sie waren dort einer Bedrohung ausgesetzt. Das ist die Realität, die israelbezogener Antisemitismus eben auch hervorbringt. Und was dem Antisemitismus innewohnt, gilt auch für den israelbezogenen Antisemitismus. Der macht es einfach möglich, komplexe gesellschaftliche Entwicklungen und Verhältnisse vereinfachend zu deuten und dient der Entlastung. Das alles wird häufig auch bagatellisiert. In Schule, in Kita, in Jugendclubs. Uns ist es wichtig, dass wir hier nicht über Theorie reden, sondern über eine gewaltförmige Praxis, die Juden und Jüdinnen eben schon sehr gut kennen und die sich seit dem 7.10. noch umso mehr verwirklicht, auch hierzulande. Deswegen schlucken wir auch immer, wenn über einen vermeintlichen israelbezogenen Antisemitismus gesprochen wird, denn er ist Realität, und wir müssen erst mal anerkennen, dass er da ist, bevor wir dann natürlich auch kritisch schauen, zu welchen rassistischen Auslagerungen es in diesem Zusammenhang kommt. Überhaupt ist die Abwehr von Antisemitismus etwas, womit wir uns auch in der Bildungsarbeit auf unterschiedlichen Ebenen beschäftigen. Da auch einen rassismuskritischen Blick drauf zu werfen, ist für uns eine Selbstverständlichkeit.