Akteure der Jugendbildung stärken – Jugendliche vor Radikalisierung schützen
30. Januar 2017 | Radikalisierung und Prävention

Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA e.V.) war einer der ersten Vereine, der sich mit dem Thema Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft auseinandersetzte. Mittlerweile engagiert sich die KIgA auch in der Prävention von religiös begründetem Extremismus und profitiert dabei von den Erfahrungen und Netzwerken, die sie in den vergangenen Jahren in Berlin gesammelt hat. Im Gespräch mit Aylin Yavaş berichtet Nina Mühe über das Projekt „Akteure der Jugendbildung stärken – Jugendliche vor Radikalisierung schützen“.

Aylin Yavaş: Nina, was verbirgt sich hinter eurem Projekt „Akteure der Jugendbildung stärken – Jugendliche vor Radikalisierung schützen“?

Nina Mühe: Das Modellprojekt hat verschiedene Säulen, die miteinander verwoben sind. Im Zentrum steht der Ansatz der Peer-Education: Wir bilden junge Muslim_innen – religiös oder nicht religiös – ein Jahr lang zu verschiedenen Themen der politischen Bildung aus, und zwar inhaltlich und methodisch. Themen sind zum Beispiel: Antimuslimischer Rassismus, Muslimischsein in der Migrationsgesellschaft, Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Hate Crime, Gender und Sexismus und auch Extremismus. Dabei geht es auch um Methoden der politischen Bildung und Erinnerungspolitik.

Zu diesen Themen haben wir Stammtischgruppen gebildet, die regelmäßig zusammenkommen und diskutieren. Im zweiten Jahr werden die Themen vertieft. Dann sollen die zwölf jungen Menschen auch selbst Workshops in Schulen, Jugendfreizeiteinrichtungen und Moscheegemeinden konzipieren und durchführen können. In dieser Phase wird auch eine Bildungsreise nach London stattfinden. Im dritten Jahr reisen wir dann nach Israel. Darüberhinaus sind die Peers in unsere Arbeit eingebunden.

Uns ist besonders wichtig, dass sich unsere Teamer_innen intensiv mit den Themen der politischen Bildung auseinandersetzen, sodass sie die Fragen der Schüler_innen beantworten können. Diese Schulung sehen wir auch als einen Teil der Empowerment-Arbeit – deswegen auch diese lange Phase der Ausbildung.

Die dritte Säule ist die Weiterentwicklung der eigenen Methoden, zum Beispiel unsere Seminarreihe, die über ein Jahr in einer Klasse stattfindet. Wir sind gerade dabei zu schauen, ob wir neue Module entwickeln und was verändert werden sollte. Aktuell arbeiten wir an einem Modul zum Thema „Salafismus in Deutschland“, in dem wir uns auch mit anderen Trägern darüber austauschen, wie dieses Thema in der Schule besprochen werden kann.

In der letzten Säule bieten wir Fortbildungen für Multiplikator_innen vor allem im Sozialraum zu verschiedenen Themen wie den Nahost-Konflikt oder Islamismus an.

Ihr habt unterschiedliche Zielgruppen: Bietet ihr die Workshops nur für muslimische Schüler_innen an?

Nein, die Workshops in der Schule sind für eine gesamte Klasse gedacht. Bei den Peers sieht das anders aus: Wir bilden nur muslimisch sozialisierte junge Menschen aus, die empowert werden sollen, sie arbeiten ja auch zu Themen, die Muslim_innen betreffen. Zudem sitzen in den Schulklassen in denen wir tätig sind, oft viele muslimische Schüler_innen. Da ist es sinnvoll, wenn die Peers einen ähnlichen Hintergrund haben. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass wir das im nächsten Jahr öffnen, eben weil unsere Zielgruppe nicht nur muslimische Schüler_innen sind.

Und um welche Themen geht es in der Arbeit mit Jugendlichen?

Das kommt auch auf den Rahmen an. In den Jugendfreizeiteinrichtungen müssen wir die Themen stark an die Interessen der Jugendlichen anpassen, denn sie kommen freiwillig – das heißt die Themen müssen auf den ersten Blick ansprechend sein. In den Schulen sind das zwar ähnliche Inhalte wie in der Peer-Education, nur dass die eben nicht so vertieft werden können. Wir starten zum Beispiel mit dem Thema Muslimischsein in der Migrationsgesellschaft. Aber auch Module zu Islam und Medien, Antisemitismus, Moscheebaukonflikt oder Radikalisierung und Salafismus bieten wir an. Das hängt aber auch vom Kontext der Schule und der Länge der Seminarreihe ab.

Ist es aus eurer Sicht bei diesen Themen notwendig, in der Ansprache zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Teilnehmer_innen zu unterscheiden?

Die Themen betreffen alle Schüler_innen, allein schon dadurch, dass es einen mehr oder weniger hohen Anteil an Muslim_innen in der Klasse gibt. Schließlich sind sie alle auch Teil der Migrationsgesellschaft. Aber natürlich ist das ein Dilemma der Präventionsarbeit: Einerseits wollen wir alle ansprechen, andererseits fokussieren wir in einigen Modulen speziell die Situation von Muslim_innen in der Gesellschaft. Wir versuchen, die Übungen nie nur auf Muslim_innen zuzuschneiden, sondern zum Beispiel auch andere allgemeinere Inhalte wie Gender oder Antisemitismus anzusprechen. Das heißt, wir sprechen nicht über religiöse Themen, sondern über Muslim_innen in der Gesellschaft. Und das geht eben auch nichtmuslimische Schüler_innen und Lehrer_innen etwas an.

Welche Rolle spielen denn Religion und Religiosität in den Workshops überhaupt?

Wir geben den  Schüler_innen aber keine theologische Antworten. Nur wenn es Jugendliche gibt, die eine sehr einseitige religiöse Ausrichtung haben, dann zeigen wir ihnen, dass es eine Bandbreite und verschiedene Perspektiven gibt. Wir machen ihnen andere Interpretationen zugänglich, ohne ihnen zu sagen, dass die eine besser ist als die andere, hierfür müssen unsere Teamer_innen keine Theolog_innen sein. Trotzdem: Hier sind die Grenzen natürlich nicht immer eindeutig. Wir haben Peers mit sehr unterschiedlichen religiösen Hintergründen: alevitisch, schiitisch, sunnitisch, konvertiert, sehr religiös oder auch gar nicht religiös, aber muslimisch sozialisiert. Allein dadurch können sie auch unterschiedliche Meinungen aufzeigen. Zu sagen, das darfst und das darfst du nicht, wäre auch nicht im Anspruch politischer Bildung.

Welche Relevanz haben die Themen mit denen ihr angefangen habt – also Antisemitismus und jüdisches Leben – in der Arbeit der KIgA heute?

Die spielen in anderen Projekten der KIgA natürlich eine noch größere Rolle. In diesem Projekt ist es eben eins von vielen Themen – das ist unser ganzheitlicher Ansatz in der Radikalisierungsprävention. Wir klären über alle Phänomene der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit auf, unter anderem eben auch über Antisemitismus und jüdisches Leben. Diese Idee entspringt auch der Erfahrungen der KIgA: Mit Jugendlichen lässt sich nicht über Themen sprechen, die sie gar nicht betreffen, ohne dass man sie da abholt wo sie selbst stehen und eine Verbindung zu anderen Themen herstellt, die ihnen vielleicht zunächst ferner sind

Welche Rolle spielt denn das Thema Rassismus in eurer Präventionsarbeit?

Viele Jugendliche, mit denen wir arbeiten, haben eigene Rassismuserfahrungen. Zum Empowerment gehört für uns, dass wir die Erfahrungen der Menschen einbeziehen. Hier muss es auch um den Kontext gehen und wie sich das Phänomen politisch erklären lassen.

Ihr habt ja einige Bildungsreisen gemacht: Nach Israel oder auch in die Türkei. Was habt ihr aus diesen mitgenommen?

Ich denke vor allem, den Horizont zu öffnen und Begegnungen zu schaffen, gerade in Israel zwischen Jüd_innen und Muslim_innen. Mittlerweile machen zwei der Teamer_innen Führungen im Jüdischen Museum hier in Berlin, und nächstes Jahr fahren wir nach London. Dabei geht es um den Vergleich: Wie lassen sich die deutschen Diskurse mit denen auf europäischer Ebene vergleichen?

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