Moscheegemeinden werden nur selten als Orte wahrgenommen, an denen empowernde und präventive Arbeit für Jugendliche stattfindet. Zumeist werden diese Angebote in der Schule, in der Jugendarbeit oder im Online-Streetwork verortet. Wiebke Klausnitzer vermittelt Einblicke in die Jugendarbeit in Moscheen und betont ihre Bedeutung für muslimische Jugendliche als safer space.
Dass Moscheen in deutschen Städten in der Regel mehr sind als Orte des Gebets und der religiösen Unterweisung, dürfte mittlerweile bekannt sein. Dass sie für Jugendliche einen safer space darstellen, ist vermutlich weniger bekannt und kann eine wichtige Erkenntnis für all jene sein, die in der Präventionsarbeit tätig sind und mit jungen Erwachsenen arbeiten. Die Publikation „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“ fasst die Funktion und Rolle von Moscheegemeinden wie folgt zusammen: „Wie in vielen europäischen Städten sind sie auch in Berlin nicht nur Orte des Gebets und der spirituellen Betreuung, sondern zugleich soziale Treffpunkte, Bildungsstätten und Anlaufstellen für Menschen, die Hilfe in praktischen Lebensfragen suchen“ (Mühe und Spielhaus, 2018, 13). Konkrete Beispiele sind hierfür die Beratung bei Beschneidungen sowie die Durchführung von Eheschließungen oder Bestattungen. Darüber hinaus bieten Imame bzw. Hocas (Hoca = türk. für Lehrkraft in der Moschee) religiös-fundierte Beratung oder Seelsorge an. Je nach Zielgruppe gibt es zudem Gemeinschaftsangebote, Arabisch- und Islamunterricht und (Verweis-)Beratung für soziale Dienste und Hilfestellungen.
In der Moschee gibt es Angebote wie von der Diakonie oder dem Kiezladen
Diese vielfältigen Angebote richten sich in der Regel an Mitglieder und Besucher*innen der jeweiligen Moscheegemeinde, können aber auch von Menschen aus dem Kiez in Anspruch genommen werden. Neben religiösen Dienstleistungen haben sich über die Jahrzehnte auch soziale Dienstleistungen herausgebildet, welche in Deutschland vornehmlich von kirchlich getragenen Einrichtungen, Wohlfahrtsverbänden oder Vereinen übernommen werden und eine entsprechende Finanzierung haben. In den meisten Moscheegemeinden wird Jugendfreizeit, Pflegeberatung für Angehörige oder Hilfestellung für Eltern ehrenamtlich angeboten. Finanziert werden diese oftmals über Spenden. Moscheegemeinden sind folglich wichtige Akteure in ihrem jeweiligen Sozialraum. Was für Moschee-Besucher*innen eine Selbstverständlichkeit ist, die dankbar angenommen wird, ist Berliner Bezirkseinrichtungen sowie anderen Akteur*innen im Quartier wie Schulen, Sportvereinen oder Präventionszentren oftmals unbekannt. Dabei wäre eine engere Zusammenarbeit und finanzielle Förderung für alle Seiten – Gemeinde, Besucher*innen, Bezirk und lokale Akteur*innen – ein Gewinn (Vgl. Nofal, 2022, 227-41).
In der Moschee gibt es Unterricht wie auf der Oberschule
Ähnlich verhält es sich mit Bildungs- und Freizeitangeboten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. So besuchen Kinder ab dem Vorschulalter spielerische Lernangebote, Schüler*innen zwischen sechs und 18 Jahren lernen zunächst Arabisch, um in darauffolgenden Jahren in der Koranrezitation und -interpretation und in der Religionspraxis unterrichtet zu werden. Dieser Unterricht wird von ehrenamtlichen Lehrkräften durchgeführt (türk. Hoca), die in den meisten Fällen eine Aufwandsentschädigung erhalten. Bei den Lehrkräften handelt es sich um Männer als auch Frauen unterschiedlichen Alters, die auf verschiedenen Wegen für ihre Tätigkeit qualifiziert worden sind. Der Unterricht wird in der Regel geschlechtergetrennt und auf Grundlage eines Curriculums mit entsprechenden Lehrmaterialen durchgeführt. Am Ende eines jeden Schuljahres finden Prüfungen statt, deren erfolgreicher Abschluss eine Versetzung in die nächste Klassenstufe ermöglicht. Der Unterricht findet hauptsächlich an den Wochenenden statt, teils aber auch unter der Woche.
Viele Gemeinden bieten auch Nachhilfe oder Hausaufgabenbetreuung an, welche von Engagierten aus der Moscheegemeinde umgesetzt wird. Es handelt sich dabei oftmals um Personen mit pädagogischen Fachkenntnissen, wie beispielsweise Lehramtsstudierende oder Studierende der Pädagogik oder Sozialen Arbeit.
Der Jugendclub in der Moschee ist der beste, den es gibt
Für Jugendliche und junge Erwachsene bietet eine Gemeinde zahlreiche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Das können gelegentliche Aktivitäten wie Ausflüge, Kinobesuche, Fußballturniere, ferien- oder anlassbezogene Unternehmungen sein; vor allem aber sind es regelmäßig stattfindende Treffen geschlechtergetrennter Gruppen. Sie werden meist von jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 35 Jahren organsiert und angeleitet. Inhaltlich dienen die Zusammenkünfte der Auseinandersetzung mit religionsbezogenen Fragen und der religiösen Weiterbildung. Neben der gemeinsamen Rezitation und Interpretation des Korans gibt es oftmals Vorträge von internen oder externen Referent*innen. Inhaltlich beschäftigen sich die Vorträge meist mit metaphysischen Glaubensfragen oder der religiösen Praxis. Ebenso wichtig wie die Vermittlung religiöser Kenntnisse ist die Komponente der Gemeinschaft. Der Raum und die Möglichkeiten, welche diese Treffen bieten, sind von Wert und Art so einzigartig für junge Moscheebesucher*innen, dass – so meine Hypothese – sie durch keine andere Gruppenversammlung ersetzt werden können. Kein Sport- oder Freizeitangebot, keine privaten Treffen unter Freund*innen, keine Familientreffen, nicht einmal der Unterricht in der Gemeinde. Jeder der hier aufgeführten Form der Zusammenkunft fehlt jeweils ein Bestandteil, um tatsächlich gleichwertiger safe space wie die selbstorganisierten Jugendfreizeitangebote zu sein. Im Schulunterricht sind die Mitbestimmungsrechte von Jugendlichen und ihre Gestaltungsfreiheit beschränkt. Sie müssen sich mit vorgegebenen Inhalten befassen, werden für ihre Leistungen bewertet und machen nicht selten Diskriminierungserfahrungen, die insbesondere vom pädagogischen Personal ausgehen (vgl. Unabhängiger Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, 2023). Bei Freizeitaktivitäten in einem Verein gehen junge Menschen zwar einer selbstgewählten Beschäftigung nach, können aber in der Regel nicht über die Gruppenzusammensetzung und die Wahl der Gruppenleitung bestimmen. Auch hier können Jugendliche aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit Diskriminierung erleben. Im Unterricht der Cami sind die Jugendlichen wesentlich weniger Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt, da ihre Religionszugehörigkeit keine Stigmatisierungen mit sich bringt, sondern vielmehr einen Schutz bietet. Jedoch ist ein Setting, in dem sie nach nicht selbst gewählten Inhalten unterrichtet und bewertet werden, kein Raum des freiwilligen Lernens, der freien Entfaltung und des unbewerteten Ausdrucks. Was also bieten die Treffen selbstorganisierter Jugendgruppen in Moscheegemeinden im Vergleich zu den oben genannten Beispielen, die das Leben von Jugendlichen am häufigsten betreffen?
Moscheen als safer space für junge Menschen
Ein Mädchen- oder Jungenkreis, der sich wöchentlich in der Moschee trifft, bietet jungen Muslim*innen folgendes:
- ein Angebot des Lernens, das sie freiwillig besuchen
- Lerninhalte- und modi, welche sie selbst mitgestalten oder die von anderen jungen Menschen gestaltet werden
- eine Freizeitgestaltung, die ihre Interessen und ihre religiösen Bedürfnisse berücksichtigt
- keine oder nur geringe Bewertung ihrer Leistungen bzw. Performance im Vergleich zum Unterricht
- einen (ungezwungenen) Austausch unter Abwesenheit von Autoritätspersonen
- ein Zusammensein mit Peers (Menschen ähnlichen Alters, gleichen Geschlechts, gleicher Religionszugehörigkeit und ggf. gleichen Kiezes)
- eine Anleitung innerhalb einer Gruppe, welche bei einem Treffen unter Freund*innen mit ähnlichen Zielen wiederum fehlen würde
- einen Raum, der durch die religiöse Praxis definiert und durch sie bestimmt wird
In diesem sakralen physischen Raum ergibt sich aufgrund der oben genannten Punkte ein abstrakter, sicherer Raum: ein safer space. Für junge Muslim*innen bietet die Teilnahme an einem solchen Angebot eine Gemeinschaft, eine Möglichkeit des (religionsbezogenen) Lernens, der Freizeitgestaltung, des Zusammenseins mit Peers, des Rückzugs aus (halb-)öffentlichen Räumen sowie aus familiären oder freundschaftlichen Kontexten, unter Abwesenheit von Weisungsbefugten und Erziehungsberechtigten. Solche Räume zu finden ist sicherlich für alle jugendlichen Menschen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, von hoher Bedeutung und kann sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung auswirken. Für junge Menschen, die Diskriminierungs- und Ausschlusserfahrungen in vielen Bereichen ihres Lebens machen, sind solche Räume umso wichtiger.
Ein Berliner Beispiel für empowernde und präventive Workshops im Islamunterricht
Ein safer space birgt auch die Chance, ihn für empowernde und/oder präventive Aktivitäten zu nutzen. Einen solchen Ansatz verfolgt beispielsweise der in Berlin ansässige Projektverbund „Community Empowerment“, welcher empowernde und präventive Workshops für Jugendliche im Rahmen des Islamunterrichts in einer Moscheegemeinde anbietet. Um dem Peer-to-Peer-Ansatz gerecht zu werden und gleichzeitig eine Anleitung zu gewährleisten, werden diese Workshops von dafür qualifizierten jungen muslimischen Erwachsenen durchgeführt. Sie arbeiten mit den Schüler*innen unter Anwendung erprobter Workshop-Methoden zu Themen wie Identität, Vorurteile, antimuslimischer Rassismus und sensibilisieren sie für extremistische Inhalte und Radikalisierungsfaktoren. Ein pädagogisches Ziel ist dabei u.a. die Stärkung der Ambiguitätstoleranz und Resilienz der Jugendlichen durch das Öffnen von Diskussionsräumen. Der Integration eines solchen Angebots in das Curriculum des Islamunterrichts einer Gemeinde geht der Aufbau einer beidseitigen transparenten und vertrauensvollen Kommunikation voraus. Sie bildet die Grundlage für die Zusammenarbeit und gemeinsame Umsetzung des Vorhabens auf Augenhöhe. Das Projektteam bietet Gemeinden des lokalen Moscheenetzwerks pädagogische Angebote mit dem Ziel des Empowerments sowie der Sensibilisierung von islamischen Gemeinden in ihrer Rolle als Sozialraumakteur. Gleichzeitig gibt es für Netzwerkmitglieder Qualifizierungsangebote für ehrenamtlich Engagierte, sodass diese als Multiplikator*innen (z.B. Workshopleiter*innen) aktiv sein können. Das Konzept von Community Empowerment ist ein Best Practice-Beispiel dafür, wie ein empowerndes und präventives pädagogisches Format für muslimische Jugendliche in einer Moschee umgesetzt werden kann.
Indem erläutert wurde, welche Komponenten die Jugendfreizeitangebote in der Moschee zu einem safer space machen, kann damit zugleich etwas Wichtiges aufgezeigt werden: Ein wohlwollender Blick auf die Zielgruppe und ein selbstkritischer Blick (als Träger) auf die eigenen Projekte und Angebote können dazu führen, dass eine Zielgruppe nicht stigmatisiert wird. Werden Projekte – vor allem im Bereich der Prävention von religiös-begründetem Extremismus (hier bzgl. des Islam) – ausgeschrieben und von Bewerber*innen konzipiert, kann es passieren, dass die Zielgruppendefinition und Problembeschreibung Stigmatisierungen beinhalten.
Anerkennung und Wertschätzung der Jugendarbeit von Gemeinden
Für pädagogische Fachkräfte soll die Beschreibung der Ehrenamtsarbeit der Moscheegemeinden erläutern, in welchen Realitäten muslimische Jugendliche in Deutschland leben. Jene Räume, in denen sie sich in ihrem Alltag bewegen, wie etwa die Schule, der Jugendclub, Sport- und Freizeitangebote oder der öffentliche Raum im Allgemeinen sind meist keine Räume, in denen sie vor Diskriminierung geschützt sind. Demnach bieten diese von (antimuslimischem) Rassismus betroffenen Jugendlichen nur eingeschränkte Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung und des persönlichen Ausdrucks. Eine Anerkennung dieser Lebensrealitäten ist von großer Bedeutung für die Jugendlichen. Pädagog*innen können durch Fachliteratur, Fortbildungen oder Workshops lernen, wie sie Angebote in Regelstrukturen diskriminierungssensibel gestalten.
Außerdem kann das bessere, differenziertere Verständnis dafür, welche Angebote Moscheen machen und welche Räume sie (insbesondere für junge Menschen) bieten, dafür sorgen, dass Moscheen weniger stigmatisiert werden. Die fehlende Kenntnis darüber, welche Aktivitäten in Moscheen stattfinden, führt dazu, dass sie als bloße Orte des Gebets oder als Enklaven von Fremdheit gesehen werden. Häufig sind sie für Nicht-Muslim*innen eine Art Blackbox. Ist das Angebot der Gemeinden bekannter, kann nicht nur das enorme ehrenamtliche Engagement mehr geschätzt werden, sondern auch die Bedeutung des Ortes für den Sozialraum. Wer eine Moschee besuchen möchte und mehr über die vielfältigen Aktivitäten erfahren möchte, kann dies am 3. Oktober – dem Tag der offenen Moschee – tun oder Jugendliche einfach einmal fragen, was sie an ihrer Cami besonders mögen. Allein ein aufrichtiges Interesse für Orte, die diese Jugendlichen gern besuchen, kann Akzeptanz signalisieren. Gleichzeitig sollte der Raum den Jugendlichen überlassen bleiben und nicht von externen Personen oder Institutionen beansprucht werden. Das oben beschriebene Projekt von Community Empowerment ist ein gutes Beispiel dafür, wie wertvolle Maßnahmen zum Empowerment und zur Radikalisierungsprävention für Jugendliche angeboten werden: indem die sicheren Räume autonom gelassen werden, aber das Verständnis der Funktion dieser Orte verstanden wird, um Angebote für muslimische Jugendliche in vorhandenen Strukturen der Gemeinden auszubauen, die ihnen dienen und sie nicht stigmatisieren. Dabei wird gleichzeitig die Rolle der Gemeinden als sozialer Dienstleister und Bildungsinstitution und ihr Potenzial anerkannt.
*Anmerkung der Autorin: In diesem Artikel sind alle Geschlechter und Identitäten anerkannt und mitgedacht, was durch das Sternchen (*) angezeigt wird. Binäre Geschlechterdefinitionen werden genutzt, da sie in Moscheegemeinden eine gängige Praxis darstellen.
Literatur
Arendt, Hannah (1960): Der Raum des Öffentlichen und der Bereich des Privaten. In: Dünne, J./ Günzel, S. (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Suhrkamp Taschenbuch Verlag.
Unabhängiger Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (2023): Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz. Abschlussbericht.
Mühe, Nina und Riem Spielhaus (2018): Islamisches Gemeindeleben in Berlin. Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa.
Nofal, Lydia (2022): Moscheegemeinden als gesellschaftliche Akteure. In: Behn, S., Hecking, B.E., Hohmann, K., Schwenzer, V. (Hg.):“Raum, Resilienz und religiös begründete Radikalisierung“. S. 227-24. Bielefeld: transcribt.
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