Ja, der Islam gehört zu Deutschland!
16. März 2018 | Diversität und Diskriminierung, Geschichte, Biografien und Erinnerung, Religion und Religiosität
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Die Aussagen des neuen Innenministers Horst Seehofer zum Platz des Islams in Deutschland schafften es heute auf die Titelseite der Bild-Zeitung. Auch in sozialen Medien ist das Echo groß. Jochen Müller betont die negative Wirkung solcher Schlagzeilen auf das Selbstverständnis von jungen Muslim_innen.

Keine zwei Tage seit Amtsübernahme sind vergangen, da erklärt der neue Innenminister (via BILD), dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Zur Erinnerung: Im letzten Wahlkampf hatte sein Vorgänger (ebenfalls auf Seite 1 der BILD) in großen Lettern verlauten lassen: „WIR sind nicht BURKA!“ Und als der damalige Bundespräsident Christian Wulff erklärte, dass der Islam zu Deutschland gehöre, titelte die BILD am Tag danach: „WIEVIEL ISLAM VERTRÄGT DEUTSCHLAND?“  Was aber ist „der Islam“? Es sind die 4-5 Millionen mehr oder weniger oder gar nicht religiösen „Muslime“, die in Deutschland leben. Schon lange. Übersetzt heißen diese Schlagzeilen also: „Wieviele von EUCH (= Burka) können WIR (= Freiheit, Demokratie und Frauenrechte) hier gerade noch aushalten, bevor unser Land seinen Geist aufgibt?“ Was denken sich Redakteur_innen großer Medien dabei? Welche Interessen verfolgen Politiker_innen, wenn sie solche Schlagzeilen produzieren? Welches Religionsverständnis von Islam und Christentum (!) steht hinter ihren Befürchtungen? Welches Verständnis von Einwanderungsgesellschaft? In welchem Land wollen sie leben? In welchem Jahrhundert?

Vor allem aber: Was denken Jugendliche, deren Groß- oder Urgroßeltern einst aus verschiedenen Ländern nach Deutschland eingewandert sind und hier zu arbeiten und zu leben begannen? Deren Heimat kennen viele Jugendliche nur noch aus den Sommerferien. Diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben kein anderes Land, sie sind deutsche Muslime oder muslimische Deutsche, ganz egal, ob sie religiös sind oder nicht. „Die Deutschen“, so sagte mal einer von ihnen im Workshop, „werden mich in hundert Jahren noch fragen, wo ich herkomme, nur weil ich schwarze Haare habe.“ Was also haben diese Jugendlichen der zweiten, dritten oder vierten Generation heute morgen gefühlt und gedacht als sie auf dem Weg in die Schule an den Kiosken vorbeiliefen und diese Schlagzeile lesen mussten: „Der Islam gehört NICHT zu Deutschland“? Wo doch eigentlich, das wissen wir, Zugehörigkeit, Anerkennung und Wertschätzung für Jugendliche die wichtigsten Botschaften sind. Wundert sich also jemand, wenn diese jungen Menschen irritiert sind, wenn sie wütend werden? Und rufen: „Ich bin Türke, Araber oder Muslim!“ Um welchen Preis wird hier versucht, gesellschaftliche Lücken zu schließen und Risse zu kitten, wie sie der Rechtspopulismus aufgezeigt hat?

Man kann es vor allem Jugendlichen gar nicht oft genug sagen: Ja, Deutschland ist ein Einwanderungsland, eine Migrationsgesellschaft. Und ja, unter vielen anderen gehören „die Muslime“ und „der Islam“ selbstverständlich auch dazu. Die Frage aber, die wir zuerst und eigentlich beantworten müssen, lautet: Sollen sich alle, die hier in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft leben, wohl und zugehörig fühlen können? Oder soll dieses Privileg „Herkunftsdeutschen“ (der wievielten Generation?) vorbehalten bleiben? In welchem Land wollen wir leben?

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