Ist Özil kein Deutscher? Oder: Warum singt denn keiner mit?
6. Juli 2018 | Demokratie und Partizipation, Diversität und Diskriminierung, Geschichte, Biografien und Erinnerung, Jugendkulturen und Soziale Medien

Auf diese simplen Fragen lässt sich wohl das nicht enden wollende Gerede über Mesut Özil und Ilkay Gündoğan herunterbrechen. Ein Zwischenruf von Jochen Müller.

Warum, so fragen viele deutsch-türkische Jugendliche, zeigte sich die schwedische Mannschaft so loyal und stellte sich geschlossen hinter ihren Mitspieler türkischer Herkunft, als der rassistisch angegangen wurde, weil er mit seinem Foul in letzter Minute das deutsche 2:1 ermöglichte? Wohingegen sich offenbar kein „Deutscher“ hinter den ebenso rassistisch angegriffenen Mesut Özil stellte, von dem Team(!) – Manager Bierhoff jetzt sogar erklärte, man hätte vielleicht ganz auf ihn verzichten sollen.

Hier geht es nicht darum, dass Özil in den letzten 10 Jahren einer der herausragenden deutschen Spieler gewesen ist. (Das gilt im Übrigen, worüber man streiten mag, sogar für diese WM.) Hier geht es auch nicht um die Frage, warum der DFB auf höchster Ebene offenbar keine Probleme damit hat, eine WM mit und für Wladimir Putin zu zelebrieren, seine Spieler aber im Regen stehen lässt, wenn die sich mit anderen, ähnlich zweifelhaften Politikern, präsentieren. Vielmehr geht es hier um Aspekte mannschaftlicher und gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Man hätte sich doch Fragen stellen können: Was bewegte die beiden zu der Aktion mit Erdoğan? Warum verweigerten sie sich nicht? Sagt dies womöglich etwas aus über Identitäten, Befindlichkeiten und Zugehörigkeitsgefühle junger Deutscher mit Migrationshintergrund? Warum zum Beispiel singen sie die Nationalhymne nicht mit? („Früher“ sang ja auch keiner: s. Anmerkung.)

Statt aber Fragen zu stellen, neugierig zu sein, statt sich mit Verhältnissen und Gefühlslagen in der (Post)Migrationsgesellschaft auseinanderzusetzen („die Mannschaft“ als deren Spiegelbild), prügelte die breite Masse auf diejenigen ein, die sich aus – scheinbar ganz unerfindlichen Gründen – unerwünscht verhielten. Statt sich hinter die dann auch rassistisch angegangenen Spieler zu stellen, unterstellte ihnen der DFB mangelnde Loyalität. Es war diese Illoyalität, die „der Mannschaft“ geschadet hat. Und diese Illoyalität verspüren viele junge „Menschen mit Migrationshintergrund“ sehr genau. Sie schadet der Gesellschaft – tagtäglich, auf dem Spielfeld, in Medien, Parlamenten und in Klassenzimmern. Mit Erdoğan hat das nur am Rand zu tun.

Anmerkung: 2014 sangen nur Podolski und Klose (polnischer Herkunft), während Boateng, Özil, Khedira (sang jetzt mit) nicht mittun mochten. Vor 1990 hat überhaupt kaum einer gesungen – hier sehr schön anzuschauen im WM-Finale 1974.

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