Interview: Radikalisierungsprävention und gesellschaftlicher Zusammenhalt
7. Februar 2024 | Demokratie und Partizipation, Radikalisierung und Prävention, Religion und Religiosität

Symbolbild; Bild: Ashkan Forouzani/Unsplash

In der KN:IX-Analyse #13 erörtert Dr. Jens Ostwaldt, welchen theoretischen und praktischen Mehrwert das Konzept des gesellschaftlichen Zusammenhalts für die Prävention von religiös begründetem Extremismus bieten kann. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen.

 

Fatima El Sayed (ufuq.de):

Weshalb sollten sich Präventionspraktiker*innen und pädagogische Fachkräfte mit dem Konzept des gesellschaftlichen Zusammenhalts beschäftigen? 

Jens Ostwaldt:

Ich glaube, die Beschäftigung mit Konzepten gesellschaftlichen Zusammenhalts kann einen großen Mehrwert für die pädagogische Arbeit haben. Wenn wir uns anschauen, wann über Zusammenhalt gesprochen wird, dann sehen wir, dass dies vor allem in Bezug auf Krisen geschieht, die ihn vermeintlich gefährden. So wurde z.B. von Politiker*innen geunkt, die Erhöhung des Bürgergeldes würde den sozialen Zusammenhalt gefährden, das ist ausgemachter Unsinn. Die Forschung zeigt nämlich, dass der Zusammenhalt so einfach gar nicht kleinzukriegen ist, er ist sehr viel widerstandsfähiger, als viele denken, vor allem auch, weil das Konzept sehr viel komplexer ist, als gemeinhin angenommen wird.  Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir uns auf das konzentrieren, was wirklich den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Wir sehen das aktuell anschaulich, wenn rechtsextreme Kreise Pläne von Deportationen diskutieren. Zudem ist eine Beschäftigung mit diesem Konzept aus meiner Sicht auch deshalb sinnvoll, um zu verstehen, dass die Idee der Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts schnell ausgesprochen, die Umsetzung aber sehr viel komplexer ist; wie so oft.  

Fatima El Sayed (ufuq.de):

Was genau kann die Präventionsarbeit tun, um gesellschaftlichen Spaltungen entgegenzuwirken? 

Jens Ostwaldt:

Mir fallen hier zwei Ansatzpunkte ein: Zum ersten scheint mir eine differenzierte Sichtweise auf gesellschaftliche Spaltung zentral. In der Fachdebatte sind wir schnell dabei, Spaltungstendenzen oder spaltendes Verhalten festzustellen, dabei gilt auch hier, dass – zumindest aus wissenschaftlicher Perspektive – eine solche Spaltung von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst wird. Diese zu verstehen und sie auf Grundlage einer differenzierten Analyse in die Arbeit zu übertragen, scheint mir sinnvoll. Zum zweiten leistet die Präventionsarbeit bereits einen erheblichen Anteil dazu, gesellschaftlicher Spaltung entgegenzuwirken. Ich denke, dass es in diesem Kontext auch wichtig ist, sich klarzumachen, dass es unterschiedliche Ideen von Zusammenhalt gibt. Für die einen ist beispielsweise Zusammenhalt über Traditionen wichtig, für die anderen ist der Referenzrahmen beispielweise die Identität als Europäer*in, während wieder andere Zusammenhalt in ihrer näheren Wohnumgebung suchen. Auf diese zunehmende Pluralität von Lebensentwürfen reagiert die Präventionsarbeit bereits und sollte sie aus meiner Sicht in Zukunft auch vermehrt tun 

Fatima El Sayed (ufuq.de):

Ist angesichts anhaltender gesellschaftlicher Spannungen mit einer zunehmenden Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft zu rechnen?

Jens Ostwaldt:

Die Frage ist sehr interessant, weil sie viele wichtige Aspekte enthält. Aus der Hüfte geschossen würde man wahrscheinlich sagen: Ja klar! Relevant ist hier aber vor allem, wie wir mit diesen Spannungen umgehen, denn inhaltliche Spannungen und unterschiedliche Positionen, also inhaltliche Polarisierung, gehört zum demokratischen Diskurs dazu. Problematisch wird es, wenn diese Spannungen zu affektiver Polarisierung führen, wenn also eine andere Person abgelehnt wird, weil sie Teil einer Gruppe ist oder gewisse Merkmale hat und die Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Position zunehmend ausbleibt. Auf dieser Grundlage wäre dann Radikalisierung in Teilen der Gesellschaft durchaus denkbar.  

 

Bildnachweis: © Ashkan Forouzani/ Titel: „grün-rote und gelbe Wand“/ unsplash.com

 

Die KN:IX-Analysen erfassen aktuelle Entwicklungen und Handlungsbedarfe im Phänomenbereich „Islamistischer Extremismus” und bieten praktische Ansätze und Empfehlungen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis.

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Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX).
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