Hypermaskulinität und Ansätze der Präventionsarbeit im Kampfsport
20. November 2017 | Gender und Sexualität, Jugendkulturen und Soziale Medien, Radikalisierung und Prävention

Kampfsport ist bei vielen Jugendlichen populär und bietet einen lebensweltlichen Zugang, der in der sozialen Arbeit bereits in vielen Projekten genutzt wurde, in der Präventionsarbeit jedoch bisher nur am Rande eine Rolle spielt. Mariam Puvogel betont in ihrem Beitrag die Bedeutung einer Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und hypermaskuliner Männlichkeit.

Not in God’s name“ heißt eine Kampagne, die junge kampfsportbegeisterte Männer in Österreich für salafistische Ansprachen sensibilisieren soll (vgl. TV-Dokumentation „Re: Kickboxen gegen Hass – Der harte Kampf um Integration in Österreich„, arte 2017). Das Motto erinnert an die in Großbritannien gestartete Kampagne „#Notinmyname“, mit der sich Muslim_innen in sozialen Medien von religiös begründeter Gewalt distanzierten. Ob Zufall oder bewusste Anlehnung – beide Projekte arbeiten dabei mit einem Ansatz, der junge Muslim_innen auffordert, sich explizit zu islamistischem Terror zu positionieren. Aber was hat dies mit Kampfsport zu tun?

Kampfsport ist bei vielen Jugendlichen populär und bietet so einen lebensweltlichen Zugang, der in der sozialen Arbeit bereits in vielen Projekten genutzt wurde, in der Präventionsarbeit jedoch bisher noch kaum eine Rolle spielt.

In Deutschland wurde das Thema jüngst in einer Initiative der Berliner Kampfsportschule Choi und des Deutschen Institut für Radikalisierungs- und Deradikalisierungsforschung (GIRDS) aufgriffen. Dabei geht es darum, in Schulungen und Beratungen für „Extremismus aller Art“ im Kampfsport zu sensibilisieren. Die Projektinitiator_innen begründen die Initiative mit der Popularität, die dem Kampfsport nicht nur in rechtsextremen, sondern auch in gewaltbereiten salafistischen Szenen zukommt.

Tatsächlich gab es in der jüngeren Vergangenheit einige Fälle mehr oder weniger erfolgreicher Kampfsportler, die sich dschihadistischen Organisationen angeschlossen haben. So schockte der deutsch-albanische Thaibox-Weltmeister Valdet Gashi die Kampfsportszene, als er im Januar 2015 bekannt gab, sich dem „Islamischen Staat“ anzuschließen. Für sein Umfeld kam diese Entscheidung allerdings keineswegs überraschend. Der Thaiboxer war in den Jahren zuvor immer offensichtlicher in die Nähe islamistischer Szenen gerückt. So musste Gashi sein frisch gegründetes Gym „MMA Sunna“ (Sunnitische Mixed Martial Arts) schon nach einigen Monaten wieder schließen, nachdem er mit Flaggen des „Islamischen Staats“ posiert und zum „Dschihad“ ausgerufen hatte. Mindestens drei junge Schweizer überzeugte Gashi in diesem Gym von einer Ausreise nach Syrien. Zu diesem Zeitpunkt war er längst kein strahlender Stern der Szene mehr, seine Kämpferkarriere neigte sich dem Ende zu.[1]

Dabei weist seine Geschichte Parallelen zur Biographie eines weiteren deutschen IS-Anhängers auf – Dennis Cusperts (alias Deso Dogg, alias Abu Talha al-Almani). Auch der ehemalige Rapper begeisterte sich für Kampfsport, bevor er sich dem „Islamischen Staat“ anschloss. Diese Faszination für den Islamischen Staat spiegelt die Inszenierungen von Kampf und der Idee einer „harten, archaischen“ Männlichkeit, die in dschihadistischen Narrativen und Videos zur Geltung kommen – und damit auch Anknüpfungspunkte für Präventionsansätze sein können.

Kampfsport, Männlichkeit und die „ernsten Spiele des Wettbewerbes“

Kampfsport, insbesondere auf Wettkämpfe ausgerichtete Sportarten wie Boxen, Thaiboxen und MMA, sind hoch kompetitive Räume. Da Ringsportarten in erster Linie leistungsorientiert sind und dies – anders als zum Beispiel in Mannschafts- oder Breitensportarten, wo es auch um Teamfähigkeit und Kollektivität geht – der alleinige Maßstab für die Bewertung von Individuen ist, wird dabei häufig über menschenverachtende Gesinnungen von Kämpfer_innen hinweggesehen, selbst wenn diese in Form von tätowierten Hakenkreuzen und Thorshammer zur Schau gestellt werden.

Verweise auf die „unpolitische“ Natur professioneller Sportveranstaltungen sind für Kenner_innen der Szene in diesem Kontext nichts Neues. Zwar gibt es inzwischen durchaus viele Veranstalter, die Stellung beziehen und sich explizit gegen rechte Haltungen positionieren – allerdings geschieht dies vielfach erst nach öffentlichem Druck. Ähnliche Reaktionen lassen sich auch mit Bezug auf gewaltorientierte islamistische Ideologien erkennen, auch wenn in diesem Bereich interessanterweise ein größeres Bewusstsein für die damit verbundene Problematik zu bestehen scheint. So verlor der Düsseldorfer MMA-Profi Aziz Karaoglu seinen Vertrag bei der polnischen Föderation Konfrontacja Sztuk Walki (KSW), nachdem er mit einem Nasheed eingelaufen war, in dem zum militärischen Dschihad aufgerufen wurde.

In der Präventionsarbeit geht es allerdings weniger um den Umgang mit bekennenden Anhängern dschihadistischer Ideologie, als vielmehr um eine Auseinandersetzung mit entsprechenden Rollenbildern und Handlungsmustern im Vorfeld möglicher Hinwendungsprozesse. Dabei kommt gerade Rollenbildern von hypermaskuliner Männlichkeit im Selbstverständnis salafistischer Narrative eine besondere Bedeutung zu.[2]

Kampfsportarten wie Thaiboxen oder MMA sind Räume, in denen junge Männer die „ernsten Spiele des Wettbewerbes“ erlernen, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu das Erlernen gesellschaftlich hegemonialer Männlichkeit nannte. In einer Zeit, in der tradierte Geschlechterrollen gesellschaftlich immer stärker an Legitimität verlieren, werden leistungsorientierte Kampfsporträume oft zur Projektionsfläche „echter“ Männlichkeit. So gelten diese Sportarten auch für gewaltorientierte Salafisten als ideale Orte, um eigene Rollenbilder zu festigen und zu verbreiten.

Dabei gibt es durchaus Parallelen zu anderen gesellschaftlichen Räumen, in denen (staatliches) Gewalthandeln organisiert wird, wie dem Militär, der Polizei und Sicherheitsdiensten, aber auch im höheren Management, d.h. in sozialen Räumen, in denen hypermaskuline Performances konstitutiv für kollektive Identitätsbildungsprozesse sind. Ringsportarten gelten dabei als Möglichkeit, Eigenschaften wie Durchsetzungskraft und Schmerzlosigkeit, aber auch Selbstdisziplin und Gehorsam zu lernen und festigen. So überrascht es nicht, dass Kampfportler_innen wie die ehemalige Profiboxerin Frida Wallberg aus Hamburg mittlerweile Coachings für Manager in höheren Laufbahnen geben und ganze Hörsäle füllen, wenn sie über die Parallelen von Boxen und BWL sprechen.

Ungeachtet der Tatsache, dass Kampfsport also auf mehreren Ebenen dazu beitragen kann, Subjekte herauszubilden, die sowohl hegemonialen Männlichkeitsanforderungen entsprechen, als auch mit kapitalistischen Verwertungslogiken kompatibel sind, gibt es immer auch Räume, in denen Kampfsport gezielt als Orte des Empowerments gegen Rassismus und Heterosexismus eingesetzt wird. In vielen Widerstandsbewegungen, wie in der Bürgerrechtsbewegung der USA in den 60ern und 70ern, in den Kämpfen von LGBT* und People of Colour (POC), die heute gegen white supremacy kämpfen, spielte die Stärkung von Körper und Psyche durch gezieltes Training gegen Gewalt und Unterdrückung eine zentrale Rolle, ohne dass dies zwangsläufig mit einer Idealisierung von männlicher Dominanz und Gewalt verbunden wäre.

In einer präventiven Perspektive geht es insofern nicht um eine Kritik von Kampfsport an sich, sondern um eine Sensibilisierung und Reflexion von hypermaskulinen Rollenvorstellungen und die damit verbundenen Idealisierungen von Stärke, Dominanz, Härte und Durchsetzungswillen. So verweist die Fachstelle „Gender und Rechtsextremismus“ der Amadeu Antonio Stiftung auf die Bedeutung des Ideals „echter Männlichkeit“ in rechtsextremen und islamistischen Narrativen und leitet daraus die Notwendigkeit einer geschlechterreflektierten Präventionsarbeit ab.

Erfahrungen von Prävention im Kampfsport

In der Prävention von rechten Ideologien sind bereits seit einigen Jahren Ansätze etabliert, die Geschlechtsidentitäten zum Ausgangspunkt von präventiver Arbeit machen. So wird in der Praxisforschung auf die Bedeutung einer expliziten Auseinandersetzung mit Rollenbildern hingewiesen.

Wozu Ansätze, die kritische Auseinandersetzungen mit Geschlechterbildern nicht zur Voraussetzung machen, in der Praxis führen können, lässt sich am Beispiel eines Kampfsportprojektes des Trägers Manne e.V. veranschaulichen. Der Verein, der in der Jungenarbeit aktiv ist, geriet 2013 in die Kritik, nachdem dessen Zusammenarbeit mit Mario Schulze als Trainer im Präventionsprojekt „Gratwanderung“ bekannt wurde. In dem Projekt ging es darum, männliche Jugendliche von einem Abdriften in rechte Szenen abzuhalten, dabei war Manne Schulze selbst für seine Nähe zur neonazistischen Szene bekannt.

Mit Bezug zu Erfahrungen aus Präventionsprojekten im Bereich des Rechtsextremismus stellten die Geschlechterforscher Hechler und Stuve fest: „Wenn man* sich in der Neonazismusprävention unkritisch auf vermeintlich natürliche männliche und weibliche Identitäten bezieht, wird eine zentrale Säule neonazistischer Ideologie reproduziert anstatt in Frage gestellt. Traditionelle Geschlechterbilder können in der Prävention auf diese Weise verstärkt werden; berühmt gewordene Negativbeispiele sind hierfür Boxtrainings für Jungen entlang einer Vorstellung, dass ‚harte Männer hart mit harten Jungs‘ arbeiten müssten.“

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen sind Einschätzungen wie jene des Projektinitiators von „Not in god’s name“ zur Rolle des Boxens in der Präventionsarbeit durchaus kritisch zu hinterfragen. So beschrieb der Initiator des Projektes die positive Wirkung des Boxprojektes unter anderem damit, dass die beteiligten Jugendliche „aufs Wort gehorchen“ würden, womit letztlich entsprechende Rollenbilder reproduziert werden, statt Autoritäten zu hinterfragen und Selbstreflexion, kritisches Denken und Empathiefähigkeit zu fördern.

Voraussetzung für die Präventionsarbeit im Kampfsport wäre dagegen eine Analyse von ideologischen Männlichkeitskonstruktionen, die in den jeweiligen Szenen selbst meist nur implizit formuliert werden. So lässt sich die Attraktivität rechter Ideologien nur in Bezugnahme auf die vergeschlechtlichten Identifikationsangebote rechter Szenen erklären. Dabei fallen Parallelen auf, die die Männer- und Frauenbilder in der Ästhetik des gewaltorientierten Salafismus und rechter Szenen prägen, sodass sich Anschlüsse für Transfermöglichkeiten von Erfahrungen aus der Prävention rechter Gewalt ergeben.

Männlichkeitskonstruktionen sind in beiden Szenen von der Idealisierung kämpferischer, aggressiver, durchsetzungsstarker, heterosexueller und körperlich überlegener Identitäten geprägt. Dagegen beschränkt sich Weiblichkeit in beiden Szenen weitgehend auf die Idee der Frau als Mutter und „Hüterin des Hauses“, die als Trägerin der Reproduktion der Gemeinschaft für den idealisierten Ort der Familie verantwortlich ist. Attribute wie Reinheit und Unbeflecktheit sind dabei essentiell für das Konstrukt von weiblicher Tugend, die in der Praxis auf eine rigide Verdrängung von Frauen und Mädchen aus öffentlichen und politischen Sphären hinauslaufen.

Eine der wichtigsten Maxime für die pädagogische Praxis ist insofern der Versuch einer Entlastung von Männern von den Zwängen und Erwartungen, die mit entsprechenden Männlichkeitskonstruktionen einhergehen – denn die anhaltende Anforderung, bestimmten Bildern von Männlichkeit zu entsprechen, um soziale Anerkennung zu erhalten, ist auch für junge Männer ein enormer Druck. Zentrales Ziel präventiver Jungenarbeit sollte daher immer auch sein, männlichen Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, die dominanten Männlichkeitsbilder zu dekonstruieren und Räume zu schaffen, in denen ein Bruch mit entsprechenden Erwartungen möglich ist. Jungen sollte die Möglichkeit eröffnet werden, sich außerhalb der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“ zu stellen und sich in alternative Geschlechterrollen wiederzufinden, die den eigenen, subjektiven Bedürfnissen entsprechen und Platz für Emotionen, Unsicherheiten und empathisches Handeln bieten. Dies fördert die Resilienz männlicher Jugendliche gegenüber den zentralen Attraktivitätsmomenten salafistischer und rechter Ansprachen.

Entsprechende Ansätze, in denen Kampfsport als Ausgangspunkt für die Stärkung von Männlichkeits-Performances genutzt wird, die sich durch Empathie, einen bejahenden Umgang mit Emotionen und Empowerment auszeichnen, spiegeln sich beispielsweise in der Arbeit der „Cave of Adullam Transformational Training Academy“ in Michigan. Die Kampfsportschule, in der vor allem Schüler_innen aus der schwarzen Community in Detroit trainieren, dekonstruiert das Ideal harter, kämpferische Männlichkeit, indem Gefühle wie Trauer und Verletztheit zum Gegenstand der Auseinandersetzung und damit enttabuisiert werden. In der Debatte um die Entwicklung ähnlicher Ansätze in Deutschland lohnt es sich, diese Erfahrungen aus anderen Phänomenbereichen aufzugreifen und auf den Bereich des gewaltbereiten Islamismus zu übertragen.


Anmerkungen

[1] Nicht zuletzt deswegen äußerte sein ehemaliger Trainer, die Ausreise des Profis sei wie der letzte Versuch eines Kämpfers, dem es vor allem um Selbstinszenierung ging.
[2] Und auch die der Kämpferin, denn auch weibliche Kampfsportlerinnen werden vor der Folie hegemonialer Männlichkeit bewertet, nur dass hier zusätzliche Geschlechteranforderungen in Hinsicht auf Bilder femininer Attraktivität dazu kommen, in denen Kämpferinnen komplimentiert werden, wenn sie „kämpfen wie Männer, aber nicht aussehen wie Mannsweiber“.

Update 10.05.2019: Folgende Quellen wurden hinzugefügt: arte-Dokumentation, Nachrichtenportal orf.at. Die Überschrift wurde geändert.

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