Hoffnung auf Normalität – Islamische Theologie an deutschen Universitäten
8. September 2020 | Religion und Religiosität

Seit nun zehn Jahren gibt es an unterschiedlichen universitären Standorten in Deutschland das Fach Islamische Theologie, das sich seit seiner Etablierung einer stetig wachsenden Studierendenzahl erfreut. Gleichwohl reiht sich dieser Studiengang nicht in die Tradition der Islamwissenschaften ein, sondern setzt sich aus der Binnenperspektive der islamischen Religion heraus wissenschaftlich mit religiösen Primärquellen und der Glaubenspraxis auseinander. Doch das ist nicht die einzige Aufgabe des Studiengangs. Das Fach „Islamische Theologie“ soll auch der verbreiteten negativen Wahrnehmung des Islams begegnen und sich für eine selbstverständliche Zugehörigkeit von Islam und Muslim*innen in Deutschland einsetzen. Mustafa Ayanoğlu, Mitarbeiter der ufuq.de-Fachstelle in Bayern, hat Lena Dreier und Constantin Wagner zu den Ergebnissen ihrer Studie „Wer studiert Islamische Theologie?“ befragt und haben lesenswerte Hintergrundinformationen rund um den Studiengang, seine Studierenden und seine Akzeptanz in der Gesellschaft erhalten.

Mustafa Ayanoğlu: Frau Dreier, Herr Wagner: Wie steht es um die Islamische Theologie in Deutschland?

Lena Dreier: Das Fach verfügt mittlerweile bundesweit über sieben universitäre Standorte an Volluniversitäten, dazu kommen drei Standorte an pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg. Auch in Hamburg ist die Islamische Theologie an der Akademie der Weltreligionen vertreten. Das Fach hat sich mittlerweile etabliert und ist dabei, sich zu konsolidieren. Das sieht man auch daran, dass sich mittlerweile eine Fachgesellschaft gegründet hat und dass es wissenschaftliche Zeitschriften gibt und Graduiertenkollegs, die Absolvent*innen der Islamischen Theologie aufnehmen. Eine spannende Frage ist aber, was passiert, wenn die Förderung durch Bundesmittel, die ja die Islamische Theologie in ihrer Etablierungsphase sehr stark vorangetrieben hat, ausläuft. Was passiert dann mit dem Fach? Wird es wieder sehr viel kleiner? Oder setzt sich seine Entwicklung fort? Was momentan für ein weiteres Wachstum spricht, ist, dass es sehr viele Studierende gibt, die das Fach studieren wollen.

Constantin Wagner: Das Fach Islamische Theologie wurde in Deutschland vor mittlerweile zehn Jahren eingeführt. In dieser Zeit hat es sich etabliert, gleichzeitig ist das Fach immer noch sehr jung und wird nach wie vor fast ausschließlich von Personen unterrichtet, die das Fach selbst nicht studiert haben. Darum ist der Selbstverständigungsdiskurs noch lange nicht abgeschlossen: Was gehört zum Kanon? Wie richtet man das Fach aus? Wie lehrt man es? Darüber hinaus existieren weitere Fragen, mit denen wir uns auch in unserer Studie beschäftigt haben: Welche Anerkennung genießt das Fach in der Gesellschaft? Wie sieht es mit den Arbeitsmöglichkeiten für Absolvent*innen aus? Wer sind die Absolvent*innen und was bringen sie für Skills mit?

Ayanoğlu: Wie sehen Sie die Situation in Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern wie Österreich, Frankreich oder anderen europäischen Ländern?

Dreier: Die Entwicklungen der Islamischen Theologie im deutschsprachigen Raum werden in der internationalen Fachdebatte aufmerksam verfolgt. Es geht dabei schließlich auch um den Versuch, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Islam aus einer Innenperspektive zu etablieren und sich damit von den Islam- bzw. Orientwissenschaften abzugrenzen, die sich in Europa nicht von der Kolonialgeschichte trennen lassen. Das Angebot des Fachs Theologie an säkularen Universitäten ist in Österreich und Deutschland anders als in anderen Ländern möglich. In Frankreich dagegen ist eine religiöse Perspektive an staatlichen Universitäten wegen des laizistischen Staatsverständnisses kaum denkbar. Dort gibt es aber beispielsweise ein durchaus auch bei deutschen Studierenden bekanntes und beliebtes privates Ausbildungsinstitut, das Institut Européen des Sciences Humaines bei Château-Chinon. Man kann dort ein kürzeres, intensives Grundstudium des Koran und des Koranarabisch ablegen sowie eine Imam-Ausbildung absolvieren. Jenes Institut ist jedoch nicht unumstritten, weil es mit der Muslimbruderschaft in Verbindung gebracht wird. Auch in Großbritannien sind private Ausbildungen viel verbreiteter als in Deutschland, wo man sich entschieden hat, Theologie allein an staatlichen Universitäten zu etablieren.

Ayanoğlu: Wer studiert denn eigentlich Islamische Theologie in Deutschland?

Dreier: Es ist wie bei jedem anderen Studiengang auch: Es gibt eine große Bandbreite an Studierenden, die sich mit sehr unterschiedlichen Motivationen einschreiben. Wir haben errechnet, dass es momentan in Deutschland ca. 2.500 Studierende der Islamischen Theologie und Religionspädagogik gibt. Ein Großteil von ihnen ist weiblich. 70 % dieser Studierenden sind die ersten in ihrer Familie, die studieren. Das hat uns schon überrascht und unterscheidet das Fach von anderen.

Ayanoğlu: Und weshalb entscheiden sich diese Studierenden gerade für Islamische Theologie?

Dreier: In den Einzelinterviews, die wir mit den Studierenden durchgeführt haben, konnten wir bestimmte Motive herausarbeiten, die sich wiederholen. Zunächst gibt es eine berufliche Motivation, also Studierende, die wirklich eine bestimmte Berufsidee mit dem Studium verfolgen. Ein Beispiel war eine Studierende, die bereits einen Bachelor in Sozialer Arbeit hatte und sich schon vor dem Studium mit antimuslimischem Rassismus beschäftigt hatte. Sie wollte explizit die Innenperspektive des Islams kennenlernen, um für ihre Arbeit besser informiert zu sein. Dann gibt es Studierende mit einer religiösen Motivation. Sie erwarten sich vom Studium Raum für die Beschäftigung mit Glauben und Spiritualität. Das dritte Motiv haben wir das intellektuelle Motiv genannt. Hierbei handelt es sich um Studierende, die sich auch schon vorher audiodidaktisch mit Islamischer Theologie beschäftigt haben und eine theologische Weiterbildung anstreben. Das sind Studierende, die sich von der Wissenschaftsorientierung der Theologie angesprochen fühlen. Diese Studierenden sind häufig auch sehr erfolgreich in ihrem Fach. Die vierte Gruppe – und das hat uns auch überrascht – wählt das Studium aus einer gesellschaftspolitischen Motivation. Sie haben beispielsweise Diskriminierungserfahrungen gemacht oder negative Erfahrungen in der Moscheepädagogik. Diese Studierenden möchten die Gesellschaft aktiv mitgestalten und hoffen, dass das Studium ihnen dabei helfen kann.

Wagner: Wenn man heutzutage als Muslima oder Muslim in dieser Gesellschaft aufwächst, ist man fast zwangsläufig mit der Identitätsfrage konfrontiert. Man wird ständig auf seine religiöse Identität angesprochen. Das kann zu dem Bedürfnis führen, sich weiter mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. In gewisser Weise verdoppeln wir diese negative Erfahrung, wenn wir die Studierenden weiter inspizieren und genau analysieren, wer diese Studierenden sind und was sie nach dem Studium vorhaben. Studierende, Absolvent*innen und Lehrende wünschen sich mehr Normalität. Ich denke, wir sollten dahin kommen, dass wir das Fach Islamische Theologie als ein universitäres Fach unter vielen anderen betrachten.

Ayanoğlu: Wie lassen sich denn die Ziele des Studiengangs Islamische Theologie in Deutschland beschreiben? Würden Sie sagen, dass sich diese Ziele seit der Einführung der Islamischen Theologie als Fach verändert haben?

Dreier: Es ist schon interessant, sich die Diskussionen von 2010 bis heute anzuschauen. Anfangs gab es ganz enorme politische Erwartungen an das Fach. Es ging um Sicherheitspolitik, Migrationspolitik und darum, etwas unter Kontrolle zu bringen. Es gab diese Erwartung, Imame auszubilden, die die sogenannten Hinterhof-Prediger ablösen würden. Es hat sich gezeigt, dass die Islamische Theologie keine Imam-Ausbildung ist, und auch der öffentliche Diskurs hat sich sehr verändert.

Wagner: Klar, es gab auf der einen Seite eine gewisse Intention, die mit der Einführung dieses Fachs verbunden war, aber es gibt eben auch die Personen, die mit ihrer individuellen Motivation in dem Fach tätig sind. Auch die Studierenden haben natürlich einen Einfluss darauf, wie sich das Fach entwickelt und welche Bildungsprozesse hier stattfinden.

Ayanoğlu: Das Studium ist ja letztlich immer auch eine berufliche Qualifikation. Welche beruflichen Perspektiven gibt es denn für Islamische Theolog*innen?

Dreier: Es ist definitiv kein Fach, das zu einem bestimmten Beruf führt. Mittlerweile hat auch die Erwartung etwas nachgelassen, dass die Absolvent*innen zukünftig zu einem großen Teil als Imame tätig sein würden. Das zeigt sich auch daran, dass die Kooperationen mit den Religionsgemeinschaften nicht mehr so im Mittelpunkt stehen. Für die Studierenden und Absolvent*innen ist das teilweise problematisch, die wünschen sich mehr Klarheit und umfassendere Informationen zur Berufsorientierung. Als Antwort auf diese Problematik bemüht man sich um eine Spezialisierung bzw. Profilierung der Standorte. In Osnabrück versucht man beispielsweise, einen dezidiert sozialarbeitsorientierten Studiengang zu schaffen. Zum Teil gibt es auch Studierende, die schon lange in ihrer eigenen Religionsgemeinschaft tätig sind. Ihre Hoffnung ist, ihre langjährige Tätigkeit in den Gemeinden mit dem Studium verbinden zu können und durch einen Studienabschluss in der Islamischen Theologie in der Gemeinde hauptamtlich beschäftigt zu werden. Es wird spannend, was da passiert, ob der Staat die Gemeinden dahingehend finanziell unterstützen wird, sodass sie Absolvent*innen der Islamischen Theologie anstellen können.

Wagner: Viele Absolvent*innen des Fachs gehen nach Abschluss des Studiums in den Bildungs- und Erziehungsbereich. Sie bringen einerseits viele Kompetenzen und Fähigkeiten mit, die in diesem Bereich von zentraler Bedeutung sind, zum Beispiel in Bezug auf Multiperspektivität, also die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven auf die gleiche Frage zu richten und unterschiedliche Positionen zu einer Frage diskutieren und anerkennen zu können. Sie haben aber andererseits keine formalen Qualifikationen für diesen Bereich und werden dementsprechend häufig schlecht bezahlt.

Ayanoğlu: Wie sehen denn die muslimischen Religionsgemeinschaften selbst die Entwicklung der Islamischen Theologie an deutschen Hochschulen?

Wagner: Die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften begleiten die Einführung und Etablierung des Fachs, bisweilen auch kritisch. An den Standorten gibt es sehr unterschiedliche Entwicklungen; die Religionsgemeinschaften sind auf unterschiedliche Art und Weise involviert, zum Beispiel in Beiräten. Wir sehen, dass noch nicht sehr viele Absolvent*innen von den Religionsgemeinschaften eingestellt wurden. Das hat unterschiedliche Gründe, zum Beispiel verfügen die Religionsgemeinschaften häufig nicht über die finanziellen Ressourcen, um Universitätsabsolvent*innen einzustellen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die Absolvent*innen des Fachs auch in den Religionsgemeinschaften gute Arbeit leisten könnten und dass auch die Religionsgemeinschaften davon profitieren könnten, die Absolvent*innen einzustellen.

Ayanoğlu: Einige Standorte haben an Projekten mitgewirkt, die sich mit dem Ziel der Demokratieförderung, des Empowerments und der Extremismusprävention an muslimische Jugendliche richten. Ist die Extremismusprävention ein potenzieller Tätigkeitsbereich für Absolvent*innen der Islamischen Theologie?

Dreier: Wir sehen da sehr unterschiedliche Auffassungen unter den Studierenden: Einerseits gibt es die Sorge, dass in solchen Projekten Islam und Islamismus gleichgesetzt werden und ein Othering von Muslim*innen stattfindet. Gleichzeitig findet man aber auch durchaus Studierende, die ganz klar mit der Absicht ins Studium gehen, in der Präventionsarbeit tätig zu sein, weil sie es persönlich sinnvoll finden.

Wagner: Präventionsprojekte sind eine Möglichkeit für Absolvent*innen des Fachs, sich einzubringen. Gleichzeitig muss man stark aufpassen, dass die Prävention nicht das einzige potenzielle Berufsfeld wird, in dem Absolvierende unterkommen können. Es wäre problematisch, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstünde, das Fach legitimiere sich allein durch den Präventionsgedanken. Das würde die Vorstellung bedienen, Muslim*innen seien ein Problem, statt auch die legitimen gesellschaftlichen Anliegen der Muslim*innen zu erkennen. Eine solche Perspektive widerspricht dem, was von Seiten der muslimischen Akteur*innen oder Religionsgemeinschaften mit der Einführung des Fachs verbunden war, nämlich eine Hoffnung auf Normalität, Anerkennung und Zugehörigkeit.

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