Die islamistische Gruppe „Generation Islam“ koordinierte im April die Twitteraktion #NichtOhneMeinKopftuch, die beachtliche Aufmerksamkeit fand. Pierre Asisi erläutert im Interview mit der Online Civil Courage Initiative (OCCI), wer hinter der Kampagne steht und warum ihre Inhalte bei Jugendlichen auf Gehör stoßen.
OCCI: Mitte April erreichte der Hashtag #nichtohnemeinKopftuch die Top-Trends von Twitter. Was war der Hintergrund dieses Hashtags und wie entwickelte sich die Kampagne in den sozialen Medien?
Pierre Asisi: Der Hashtag bezieht sich auf die Diskussion über ein mögliches Kopftuchverbot für unter 14jährige Schülerinnen in nordrhein-westfälischen Schulen. Initiiert wurde die Kampagne von der Online-Initiative „Generation Islam“, einer im deutschsprachigen Raum relativ einflussreichen islamistischen Seite. Durch eine koordinierte Aktion, an der auch andere Seiten aus der Szene mitwirkten, konnte sich der Hashtag rasch verbreiten und erfuhr Bekanntheit weit über islamistische Kreise hinaus. Eine Petition auf onlinepetition.de fand in Deutschland über 100.000 Unterstützer_innen. Das zeigt, wie sehr solche Kampagnen in eine breite Öffentlichkeit hineinwirken. Und das ist das eigentliche Problem: Diese Akteure schaffen es, über ihre Sichtbarkeit in sozialen Medien die Meinungsbildung auch jenseits ihrer eigenen Anhänger zu beeinflussen und Konflikte zu schüren. Zuletzt wurde #nichtohnemeinKopftuch dann von der „Identitären Bewegung“ gekapert, der wohl dynamischsten rechtsextremistischen Organisation.
OCCI: Was ist „Generation Islam“ für eine Gruppe und welche Positionen vertritt sie? Was für Narrative verbreitet diese Gruppe über den Islam und über Muslime in Deutschland?
Pierre Asisi: „Generation Islam“ ist eine islamistische Gruppe, sie unterscheidet sich aber in mancher Hinsicht von Salafisten, die in Deutschland gemeinhin mit Islamismus assoziiert werden. Inhaltlich gibt es einige Parallelen zur salafistische Szene, auch wenn die Macher von Generation Islam und ähnlichen Seiten eher im ideologischen Umfeld der in Deutschland verbotenen Hizb ut-Tahrir anzusiedeln sind. Diese Nähe zur Hizb ut-Tahrir äußert sich vor allem im Leitbild eines globalen Kalifats, der Ablehnung von Nationalstaaten und dem sehr aktivistischen und letztlich sehr politischen Auftreten. Beobachter der Szene wie der Islamwissenschaftler Patrick Möller verweisen auch auf Verlinkungen dieser Seiten auf programmatische Schriften der Hizb ut-Tahrir.
Der Hizb ut-Tahrir geht es wie der „Generation Islam“ um eine Stärkung einer rigiden religiösen Alltagspraxis, aber vor allem auch um gesellschaftspolitische Themen wie internationale Krisen und Konflikte oder gesellschaftliche Ungleichheit und Armut. Dafür zitieren sie bisweilen auch linke Globalisierungskritiker oder anerkannte Wissenschaftler, was in dieser Form für Salafisten undenkbar wäre. Sie erreichen damit vor allem sehr bildungsnahe und politisch interessierte Jugendliche und junge Erwachsene.
Initiativen wie „Generation Islam“ sehen die Muslime in Deutschland und auf der Welt als eine existenziell bedrohte Gemeinschaft, die sich nur durch Zusammenschluss schützen kann – und auf der anderen Seite von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen sollte. Die meisten politischen und zivilgesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten – etwa Wahlen – mit denen man etwas gegen die real existierende Diskriminierung von Muslimen tun könnte, sehen sie als haram, also verboten an. Eine relativ klare Abgrenzung gibt es von terroristischer Gewalt. Der Anschlag in Berlin beispielsweise wurde zunächst als Tat eines Muslims anerkannt, die aber nicht mit dem Islam vereinbar ist. Im Nachhinein wurde die Tat dann jedoch als Reaktion eines „Krieges gegen den Islam“ dargestellt, an dem seit dem 11. September auch Deutschland beteiligt sei. Das hatte schon sehr apologetische Untertöne. Auch wenn sich „Generation Islam“ also von solchen Gewalttaten abgrenzt, verstärken sie eine Polarisierung in „wir Muslime“ und „die Nichtmuslime“ und haben damit ihren Anteil an der Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas.
OCCI: Eine weitere Gruppe, die im Zusammenhang mit „Generation Islam“ häufig genannt wird, ist „Realität Islam“. Wie schätzen Sie diese ein? Was sind die inhaltlichen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen?
Pierre Asisi: Der Auftritt von „Realität Islam“ ähnelt jenem von „Generation Islam“. Unter #KopftuchistunserePflicht hat sich „Realität Islam“ ebenfalls sehr sozialmedienwirksam gegen das Kopftuchverbot positioniert. Diese Initiative hat auch die Online-Petition gestartet, die sich an den Petitionsausschuss des Bundestages richtet und mittlerweile das Quorum von 50.000 Unterstützenden locker bewältigt hat. Was genau für eine Strategie dahintersteckt, ist nicht einfach zu durchschauen. Es kann durchaus darum gehen, völlig legitim Druck auf die Legislative zu erzeugen. Es kann jedoch auch sein – und das ist Spekulation – dass die Initiatoren bereits erwarten, dass die Petition im Bundestag nur eine weitere polemische Auseinandersetzung auslöst. Das wäre mit Hinblick auf die Zusammensetzung des Bundestages und dem Ursprung der Petition wahrscheinlich und würde das islamistische Opfernarrativ weiter untermauern.
OCCI: Für wie einflussreich halten Sie „Generation Islam“, „Realität Islam“ und ähnliche Gruppen? Handelt es sich bei ihnen vor allem um ein Online-Phänomen?
Pierre Asisi: Ich selbst habe „Realität Islam“ in Berlin bereits zweimal Unterschriften für ihre Petition sammeln sehen, Poster hängen in dem einen oder anderen Laden, bestimmt sind die Mitglieder auch in der ein oder anderen Gemeinde aktiv. Die Sicherheitsbehörden gehen in Deutschland nur von etwas über 300 Anhängern der Hizb ut-Tahrir aus. Ich glaube jedoch, dass die Wirkung dieser Szene weniger in der Zahl der Mitglieder als in den Onlinediskursen liegt – die ja letztendlich sehr real sind, sie erreichen hier Menschen mit ihrer Message. Ein einfaches Like macht aber noch keine Indoktrinierung aus. Die meisten Follower werden im Grunde gewöhnliche Jugendliche sein, die wenig mit der Agenda einer Hizb ut-Tahrir anfangen können, aber für die Themen brennen, die dort behandelt werden.
OCCI: Bei unseren Analysen islamistischer Gruppen in den sozialen Medien haben wir beim Institute for Strategic Dialogue (ISD) immer wieder den Eindruck, dass sich, zumindest auf den großen Plattformen, nur noch wenige explizit islamistisch-extremistische Seiten oder Profile finden lassen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Pierre Asisi: Islamistische Seiten, die relativ offen um Unterstützung für dschihadistische Gruppen werben, etwa „believers place – radikalisiere dich zum Guten“, werden von Facebook und anderen sozialen Netzwerken ziemlich schnell runtergenommen. Die größte islamistische Plattform im deutschsprachigen Raum, „Die wahre Religion“, wurde jedoch erst mit dem Verbot durch den Bundesinnenmister um November 2016 abgeschaltet. Grundsätzlich besteht das Problem aber weniger in den explizit dschihadistischen Seiten, die beispielsweise für den sogenannten „Islamischen Staat“ Werbung machen, sondern in Seiten wie der „Generation Islam“, die die Themen von Jugendlichen aufgreifen und erst in einem zweiten Schritt islamistische Narrative vermitteln. Die Kampagne gegen das Kopftuchverbot ist dafür ein sehr gutes Beispiel: Viele Jugendliche erleben im Alltag Rassismus und für sie steht die Debatte um das Kopftuchverbot exemplarisch dafür, dass dieser Rassismus auch auf staatlicher Ebene eine Rolle spielt. Wenn sie diese Videos anschauen oder die Kampagne unterstützen, geht es ihnen zunächst nicht um das Kalifat oder um eine Islamisierung der Gesellschaft. „Generation Islam“ holt die Jugendlichen bei diesen Alltagsfragen ab – und unterbreitet dann ihr ideologisches Angebot, was für manche Jugendliche als Lösung ihrer Fragen und Sorgen erscheinen kann. Solche Seiten lassen sich aber in aller Regel nicht verbieten oder löschen, d.h. hier geht es für die Prävention um pädagogische Angebote, die Jugendlichen Alternativen zu islamistischen Narrativen anbieten.
OCCI: Wie kann den Narrativen von solchen islamistischen Gruppen effektiv begegnet werden?
Pierre Asisi: Das bloße Löschen dieser Seiten ist wie gesagt keine Lösung, es würde das islamistische Opfernarrativ wohl noch verstärken. Es geht vielmehr darum zu fragen, warum islamistische Seiten auf so viele Jugendliche so ansprechend wirken. Dies liegt zu einem großen Teil daran, dass die Themen, die diese Seiten bedienen – Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Rassismus, Krieg – in anderen Feldern unzureichend behandelt werden – oder sogar in einer Art und Weise, die dazu beiträgt, dass muslimische bzw. muslimisch markierte Jugendliche vor allem als Problem wahrgenommen werden. Die Zugehörigkeit dieser Jugendlichen wird ihnen auch noch in der dritten und vierten Generation abgesprochen, während die „Generation Islam“ sie als vollwertiges Mitglied anspricht.
In den Sozialen Medien unterscheidet die Forschung zwei Grundsatzstrategien: Die Counter Narratives beziehen sich unmittelbar auf die problematischen (oder problematisierten) Inhalte und versuchen diese beispielsweise durch den Einsatz von Fakten oder Humor zu entkräften. Die Alternative Narratives versuchen andere Zugänge zu den Themen anzubieten. Unser Modellprojekt bildmachen besucht in diesem Sinne Schulklassen in Berlin und versucht in Workshops die Perspektiven dieser „ganz normalen“ Jugendlichen zu Identität, Zugehörigkeit und Religion in Form von Memes und Gifs einzufangen. Dies stärkt die Jugendlichen ganz individuell im Umgang mit extremistischen Angeboten und ist außerdem ein kleiner Beitrag, um alternative Perspektiven im Diskurs sichtbar zu machen.
Wir sind selbst sehr gespannt auf die Ergebnisse und hoffen, dass die Jugendlichen so selbst die Themen behandeln können, die ihnen am Herzen liegen.
OCCI: Vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview erschien zuerst am 2. Juli 2018 im Insight Report der Online Civil Courage Initiative (OCCI). Wir danken den Autor_innen für die Erlaubnis, den Beitrag wieder zu veröffentlichen.