Heimat ist ein beliebtes und vielbesprochenes Thema. In Zeiten der Globalisierung und zunehmender Mobilität steht häufig die Frage nach Identität, Wurzeln und Heimat im Vordergrund der öffentlichen Debatte. Zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober kann der Begriff auch im Unterricht eine Rolle spielen. In der öffentlichen Diskussion darüber, wer Angst um seine Heimat hat und wer eine sucht, gerät schnell außer Blick, wie einzelne Menschen sich überhaupt zu ihrer Heimat verorten. ufuq.de-Mitarbeiterin Thy Le befragte Kolleg*innen, was sie sich unter Heimat vorstellen und ob der Begriff möglicherweise eine Renovierung benötigt.
Alioune Niang
ist pädagogischer Mitarbeiter im Projekt Protest, Provokation und Propaganda.
„Mit Heimat verbinde ich eine Menge wie erstmal Glücksgefühle, wohlige Gefühle und Entspannung. Für mich ist Heimat kein Ort. Als ich vor 17 Jahren nach Deutschland zog, war meine Heimat anfangs immer mein Herkunftsland Senegal. Im Laufe der Zeit habe ich jedoch gemerkt, dass meine Heimatgefühle nicht mehr an einen Ort gebunden sind, sondern Heimat ist mein Herz. Mein Herz nehme ich überallhin mit, somit ist Heimat immer bei und in mir. Darin verankert sind Kindheitserinnerungen, meine Eltern, meine Erziehung und mein früheres schönes Leben. Die örtliche Verbundenheit zu Senegal bleibt immer noch bestehen.
Es ist schrecklich, wenn man Heimat auf bestimmte Eigenschaften wie beispielsweise Herkunftsland oder Sprache reduziert. Heimat ist ein dynamischer Prozess der Selbstfindung – das sollte man so geschehen lassen. Die Menschen sollen ihren Weg finden und selbst auch beschreiben dürfen, was sie unter Heimat verstehen, und nicht die Erwartungen anderer über das Herkunftsland oder Sprache erfüllen.“
Jenny Omar
ist Sozialpädagogin und Projektleitung des Projekts „Wie wollen wir leben?“.
„Lange konnte ich mit dem Heimatbegriff wenig bis gar nichts anfangen. Ich dachte früher, dass Heimatgefühle oder Gedanken an Heimat für rechtskonservative Personen charakteristisch sind. Seitdem ich in Berlin wohne, habe ich doch noch ein Gefühl von Heimat entwickeln können. Wenn ich an Heimat denke, kommen mir das Meer, die Elbe, der Deich und das regnerisch-windige Wetter in den Sinn. Das Gefühl zu Heimat sagt mir, dass ich dahin gehöre, und erinnert mich an Geborgenheit und Kindheit.
Selbst wenn ein politischer Umsturz stattfände oder die AfD in Deutschland regieren würde, bliebe meine Heimat noch meine Heimat. Was ich wichtig an dem Begriff erachte, ist, dass der Begriff positiv besetzt werden sollte. Die Heimatfindung sollte sich von rigiden Nationalstaatengrenzen entfernen und nicht mehr von der Prämisse ausgehen, man könne nur eine Heimat haben. Besser wäre ein hybrides Verständnis von Heimat, in dem es möglich sein sollte, mehrere Heimaten haben zu können.“
Julia Schwieder-Rietdorf
ist als pädagogische Mitarbeiterin im Projekt „Protest, Provokation und Propaganda“ für den elementar- und primarpädagogischen Bereich verantwortlich.
„Ich lehne den Begriff »Heimat« zwar nicht entschieden ab, aber er kommt in meinem alltäglichen Sprachgebrauch eher selten vor.
Für mich hat das Wort »Heimat« schon etwas Seltsames an sich, was ich auch ein wenig mit einer gewissen Deutschtümelei verbinde. Vielleicht denke ich bei dem Begriff auch mehr an die Einbettung in aktuelle politischen Debatten.
Mein persönliches Verständnis von Heimat würde ich mein Zuhause nennen. Zuhause ist sozusagen ein Äquivalent zu Heimat. Heimat aka Zuhause sind Orte, an denen ich aufgewachsen bin, meine Kindheit verbracht habe oder mich wohlfühle. Als ich vor 18 Jahren nach Berlin zog, war mein damaliges Zuhause-Gefühl noch in Hamburg und bei meiner Mutter. Sobald ich von dort zurück nach Berlin fuhr, kam in mir ein wehmütiges Gefühl auf. Je länger ich schließlich in Berlin wohnte, desto mehr hat sich mein Gefühl von Zuhause nach Berlin verschoben. Inzwischen ist Berlin das Zuhause, an dem ich meinen Lebensmittelpunkt, meine Familie und Freunde habe. Meine Familie hat selbst keine neuere Herkunfts-, Wanderungs- oder Migrationsbiografie, sodass ich mich früher nicht mit der Frage nach Herkunft und Heimat auseinandersetzen musste. Die Heimaten meiner Eltern waren hoch im Norden und in Süddeutschland. Dort habe ich zwar viele Kindheitsurlaube verbracht – allerdings sind diese Orte weniger Heimatorte für mich, als sehr vertraute Orte mit einem Gefühl von Zuhause.“
Maryam Kirchmann
ist im Bund-Länder-Projekt „Bildmachen – Politische Bildung und Medienpädagogik zur Prävention religiös-extremistischer Ansprachen in Sozialen Medien“ tätig.
„Heimat ist möglicherweise ein Ort, zu dem man gerne regelmäßig zurückkehrt. Heimat kann auch eine Person oder mehrere Personen sein. Auf jeden Fall bedeutet Heimat für mich nicht ein Wohnort und nicht der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Ich war da nie richtig verwurzelt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich sagen konnte: »Das ist jetzt meine Heimat.« Ich habe schon immer lieber meine Familie und Freunde als Heimat betitelt. Dementsprechend ist es auch positiv konnotiert, wenn man an Freunde, Familie oder das eigene Bett denkt. Dann ist es natürlich etwas, was schön ist.
Ich glaube, dass die Entscheidung über die Heimat allerdings ein Privileg ist, welches mir zukommt, weil ich sozusagen frei in meiner Entscheidung sein darf, wo ich meine Heimat positioniere.
Aber ich habe auch ein komisches Gefühl gegenüber dem Begriff Heimat, weil ich finde, dass er häufig für Nationalismus instrumentalisiert wird. Der Begriff ist nicht klar definiert und meist verknüpft mit sehr persönlichen Emotionen und/oder einer Art Besitzanspruch. Dadurch verbindet jede_r etwas anderes damit. Das Problematische daran ist, dass einige Menschen einen absoluten Wahrheitsgehalt darüber beanspruchen, was Heimat sein soll, zum Beispiel aufgrund festgelegter Staatengrenzen.“
Pierre Asisi
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Bildmachen – Politische Bildung und Medienpädagogik zur Prävention religiös-extremistischer Ansprachen in Sozialen Medien“.
„»Heimat« ist für mich ein konkreter Ort: Berlin. Zwar muss Heimat nicht zwangsläufig der Wohnort sein, jedoch trifft es in meinem Fall zu. In Berlin fühle ich mich zuhause, da viel Familie hier lebt und ich mit den Leuten hier so etwas wie eine gemeinsame Mentalität teile. Damit meine ich eher etwas Oberflächliches, Alltägliches, denn auf der anderen Seite – wenn ich genauer darüber nachdenke – fühle ich mich anderen Menschen, mit denen ich politische Ideale, Lebensphilosophien oder kulturelle Vorlieben teile, mindestens genauso verbunden, egal wo sie nun leben, und auch wenn wir uns im Alltag vielleicht nicht so einfach verständigen könnten. Berlin ist dann wohl der Ort, an dem für mich beides zusammenkommt.
Früher habe ich an vielen verschiedenen Orten gelebt und mich nie wirklich heimisch gefühlt. In meiner Familie waren Wohnortswechsel die Normalität. Auch nach der Flucht blieb die Generation meiner Mutter unruhig. Bei Problemen sind sie einfach umgezogen. Interessanterweise ist ein großer Teil mittlerweile in Berlin »hängengeblieben« und zur Ruhe gekommen – auch das spricht für diese Stadt.
2010 habe ich gemeinsam mit zwei Onkeln und einem Cousin meine Oma in Teheran besucht. Wir sind roadtripmäßig in das »Dorf« gereist (das mittlerweile eine Stadt ist), aus dem wir »herkommen«. Das war die schönste und wichtigste Reise in meinem Leben. Obwohl ich gemerkt habe, dass ich da nicht hingehöre, habe ich danach mehr innere Ruhe gefunden und fühlte mich nicht mehr so zerrissen. Ich glaube, diese Reise war wichtig, um später eine Heimat finden zu können.
Ich weiß auch, dass »Heimat« ein politischer Kampfbegriff der Rechten geworden ist, um andere Menschen auszuschließen – ich sehe darin aber keinen Grund, ihnen diesen Begriff zu überlassen, der genauso auch verbinden kann.“
Sakina Abushi
ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin verantwortlich für den Wissenschaftstransfer und die inhaltliche Betreuung der Webseite.
„Der Begriff »Heimat« weckt bei mir zunächst komische Assoziationen von Heimatfilmen, Folklore, Trachten und deftigem Essen. »Heimat« ist für mich ein Wort, welches zu einer älteren Generation wie Horst Seehofer passt und gehört. Es ist kein Begriff, der in meinem Leben eine große Rolle spielt und den ich jemals freiwillig in den Mund nehmen würde. Mit dem Begriff »Zuhause« kann ich mehr anfangen. Mein Zuhause ist in Berlin und Deutschland. Als ich längere Zeit im Ausland gelebt habe, habe ich gemerkt, dass es eine besondere Verbindung zu meinem Zuhause gibt. Ich vermisste auf einmal Sachen, die ich früher gar nicht bemerkt hatte. Früher war ich offener für die Möglichkeit, woanders zu leben. Aber ich habe die Entscheidung getroffen, dass ich in Deutschland leben möchte.
Dennoch würde ich mir grundsätzlich einen neuen Begriff wünschen, der das Wir-Gefühl beschreibt, das ich mit manchen Menschen in diesem Land teile. Das sind Menschen, die an ein Deutschland glauben, in dem alle Menschen gleiche Rechte haben und in dem man unabhängig von Hautfarbe, Religion oder gar Nationalität Deutsche*r sein kann. Für so ein Deutschland könnte ich vielleicht sogar Heimatgefühle entwickeln.“
Serpil Dursun
ist in der Fachstelle in Bayern als Koordinatorin und pädagogische Mitarbeiterin für die Planung und Konzeption der Fortbildungen zuständig und Ansprechpartnerin für Schulen.
„Ich verwende den Begriff »Heimat« nicht gerne, da er für mich durch politisch gesellschaftliche Diskurse negativ konnotiert ist. In diesen Diskursen wird das Verständnis von Heimat gegensätzlich zu Multikulturalität und Pluralität gestellt, und Minderheiten werden pauschal die Zugehörigkeit abgesprochen. Stattdessen wäre mir der Begriff »Zuhause« lieber. Zuhause kann für mich ein oder auch mehrere Orte mit einer oder tatsächlich mehreren Sprachen sein. Mit Zuhause verbinde ich meine Familie, meine Freunde und geliebte andere Menschen, mit denen ich beispielsweise Kindheitserinnerungen und Erfahrungen gemeinsam teile.
Bei dem Gedanken an Zuhause kommen mir Sicherheitsgefühle, Schutz und ein Gefühl inneren Friedens auf. Auch Liebe zu dem Ort, die unabhängig von unangenehmen Geschehnissen in diesem Land oder Ort existiert, gehört dazu. Weil es mein Zuhause ist, welches ich liebe, würde ich mich eher dazu entscheiden, das Unangenehme zu ertragen und an dem Ort, meinem Zuhause, zu bleiben. Ich würde mein geliebtes Zuhause nur verlassen, wenn meine Meinungsäußerung beispielsweise durch Zensur stark eingeschränkt wird, ich überhaupt nicht mehr ich selbst sein darf, wenn ich mich nicht mehr frei fühle, keine Zukunftsperspektiven mehr sehe und dadurch wirklich reale Existenzängste bekomme.“