Feminismus im Plural: Wie offen ist Feminismus für den Islam?
27. Oktober 2017 | Diversität und Diskriminierung, Gender und Sexualität, Religion und Religiosität

„Wie offen ist Feminismus für Islam?“ Diese Frage stand im Zentrum einer Diskussionsrunde, die vom Netzwerk Junge Islam Konferenz organisiert wurde. Sichtbar wurden dabei ganz unterschiedliche Zugänge zum Verhältnis von Feminismus und Islam, Einigkeit bestand vor allem in einem Punkt: „Den“ Feminismus gibt es ebenso wenig wie „den“ Islam. Stattdessen geht es um unterschiedliche Feminismen, deren Ansätze bisweilen weit auseinanderliegen. Das Thema lässt sich auch in der politischen Bildung aufgreifen.

Die Junge Islam Konferenz (JIK) habe sich bewusst entschieden, nicht danach zu fragen, wie offen der Islam für Feminismus sei, erklärte Projektleiterin Nina Prasch in ihren einleitenden Worten. Angesichts der Debatten über eine vermeintliche Unvereinbarkeit von Feminismus und Islam entschieden sich die Veranstalter_innen, diese Debatte „anders zu führen“.

In ihrem Einstiegsvortrag bot die Journalistin und Mitbegründerin des Missy Magazins, Stefanie Lohaus, einen historischen Abriss über unterschiedliche Strömungen und Verständnisse des Feminismus, die den Kampf um Gleichberechtigung von Beginn an prägten. Zwar gelten die Schriften der weißen Französin Olympe de Gouges oft als Gründungsdokumente des Feminismus, allerdings verwies Lohaus zugleich auf eine Rede, die die schwarze Aktivistin Sojourner Truth nur unwesentlich später unter dem Titel „Ain’t I a woman?“ Schon in dieser Rede wurden andere, nicht-weiße Perspektiven auf den Feminismus sichtbar, die sich ausdrücklich auch gegen Positionen weißer Frauen richteten. „Es gab von Anfang an verschiedene Feminismen: radikale, liberale, internationale, bürgerliche, gleichheitsorientierte, differenzorientierte, queere, intersektionale und andere Feminismen“, konstatierte Lohaus.

Islamische Feminismen sind insofern keineswegs neu, sondern knüpfen an diese Debatten an, wie Reyhan Şahin in einem weiteren Beitrag betonte. Die Sprachwissenschaftlerin, die auch als Lady Bitch Ray bekannt ist, verdeutlichte, dass dabei die Koranexegese und das Studieren islamischer Quellen nur eine Facette des islamischen Feminismus ausmachen. Es gehe zudem um eine aktivistische Auseinandersetzung mit weißen, nicht muslimischen Feminist_innen und ihrem paternalistischen Anspruch, muslimische Frauen zu befreien.

Aber auch hier ist der Plural „Feminismen“ notwendig. So plädierte Hengameh Yaghoobifarah in ihrer Präsentation des Projektes „Just me and Allah“ ausdrücklich für einen queer-muslimischen Feminismus, der den Mehrfachdiskriminierungen von queeren* Muslim_innen gerecht werden. Neben Homofeindlichkeit sowohl vonseiten der Mehrheitsgesellschaft als auch innerhalb der muslimischen Community spielten Rassismuserfahrungen für queere* Muslim_innen eine wichtige Rolle. Yaghoobifarah verband diese Darstellung mit der Forderung an muslimische Communities, sich solidarisch zu zeigen, schließlich sei „Diskriminierung nicht muslimisch, sondern haram“. Sichtbare Solidarität mit queeren* Muslim_innen sei schließlich auch ein Statement gegenüber rassistischen Anfeindungen, mit denen Muslim_innen eine grundsätzliche Homofeindlichkeit unterstellen.

Die Schwierigkeit, patriarchale Strukturen innerhalb der muslimischen Community angesichts rassistischer Diskurse zu thematisieren, stand im Mittelpunkt des Beitrags der Theologin Nimet Şeker. Wie sehr sie damit die Stimmung im Publikum traf zeigte sich in dem Applaus, den sie schon vor ihrem eigentlichen Beitrag für ihre einführenden Worte bekam. Şeker beschrieb den Erwartungsdruck gegenüber Muslim_innen, sich zu bestimmten Themen zu äußern, beklagte aber zugleich die Schwierigkeit, Heterosexismus und Homofeindlichkeit innerhalb der muslimischen Community anzusprechen. So führe etwa die Diskriminierung kopftuchtragender Frauen in der Dominanzgesellschaft mitunter dazu, dass sich Muslim_innen in der Mehrheitsgesellschaft nicht trauen, sich kritisch über das Kopftuch zu äußern. Darüber hinaus beschreibt Şeker die Gefahr, dass der islamischen Feminismus letztlich rassistische Ressentiments bestätigt, indem er sexistische und patriarchale Strukturen benennt, die im antimuslimischen Diskurs zu einem Problem „des“ Islams verallgemeinert werden. „Der muslimische Feminismus steht hier in der Gefahr von einer Aufmerksamkeitsindustrie benutzt zu werden“.

In der abschließenden Diskussion wurden diese Beiträge aufgegriffen und eine Intersektionalität feministischer Perspektiven eingefordert, die sich nicht nur von paternalistischen und kulturalistischen Vorstellungen (erwähnt wurden hier u.a. Alice Schwarzer und die Organisation Terre des Femmes) abgrenzen, sondern auch innerhalb muslimischer Communities Position beziehen. Auch hier lasse sich Feminismus nicht länger auf die Belange von Frauen beschränken, sondern müsse queere* und trans* Muslim_innen mitdenken, die im besonderen Maße von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind und deswegen umso mehr auf safer Spaces und Solidarität aus der eigenen Glaubensgemeinschaft angewiesen seien.

Aber was heißt das konkret – und zwar gerade für junge Menschen, die in Netzwerken der JIK mitwirken? In ihrer Antwort auf diese Frage plädierte Hengameh Yaghoobifarah dafür, sich mit den verschiedenen Positionen feministischer Aktivistinnen vertraut zu machen, um an deren Erfahrungen anknüpfen zu können.

Anregungen für den Unterricht

Eine der zeitgenössischen Akteur_innen im islamischen Feminismus ist Kürba Gümüşay. In diesem Video gibt die Journalistin und Aktivistin einen Einblick in ihre Ideen zu Islam und Feminismus:

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Zeina Nasser ist mehrfache Berliner Boxmeisterin. Dabei steht ihr gesellschaftlicher Kampf Beispielhaft für einen intersektionalen Feminismus: Als Frau kämpft sie um Anerkennung als Boxerin und als Musilma um die Anerkennung ihres Kopftuches im Ring.

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Patriarchale Strukturen und sexistische Auslegungen innerhalb des Islams thematisiert Sineb El-Masrar in diesem Beitrag.

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