Nach zwei Jahren zieht die Berliner Anlaufstelle Diskriminierungsschutz an Schulen eine erste Bilanz. In einem policy brief fasst ADAS Erfahrungen aus der Beratungsarbeit zusammen und formuliert Empfehlungen für eine institutionelle Verankerung des Diskriminierungsschutzes im Bildungssystem. Mit einem Leitfaden gibt die ADAS zudem konkrete Handlungsanregungen für Lehrkräfte und Schulleitungen.
Diskriminierung ist ein ernst zunehmendes Problem in Schulen. Obwohl Diskriminierungsverbote in Menschenrechten und Grundgesetz verankert sind und auch landesrechtliche Regelungen bestehen, zeigen sich vor allem im Bildungswesen große Umsetzungslücken: Neben rechtlichen Lücken haben betroffene Kinder, Jugendliche sowie ihre Eltern, die Diskriminierung in der Schule erleben, kaum Zugang zu Informationen und Beratung zu ihren Rechten. Bei Lehrkräften und Schulpersonal gibt es kaum Kenntnisse über Diskriminierung, und es besteht eine große Handlungsunsicherheit, im Umgang mit diesbezüglichen Vorfällen.
Ziele und Aktivitäten von ADAS
Die Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS) ist ein Modellprojekt der Bildungsorganisation LIFE e.V., das durch Mittel der LOTTO-Stiftung finanziert wird. Mit dem Modellprojekt wurde eine unabhängige Informations- und Beschwerdestelle bei Diskriminierungen in Schule „erprobt“, so wie sie von Fachstellen der Menschenrechts- und Antidiskriminierungsarbeit, wie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention oder der GEW Berlin, empfohlen wird. Auf Grundlage der ausgewerteten Diskriminierungsmeldungen, der Beratungserfahrungen sowie der Erfahrungen der Clearing Verfahrens können konkrete Umsetzungslücken in Berlin identifiziert und Aussagen über Diskriminierungsrisiken im Schulwesen gemacht werden: Wer meldet Diskriminierung? Welche Gruppen sind betroffen? Gibt es typische „Fallkonstellationen“? Welche Interventionen gegen Diskriminierung sind sinnvoll und wirksam im Kontext Schule?
Das Beratungsangebot von ADAS, dass seit Juni 2016 besteht, richtet sich an Schüler*innen, Eltern/Erziehungsberechtigte, Lehrkräfte, Schulbeschäftigte und Vertrauenspersonen des Schulumfelds und ist horizontal ausgerichtet, d.h. ADAS berät und unterstützt gleichermaßen bei allen Diskriminierungsdimensionen (ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, sexuelle Orientierung, Behinderung, Lebensalter, sozialer Status). In Kooperation mit der regionalen Schulaufsicht des Bezirks Neukölln und dem Bezirksamt konnte zwischen Januar 2016 und Dezember 2017 das Neuköllner Clearing Verfahren für Diskriminierungsschutz in Schulen durchgeführt werden. In diesem Rahmen wurden wertvolle Erfahrungen in der Entwicklung schulinterner Präventions- sowie Beschwerdemöglichkeiten gesammelt. Im Rahmen des Projekts wurde zudem ein Leitfaden zum Diskriminierungsschutz in Schulen erarbeitet.
Auf dieser Grundlage können praxiserprobte und evidenzgestützte bildungspolitischen Empfehlungen zur Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle für Berlin Empfehlungen sowie weitere Handlungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
Bei der Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz in Schulen (ADAS) sind zwischen Juni 2016 bis April 2018 insgesamt 165 Diskriminierungsmeldungen eingegangen. Da diese Daten nicht repräsentativ sind, lassen sie keine verallgemeinerbaren Aussagen z.B. wie häufig tatsächlich Diskriminierung an Berliner Schulen vorkommt, zu. Viele Fälle z.B. von jüdischen Schüler*innen sind nicht bei der Anlaufstelle angekommen oder wurden gar nicht gemeldet. Es ist hier von einer sehr großen Grauzone auszugehen. Bei knapp über der Hälfte der eingegangenen Meldungen (84 Beratungsfälle) wünschten sich die ratsuchenden Personen Beratung und Unterstützung. Die Auswertung der eingegangenen Diskriminierungsmeldungen zeigt:
* Viele Schüler*innen erleben Diskriminierungen an der Schule – in vielen Fällen ausgehend von Lehrkräften und pädagogischem Personal. Bei 84% der gemeldeten Diskriminierungsfälle waren Schüler*innen die Betroffenen. Bei 67% der Meldungen ging die Diskriminierung vom Schulpersonal und Schule aus. Nur bei 22% aller gemeldeten Diskriminierungsfälle handelte es sich um diskriminierendes Verhalten durch Mitschüler*innen.
* Kinder und Jugendliche, die Diskriminierung in der Schule erleben, haben hohe Barrieren, eine erlittene Diskriminierung selbst zu melden und dagegen vorzugehen. Vor allem befürchten sie bei einer Beschwerde Nachteile durch die Schule, beispielsweise in der Notenvergabe, zu erleiden.
* Rassistische Diskriminierung anknüpfend an die ethnische Herkunft (Hautfarbe, Sprache, Aufenthaltsstatus) und/oder die Religion spielen in Schule eine herausragende Rolle: Sie machten 83% aller bei ADAS gemeldeten aus. Muslimische sowie als Muslime wahrgenommene Schüler*innen und Eltern haben ein besonders hohes Risiko in Schulen Diskriminierungserfahrungen zu machen. Bei geschlechtsbezogener Diskriminierung in der Schule bilden Mädchen und Frauen, die ein Kopftuch tragen und schwarze und als muslimisch wahrgenommene (türkei- oder arabischstämmige) Männer die am stärksten betroffenen Gruppen.
* Die Erfahrungen das Neuköllner Clearing Verfahrens zeigten, dass eine sachgerechte, professionelle Bearbeitung von Diskriminierungsbeschwerden im Rahmen von schulischen und bezirklichen Gremien kaum zu leisten ist und zudem die Gefahr von Interessenkollisionen birgt.
* Von Diskriminierung betroffene Personen bevorzugen ein unabhängiges, vertrauliches Beratungs- und Unterstützungsangebot, das eine diskriminierungssensible, parteiische Beratung ermöglicht, ohne gleich einen formalen Beschwerdeweg einleiten zu müssen. Sie wünschen sich in der Regel eine schnelle Hilfe, kurzfristige Begleitung zu Schulterminen und emotionale Unterstützung und Empowerment.
* Bei einem Großteil der Fälle wurde eine rasche, niedrigschwellige Lösung an der Schule gesucht, in der erlebtes Unrecht wieder gut gemacht und/oder eine benachteiligende Behandlung abgestellt wird. Oftmals ist allein schon die Anerkennung, dass eine Diskriminierung stattgefunden hat, ein wichtiges Ziel für die Betroffenen. Der Klageweg oder rechtliche Schritte sind nur in seltenen Fällen für Betroffene eine Option.
* Auch ratsuchende Pädagog*innen, Lehrkräfte und Fachkräfte aus der Jugendarbeit und der Sozialberatung wandten sich an die unabhängige Anlaufstelle, um sich unverbindlich zum Umgang mit konkreten Diskriminierungssituationen informieren und beraten lassen können und fragten spezifische Fortbildungsangebote nach.
Zentrale bildungspolitische Empfehlungen für Berlin
Auf Grundlage einer Identifikation von Bedarfslücken im Rahmen des Modellprojekts sowie der Sichtung der völkerrechtlichen Verpflichtungen und antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben empfiehlt ADAS zur Weiterentwicklung der Berliner Antidiskriminierungslandschaft:
* In der Koalitionsvereinbarung hat die Berliner Landesregierung sich zur Einführung eines Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) sowie zur Einrichtung einer „unabhängigen Informations- und Beschwerdestelle bei Diskriminierungen in Kita und Schule“ verpflichtet. Die Einführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes muss ein klares Diskriminierungsverbot (explizit) auch für den Bereich der öffentlichen Schulen einschließen, um rechtlichen Verpflichtungen zu entsprechen. Damit dieses wirksam durchgesetzt werden kann, muss darüber hinaus eine schulbezogene Antidiskriminierungsarchitektur aufgebaut werden und die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle im Rahmen einer Fachstelle für Diskriminierungsschutz in Schulen mit einem wirksamen Mandat und einer ausreichenden Ausstattung entsprechend ihrer Aufgaben im Berliner Schulgesetz (SchulG) gesetzlich verankert werden.
* Die Implementierung einer schulbezogenen Antidiskriminierungslandschaft sollte folgende zwei Pfeiler umfassen: a) Die unabhängige, nicht weisungsgebundene und nicht amtsförmige Informations- und Beschwerdestelle für Schulen, die niedrigschwellig und parteiisch beraten und unterstützen kann. b) Die Antidiskriminierungsbeauftragte der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, die s, mit Sanktionsmöglichkeiten und Dateneinsichtsrechten ausgestattet, als kompetente Senatsstelle, Antidiskriminierungsanliegen nachhaltig innerhalb der schulischen Strukturen und des Bildungssenats implementiert.
* Innerhalb der Bezirke sollten bezirkliche Fachrunden, angesiedelt bei der jeweiligen regionalen Schulaufsicht und den SIBUZen und unter Einbeziehung von Antidiskriminierungsexpert*innen und Zivilgesellschaft regelmäßig durchgeführt werden, um Empfehlungen zur Prävention und zur (Weiter-)Entwicklung des Beschwerdemanagements an Schulen zu erarbeiten.
* Die unabhängige Informations- und Beschwerdestelle, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, sollte in eine Fachstelle Diskriminierungsschutz an Schulen (FaDaS) eingebettet werden, die neben Beratung und Begleitung von Betroffenen auch Informationsund Fortbildungsangebote für Schulen und schulbezogene Multiplikator*innen anbieten kann. Zudem sollte sie ein externes (langfristiges) schulbezogenes Diversitäts- und Diskriminierungs-Monitoring durchführen, wodurch auch institutionelle Diskriminierung erfassbar und entsprechende Schulentwicklungsprozesse nachhaltig begleitet werden können.
* Diese Fach- und Beschwerdestelle sollte institutionell unabhängig als nichtstaatliche Organisation räumlich getrennt von Schulen/Schulverwaltung sowie Bildungssenat eingerichtet werden und Fachkompetenzen der Antidiskriminierungs- und Bildungs- und Schulwegberatung in einem, Diversitätskriterien entsprechend zusammengesetzten, Team vereinen. Nur so kann sie Betroffenen eine niedrigschwellige, informelle Beschwerdemöglichkeit mit einer parteiischen und diskriminierungssensiblen Beratung anbieten.
Ausblick
Die Weiterfinanzierung der Modellphase von ADAS wurde durch die LOTTO-Stiftung bis 2020 bewilligt. Durch die damit ermöglichte weitere Datenerhebung und Entwicklung schulspezifischer Präventions- und Interventionsansätze für den Diskriminierungsschutz an Schulen kann ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung einer schulbezogenen Antidiskriminierungsstruktur geleistet werden.
Die evidenzgestützten bildungspolitischen Empfehlungen von ADAS sollen die Umsetzung der, in der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen Einrichtung einer „unabhängigen Informations- und Beschwerdestelle bei Diskriminierungen in Kita und Schule“ hin zu einer, mit allen wichtigen einzubeziehenden Akteur*innen gut abgestimmten, Struktur systematisch unterstützen.
Mit der geplanten Verabschiedung des Landesantidiskriminierungsgesetzes und der Einrichtung einer schulspezifischen unabhängigen Antidiskriminierungsstelle wird Berlin nicht nur das erste Bundesland mit einem Landesantidiskriminierungsgesetz und dem bundesweit besten Schutzniveau bei Diskriminierung sein, sondern auch eine Vorreiterrolle einnehmen bei der Etablierung einer schulbezogenen Antidiskriminierungskultur mit institutionellen Beschwerdestrukturen. Hierdurch würde auch ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung einer konstruktiven Konflikt- und Beschwerdekultur in der heterogenen, inklusiven Schule und damit der Umsetzung der Inklusion in Berlin geleistet. Schüler*innen und Eltern, die an einer Berliner Diskriminierung erleben, würden damit nicht nur ihr gutes Recht vor Diskriminierung geschützt zu werden, tatsächlich gesetzlich verankert sehen, sondern auch verlässliche und professionelle Informations-, Beschwerde- und Unterstützungsstrukturen vorfinden.
Wir danken ADAS für die Erlaubnis, den Text hier zu veröffentlichen!