„Es fehlt an gesellschaftlicher Sensibilität“: Die Initiative #brandeilig dokumentiert bundesweit Angriffe auf Moscheen
27. November 2019 | Diversität und Diskriminierung

In Deutschland wird durchschnittlich jede Woche eine Moschee angegriffen. Die Initiative #brandeilig erfasst die Angriffe bundesweit, stellt zusätzliche Informationen zur Verfügung und hat sich zum Ziel gemacht, diese Art des antimuslimischen Rassismus sichtbar zu machen. ufuq.de führte ein Interview mit Projektleiter Yusuf Sari über die Hintergründe und Ziele des Projekts.

ufuq.de: Guten Tag, Herr Sari. Können Sie uns erzählen, wie die Initiative #brandeilig entstanden ist?

Yusuf Sari: Die Initiative bietet eine Online-Dokumentation von Angriffen auf Moscheen und macht Informationen dazu zugänglich. Die Idee dazu entstand während der Datenerfassung unserer Antidiskriminierungsstelle FAIR international. FAIR international hat bereits 2014 mit der Erfassung von Moscheeanschlägen begonnen. Für die Realisierung von #brandeilig haben wir etwa zwei Jahre gebraucht. Dabei haben wir auf unsere bereits vorhandenen Daten zurückgegriffen und diese nach und nach auf die Onlineplattform übertragen. Wir haben uns bewusst für den 1. Juli 2019 entschieden, um mit #brandeilig online zu gehen, weil dies der „Tag gegen antimuslimischen Rassismus“ ist.

ufuq.de: Die Plattform bietet detaillierte Informationen über die Angriffe der letzten Jahre und wird laufend aktualisiert. An wen wenden Sie sich mit diesen Informationen und welche Wirkung erhoffen Sie sich davon?

Yusuf Sari: Die Onlineplattform gewährleistet eine systematische Erfassung von Angriffen auf Moscheen und macht die Gefahren deutlich, denen muslimische Gemeinden gegenwärtig ausgesetzt sind. Hinzu kommt, dass uns bei der Erfassung eine Diskrepanz zwischen den von uns registrierten und den offiziellen Daten des BKA aufgefallen ist. In der Regel wies unsere Registrierung eine höhere Zahl von Angriffen auf. Dies deutet auf mögliche systematische Mängel in der offiziellen Erfassung hin. Zudem ist die Aufklärungsquote sehr gering. In der Regel können die Angriffe nicht aufgeklärt und folglich keine Täter_innen ermittelt werden. Dies könnte Täter_innen dazu ermutigen, weitere Angriffe auszuüben.

ufuq.de: Denken Sie, dass das Thema insgesamt ausreichend Aufmerksamkeit erhält?

Yusuf Sari: Nein, wir sehen, dass es an einer gesamtgesellschaftlichen Sensibilität für dieses Thema fehlt. Bei Angriffen auf Moscheen handelt es sich um eine besonders tiefwirkende Grenzüberschreitung, von der nicht nur die Gemeinden oder die Religionsangehörigen, sondern das friedliche Miteinander insgesamt betroffen ist. Wir stellen bedauerlicherweise fest, dass Moscheeangriffe – trotz der stetig steigenden Zahlen – nicht die nötige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommen.

An dieser fehlenden Sensibilität setzen wir mit #brandeilig an und tragen die Informationen in die Öffentlichkeit. Maßnahmen können nur dann ergriffen werden, wenn das Problem den Menschen bewusst ist. Mit #brandeilig soll die Lücke einer systematischen und einheitlichen Erfassung von Angriffen auf Moscheen geschlossen werden.

ufuq.de: Wie erfahren Sie denn von den Angriffen und Anschlägen und wie werden diese von Ihnen erfasst?

Yusuf Sari: Wir greifen dabei auf unterschiedliche Kanäle zurück. Neben Presseberichten nutzen wir auch Publikationen des BKA. Besonderes Augenmerk legen wir jedoch auf die Berichte aus unserem Netzwerk, zu dem inzwischen eine große Anzahl an NGOs und Moscheegemeinden gehören. Betroffene Moscheegemeinden können uns zum Beispiel direkt per Mail oder Telefon kontaktieren und über einen Vorfall berichten. Wir gehen dem dann nach und gleichen die Berichte mit den Informationen der Polizei ab. Die betroffenen Gemeinden werden gegebenenfalls von uns kontaktiert und zu den Ereignissen befragt. Anhand der erlangten und überprüften Daten entstehen die jeweiligen Texte, die dann schließlich auf www.brandeilig.org zum jeweiligen Angriff veröffentlicht werden. Mithilfe des Hashtags #brandeilig kann man dann in Sozialen Medien auf Anschläge und Angriffe aufmerksam machen.

ufuq.de: Welche Reaktionen gibt es bisher auf den Hashtag #brandeilig und die Initiative? 

Yusuf Sari: Die Resonanz ist bisher äußerst positiv. Mehrere Pressevertreter_innen sind auf uns zugekommen und wollten mehr über das Projekt erfahren. Auch die Gemeinden begrüßen das Projekt, weil sie auf diese Weise eine Stimme erhalten und auf ihre Probleme und Erfahrungen aufmerksam gemacht wird.

ufuq.de: Seit 2017 werden „islamfeindliche Straftaten“ in der Kriminalitätsstatistik gesondert ausgewiesen. Halten Sie diese Spezifizierung für notwendig? 

Yusuf Sari: Wir halten eine gesonderte Erfassung von Islamfeindlichkeit im Rahmen der PMK-Statistiken für unabdingbar. Nur auf diese Weise lässt sich ein genaues bundesweites Bild nachzeichnen. Wir halten es für wichtig und richtig, dass die Ermittlungsbehörden, die oft auch als Erste an Ort und Stelle sind und die Fälle dokumentieren, speziell geschult sind und eine gewisse Erfahrung im Umgang mit muslimischen Gemeinden mitbringen, um die Vorfälle besser kategorisieren zu können.

ufuq.de: Auf Ihrer Webseite fordern Sie, dass islamfeindliche Motive in der Ermittlungsarbeit der Polizei verstärkt mitbedacht werden sollten. Was ist aus ihrer Sicht notwendig, um das Ausmaß des Problems tatsächlich erfassen zu können?

Yusuf Sari: Es ist wichtig, dass die Taten richtig eingeordnet werden, da das Phänomen der Islamfeindlichkeit sehr vielschichtig ist. Nicht immer hinterlassen die Täter_innen eindeutige Spuren, wie z.B. Hakenkreuze, die auf eine rechte Gesinnung hindeuten. Grundsätzlich können wir zwischen diskursabhängigen und diskursunabhängigen Angriffen unterscheiden. Die diskursabhängigen Angriffe erfolgen in Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen und Debatten. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass die Zahl der Angriffe auf Baugrundstücke von Moscheegemeinden dann anstieg, wenn es zuvor Debatten oder Medienberichte über das Bauvorhaben gab. Oder ein anderes Beispiel: Innerhalb von wenigen Tagen vor und nach dem Jahrestag des NSU-Urteils erhielten bundesweit acht Moscheegemeinden Bombendrohungen. Diese Zusammenhänge sind von großer Bedeutung und dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Deswegen sollten Polizist_innen und Jurist_innen schon in der Ausbildung für diese Art von Kriminalität sensibilisiert werden. Dazu gehört auch die Vermittlung von interkulturellen Kompetenzen. Das Hinzuziehen von Berater_innen kann hier ebenfalls eine wichtige Hilfestellung sein.

ufuq.de: Wie können Betroffene ausreichend geschützt werden – und welche Rolle spielt dabei die Gesellschaft? 

Yusuf Sari: Es kann durchaus sinnvoll sein, vor allem angesichts der hohen Anzahl von Bombendrohungen, eine erhöhte Polizeipräsenz vor den Moscheen zu zeigen. Dies allein ist allerdings nicht ausreichend, um Moscheeangriffen präventiv entgegenzuwirken. Wichtig wäre unter anderem die Verbesserung der Aufklärungsquote, aber auch eine effektive Auseinandersetzung mit dem Problem des antimuslimischen Rassismus. Zum Schutz der Muslim_innen und ihrer Einrichtungen müsste das Innenministerium Maßnahmen ergreifen, die das Problem von Grund auf und nicht nur die Symptome bekämpfen. Dafür müsste das Ministerium den dringenden Handlungsbedarf erkennen. Der antimuslimische Rassismus steht für eine Gefahr, die die ganze Gesellschaft bedroht.

Und zum zweiten Teil ihrer Frage: Eigentlich ist es selbstverständlich, dass man sich mit bedrohten Menschen solidarisiert. Leider sieht die Realität anders aus. Viele Menschen betrachten die Angriffe auf Moscheen als eine Angelegenheit der Gemeinden und zeigen daher keine Solidarität. Hier sind der Stadtrat und die Gemeindevorstände gefragt. Eine gute Zusammenarbeit dieser Instanzen bildet die Basis, um antimuslimischem Rassismus vor Ort entgegenzuwirken. In Städten, in denen die Kommunikation zwischen den islamischen Gemeinden und dem Stadtrat gut funktioniert, ist auch die Solidarität gut ausgeprägt. Denn nur gemeinsam können wir gegen den Hass in unserer Gesellschaft arbeiten. Dies stärkt das Zusammenleben und ermutigt nicht nur die Moscheegemeinden, sondern die gesamte Gesellschaft, beim Blick in die Zukunft.

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