Wieder sorgen die Ereignisse der Silvesternacht in Köln für heftige Diskussionen. Dieses Jahr sind es allerdings nicht sexuelle Übergriffe, die für Aufregung sorgen. Dafür steht nun das Vorgehen der Polizei in der Kritik: Hatte sie doch sehr gezielt junge Männer mit vermeintlich nordafrikanischem Äußeren im Visier. In einem Tweet der Polizei wurden diese als „Nafris“ bezeichnet. Zur Diskussion über die Verwendung rassistischer Begriffe und Racial Profiling im Polizeieinsatz sprachen wir mit der Kriminologin Dr. Daniela Hunold, die zur Polizeiarbeit in multiethnischen Städten forscht.
In der aktuellen Diskussion werden die Vorbehalte deutlich, die vielen Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber der Polizei haben. Viele erinnert der Begriff „Nafri“ an den Ausdruck „Döner-Morde“, mit dem die Verbrechen der NSU beschrieben wurden. Beide stehen für rassistische Bilder, mit denen Migrant_innen kriminalisiert werden. Wie beurteilen Sie die Kontrollen, die am Kölner Bahnhof durchgeführt wurden?
Die Lage gestaltet sich für mich nicht so eindeutig, wie sie nachträglich von Politikern und Experten darstellt wird. Faktisch wurden mehrere hundert Personen, welche von den Polizeibeamt_innen als Nordafrikaner wahrgenommen wurden, räumlich von anderen, nicht nordafrikanisch aussehenden Menschen getrennt. Es sollen bereits im Vorfeld polizeiliche Erkenntnisse zu diesen Personengruppen vorgelegen haben und es gab Hinweise auf deren Aggressionspotential. Inwiefern es aber tatsächlich diese Erkenntnisse waren, die in der Situation zur Selektion geführt haben, lässt sich nicht nachvollziehen. Es stellt sich also die Frage, ob tatsächlich nur die Personen herausgegriffen wurden, zu denen entsprechende Informationen vorlagen. Angesichts der hohen Anzahl der Betroffenen liegt die Vermutung nahe, dass die äußere Erscheinung mitunter alleiniges Auswahlkriterium war. Dementsprechend ist der Vorwurf des Racial Profiling nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Letztendlich braucht es jedoch mehr Informationen, um das Vorgehen abschließend beurteilen zu können.
Sicherlich ist aufgrund der Erkenntnislage zu den sexuellen Übergriffen im Jahr 2015 davon auszugehen, dass die Täter sich vorwiegend aus bestimmten ethnischen Gruppen rekrutieren. Allerdings gab es 2016 keine Hinweise darauf, dass es sich bei den herausgezogenen Personen um dieselben wie im Vorjahr handelte, oder dass diese sich bereits im Vorfeld zur Ausübung von Straftaten organisiert hatten. So wurden lediglich sechs Menschen festgenommen. Dies stellt die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in Frage, schließlich sollte das Verhalten einer Person und nicht ihr Äußeres als Grundlage einer polizeilichen Maßnahme gelten. Einen Generalverdacht gegen ganze ethnische Gruppen darf es nicht geben.
In ihrer Studie schreiben Sie auch über die Folgen einer Ungleichbehandlung durch die Polizei. Welche Auswirkungen haben Sie beobachtet?
Ungleichbehandlungen durch die Polizei rufen Gefühle des gesellschaftlichen Ausgegrenzt-Seins hervor. Dies wiederum schwächt das Vertrauen in die Polizei und kann zu Konflikten bei Polizei-Bürger-Begegnungen und zu einem Rückgang der Kontaktaufnahme zur Polizei führen, z.B. wenn Straftaten beobachtet werden. In den französischen Vorstädten zeigen sich die Folgen des Vertrauensverlustes in die Polizei besonders drastisch in den immer wieder aufbrechenden gewaltsamen Ausschreitungen.
Jugendliche dort sind von vielen gesellschaftlichen Exklusionsmechanismen betroffen. Hinzu kommen repressive Polizeistrategien und die nachweisliche Ungleichbehandlung von Personen mit Migrationshintergrund. Gesellschaftliche Ausgrenzung zeigt sich ganz alltäglich im Kontakt mit der Polizei. Sie wird zur Zielscheibe der Wut.
Welche Empfehlungen leiten Sie daraus für die Polizeiarbeit ab?
Maßnahmen müssen transparent gemacht werden und vor allem sollten unveränderliche Merkmale nicht als Hauptauswahlkriterium für Kontrollen dienen: weder die ethnische Herkunft noch der Wohnort. Letzterer ist jedoch ein häufiger Grund für Kontrollen etwa von Jugendlichen, die aus sozial benachteiligten Stadtquartieren kommen. Solange sich Maßnahmen nicht auf konkrete, nachvollziehbare und veränderliche Kriterien wie das Verhalten einer Person beziehen, werden ganze Personengruppen über ein generelles Merkmal diskriminiert. In der Aus- und Fortbildung müssen die Mechanismen und Folgen von Ungleichbehandlungen stärker beleuchtet werden. Zudem müssen mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Polizeivollzugsdienst aufgenommen werden.
In unseren Projekten merken wir, wie wenig Jugendliche darüber wissen, wie sie sich gegen Diskriminierungen und Anfeindungen wehren können – und wie wenig Vertrauen Sie in die Polizei haben, gehört zu werden. Haben Sie Anregungen, wie diese Vorbehalte gegenüber der Polizei beispielsweise in der Schule abgebaut werden können?
In meinen Studien bin ich immer wieder darauf gestoßen, welch wichtige Rolle die Arbeit bürgernaher Beamt_innen im Kontakt mit Jugendlichen spielt. Aufgabe dieser Beamt_innen ist Kommunikation mit den Bürger_innen im Bezirk. Sie tun dies bei alltäglichen Streifengängen, aber auch in Kooperationsveranstaltungen mit Schulen und Jugendzentren. Den Bezirksdienstbeamt_innen wurde seitens der interviewten Jugendlichen in meiner Studie grundsätzlich zugute gehalten, dass sie sich ihnen gegenüber freundlich und respektvoll verhalten. Das ist wichtig, gerade weil der Kontakt zur Polizei ansonsten oft mit Verdächtigungen und Strafen verbunden ist. Kooperationen zwischen Polizei, Schulen und Jugendhilfe sind für das Vertrauensverhältnis von Jugendlichen und Polizeibeamt_innen sehr förderlich.